S 13 U 82/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 13 U 82/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 213/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 20/18 BH
Datum
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 20.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2013 wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.09.2007 auch über den 05.04.2009 hinaus bis auf weiteres eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.

Der 1968 geborene Kläger erlitt am 26.09.2007 auf dem Heimweg von seiner versicherten Tätigkeit auf einem Friedhof für das Grünflächenamt der Stadt A-Stadt einen Unfall, als er umknickte und sich dabei nach den ersten Feststellungen des Durchgangsarztes D. am 28.09.2007 eine Verstauchung und Zerrung des rechten oberen Sprunggelenkes zuzog. Während zunächst eine knöcherne Verletzung nicht festgestellt worden war, ergab eine am 13.11.2007 durchgeführte MRT-Untersuchung eine Ruptur der vorderen Syndesmose und ein osteochondrales Flake der lateralen Talusschulter mit der Folge, dass weiterhin unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit attestiert wurde. Eine am 18.02.2008 in der Dr. Horst Schmidt Klinik in Wiesbaden durchgeführte Arthroskopie musste auf eine diagnostische Untersuchung beschränkt werden, weil die Knorpelabhebung an der Talusschulter dort wegen der ungünstigen Lage des Bezirks nicht operativ versorgt werden konnte. Nachdem eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. E. den Unfallzusammenhang der Knorpelverletzung bestätigt hatte, wurde schließlich während einer stationären Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Frankfurt am Main vom 24. bis 28.11.2008 am 25.11.2008 eine erneute Arthroskopie mit Entfernung des osteochondralen Flakes durchgeführt.

In einem Bericht von Dr. F. vom 16.06.2009 wurde über eine in einer weiteren MRT-Untersuchung festgestellte Konsolidierung der Osteochondrosis berichtet sowie darüber, dass der Kläger für mehrere Jahre nicht in der Lage sein werde, mehr als 20 Stunden wöchentlich zu arbeiten (Blatt 333 und 343 Unfallakte). In einem weiteren Bericht vom 17.08.2009 teilte Dr. F. mit, der Kläger arbeite seit dem 11.08.2009 nur noch halbtags auf dem Friedhof, die Gehstrecke betrage maximal einen Kilometer, dann träten Schmerzen im rechten oberen Sprunggelenk auf. Die Beklagte holte daraufhin ein 1. Rentengutachten bei Prof. Dr. G., Dr. Horst Schmidt Klinik Wiesbaden, ein. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 27.11.2009 als Unfallfolgen noch einen belastungsabhängigen Schmerz im rechten oberen Sprunggelenk und eine Schwellneigung fest und schätzte die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v. H. für die Zeit vom Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 21.01.2009 bis zum 09.10.2009, anschließend bis zum 21.01.2010 auf 10 v. H und auf unter 10 v. H. zur Rentenfeststellung auf unbestimmte Zeit. Demgegenüber vertrat Dr. H. als Beratungsarzt der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 22.03.2010 die Ansicht, die MdE sei nur für drei Monate mit 20 v. H. einzuschätzen. Zu einer Rentengewährung kam es gleichwohl zunächst nicht.

Erst nach Eingang eines Durchgangsarztberichtes wegen Wiedererkrankung von Dr. F. vom 23.03.2012 mit Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit seit dem 15.03.2012 nahm die Beklagte ihre Ermittlungen wieder auf, u. a. durch Anforderung eines Wegeunfallfragebogens vom Arbeitgeber und Feststellungen zum Jahresarbeitsverdienst. Mit einem Bescheid über eine Rentengewährung für zurückliegende Zeit vom 20.09.2012 gewährte sie dem Kläger eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. für die Zeit vom 06.01.2009 bis zum 05.04.2009 und stellte als Unfallfolgen fest eine mit geringen Unregelmäßigkeiten der äußeren Sprungbeingelenkfläche verheilte osteochondrale Läsion und eine leichte Bewegungseinschränkung des rechten Sprunggelenkes.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2013, zu dessen vollständigem Inhalt auf Blatt 604 ff. der Unfallakte bzw. Blatt 3 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen wird, als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 09.07.2013 Klage erhoben und zur Begründung auf eine gutachterliche Stellungnahme aus dem Versorgungsamt A-Stadt verwiesen, in der für die Funktionsstörung am rechten Fuß ein GdB von 20 angesetzt worden war.

