S 8 U 222/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 222/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 153/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei der Klägerin eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 oder 4302 der Anlage zur BKV festzustellen und zu entschädigen ist.

Die 1962 geborene Klägerin ist im ehemaligen Jugoslawien geboren und lebt seit 1988 in der Bundesrepublik Deutschland. Hier absolvierte sie eine Ausbildung zur technisch-pharmazeutischen Assistentin in A-Stadt. Von 1993 bis 1995 arbeitete die Klägerin als Stationsassistentin, wechselte dann als PTA in eine Krankenhausapotheke (1995 – 2002). Seit 2002 verrichtet die Klägerin in der Onkologie der C-Klinik A-Stadt die Tätigkeiten einer PTA. Nach dem im Juli 2004 Atembeschwerden bei der Klägerin auftraten, erstattete der Lungenfacharzt Dr. D. am 12.06.2006 eine ärztliche Anzeige wegen des Verdachts auf eine Berufskrankheit; bei der Klägerin liege eine "Zytostatika-Lunge" vor. Der TAD der Beklagten führte bei dem Arbeitgeber der Klägerin Ermittlungen durch und kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin während ihrer Beschäftigungszeiten Umgang mit Zytostatika hatte. Eine orale und dermale Gefährdung könne bei Nichtbenutzung der Schutzausrüstungen und bei Nichtbeachtung des Schutzstandards vorliegen. Eine Aufnahme von Zytostatika-Stäuben, -Dämpfen und –Aerosolen über die Atemwege sei aufgrund des geringen Dampfdrucks und der geringen Verdampfungsgeschwindigkeit der Zytostatika und der angewendeten Arbeitsverfahren nicht zu erwarten (Stellungnahme vom 20.02.2007).

Mit Bescheid vom 17.04.2007 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche aus Anlass der Atemwegsbeschwerden ab.

Den dagegen eingelegten Widerspruch vom 20.04.2007 begründete die Klägerin damit, die arbeitstechnischen Ermittlungen seien vollkommen unzureichend. Da eine Aufnahme freigesetzter Zytostatika über die Atemwege oder die Haut erfolgen könne sei ihre Atemwegserkrankung auf den Umgang mit Zytostatika zurückzuführen.

Die Beklagte holte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin Dr. E. vom 11.02.2008 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2008 als unbegründet zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die Klage vom 30.09.2008. Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, die Stellungnahme des TAD erfolge in unzureichender Praxiskenntnis, widerspreche der Einzelfallprüfung und weise Widersprüche auf. Es bestünden gravierende Sicherheitslücken. Die naheliegendste Methode Zytostatika-Belastungen nachzuweisen sei nicht veranlasst worden. Sie sei ständig Zytostatika ausgesetzt gewesen, diese griffen erwiesenermaßen die Lungen an und ihre Lungenveränderungen seien ärztlich nachgewiesen und durch Zytostatika verursacht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 17.04.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr eine BK nach Nrn. 4301/4302 der Anlage zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Ergänzend stützt sie sich zur Begründung ihres Antrags auf eine Stellungnahme des TAD vom 09.12.2008.

Dem Gericht lagen die Akten der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist; die Beteiligten wurden hierzu gehört.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit, denn es ist weder eine BK 4301 noch eine BK 4302 nachgewiesen. Damit besteht auch kein Anspruch auf Gewährung einer entsprechenden Teilverletztenrente.

Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Bestimmte maßgebliche Tatsachen und Geschehnisabläufe, wie die den Versicherungs- und Versicherungsschutz begründenden Tatsachen (z. B. Arbeit, Dienstverrichtung, Dienstreise), die das schädigende Ereignis (Unfall, Erkrankung, etc.) kennzeichnenden Umstände sowie – im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität – das Bestehen eines Gesundheitsschadens bedürfen des Vollbeweises (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 37), also der Feststellung mit einem so großen Grad an Gewissheit, dass bei vernünftiger, lebensnaher Betrachtung kein begründbarer Zweifel an dem Vorliegen der rechtserheblichen Tatsache besteht (BSG SozR § 555 a Nr. 1). Zwar muss keine absolute, jeden erdenklichen Zweifel ausschließende Gewissheit bestehen; Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen aber ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit hingegen wird von der ständigen Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und dem schädigenden Ereignis (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet. Aber auch insoweit reichen bloße Vermutungen, Annahmen, Hypothesen oder Möglichkeiten nicht aus. Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Beweisgrad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann ein entsprechender Anspruch nicht besteht.

