L 3 AL 106/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 4 AL 744/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 106/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 29. März 2000 dahingehend abgeändert, dass lediglich der Bescheid vom 27. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. Oktober 1998 aufgehoben wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides der Beklagten bezüglich des im Zeitraum vom 11.05.1995 bis 06.06.1995 gewährten Arbeitslosengeldes (Alg), sowie der in den Zeiträumen vom 07.06.1995 bis 20.09.1995 und 29.11.1995 bis 21.06.1997 gezahlten Arbeitslosenhilfe (Alhi) und des vom 23.06.1997 bis 13.08.1997 bewilligten Vorschusses auf Unterhaltsgeld (Uhg) in Höhe von insgesamt 20.400,90 DM.

Die am ... geborene, im maßgeblichen Zeitraum zunächst getrennt lebende und ab 10.04.1996 geschiedene Klägerin, ist die Mutter eines am 22.11.1985 geborenen Kindes. Nach zehnjähriger Schulbildung absolvierte sie von September 1984 bis Februar 1987 eine Lehre und erwarb den Abschluss als Facharbeiterin für Textiltechnik. Von März 1987 bis Dezember 1989 war sie als Technische Kraft versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 21.07.1990 bis 19.07.1991 erhielt sie Alg, um hiernach vom 01.07.1992 bis 30.06.1994 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Raumpflegerin nachzugehen. Im vom 01.01.1994 bis 30.06.1994 dauernden Bemessungszeitraum erzielte sie ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 9.571,02 DM in 956 Stunden bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden. Vom 06.07.1994 bis 11.04.1995 bezog die Klägerin Alg nach der Leistungsgruppe B, dem erhöhten Leistungssatz unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgeltes (BE) von 360,00 DM in Höhe von zu Beginn 194,40 DM und ab 02.01.1995 193,80 DM pro Woche. Hiernach schloss sich eine Zeit des Bezuges von Krankengeld (12.04.1995 bis 05.05.1995) an.

Am 11.05.1995 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Wiederbewilligung von Alg. Sie bestätigte, das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Bescheid vom 25.07.1995 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 11.05.1995 Alg nach der Leistungsgruppe B, dem erhöhten Leistungssatz, einem BE von 970,00 DM in Höhe von 408,60 DM.

Am 06.08.1995 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Alhi. Gleichzeitig bestätigte sie wiederum, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Bescheid vom 21.08.1995 bewilligte die Beklagte der Klägerin nach den zuletzt der Bewilligung von Alg zugrunde gelegten Leistungskriterien in Höhe von 347,40 DM und ab 01.07.1995 unter Zugrundelegung eines BE von 1.030,00 DM in Höhe von 363,60 DM wöchentlich. Mit Bescheiden vom 15.12.1995 und 10.01.1996 nahm die Beklagte Bewilligungen nach unveränderten Leistungskriterien in unveränderter Höhe vor. Der Bewilligung im Bescheid vom 12.07.1996 legte sie mit Wirkung vom 01.07.1996 ein BE von 1.000,00 DM zu Grunde; sie bewilligte der Klägerin 355,80 DM pro Woche. Mit Bescheid vom 08.01.1997 nahm sie eine Bewilligung mit Wirkung ab 01.01.1997 nach unveränderten Leistungskriterien in Höhe von 349,80 DM wöchentlich vor.

Am 26.05.1997 stellte die Klägerin einen Kurz-Antrag auf Förderung der Teilnahme an der vom 23.06.1997 bis 22.06.1998 dauernden beruflichen Bildungsmaßnahme "BPF-Lager/Logistik/Verkauf" (Maßnahme-Nr. 075/1146/97).

Mit Bescheid vom 10.07.1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 23.06.1997 einen Vorschuss auf das zu gewährende Unterhaltsgeld (Uhg) nach der Leistungsgruppe B, dem erhöhten Leistungssatz, einem BE von 1.000,00 DM in Höhe von 411,00 DM wöchentlich und mit Bescheid vom 08.08.1997 ab 14.08.1997 endgültig die Leistung nach einem BE von 410,00 DM in Höhe von 217,20 DM. Die Vorschussgewährung erfolgte, weil die Beklagte bei der Bewilligung davon ausging, der Bemessungszeitraum würde länger als drei Jahre zurückliegen (§ 112 Abs. 7 AFG).

Am 25.07.1997 bemerkte die Beklagte, dass das BE ab 11.05.1995 fehlerhaft festgesetzt war und der Klägerin daher ab dem genannten Zeitpunkt zu hohe Leistungen gewährt worden waren.

