S 16 AS 589/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 589/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 427/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 25. Februar 2016 in Gestalt des Bescheides vom 23. März 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2016 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, die Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 13. Januar 2016 bis 31. Mai 2016 in tatsächlicher Höhe und insoweit in gesetzlichem Umfang zu übernehmen.

Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) darüber, in welcher Höhe der Beklagte die Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung zu übernehmen hat.

Die Klägerin zu 1) ist die Mutter der Kläger zu 2) und zu 3). Dieser Bedarfsgemeinschaft gewährte der Beklagte bereits vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum ergänzende SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung des Erwerbseinkommens der Klägerin zu 1) bei der Firma F. Markt GmbH.

Am 16. Februar 2015 stellte die Klägerin zu 1) bei dem Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag und gab mit einem beigefügten Schreiben vom 12. Februar 2015 an, sie befände sich derzeit in einer schwierigen Situation, da ihr Ehemann, von dem sie seit 2013 getrennt lebe, gleichwohl noch in ihrer Wohnung mit wohne. Sie habe mittlerweile eine Anwältin eingeschaltet, um die Scheidung zu vollziehen. Da ihr getrennt lebender Ehemann trotz Versprechungen keinerlei Zuschuss zu den Mietzahlungen geleistet und ihr diesen Umstand aber verschwiegen habe, seien Mietrückstände entstanden. Auch laufe nunmehr eine Räumungsklage. Mehrfach habe sie ihren "Noch"-Ehemann erfolglos aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Um die Räumungsklage abzuwenden, müsse der bestehende Mietrückstand von 3548, 38 EUR bis zum 16. März 2015 beglichen sein. Daraufhin trat der Beklagte in Ermittlungen ein, forderte die Klägerin mit Schreiben vom 17. März 2015 und 19. Mai 2015 zur Vorlage umfangreicher Unterlagen, auch betreffend Unterhaltsfragen bzw. Unterhaltsvorschussleistungen sowie betreffend den Sachstand des Scheidungsverfahrens auf und beauftragte seinen Ermittlungsdienst. Dieser protokollierte unter dem 30. Juli 2015, die Klägerin zu 1) unter ihrer Wohnanschrift (G-Straße, A-Stadt) angetroffen zu haben. Bei der Wohnungsbesichtigung habe sich herausgestellt, dass der Ehemann die Wohnung noch mitbewohne, aber ein "extra Zimmer" habe. Dieser sei LKW-Fahrer und beginne seine Tätigkeit um 1:00 Uhr. Beide seien "von Tisch und Bett getrennt".

Nachdem die Klägerin mehrfach bei dem Beklagten nach dem Bearbeitungsstand ihres Antrags nachgefragt hatte, teilte sie dem Beklagten fernmündlich mit, der Vermieter (HX.) habe bereits einen Gerichtsvollzieher mit der Räumung der Wohnung beauftragt und legte eine Aufstellung des genannten Vermieters über die entstandenen Mietrückstände in Höhe von 9211, 90 EUR (per 20. Oktober 2015) vor. In einer internen Mitteilung des Beklagten vom 6. November 2015 heißt es, der Antrag der Kläger könne noch nicht bearbeitet werden, da noch entscheidungserhebliche Unterlagen fehlten. Hinsichtlich der Mietrückstände ergebe sich das Problem, dass die Klägerin zu 1) seinerzeit den Mietvertrag mit ihrem noch immer in der Wohnung verbliebenen Ehemann gemeinsam abgeschlossen habe.

Ausweislich der Verwaltungsakte erfolgte die Zwangsräumung der Wohnung der Kläger am 13. Januar 2015. Noch am gleichen Tage wurden die Kläger sowie auch der Ehemann der Klägerin zu 1) auf Veranlassung der Ordnungsbehörde der Stadt A-Stadt in der Übernachtungsmöglichkeit bei "J." untergebracht. In dem diesbezüglichen Schreiben der Ordnungsbehörde der Stadt A-Stadt vom 19. Januar 2016 heißt es, zur Vermeidung von Obdachlosigkeit werde den Klägern in der Zeit vom 13. Januar 2016 bis 12. Februar 2016 eine vorübergehende Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt. Die Kosten für diese Unterbringung betrügen (für den vorgenannten Zeitraum) 1550 EUR. Zuvor hatte die Ordnungsbehörde die Kläger mit Schreiben vom 12. Januar 2016 darauf hingewiesen, dass diese verpflichtet seien, sich weiterhin intensiv um eine Wohnung zu bemühen. Dabei seien die Beratungs- und Hilfsangebote des Allgemeinen Sozialen Dienste der Stadt A Stadt in Anspruch zu nehmen. Ausdrücklich werde ferner darauf hingewiesen, dass mit dieser Maßnahme kein Mietverhältnis begründet werde. Die entstehenden Kosten für die Nutzung des Appartements seien in voller Höhe zurückzuerstatten. Mit Schreiben vom 11. Februar 2016 verlängerte die Ordnungsbehörde die Übernachtungsmöglichkeit bis zum 12. März 2016, mit Schreiben vom 14. März 2016 bis zum 13. April 2016 und mit Schreiben vom 22. März 2016 bis zum 31. Mai 2016.