Für die Anerkennung einer Erkrankung als BK müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: der Versicherte muss aufgrund seiner versicherten Tätigkeit allergesierenden (BK 4301) bzw. chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden (BK 4302) Stoffen ausgesetzt gewesen sein, er muss an einer obstruktiven Atemwegserkrankung leiden, diese Erkrankung muss durch die versicherten Einwirkungen verursacht worden sein und den Versicherten zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben (BSG, Urteil vom 27.06.2006, B 2 U 7/05 R).

Die Krankheit "obstruktive Atemwegserkrankung" ist ein Sammelbegriff für verschiedene akute und chronische Krankheiten des bronchopulmonalen Systems, die mit obstruktiven Ventilationsstörungen einhergehen (BSG, Urteil vom 21.03.2006, B 2 U 24/04 R). Obstruktive Ventilationsstörungen sind eine Erhöhung des endobronchialen Strömungswiderstandes durch inter- oder extrabronchiale Atemwegeinengung, z. B. bei einer chronischen Bronchitis, oder ein Bronchospasmus bei Asthmabronchiale mit inhomogener Belüftung der Lungenbläschen und zunehmender Lungenüberblähung oder Gasaustauschstörung in fortgeschrittenem Stadium (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort "Ventilationsstörungen"). Fehlt es an der Obstruktion, liegen die Voraussetzungen einer BK 4301 oder 4302 nicht vor, weil der Verordnungsgeber mit diesen Berufskrankheiten nur Erkrankungen mit einem bestimmten Schweregrad erfassen wollte, wie sich aus ihrer ursprünglichen Bezeichnung "Bronchialasthma" und der weiteren Voraussetzung des Unterlassungszwangs ergibt. Die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität, die eine Variante der normalen Eigenschaft der Bronchialschleimhaut ist und eine Übersteigerung der Auslösbarkeit des Bronchialssystems darstellt, können die Lunge ebenfalls beeinträchtigen. Sie sind kein selbständiges Krankheitsbild und fallen unter die Diagnose obstruktive Atemwegserkrankung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 1115f).

Danach liegt bei der Klägerin weder eine BK 4301 noch eine BK 4302 vor. Bereits der die Klägerin behandelnde Arzt Dr. D. hat am 16.08.2004 festgestellt, dass es gerade am Nachweis einer bronchialen Hyperreagibilität fehlt und eine Bronchitis diagnostiziert. Damit liegt bereits keine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK 4301 und 4302 vor. Darüber hinaus kann hinsichtlich der beiden Berufskrankheiten nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin entsprechenden allergesierenden Stoffen ausgesetzt gewesen war. Insoweit bezieht sich das Gericht auf die Stellungnahmen des TAD der Beklagten vom 20.02.2007 sowie vom 09.12.2008. Das Gericht hat keinen Anlass an der Richtigkeit der Feststellungen des TAD zu zweifeln. Die Feststellungen des TAD beruhen auf Untersuchungen am Arbeitsplatz der Klägerin und berücksichtigen die dem TAD zugänglichen Situationen am Arbeitsplatz. Dass die Klägerin die Schlussfolgerung des TAD nicht zu teilen vermag, ist für das erkennende Gericht nicht verständlich. Der TAD hat unter dem 18.03.2008 mitgeteilt, es sei versucht worden, mit allen Beteiligten vor Ort die von der Klägerin erhobenen Einwände zu diskutieren und die angeführten Expositionsmöglichkeiten zu klären. Vor dem geschilderten Hintergrund reicht die von der Klägerin vorgebrachte Kritik an den Erhebungen des TAD zu den Wiederholungen der von ihm getroffenen Feststellungen selbstverständlich nicht aus.

Bei dieser Sachlage musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 192 SGG abgewiesen werden.
Rechtskraft
Aus
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