Mit Schreiben vom 28.07.1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihr sei bei der Weiterbewilligung von Alg ab 11.05.1995 ein Fehler unterlaufen, es sei fehlerhaft nach einem BE von 970,00 DM statt 360,00 DM bemessen worden. Die Klägerin habe diesen offensichtlichen Fehler dem Arbeitsamt nicht angezeigt. Die Beklagte beabsichtige, die Bewilligung von Uhg ab 14.08.1997 in Höhe von 193,80 DM wöchentlich aufzuheben. Hierzu gab sie der Klägerin Gelegenheit, sich innerhalb von zwei Wochen zu äußern.

Im Rahmen der Anhörung führte die Klägerin mit Schreiben vom 04.08.1997 aus, sie sei mit der beabsichtigten Änderung nicht einverstanden. Sie habe im August 1995 unter Vorlage des Bescheides vom 25.07.1995 in der Leistungsabteilung des Arbeitsamtes vorgesprochen und um Überprüfung der Höhe der Leistung sowie Auszahlung eines Vorschusses gebeten. Laut Auskunft der Sachbearbeiterin sei die Bewilligung in Ordnung gewesen. Sie habe eine Barauszahlung eines Vorschusses veranlasst. Als Zeugen für ihr Vorbringen benannte sie Herrn K ... K ... Mit dieser Nachfrage habe sie ihrer Mitwirkungspflicht Genüge getan. Sie habe die überzahlten Leistungen zur Führung ihres täglichen Lebens verbraucht.

Mit Bescheid vom 07.08.1997 hob die Beklagte die Bewilligung von Uhg ab 14.08.1997 teilweise in Höhe von 193,80 DM wöchentlich gemäß § 48 SGB X i. V. m. § 112 AFG auf. Auf Grund eines Schreibfehlers sei der Klägerin Uhg nach einem falschen BE bewilligt worden. Ob und inwieweit der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden könne, sei noch zu prüfen.

Mit Schreiben vom 28.08.1997 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe vom 11.05.1995 bis 06.06.1995 Alg, vom 07.06.1995 bis 20.09.1995 Alhi, 29.11.1995 bis 21.06.1997 Alhi und vom 23.06.1997 bis 13.08.1997 Uhg zu Unrecht bezogen. Daher habe sie 20.400,90 DM zu erstatten. Statt eines BE von 360,00 DM sei ein solches von 970,00 DM zu Grunde gelegt worden. Daher sei zunächst Alg i. H. v. 408,60 DM, statt 193,80 DM bewilligt worden. Die Klägerin habe ein monatliches Alg von 1.770,60 DM erhalten. Ihr durchschnittliches Netto-Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum habe 1.257.31 DM betragen. Die Klägerin habe ein Merkblatt erhalten, aus dem sie erkennen konnte, dass der wöchentliche Leistungssatz des Alg 67 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgeltes beträgt. Sie hätte daher bei entsprechender Sorgfalt die Unrichtigkeit der Bewilligung erkennen können. Daher sei Alg v. 11.05.1995 - 06.06.1995 i.H.v. 214,80 DM wöchentlich, Alhi v. 07.06.1995 - 30.06.1995 i.H.v. 182,40 DM -"- , Alhi v. 01.07.1995 - 20.09.1995 i.H.v. 189,60 DM -"- , Alhi v. 29.11.1995 - 31.12.1995 i.H.v. 189,60 DM -"- , Alhi v. 01.01.1996 - 30.06.1996 i.H.v. 190,20 DM -"- , Alhi v. 01.07.1996 - 31.12.1996 i.H.v. 187,20 DM -"- , Alhi v. 01.01.1997 - 21.06.1997 i.H.v. 183,00 DM -"- , Uhg v. 23.06.1997 - 13.08.1997 i.H.v. 193,80 DM -"- zu erstatten.

