S 1 KR 89/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 1 KR 89/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 27/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 08.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für eine operative Hautmantelkorrektur der rechten und linken Brust zu übernehmen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine operative Hautmantelkorrektur der rechten und linken Brust.

Der im Jahre 1982 geborene Kläger wurde mit weiblichen Geschlecht geboren. Es wurde gutachterlich eine transsexuelle Entwicklung (Frau zu Mann) gesichert aufgrund eines Gutachtens des MDK (Dipl.-Psych. Listing). Daraufhin bewilligte die Beklagte die Kostenübernahme für eine geschlechtsangleichende Operation.

Infolgedessen erfolgte im Januar 2005 eine subkutane Mastektomie (Entfernung der weiblichen Brust) sowie im Oktober 2006 eine Entfernung von Uterus und Ovarien. Am 15.11.2006 beantragte der Kläger Kostenerstattung für eine Korrekturoperation der Brust beidseits. Beigefügt war eine Bescheinigung des St. WL. Hospitals A-Stadt, in der angegeben wurde, dass eine Hautmantelkorrektur beidseits medizinisch indiziert sei.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme bei dem Arzt für Chirurgie Dr. QQ. (MDK) ein, der ausführte, dass keine wesentlich überschüssigen Hautareale der Brüste mehr vorhanden seien. Eine Korrekturoperation erfolge nur bei funktionellen Beeinträchtigungen von Krankheitswert. Dies sei vorliegend nicht gegeben. Das Ergebnis der operativen Versorgung sei ausreichend. Im Vordergrund stehe eher der kosmetische Nutzen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8.3.2007 eine Kostenübernahme ab. Dem widersprach der Kläger am 4.4.2007. Er legte eine Bescheinigung des Arztes Dr. B. vor, in der dieser angab, dass eine sicht- und tastbare Wulstbildung vorhanden sei. Ziel der Operation sei eine Angleichung an den männlichen Oberkörper gewesen. Dieses Ziel sei nicht erreicht. Es liege eine medizinische Notwendigkeit für diese Operation vor. In einer weiteren Stellungnahme führte Dr. B. aus, dass der Befund beim Kläger nicht dem erwartbaren Operationsergebnis einer Mastektomie bei transsexuellen Patienten entspreche. Die Beklagte holte Stellungnahmen beim MDK (Dr. QQ. vom 1.11.2007 und Frau Dr. IX. vom 15.1.2008) ein. Beide stellten sich auf den Standpunkt, dass ein bestehender Hautmantel keine wesentlichen funktionellen Beeinträchtigungen mit sich bringe. Soweit eine psychische Beeinträchtigung vorliege, sei diese mit den Mitteln der Psychotherapie zu behandeln.

Mit Bescheid vom 27.3.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung bezog sie sich auf die eingeholten Stellungnahmen des MDK.