Das Gericht hat ein im Rechtsstreit nach dem Schwerbehindertenrecht (Aktenzeichen S 6 SB 168/14) über den Kläger eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr. J. vom 15.07.2014 beigezogen (Blatt 39 ff. Gerichtsakte) und von Amts wegen Dr. J. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dr. J. hat dieses Gutachten auf der Grundlage der für das Gutachten vom 15.07.2014 durchgeführten ambulanten Untersuchung des Klägers erstellt. In seinem Gutachten vom 25.08.2014, zu dessen vollständigem Inhalt auf Blatt 68 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen wird, kommt der Sachverständige zu der zusammenfassenden Feststellung, als Folgen des Unfalls vom 26.09.2007 lägen vor eine beginnende Arthrose des rechten oberen Sprunggelenkes mit Funktionseinschränkung, Außenbandreizbarkeit und Reizung sowie die per Operation nachgewiesenen Knorpelschäden im Bereich der äußeren Sprungbeinschulter. Im Bereich des linken Kniegelenkes sei dagegen kein krankhafter Befund zu erheben. In der weiteren Diskussion der Unfallfolgen weist der Sachverständige auf die im Operationsbericht vom 25.11.2008 getroffenen Feststellungen hin, wonach eine Abscherung des Gelenkknorpels (Flake fracture) festgestellt worden war, also ein vom Untergrund gelöstes Knorpelareal an der dorsolateralen Talusschulter. Das lose Knorpelflake wurde abgetragen und der freiliegende subchondrale Knochen mit dem Chondropick angebohrt. Dieser Befund müsse hervorgehoben werden, weil er im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt worden sei. Wichtig sei, dass nach einer derartigen Vorgehensweise zwar der Defekt aufgefüllt sei, es sich jedoch nur um Bindegewebe handele, das der Knorpelqualität nicht entspreche. Auch nach einer solchen Defektbehandlung sei die Integrität des entsprechenden Gelenkes somit nur teilweise wieder hergestellt. Da der Kläger in den folgenden Jahren mehrfach arbeitsunfähig geschrieben und ihm Schmerz- und Rheumamittel verschrieben worden seien, sei belegt, dass es sich bei dem Kläger um ein geschädigtes rechtes oberes Sprunggelenk handelt. Die Einschätzung der unfallbedingten MdE durch Dr. H. vernachlässige das Ausheilungsergebnis der Operation und die Charakteristik und Gründe für die auch von Dr. H. beschriebenen Unregelmäßigkeiten der äußeren Sprunggelenkfläche. Über die durch die verbliebenen Unfallfolgen verursachten Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen im allgemeinen Erwerbsleben führt der Sachverständige aus, schon leichte körperliche Arbeiten erforderten Hebe- und Trageleistungen bis 10 kg sowie ständiges Umhergehen und andauerndes Stehen, sodass bereits durch leichte Arbeiten ein erheblicher Anspruch an ein geschädigtes Gelenk gestellt werde. Es müsse daher selbst bei Feststellung fester Verhältnisse und nur leicht eingeschränkter Beweglichkeit gerade auf die Minderbelastbarkeit des betroffenen Gelenkes abgestellt werden. Es sei daher nicht nur zu beurteilen, was der Proband noch könne, sondern insbesondere auch, was er noch dürfe, ohne sich zu schädigen. Hinzu komme, dass bei dem Kläger bereits eine beginnende Arthrosis deformans eingetreten sei. Auf der Grundlage einschlägiger Gutachtensliteratur bewertet der Sachverständige dann die durch die Unfallfolgen bedingte MdE mit 20 v. H. sowohl für die Zeit vom 06.04.2009 bis zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall als auch für die anschließende Zeit zur Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 20.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 06.04.2009 bis auf weiteres wegen der Folgen des Unfalls vom 26.09.2007 eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat zu dem Sachverständigengutachten von Dr. J. eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. H. vom 24.09.2014 vorgelegt, der die MdE mit 10 v. H. weiterhin als ausreichend bewertet angesehen und allenfalls als Kompromiss vorgeschlagen hat, die Zeitdauer der Rentengewährung um ein halbes Jahr zu verlängern. In die Bewertung der MdE sei eine Zukunftsprognose über künftige Verschlechterungen der Unfallfolgen nicht einzubeziehen.

Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Unfallakten der Beklagten, der jeweils auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch in der Sache begründet.