Durch Bescheid vom 25. Februar 2016 in Gestalt des Bescheides vom 23. März 2016 bewilligte der Beklagte den Klägern die SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016 vorläufig und übernahm die Kosten der Unterkunft der Kläger ab dem Tag der Unterbringung in der Übernachtungsmöglichkeit, dem 13. Januar 2016, bis zum 31. Mai 2016 ausweislich der Berechnungsblätter für den genannten Zeitraum unter Zugrundelegung eines monatlichen Leistungsbetrages von 715 EUR, wobei er dabei den "Mietanteil" des Ehemanns der Klägerin zu 1) mindernd berücksichtigte (herausrechnete). Zu den übernommenen Unterkunftskosten hat der Beklagte in einem Schreiben vom 14. März 2016 an das Regierungspräsidium Darmstadt wegen einer dorthin gerichteten Eingabe des Ehemanns der Klägerin zu 1) ausgeführt, der Betrag von 715 EUR entspreche der Mietobergrenze, die der Beklagte für 3 Personen annehme. Der Ehemann der Klägerin zu 1) sei verpflichtet, seinen Anteil selbst zu bestreiten. Der weitere Differenzbetrag, der zulasten der Klägerin zu 1) verbleibe, sei von ihr bzw. von der Stadt A-Stadt im Rahmen der Zuweisung einer Unterkunft zu übernehmen. Der SGB II-Träger könne lediglich angemessene Unterkunftskosten gemäß § 22 Abs. 1 SGB II übernehmen. Daher könne die Übernahme der tatsächlichen Hotelkosten gemäß § 22 Absatz 1 S. 3 SGB II für einen Zeitraum von 6 Monaten hier nicht erfolgen. Diese Vorschrift sei lediglich für erwerbsfähige Hilfebedürftige anwendbar, die erstmalig einen Antrag auf SGB II-Leistungen stellen. In der hier zu Grunde liegenden Angelegenheit sei § 22 Abs. 4 SGB II anzuwenden, da sich die Klägerin zu 1) im laufenden Leistungsbezug befinde. Werde eine unangemessen teure Wohnung im laufenden Leistungsbezug bezogen, so würden lediglich angemessene Unterkunftskosten gezahlt.

Mit Schreiben vom 2. März 2016 legte die Klägerin gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 25. Februar 2016 Widerspruch ein und trug vor, die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Unterbringung in "J." übernehme der Beklagte zu Unrecht nicht in voller Höhe. Ursächlich für den Verlust der bisherigen Wohnung sei die Untätigkeit des Beklagten gewesen, so dass es zur Zwangsräumung überhaupt gekommen sei. Die Einweisung in die nunmehrige Wohnung sei durch die Stadt A-Stadt zur Vermeidung von Obdachlosigkeit erfolgt. Unter diesen Umständen sei der Beklagte verpflichtet, die tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung für die Dauer von wenigstens 6 Monaten zu gewähren. Anderenfalls seien die Kläger erneut von Obdachlosigkeit ernsthaft bedroht. Nach Erteilung des Bescheides vom 23. März 2016 legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 29. März 2016 unter Hinweis auf den Bewilligungsbescheid vom 25. März 2016 und den Leistungszeitraum von Dezember 2015 bis einschließlich Mai 2016 Widerspruch ein mit der Maßgabe, dass der Beklagte die Kosten der Unterkunft und Heizung unzutreffend berücksichtigt habe. Die tatsächlichen Kosten seien höher als im Bescheid angegeben.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12. April 2016 wies der Beklagte den Widerspruch vom 29. März 2016 gegen den Bescheid vom 25. Februar 2016 "als unzulässig" zurück. Die Widerspruchsfrist sei versäumt worden, weil diese am 28. Februar 2016 begonnen und am 28. März 2016 geendet habe, das Widerspruchsschreiben indes erst am 29. März 2016 bei dem Beklagten eingegangen sei.