Hiergegen richtet sich die am 25.4.2008 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass hier eine medizinische Indikation für eine Korrekturoperation gegeben sei. Zu diesem Ergebnis seien auch die beiden von Amts wegen beauftragten Gerichtsgutachter gelangt.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 08.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine operative Hautmantelkorrektur der rechten und linken Brust zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte steht auf den Standpunkt, dass nur ein Anspruch auf eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechtes gegeben sei. Sie verweist auf Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichtes sowie des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg, wonach auch bei festgestellter Transsexualität eine Brustoperation nur in Betracht komme, wenn eine Entstellung vorliege. Auch bei transsexuellen Männern müssten identische Begutachtungsgrundsätze angelegt werden wie bei anderen Patienten mit gewünschten Brustoperationen.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben und ein Sachverständigengutachten bei Frau Dr. WW., St. WL. Hospital A-Stadt, vom 25.5.2009 eingeholt. Diese stellt fest, dass beim Kläger eine Mamilleneinziehung und ein wulstiger Hautüberschuss bestünden bei Zustand nach subkutaner Mastektomie beidseits. Die Hautmantelkorrektur sei notwendig. Angesichts einer fehlenden Begründung für diese Beurteilung hat das Gericht weiteren Beweis erhoben und ein Sachverständigengutachten bei Dr. G. eingeholt, das dieser am 29.4.2011 erstattet hat. Dr. G. stellt zunächst regelrechte Narbenverhältnisse fest. Darüber hinaus beschreibt er eine Wulstbildung rechts von gut 3 cm, die links weniger ausgeprägt, aber asymmetrisch höher gelegen sei. Im Gegensatz zu den Feststellungen von Dr. QQ. sei nun eine Asymmetrie vorhanden, darüber hinaus eine Einziehung der Brustwarzen. Die Falten- und Wulstbildung sei als wesentlich zu bezeichnen. Therapieziel sei eine Geschlechtsumwandlung, die beim Kläger noch nicht erreicht sei. Es handele sich nicht um eine kosmetisch begründete Operation. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 13.9.2011 führt Dr. G. aus, dass zwar unstreitig keine funktionelle Beeinträchtigung vorliege, dass indessen nicht von einem ausreichend kosmetischen Ergebnis ausgegangen werden könne, da eine erhebliche Asymmetrie vorliege. Darüber hinaus gehe es nicht darum, ob eine Entstellung vorliege, sondern darum, ob der genehmigte operative Eingriff ausreichend erfolgreich gewesen sei. Abzustellen sei auf das therapeutische Gesamtkonzept einer Geschlechtsumwandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Ggegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Diese hat zu Unrecht eine Kostenübernahme für eine operative Hautmantelkorrektur der Brust beidseits abgelehnt. Diese Krankenbehandlung ist bei dem Kläger erforderlich.

Nach § 27 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie die Krankenhausbehandlung. Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein regelwidriger Körper - oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung oder zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Regelwidrig ist ein Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (BSGE 35,10; 39,167; 26,240).

Entgegen der Beklagten ist die erkennende Kammer der Auffassung, dass bei dem Kläger nach der bereits durchgeführten Mastektomie beidseits ein derartiger regelwidriger Zustand vorliegt, der zu einem Anspruch auf Kostenübernahme für eine Korrektur- OP führt. Dabei ist es unstreitig, dass nach der durchgeführten Mastektomie keine funktionelle Beeinträchtigung verblieben ist. Gleichwohl liegt ein regelwidriger Körperzustand vor. Insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen des Sachverständigen Dr. G. an, der nach eingehender Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis kommt, dass nunmehr eine Asymmetrie vorliegt, eine Einziehung der Brustwarze, dass rechts eine Wulstbildung von gut 3 cm vorliegt, die zwar links weniger ausgeprägt, aber asymmetrisch höher gelegen ist. Vor diesem Hintergrund kommt er zu dem Ergebnis, dass es sich um eine wesentliche Falten- und Wulstbildung handelt, die nicht als kosmetisches Problem anzusehen sei.

Insbesondere vermag die Kammer den Ausführungen der MDK- Gutachter, deren Stellungsnahmen sich die Beklagte zu eigen gemacht hat, nicht zu folgen, wonach auch bei transsexuellen Männern identische Begutachtungsgrundsätze gelten müssten mit der Konsequenz, dass eine erneute Operation nur in Betracht kommen soll, wenn eine Entstellung bzw. funktionelle Beeinträchtigung vorliegt. Vielmehr ist die Kammer der Überzeugung, dass auf die Rechtsprechung zur Frage, wann eine Entstellung vorliegt, verzichtet werden kann, da sich letztlich alle Sachverständigen und Mediziner darüber einig sind, dass das Operationsergebnis nicht dem entspricht, was bei einer geschlechtsangleichenden Operation zu erwarten wäre. Hierbei kann sich die Beklagte auch nicht auf die Rechtsprechung z.B. des Sächsischen Landessozialgerichtes (Urteil vom 3.2.1999 L 1 KR 31/98 –juris-) berufen. Darin wird der umgekehrte Fall, eine Mann- zu- Frau- Transsexualität behandelt und ausgeführt, dass eine Brustvergrößerungsoperation in diesem Falle aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechtes erfordern müsse. Der entscheidende Behandlungserfolg, für den die Krankenkasse einzustehen habe, bemesse sich auch bei einem bestehenden Leidensdruck wegen des inneren Konfliktes zwischen äußerlichem Erscheinungsbild und seelischem Empfinden nicht nach der subjektiven Vorstellung der betroffenen Person.

