S 4 R 270/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 270/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 256/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 8/18 R
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Anwalts wird abgelehnt.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung von Übergangsgeld nach dem SGB VI.

1. Der Kläger wurde 1973 geboren. Er ist Tischlermeister und arbeitete in verschiedenen Berufen, zuletzt als Lagerist und Schweißer. Er leidet an Alkoholabhängigkeit und war seit März 2012 krankgeschrieben.

Die Bundesagentur für Arbeit gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 7. November 2013 Arbeitslosengeld nach § 136 SGB III ab dem 19. September 2013 bis zum 18. Juli 2014 (Bl. 11 der Verwaltungsakte).

Am 19. Juli 2014 beantragte der Kläger Leistungen nach dem SGB II (Bl. 37 der Verwaltungsakte). Das Jobcenter Limburg-Weilburg lehnte für Juli 2014 die Gewährung von Leistungen ab, da der Kläger in diesem Monat durch sein Arbeitslosengeld (290 EUR) und das Einkommen seiner Ehefrau (Übergangsgeld i.H.v. 1.286 EUR während einer Berufsausbildung) nicht hilfebedürftig sei. Für den August 2014 erhielt der Kläger Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 137,53 EUR, wegen gestiegener Heizkosten dann für September und Oktober 2014 jeweils 172,90 EUR, schließlich für November 2014 bei zusätzlich eigenem Einkommen noch 39,70 EUR. Ab Dezember 2014 erhielt der Kläger keine Leistungen mehr nach dem SGB II.

2. Die Beklagte gewährte dem Kläger eine stationäre Entwöhnungsbehandlung, diese Rehabilitationsmaßnahme fand vom 24. Juli bis zum 5. November 2014 statt.

Nach Antritt der Entwöhnungsbehandlung bat der Kläger um eine Entscheidung zum Übergangsgeld. Seit dem 19. Juli 2014 beziehe er keinerlei Leistungen mehr und lebe vom Einkommen seiner Ehefrau. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2014 lehnte die Beklagte die Gewährung von Übergangsgeld ab. Die Voraussetzungen des § 20 SGB VI seien nicht erfüllt, denn der Kläger habe unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme weder Arbeitseinkommen noch die dort genannten Sozialleistungen bezogen. Der Kläger widersprach mit der Begründung, er habe bis 18. Juli 2014 (Freitag) Arbeitslosengeld bezogen, das Ende des Leistungsbezugs liege nur sechs Tage vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme am 24. Juli 2014 (Donnerstag). Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Übergangsgeld habe Entgeltersatzfunktion und solle allein das Einkommen ausgleichen, das wegen der Rehabilitation entfalle. Entscheidend seien deshalb allein die wirtschaftlichen Verhältnisse am letzten Werktag vor Antritt der Maßnahme.

3. Dagegen hat der Kläger am 8. Juli 2015 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben.

In mehreren parallel geführten Klageverfahren gegen das Jobcenter Limburg-Weilburg wandte sich der Kläger u.a. gegen die Ablehnung von SGB II-Leistungen für den Juli 2014 (Az. S 16 AS 735/15). Dort schlossen die Beteiligten im April 2016 folgenden Vergleich: "Die Beklagte [d.h. das Jobcenter] gewährt dem Kläger für den Monat Juli 2014 Leistungen in Höhe von 150 EUR ohne weitere Erteilung eines Bewilligungsbescheides."

Der Bevollmächtigte des Klägers meint, durch den Vergleich im Parallelverfahren sei die Lücke im Leistungsbezug zwischen dem 19. und 23. Juli 2014 geschlossen. Daher stehe dem Kläger Übergangsgeld mindestens in Höhe des SGB II-Regelsatzes zu. Er beantragt (Bl. 2 der Gerichtsakte),
die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung ihres Bescheides vom 20. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2015 dem Kläger Übergangsgeld ab Antragstellung in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Es liege kein lückenloser Bezug von SGB II-Leistungen bis unmittelbar vor Antritt der Rehabilitationsmaßnahme vor.

Die Verwaltungsakte der Beklagten lag dem Gericht vor. Auf die Gerichts- und Verwaltungsakte wird ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Prozesskostenhilfe konnte nicht bewilligt werden, weil der Kläger trotz Aufforderung (Bl. 122 der Gerichtsakte) keinerlei Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen übersandt hat, auch das Formular zur PKH-Beantragung wurde nicht vorgelegt (§ 73a SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO).