Mit Bescheid vom 27.11.1997 nahm die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg vom 25.07.1995 sowie von Alhi in den Bescheiden vom 21.08.1995, 15.12.1995 und 12.07.1996 sowie von Uhg im Bescheid vom 10.07.1997 teilweise in Höhe von Alg v. 11.05.1995 - 06.06.1995 i.H.v. 214,80 DM wöchentlich, Alhi v. 07.06.1995 - 30.06.1995 i.H.v. 182,40 DM -"- , Alhi v. 01.07.1995 - 20.09.1995 i.H.v. 189,60 DM -"- , Alhi v. 29.11.1995 - 31.12.1995 i.H.v. 189,60 DM -"- , Alhi v. 01.01.1996 - 30.06.1996 i.H.v. 190,20 DM -"- , Alhi v. 01.07.1996 - 31.12.1996 i.H.v. 187,20 DM -"- , Alhi v. 01.01.1997 - 21.06.1997 i.H.v. 183,00 DM -"- , Uhg v. 23.06.1997 - 13.08.1997 i.H.v. 193,80 DM -"- gemäß § 45 SGB X i.V.m. §§ 112, 152 AFG zurück. Der Vortrag der Klägerin im Rahmen der Anhörung sei als Schutzbehauptung auszulegen. Die einzige Barauszahlung, die die Klägerin erhalten habe, sei am 27.09.1994 erfolgt. Die Klägerin habe den überzahlten Betrag in Höhe von 20.400,90 DM zu erstatten.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 15.12.1997. Nach einem Gespräch mit dem Zeugen K ... müsse sie bestätigen, dass im August 1995 keine Barauszahlung erfolgt sei. Mit Bescheid vom 25.07.1995 seien ihr Leistungen für den Zeitraum vom 11.05.1995 bis 06.06.1995 bewilligt worden. Die Leistungen habe sie am 27.07.1995 erhalten. Hiernach sei vorerst keine weitere Zahlung erfolgt. Danach habe sie zwei auf den 21.08.1995 datierte Bescheide erhalten, zu einer Auszahlung sei es jedoch nicht gekommen. Da sie als alleinerziehende Mutter nicht so lange ohne Geld auskommen könne und ihr der auf den Bescheiden ausgewiesene Auszahlungsbetrag zu hoch erschienen sei, habe sie einen Bekannten gebeten, sie zum Arbeitsamt zu fahren. Im August 1995 habe sie beim Arbeitsamt vorgesprochen. Die Sachbearbeiterin habe die vorgelegten Bescheide überprüft und deren Richtigkeit bestätigt. Eine Barauszahlung sei jedoch mit Hinweis auf eine bereits erfolgte Zahlungsanweisung abgelehnt worden. Die Klägerin fügte ihrem Schreiben eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen K ... vom 13.12.1997 bei, in der dieser bestätigte, die Klägerin im August 1995 mit seinem Pkw zum Arbeitsamt Leipzig, Hubfeldstraße, gefahren zu haben. Er sei bei dem Gespräch zwischen der Klägerin und der Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes anwesend gewesen. Die Klägerin habe die Sachbearbeiterin um Überprüfung der Bescheide vom 25.07.1995 und 21.08.1995 gebeten, da ihr die bewilligten Beträge zu hoch erschienen seien. Die Sachbearbeiterin habe anhand des Computers die Bescheide überprüft und deren Richtigkeit bestätigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie änderte die Rechtsgrundlage der Rückforderung der zu Unrecht während der Bildungsmaßnahme gezahlten Leistung ab und stützte ihre Entscheidung nunmehr auf § 42 Abs. 2 SGB I. Der Klägerin sei lediglich ein Vorschuss auf Uhg bewilligt worden. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor. Im Merkblatt für Arbeitslose, Kapitel 4, dessen Erhalt und Kenntnisnahme die Klägerin bei Antragstellung bestätigt habe, würden die Bemessungsvorschriften für Alg und Alhi erläutert. Hieraus hätte die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung erkennen können. Der Bewilligung sei ein BE zu Grunde gelegt worden, dass dem dreifachen Wert ihres letzten Verdienstes entsprochen habe. Da sich ein Vermerk über eine Vorsprache der Klägerin am 25.08.1995 nicht in der Akte befinde, vertrat die Beklagte die Auffassung, es handele sich bei der diesbezüglichen Einlassung der Klägerin um eine Schutzbehauptung. Die Klägerin habe die überzahlten Leistungen in Höhe von 18.947,50 DM zu erstatten. Bezüglich der Entscheidung über die Zahlung von Uhg in der Zeit vom 23.06.1997 bis 13.08.1997 werde auf die Regelungen des § 42 Abs. 2 SGB I verwiesen. Da es sich bei der mit Bewilligungsbescheid vom 10.07.1997 für die Zeit vom 23.06.1997 bis 13.09.1997 um eine Bewilligung im Sinne des § 42 Abs. 1 SGB I (Vorschussleistung) gehandelt und sich die Zahlung des Vorschusses als zu hoch herausgestellt habe, sei die Klägerin lediglich auf Grund der gesetzlichen Vorschrift des § 42 Abs. 2 SGB I zur Erstattung des überzahlten Betrages in Höhe von 1.453,50 DM verpflichtet.