Hiergegen richtet sich die am 13. Mai 2016 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangene Klage. Die Kläger tragen vor, ihnen sei seinerzeit gar keine Möglichkeit zur Verfügung gestanden, in eine andere Unterkunft eingewiesen zu werden. Auch die eigenen Bemühungen, kurzfristig eine alternative Wohnung zu finden, seien fehlgeschlagen. Ein schuldhaftes Verhalten im Zusammenhang mit der Einweisung in die Unterkunft nach der Zwangsräumung sei ihnen nicht vorzuwerfen. Abgesehen davon sei es gerade in der Stadt A-Stadt und den angrenzenden Bezirken nahezu ausgeschlossen, eine Wohnung zu finden, die innerhalb der von dem Beklagten aufgestellten Richtlinien liege. Das gelte insbesondere für Empfänger von Transferleistungen und zumal dann, wenn für die Bewerbung um eine Wohnung eine SCHUFA Auskunft vorgelegt werden müsse. Ihre Einweisung in die Unterkunft "J." sei im Rahmen der Gefahrenabwehr seitens der Stadt A Stadt erfolgt, da sie anderenfalls obdachlos geworden wären. Ihre Wohnungslosigkeit sei überhaupt erst dadurch eingetreten, dass der Beklagte deren seinerzeitigen Leistungsantrag schuldhaft nicht bearbeitet habe.

Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 25. Februar 2016 in Gestalt des Bescheides vom 23. März 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2016 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihre Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 13. Januar 2016 bis 31. Mai 2016 in tatsächlicher Höhe und insoweit in gesetzlichem Umfang zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, mit dem streitgegenständlichen Bescheid seien den Klägern vorläufig Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016 bewilligt worden. Die Klage sei zulässig, da die Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 2. März 2016 fristwahrend Widerspruch erhoben habe. Die Klage sei jedoch nicht begründet, da den Klägern kein Anspruch auf Übernahme von höheren Unterkunftskosten zustehe. Nach den diesbezüglichen und seit 1. Juli 2015 gültigen Richtlinien des Beklagten liege die Mietobergrenze für einen Dreipersonenhaushalt in A-Stadt bei 715 EUR zuzüglich Heizkosten basierend auf einer angemessenen Wohnungsgröße von 75 m². Die Unterkunft der Kläger übersteige mit 1550 EUR die Mietobergrenze um 835 EUR und sei damit unangemessen. Demgegenüber seien gemäß § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nur solche Personen schutzwürdig, die schon bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit in einer unangemessenen Wohnung lebten bzw. bei denen sich die Unterkunftskosten im Laufe des Leistungsbezuges durch beispielsweise eine Mieterhöhung erhöht hätten. Bei einem Umzug während des Leistungsbezuges wie er vorliegend erfolgt sei, sei vielmehr § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II einschlägig. In diesen Fällen müsse der Umzug erforderlich und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sein. Dies sei hier nicht der Fall. Damit seien die Kosten der Unterkunft bei "J." nur soweit anerkennungsfähig als sie angemessen seien. Aus der Sicht des Beklagten sei auch nicht ersichtlich, inwieweit der Umstand, dass eine Einweisungsverfügung vorgelegen habe, daran rechtlich etwas ändere. Würden die Kläger die Unterkunft "J." ohne entsprechende Einweisungsverfügung selbst angemietet haben, so wären die Unterkunftskosten unstreitig nur in angemessener Höhe übernommen worden. Die Einweisungsverfügung ändere nur insoweit rechtlich etwas, als die Kläger nicht von dem Betreiber der Unterkunft in Anspruch genommen werden könnten, sondern allenfalls von der Stadt A-Stadt als Ordnungsbehörde. Dies wirke sich jedoch im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht aus. Das gelte insbesondere auch angesichts des Umstandes, dass die Kläger über ein Jahr Zeit gehabt hätten, sich um eine angemessene Wohnung zu bemühen. Die Räumungsklage sei seinerzeit nämlich bereits am 19. Januar 2015 erhoben worden. Hinsichtlich der Tatsache, dass angemessener Wohnraum für die Kläger tatsächlich verfügbar gewesen sei, sei auf die Wohnungsangebote in einer Internetplattform beispielhaft zu verweisen. Seitens der Kläger sei nicht nachgewiesen worden, dass sie sich intensiv um angemessenen Wohnraum im Vergleichsraum bemüht hätten. Insoweit müsse der Beklagte auch nicht etwa als Makler tätig werden Der Beklagte legt diverse Mietangebote, ausgedruckt aus der Internetplattform Immobilien Scout 24 vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Denn der Bescheid vom 25. Februar 2016 in Gestalt des Bescheides vom 23. März 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger daher in ihren Rechten. Dies gilt nicht nur insoweit als der Beklagte den Widerspruch der Kläger gegen den streitgegenständlichen Bescheid nicht als wegen Fristversäumung unzulässig ansehen durfte, weil sich aus dem Inhalt seiner Verwaltungsakte ergibt, dass die Klägerin zu 1) den Rechtsbehelf bereits am 2. März 2016 eingelegt und diesen sogar auch ausführlich begründet hat. Die Zurückweisung des Widerspruchs der Kläger ist aber auch im Ergebnis rechtswidrig. Denn zur Überzeugung der Kammer haben die Kläger entsprechend ihrem Kopfanteil an den Kosten der Unterbringung bei "J." jedenfalls für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 13. Januar 2016 bis 31. Mai 2016 Anspruch auf Übernahme der durch die Einweisung in jene Unterkunft entstandenen tatsächlichen Aufwendungen. Soweit der Beklagte diesen Sachverhalt mit seinem Vortrag im Klageverfahren unter die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II subsummiert, hält die Kammer dies für nicht haltbar. Denn ein vom freien Willen des Leistungsberechtigten getragener (nicht erforderlicher) Umzug ist in wesentlicher Hinsicht nicht vergleichbar mit der Situation der Kläger nach der Zwangsräumung aus ihrer bisher bewohnten Wohnung und vorübergehender Einweisung in die städtische "Übernachtungsmöglichkeit". Hinsichtlich des fehlenden Einflusses und damit der Vermeidbarkeit der dadurch entstandenen Aufwendungen kommt jener Sachverhalt vielmehr derjenigen Situation nahe, in der sich Hilfeempfänger befinden, die die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II erstmals in Anspruch nehmen müssen. Die Kammer sieht daher hier einen Sachverhalt als gegeben, der die analoge Anwendung der sich aus der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ergebenden Grundsätze gerechtfertigt. Danach hat es dem Beklagten oblegen, die Kläger zeitnah darauf hinzuweisen, dass die tatsächlich entstehenden Aufwendungen durch ihre Einweisung in die Übernachtungsmöglichkeit den von ihm aufgestellten Richtlinien über die Angemessenheit von Unterkunftskosten bei weitem nicht entsprechen und die Kläger unter Fristsetzung ausdrücklich dazu aufzufordern, sich intensiv zu bemühen, diese Kosten durch einen Wohnungswechsel auf das angemessene Maß zu reduzieren. Diesen hier gebotenen Anforderungen ist der Beklagte nicht nachgekommen. Vielmehr hat er trotz zeitnaher Kenntnis der während der vorübergehenden Einweisung entstehenden monatlichen Kosten bis zur Erteilung des hier streitgegenständlichen Bescheides 25. Februar 2016 abgewartet und die von ihm entwickelten Richtlinien sogleich zur Anwendung gebracht.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit sie angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt (S. 2). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate (S. 3). Gemäß § 22 Abs. 4 S. 1 soll die erwerbsfähige Leistungsberechtigte Person vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen.