2. Die Klage ist zulässig. Bei sinngemäßer Auslegung begehrt der Kläger nicht die Abänderung, sondern die Aufhebung des angegriffenen Ablehnungsbescheides, so dass die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft ist, § 54 Abs. 1 und Abs. 3, § 130 Abs. 1 SGG.

Sie ist aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Übergangsgeld für die Zeit vom 24. Juli bis zum 5. November 2014.

a. Zwar haben Versicherte, die unmittelbar vor dem Beginn einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation Arbeitslosengeld II bezogen haben, Anspruch auf Übergangsgeld nach § 20 SGB VI. Der Höhe nach entspricht das Übergangsgeld in diesen Fällen gem. § 21 Abs. 4 S. 1 2. HS SGB VI dem Betrag des Arbeitslosengeldes II. Das Übergangsgeld hat nur die Funktion, das Einkommen des Rehabilitanden während der Maßnahme zu ersetzen und seine wirtschaftliche Situation zu sichern. Folglich erhält jemand, der bis zum Beginn der Rehabilitation SGB II-Leistungen bezogen hat, denselben Betrag den er erhalten würde, wenn er keine Rehabilitation in Anspruch nähme (vgl. Hirsch, LPK-SGB VI, 3. Aufl. 2014, § 21, Rn. 7; Jüttner, in: Hauck/Noftz, SGB VI, Stand: 09/16, § 21, Rn. 71).

Beim Vorbezug von SGB II-Leistungen enthält § 25 SGB II eine Sonderzuständigkeit für das Übergangsgeld: Der SGB II-Träger erbringt in diesen Fällen die Leistungen weiter "als Vorschuss auf die Leistungen der Rentenversicherung". Der in § 25 SGB II verwendete Begriff des Vorschusses ist untechnisch zu verstehen. Der SGB II-Träger erbringt in diesen Fällen Übergangs- oder Verletztengeld für den anderen Träger (vgl. Radüge in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 25, Rn. 31).

b. Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte haben.

aa. Das Gericht geht mit der Beklagten davon aus, dass die Unmittelbarkeitsregelung ihrem Zweck nach eine enge Betrachtung des Einkommens am letzten Werktag vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme erfordert. Nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung war diese Voraussetzung nicht erfüllt. Denn der Widerspruchsbescheid stammt aus dem Juli 2015, damals hatte der Kläger für die Zeit nach dem 18. Juli 2014 keine Leistungen mehr erhalten.

bb. Allerdings kommt es bei Leistungsklagen grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl. 2014, § 54, Rn. 34). Aus dem Vergleich im Parallelverfahren ergibt sich, dass der SGB II-Träger dem Kläger rückwirkend auch für den Juli 2014 Leistungen gewährt hat; der Kläger hat im Juli 2014 also Arbeitslosengeld und aufstockend Leistungen nach dem SGB II bezogen. Damit ist zwar das Kriterium des unmittelbaren Vorbezugs erfüllt.

Allerdings besteht auch dann kein Anspruch gegen die Beklagte. Denn erstens gilt dann § 25 SGB II, so dass allein der SGB II-Träger für die Zahlung des Übergangsgeldes zuständig war. Die Beklagte ist nicht passiv-legitimiert. Seine Ansprüche gegen den passiv-legitimierten SGB II-Träger für das Jahr 2014 hat der Kläger in eigenen Klageverfahren verfolgt und sie im gerichtlichen Vergleich dort abschließend geregelt. Zweitens ist – wenn man § 25 SGB II in rückwirkenden Konstellationen nicht für einschlägig hält und entsprechend eine Passivlegitimation der Beklagten annimmt – der Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld jedenfalls in voller Höhe erfüllt und damit erloschen. Nach § 107 Abs. 1 SGB X erlischt der Anspruch einer leistungsberechtigten Person gegen den zuständigen Träger dann durch Erfüllung, wenn ein eigentlich unzuständiger Träger die Leistungen erbracht hat. Bleibt die Beklagte – bei Nichtanwendung von § 25 SGB II – zuständig, gelten die SGB II-Leistungen, die der Kläger vom – dann unzuständigen – SGB II-Träger schon während der Rehabilitation und nachträglich aus dem Vergleich erhalten hat, als Erfüllung des Anspruchs auf Übergangsgeld. Denn das Übergangsgeld ist nur so hoch, wie der (fiktive) SGB II-Anspruch, den er ersetzt. Anders als der Bevollmächtigte meint, erhalten Rehabilitanden keineswegs stets den SGB II-Regelsatz. Der Kläger kann von der Beklagten also nicht mehr verlangen, als er vom SGB II-Träger in der Zeit der Rehabilitation bekommen hätte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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