Daneben erhob die Beklagte wegen des unrechtmäßigen Bezuges von Alg, Alhi sowie des Vorschusses auf Uhg in der Zeit ab 11.05.1995 Strafanzeige wegen des Verdachtes des Betruges. Die Staatsanwaltschaft Leipzig stellte nach Einvernahme des Zeugen K ... das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Aussage der Klägerin, sie sei ihrer besonderen Sorgfaltspflicht durch Vorsprache beim Arbeitsamt nachgekommen, sei unter Berücksichtigung der Zeugenaussage nicht widerlegbar.

Am 23.10.1998 hat die Klägerin mündlich zu Protokoll des Sozialgerichts (SG) Leipzig Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X lägen nicht vor. Überdies sei weder die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X noch die Zwei-Jahres-Frist des § 45 Abs. 3 SGB X gewahrt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Leipzig am 29.03.2000 hat der Zeuge K ... ausgesagt, er habe die Klägerin etwa Mitte August 1995 zum Arbeitsamt Leipzig in die Hubfeldstraße gefahren. An das genaue Datum erinnere er sich nicht mehr. Er sei mit der Klägerin gemeinsam in die Rechnungsabteilung gegangen. Weil er gewusst habe, dass es der Klägerin gesundheitlich nicht gut ging, habe er an dem Gespräch mit der Sachbearbeiterin teilgenommen. Die Klägerin habe angesprochen, dass sie eine Zeitlang kein Geld bekommen habe. Das Gespräch sei sachlich verlaufen bis die Klägerin die Sachbearbeiterin gefragt habe, ob die Höhe der bewilligten Leistung rechtens sei. Die Sachbearbeiterin habe hierauf in scharfem Ton erwidert, dass die Leistung korrekt berechnet sei. Die Klägerin habe der Sachbearbeiterin zwei Schriftstücke ausgehändigt. Über den Inhalt könne er nichts sagen. Die Frage nach der Höhe der Leistung habe die Klägerin gegen Ende des Gesprächs, als sie bereits im Aufstehen begriffen gewesen sei, gestellt.

Die Zeugin C ... Sch ..., Mitarbeiterin des Arbeitsamtes Leipzig, hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, sie kenne die Klägerin nicht, demzufolge könne sich auch nicht daran erinnern, mit ihr im August 1995 gesprochen zu haben.

Die Klägerin hat sich in der mündlichen Verhandlung dahingehend eingelassen, sie habe der Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes während des Gesprächs die drei Bescheide, mit der Leistungen im Anschluss an den Bezug von Krankengeld bewilligt wurden, vorgelegt. Zunächst sei ihre Bitte auf Vorschuss diskutiert worden. Anschließend habe sie erklärt, dass zwischen dem Arbeitsentgelt und dem wöchentlichen Leistungssatz ein großer Unterschied bestehe, den sie nicht nachvollziehen könne. Die Abzüge seien ihr sehr hoch vorgekommen. Sie habe die drei Bescheide überhaupt nicht nachvollziehen können. Darauf habe sie die Sachbearbeiterin auch aufmerksam gemacht.

Mit Urteil vom 29.03.2000 hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 07.08.1997 und 27.01.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1998 aufgehoben. Zwar seien die Bewilligungsbescheide bezüglich Alg und Alhi vom 25.07.1995, 21.08.1995, 15.12.1995, 10.01.1996, 12.07.1996 und 08.01.1997 rechtswidrig gewesen, weil der bewilligten Leistung ein fehlerhaftes BE zu Grunde gelegen habe. Die Klägerin sei jedoch in ihrem Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes schutzwürdig. Sie habe die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide weder gekannt noch grob fahrlässig nicht erkannt. Die Klägerin habe nach der glaubhaften Aussage des Zeugen K ... im August 1995 das Arbeitsamt aufgesucht und sich bei der zuständigen Sachbearbeiterin erkundigt, ob die Höhe der bewilligten Leistung rechtens sei. Nach Bestätigung der Richtigkeit durch die Sachbearbeiterin habe die Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der bewilligten Leistung vertrauen dürfen. Nachdem die Klägerin von der Sachbearbeiterin der Beklagten rüde abgekanzelt worden sei, könne von ihr nicht mehr verlangt werden, dass sie nochmals hinsichtlich der Höhe der Leistung insistiert. Die Beklagte könne nicht damit gehört werden, es handele sich um eine Schutzbehauptung der Klägerin, weil die Sachbearbeiterin keinen Gesprächsvermerk gefertigt habe. Es sei davon auszugehen, dass einzelne Sachbearbeiter Gespräche nicht protokollieren. Eine Rückforderung des auf das Uhg gewährten Vorschusses komme ebensowenig in Betracht. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB I könne der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Im vorliegenden Fall seien keine längeren Ermittlungen zur Feststellung der Höhe erforderlich gewesen, denn sämtlichen persönlichen und wirtschaftlichen Daten der Klägerin hätten der Beklagten zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Uhg vorgelägen. § 42 SGB I dürfe nicht dafür genutzt werden, mögliche Rückforderungen zu erleichtern, denn § 42 Abs. 2 SGB I enthalte abweichend von den §§ 45, 48 SGB X keine Regelung über einen Vertrauensschutz zu Gunsten des Versicherten.