Die vorstehenden freilich auch für die Unterkunft der Kläger im Zeitraum vom 13. Januar 2016 bis 31. Januar 2016 geltenden Grundsätze hat der Beklagte in nicht sachgerechter Weise auf den vorliegenden Fall angewandt, so dass der angefochtene Bescheid im Hinblick auf die von ihm vorläufig übernommenen Unterkunftskosten für den vorgenannten Zeitraum als rechtswidrig einzustufen ist. Zwar ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass er bei einem nicht erforderlichen Umzug des Leistungsberechtigten während des Leistungsbezuges lediglich den bis dahin bestandenen Bedarf zugrunde zu legen hat, sofern sich dadurch selbst die angemessenen Unterkunftskosten erhöhen (§ 22 Abs. 1S 2 SGB II) und nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II insbesondere solche Personen schutzwürdig sind, die bereits bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit in einer unangemessenen Wohnung leben (vgl. hierzu Luik in Eicher SGB II Grundsicherung für Arbeitssuchende Kommentar 3. Auflage 2013 § 22 Rn. 115). Der Beklagte hat jedoch zur Überzeugung der Kammer in nicht haltbar Weise auf den vorliegenden Sachverhalt die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II angewandt wie sich aus seinem Vortrag im Klageverfahren ergibt (Schriftsatz vom 4. Mai 2017), da für ihn nicht ersichtlich sei, inwieweit der Umstand der im vorliegenden Fall erfolgten Einweisungsverfügung daran rechtlich etwas ändere (Schriftsatz vom 28. Juni 2017). Zur Überzeugung der Kammer ist allerdings der vorliegende Sachverhalt, nach dem die Kläger infolge einer Zwangsräumung aus ihrer zuvor innegehabten Wohnung im Rahmen einer ordnungsrechtlichen Einweisungsverfügung ab 13. Januar 2016 in einer städtischen Übernachtungsmöglichkeit untergebracht worden waren, nicht vergleichbar mit den Umständen, die in Fällen nicht erforderlicher Umzüge von Leistungsberechtigten oder Wohnungswechseln ohne vorherige Einholung einer Zusicherung (§ 22 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 4 S. 1 SGB II) vorliegen. Insoweit bestehen sogar wesentliche Unterschiede, die derart gravierend sind, so dass sich ein Analogieschluss zu den vorgenannten Vorschriften verbietet. Denn der Wohnungswechsel aufgrund einer Zwangsräumung erfolgt freilich regelmäßig nicht freiwillig, jedenfalls nicht aufgrund eigenen Willensentschlusses des Leistungsberechtigten. Auch entsteht in den Fällen der Einweisung nach Ordnungsrecht regelmäßig kein Mietverhältnis zwischen dem eingewiesenen Leistungsberechtigten und dem Betreiber der jeweiligen (städtischen/kommunalen) Unterkunft, worauf hier die Stadt A-Stadt in ihrem aktenkundigen Schreiben vom 12. Januar 2016 ausdrücklich hingewiesen hat. Schließlich hat der in eine derartige Unterkunft eingewiesene Leistungsberechtigte regelmäßig weder Einfluss auf die Auswahl der ihm zugewiesenen Unterkunft noch auf die dadurch entstehenden Kosten. Schon gar nicht vermag er vorab eine Zusicherung des SGB II-Leistungsträgers im Sinne des § 22 Abs. 4 SGB II einzuholen. Während der aus freiem Willen seine Unterkunft wechselnde Leistungsberechtigte nicht schutzwürdig ist, ist dem nach einer Zwangsräumung in eine Unterkunft eingewiesenen Leistungsberechtigten aber ein Schutzbedürfnis zuzubilligen. Nach alledem wird ein Analogieschluss zu § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II dem tatsächlichen Geschehen, welches im vorliegenden Fall zum Entstehen der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft geführt hat, zur Überzeugung der Kammer viel eher gerecht. Ebenso wie der erstmals in den Leistungsbezug nach dem SGB II geratende Hilfebedürftige vermag auch der in eine Unterkunft Eingewiesene die nun entstehenden tatsächlichen Aufwendungen nicht zu vermeiden. Er ist daher nach Auffassung der Kammer vergleichbar schutzwürdig. Aus dem Schutzzweck des § 22 Absatz 1 S. 3 SGB II wird nach der seitherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aber eine Kostensenkungsaufforderung des Leistungsträgers abgeleitet, der zwar keine Verwaltungsaktsqualität zukommt, die dem Leistungsberechtigten aber klar vor Augen führen soll, dass die ihm entstehenden tatsächlichen Aufwendungen für seine Unterkunft nach den hierfür geltenden Richtlinien unangemessen hoch sind, so dass es ihm obliegt, seine Unterkunftskosten im Rahmen einer angemessenen Frist von