Diese Rechtsprechung ist allein deswegen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Krankenkasse vorliegend nicht erstmals über eine Brustoperation zu entscheiden hatte, sondern aufgrund ihres Bescheides, mit dem sie eine Kostenübernahme für eine geschlechtsangleichende Operation bewilligt hatte, bereits die Kosten der 1. Mastektomie- Operation übernommen hatte. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass auch nach ihrer Auffassung bei dem Kläger die sekundären Geschlechtsmerkmale wie die der Brust derjenigen eines Mannes angeglichen werden müssen. Somit ist Ziel dieser Operation weder gewesen, eine Entstellung zu beseitigen oder aber eine funktionelle Beeinträchtigung zu beseitigen, sondern vielmehr eine Angleichung an den männlichen Oberkörper herbeizuführen. Dieses Ziel ist aufgrund der durchgeführten Operation nicht erreicht. Aufgrund der aktuellen Beschreibung des Sachverständigen Dr. G. ist vielmehr das Therapieziel der Geschlechtsumwandlung beim Kläger noch nicht erreicht. Soweit sich die Beklagte darüber hinaus auf Rechtsprechung des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg bezieht (Urteil vom 11.2.2011 L 1 KR 243/09 –juris-), in dem es ebenfalls um eine operative Brustvergrößerung bei Mann- zu- Frau- Transsexualität ging, führt dieses Gericht explizit aus, dass auch nach dortiger Auffassung ein Leistungsanspruch auf Durchführung der Brust- OP als Sachleistung bestanden hätte, wenn entweder nach Durchführung der geschlechtsanpassenden Operation und dem damit verbundenen Wegfall der Keimdrüsen eine akzeptable Brustgröße noch nicht erreicht worden wäre oder eine geschlechtsanpassende Operation in einem absehbaren Zeithorizont sicher nicht zu erwarten gewesen wäre. Dies kann angewandt auf den vorliegenden Fall nur die umgekehrte Schlussfolgerung zulassen, dass ein Leistungsanspruch bei Transsexualität auch nach Auffassung dieses Gerichts jedenfalls dann gegeben ist, wenn die Durchführung der geschlechtsanpassenden Operation nicht gelungen ist. Dies ist sowohl von der Gutachterin Dr. WW. als auch vom Gutachter Dr. G. ausdrücklich bestätigt worden.

In dem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass das Transsexuellengesetz im Wesentlichen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 11.10.1978 (BVerfGE 49,268) zurückgeht. Darin hat das BVerfG aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz hergeleitet, dass bei irreversiblen Fällen von Transsexualität die personenstandsrechtliche Berücksichtigung nicht versagt werden könne. Insbesondere hat es ausgeführt:

"Transsexuelle wollen nach den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft ihr Geschlecht nicht manipulieren. Im Vordergrund steht für sie nicht die Sexualität, sondern das Streben nach der Einstimmigkeit von Psyche und Physis, so dass die Operation als Teil der Verwirklichung dieses Ziel anzusehen ist."

Wenn denn vor diesem Hintergrund die Beklagte anerkannt hatte, dass der Kläger die Kriterien für eine geschlechtsangleichende Operation erfüllt, muss sie nach Überzeugung des erkennenden Gerichtes auch die Konsequenzen tragen und für die Fälle, dass die Geschlechtsangleichung noch nicht zufriedenstellend erfolgt ist, eine Kostenübernahme für eine Korrekturoperation bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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