S 8 RJ 697/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 697/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Versorgungsehe
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2002 verurteilt, der Klägerin die gesetzliche Witwenrente aus der Versicherung des Herrn H. S. zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

Die Klägerin (geb. 1943) ist die Witwe des am 03.05.2002 verstorbenen Versicherten (geb. 1946). Die Eheschließung erfolgte im Rahmen einer standesamtlichen Notfalltrauung am 29.04.2002 im Krankenhaus.

Nach Angaben der Klägerin haben diese und der Verstorbene seit ca. 14 Jahren in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft gelebt. Der Versicherte war bereits seit 1993 Bezieher einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von zuletzt ca. 350.- EUR. Die Klägerin ist selbst immer erwerbstätig gewesen und bezieht seit 2001 selbst eine Erwerbsunfähigkeitsrente von derzeit monatlich ca. 800.- EUR netto.

Am 27.06.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Witwenrente. Mit Bescheid vom 31.07.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb ebenfalls erfolglos. Mit Bescheid vom 18.10.2002 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Der Klägerin sei es nicht gelungen, die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zu widerlegen.

Dagegen richtet sich die Klage vom 21.11.2002. Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, der Verstorbene habe sie schon seit längerer Zeit heiraten wollen. Sie selbst habe sich aufgrund von Alkoholproblemen des Verstorbenen nicht dazu entschließen können. Den gemeinsamen Haushalt habe im Wesentlichen die Klägerin finanziert. Nach der Diagnosestellung eines Bronchialkarzinoms Anfang 2001 habe sich der Versicherte aufgrund der schweren Erkrankung geändert und die Klägerin sei bereit gewesen, ihn zu heiraten. Die Eheschließung sei dann im Krankenhaus erfolgt, wobei die Klägerin davon ausgegangen sei, dass der Versicherte ab Anfang Mai 2002 eine Kurmaßnahme antreten sollte.

Das Gericht hat einen Erörterungstermin durchgeführt und einen Befundbericht der zuletzt behandelnden Ärztin des Verstorbenen angefordert. Nach einem Arztbrief der behandelnden Klinik vom 13.05.2002 wurde die Notfalltrauung auf der Station auf ausdrücklichen Wunsch der Beteiligten vollzogen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2002 zu verurteilen, der Klägerin Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist zulässig (vgl. §§ 51, 57, 78, 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Witwenrente zu.

Das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für eine Hinterbliebenenrente (vgl. § 46 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch, 6. Buch - SGB VI) ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte beruft sich auf die gesetzliche Bestimmung des § 46 Abs. 2 a SGB VI, wonach Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese gesetzliche Bestimmung ist mit Wirkung zum 01.01.2002 in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt worden und entspricht den Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. § 65 Abs. 6 SGB VII) und des Bundesversorgungsgesetzes (vgl. § 38 Abs. 2 BVG) sowie entsprechenden beamtenrechtlichen Bestimmungen.

Die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als 1 Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Diese gesetzliche Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Die Widerlegung dieser Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich den vollen Beweis des Gegenteils (BSG, SozR 3100 § 38 Nr. 5). Diese Beweisanforderungen müssen aber auch mit dem erkennbaren Sinn und Zweck des § 46 Abs. 2 a SGB VI zu vereinbaren sein. Die Motive, die § 46 Abs. 2 a SGB VI aufgrund äußerer Umstände vermutet, können auch durch entgegenstehende äußere Umstände widerlegt werden. So ist nach Auffassung des Gerichts eine ausreichende eigene Versorgung des Hinterbliebenen grundsätzlich geeignet, die Rechtsvermutung einer sog. Versorgungsehe zu widerlegen. Das legitime Anliegen des Gesetzgebers, einem Mißbrauch der Ehe vorzubeugen und manipulierte Folgen nicht eintreten zu lassen, ist bei einer solchen Fallkonstellation grundsätzlich nicht gefährdet.

Im vorliegenden Fall ist der Beklagten zuzugestehen, dass nach dem ersten Anschein die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe zutreffend sein könnte. Die Klägerin hat den Verstorbenen wenige Tage vor dem objektiv vorhersehbaren Tod geheiratet. Die genaue innere Motivationslage der Klägerin für die Eheschließung kann nicht eindeutig geklärt und nachvollzogen werden. Dies ist jedoch auch nicht erforderlich. Es liegen ausreichende äußere Umstände vor, welche die gesetzliche Vermutung widerlegen. Die Klägerin hat bereits vor der Eheschließung eigene Rentenleistungen in einer Höhe bezogen, die deutlich über dem Sozialhilfebedarf liegen. Bei einem Betrag von ca. 800.- EUR monatlich kann grundsätzlich von einer ausreichenden und nicht unerheblichen eigenen Versorgung ausgegangen werden. Hinzukommt, dass die zuletzt vom Verstorbenen bezogene Rente um mehr als die Hälfte niedriger gewesen ist. Dies bedeutet auch, dass die von der Klägerin zu erwartende Witwenrente im Verhältnis zu ihrer eigenen Versorgung nur einen geringen Teil beträgt. Allein diese Umstände lassen das mögliche Motiv einer Versorgungsehe deutlich in den Hintergrund treten. Jedenfalls kann nicht mehr angenommen werden, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als weiterer besonderer Umstand des Falles ist vorliegend schließlich zu bedenken, dass die Ehegatten vor der Eheschließung bereits 14 Jahre in eheähnlicher Gemeinschaft gelebt haben. Auch dies läßt für die vom Gesetzgeber gewollte gesetzliche Vermutung nur wenig Raum.

Insgesamt hat die Klägerin damit nach Auffassung des Gerichts ausreichend nachgewiesen, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe vorliegend nicht gegeben ist. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind deshalb rechtswidrig. Der Klägerin ist antragsgemäß Witwenrente zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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