längstens 6 Monaten Dauer etwa durch einen Wohnungswechsel zu senken (vgl. hierzu Luik a.a.O. § 22 Rn. 120). Dabei steigen die Anforderungen an den Inhalt eines solchen Aufklärungsschreibens entsprechend der Komplexität des Sachverhalts und kann bei fehlender, fehlerhafter bzw. unzutreffender oder irreführender Kostensenkungsaufforderung regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, dass der Leistungsberechtigte die erforderliche Kenntnis von der Obliegenheit zur Senkung der Unterkunftskosten hatte, so dass in solchen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft bis zum Ablauf eines einzuräumenden Übergangszeitraums weiter zu übernehmen sind (vgl. Luik a.a.O. § 23 Rn. 123 und 124 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG). Erst Recht greift diese Rechtsfolge Platz, wenn - wie im vorliegenden Fall die Kläger - der in eine Unterkunft eingewiesene und im SGB II-Leistungsbezug stehende Hilfeempfänger nicht zeitnah davon in Kenntnis gesetzt wird, dass die nun entstehenden Aufwendungen für seine Unterkunft nicht vollständig übernommen werden, weil sie nach den entsprechenden Richtlinien unangemessen hoch sind. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte ausweislich der Verwaltungsakte schon am 19. Januar 2016 Kenntnis davon gehabt, dass die Kläger in eine städtische Unterkunft/Übernachtungsmöglichkeit vorübergehend für die Zeit vom 13. Januar 2016 bis 12. Februar 2016 eingewiesen worden waren und welche Aufwendungen insoweit anfielen. Der Beklagte ist ferner auch über die Verlängerung der Unterbringung der Kläger bis zum 12. März 2016 in Kenntnis gesetzt worden (Schreiben des Ordnungsamtes der Stadt A Stadt vom 11. Februar 2016). Gleichwohl hat er keine der Mitteilungen zum Anlass genommen, die Kläger auf die nach seiner Auffassung nicht in Betracht kommende Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für diese Unterbringung hinzuweisen und ihnen umgehende Bemühungen zur Kostensenkung durch einen Wohnungswechsel dringend nahe zulegen. Stattdessen hat er unter dem 25. Februar 2016 den hier streitgegenständlichen Bescheid erteilt und in der Begründung auf Seite 3 des Bescheides den Hinweis darauf untergebracht, "dass wir die Unterkunftskosten lediglich in Höhe der geltenden Mietobergrenzen für den Hochtaunuskreis übernehmen können". Der sodann Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemäß § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gewordene Änderungsbescheid vom 23 März 2016 enthält selbst einen solchen Hinweis nicht mehr. Der Beklagte ist daher seiner ihm auch im vorliegenden Fall obliegenden Aufklärungs- und Hinweispflicht im Rahmen einer Kostensenkungsaufforderung nicht nachgekommen, so dass er im Hinblick auf die vergleichbare Schutzwürdigkeit der Kläger (vgl. oben) deren tatsächliche Aufwendungen für die Unterbringung in der "Übernachtungsmöglichkeit bei J." für einen einzuräumenden Übergangszeitraum zu übernehmen hat. Dabei ist zum einen von Bedeutung, dass die Kläger hinsichtlich der Aufwendungen die bereits mit dem Tag der Einweisung am 13. Januar 2016 entstanden sind, schon objektiv gar keine Möglichkeit der Vermeidung oder Reduzierung hatten. Zum anderen liegt nach Auffassung der Kammer der hier streitgegenständliche Zeitraum bis zum 31. Mai 2016 (4 1/2 Monate) unter Berücksichtigung der Lebensumstände der Kläger mit zwei der Bedarfsgemeinschaft angehörenden minderjährigen Kindern noch im Rahmen des einzuräumenden Übergangszeitraums und damit der ihnen einzuräumen gewesenen Frist zur Kostensenkung. Ergänzend ist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit eines abermaligen Wohnungswechsels auf die zum Zeitpunkt der Einweisung in die Übernachtungsmöglichkeit vorhandenen behandlungsbedürftigen psychischen Störungen des Klägers zu 3) zu verweisen, die sich aus einem der Verwaltungsakte beigefügten fachärztlichen Attest vom 30. Dezember 2015 ergeben.

Der angefochtene Bescheid war daher in dem sich aus den Tenor ergebenden Umfang abzuändern. Dabei hat der Beklagte freilich allein die Kopfteile an den tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, die auf die Kläger entfallen, so dass der auf den Ehemann der Klägerin zu 1) entfallende Kopfteil herauszurechnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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