Der Bescheid vom 20.09.2012 ist auch in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 12.06.2013 gefunden hat (§ 95 Sozialgerichtsgesetz SGG ), insoweit rechtswidrig, als es die Beklagte darin abgelehnt hat, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 26.09.2007 über den 05.04.2009 hinaus eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente nach einer MdE von 20 v. H. über den 05.04.2009 hinaus bis auf weiteres aus §§ 56 und 62 in Verbindung mit §§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII.

Bei dieser Entscheidung folgt das Gericht nach eigener Überprüfung und Überzeugungsbildung sowohl hinsichtlich der Feststellung der verbliebenen Unfallfolgen als auch hinsichtlich der Bemessung der unfallbedingten MdE dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. J. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Hieran hat sich der Sachverständige bei seiner Einschätzung der unfallbedingten MdE orientiert, indem er in Anlehnung an die REFA-Klassifizierung die Anforderungen an leichte und mittelschwere Arbeiten beschrieben und auf den Kläger bezogen hat. Den im Gutachten auf Seite 3 und 4 wiedergegebenen Befunden lässt sich eine hälftige Bewegungseinschränkung im rechten oberen Sprunggelenk entnehmen (rechts 5-0-20°, links 10-0-40°) und auch die Vorfußverwringung, also die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk, ist rechts hälftig schmerzhaft eingeschränkt, während sie links als frei bezeichnet wird. Soweit Dr. H. in seiner Stellungnahme angibt, die Wendung des Vorfußes sei im Gutachten als frei bezeichnet worden, trifft dies nur auf die unverletzte linke Seite zu; hier hat Dr. H. das Gutachten offenbar nur oberflächlich gelesen und die Befundbeschreibung daher unzutreffend wiedergegeben. Dr. J. hat in der Außenknöchelgegend zudem einen als typisch empfundenen Druckschmerz beschrieben, eine nennenswerte Umfangdifferenz war dagegen an den Beinen nicht feststellbar. Die von Dr. J. in der Bezeichnung der Unfallfolgen angegebene Reizung bzw. Außenbandreizbarkeit entspricht den Angaben des den Kläger behandelnden Dr. F., der eine nur halbtägige Einsatzfähigkeit des Klägers in seiner Tätigkeit für das Grünflächenamt der Stadt A-Stadt und eine schmerzfreie Gehstrecke von maximal einem Kilometer bescheinigt hatte. Nach den von Dr. J. auf Seite 12 seines Gutachtens herangezogenen MdE-Vorschlägen wird nach Talusverletzungen eine MdE zwischen 10 und 30 v. H. und bei einem Knöchelbruch mit sekundärer Arthrose und wesentlicher Funktionsstörung eine MdE von 20 bis 40 v. H. empfohlen. Bei völliger Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenkes wird die MdE mit mindestens 20 v. H. bewertet (Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, Unfallbegutachtung, 13. Auflage 2012, Seite 200). Auch die erkennende Kammer zieht aus Gründen der Gleichbehandlung aller Klägerinnen und Kläger regelmäßig solche Empfehlungen aus der Gutachtensliteratur zur Einschätzung der MdE heran. Zwar liegt bei dem Kläger keine Versteifung des Sprunggelenkes vor, allerdings wird durch eine solche Versteifung die vorher bestehende Schmerzhaftigkeit der Bewegungen beseitigt. Im Falle des Klägers liegt eine hälftige Einschränkung der Beweglichkeit vor, die allerdings mit dauerhaften Schmerzen und den daraus folgenden Einschränkungen in der Belastbarkeit verbunden ist. Die MdE ist ein abstraktes Maß für die Einschränkung der körperlichen, geistigen und psychischen Leistungsfähigkeit und die daraus resultierenden Einschränkungen der Einsatzfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben. Diese Einschränkungen können zur Überzeugung der Kammer aber nicht nur anhand der objektiv messbaren Bewegungseinschränkungen bemessen werden, sondern es müssen auch eine Minderbelastbarkeit sowie die mit dem Einsatz der betroffenen Extremität verbundene Schmerzhaftigkeit einbezogen werden, wie dies der Sachverständige Dr. J. getan hat.

Die unfallbedingte MdE des Klägers ist daher, sowohl für die Zeit der Rentengewährung als vorläufige Entschädigung als auch zur Rentengewährung auf unbestimmte Zeit, mit 20 v. H. zu bemessen, sodass die angefochtenen Bescheide entsprechend abzuändern waren und der Klage stattzugeben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Rechtskraft
Aus
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