Gegen das der Beklagten ausweislich Empfangsbekenntnisses am 15.05.2000 zugestellte Urteil hat sie mit Schriftsatz vom 07.06.2000, eingegangen beim Sächsischen Landessozialgericht am 13.06.2000, Berufung eingelegt. Der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sei erfüllt. Die Klägerin hätte erkennen müssen, dass die ab 11.05.1995 bewilligte Leistung zu hoch war. Sie habe ab 11.05.1995 mehr Alg erhalten, als sie als Raumpflegerin brutto verdient habe. Die Einlassungen der Klägerin seien auch nicht widerspruchsfrei. Im Schreiben vom 04.08.1997 habe sie erklärt, sie habe nach Erhalt des Bescheides vom 25.07.1995 im August 1995 beim Arbeitsamt vorgesprochen. Die Sachbearbeiterin in der Antragstelle habe die Bescheide überprüft. Das Widerspruchsschreiben vom 15.12.1997 enthalte die Erklärung, sie habe die Bescheide vom 21.08.1995 überprüfen lassen. Mit Schriftsatz vom 09.03.2000 sei vorgebracht worden, die Klägerin habe nicht in der Antragsannahme, sondern der Leistungsabteilung, vorgesprochen. Überdies könne der Bescheid nicht anhand des Computers überprüft werden. Im PC seien lediglich die Daten gespeichert, die auf dem Bescheid selbst enthalten seien. Ob die Daten korrekt seien, könne nur anhand der Leistungsakte festgestellt werden. Die Leistungsakte sei aber nach der Einlassung der Klägerin und der Aussage des Zeugen K ... nicht beigezogen worden. Daher sei die Einlassung der Klägerin nicht glaubhaft. Ferner bestehe nach Aktenlage die Möglichkeit, dass die Klägerin nach Erhalt der Bescheide vom 21.08.1995 gar nicht beim Arbeitsamt vorsprechen konnte. Am 08.08.1995 habe sie eine ärztliche Bescheinigung übersandt, wonach sie vom 10.08.1995 bis voraussichtlich 25.08.1995 arbeitsunfähig erkrankt war. Am 24.10.1995 habe sie mitgeteilt, sie sei am 17.10.1995 aus dem Krankenhaus entlassen worden. Es werde daher angeregt, zu ermitteln, wann sich die Klägerin in stationärer Behandlung befunden habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Leipzig vom 29.03.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin entgegnet, sie habe im Schreiben vom 04.08.1997 die Leistungsanträge entgegennehmende Stelle der Leistungsabteilung gemeint. Gleichzeitig habe sie eine Vorschusszahlung beantragt. Sie sei vom 10.08.1995 bis November 1995 arbeitsunfähig gewesen. In stationärer Behandlung habe sie sich vom 10.08.1995 bis 15.08.1995 und vom 27.09.1995 bis 08.10.1995 befunden. Hierzu hat die Klägerin eine Erklärung der AOK Sachsen vom 09.07.2000 vorgelegt, die den angegebenen Zeitraum des stationären Aufenthaltes bestätigt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen, die Akte der Staatsanwaltschaft Leipzig (652Js9906/98) sowie die Leistungsakte der Beklagten, die der Senat zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch - abgesehen von der erforderlichen Korrektur des Tenors der erstinstanzlichen Entscheidung - unbegründet. Zurecht hat das SG Leipzig im Urteil vom 29.03.2000 den Bescheid der Beklagten vom 27.11.1997 i. d. G. des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1998 aufgehoben. Soweit der Bescheid vom 07.08.1997 aufgehoben wurde, war das Urteil allerdings aufzuheben.

I.

Der Bescheid vom 07.08.1997 bezüglich der Aufhebung der Bewilligung von Uhg mit Wirkung ab 14.08.1997 - mithin für die Zukunft - ist bindend (§ 77 SGG) geworden, weil die Klägerin hiergegen keinen Widerspruch einlegte. Mit Schreiben vom 31.08.1997 äußerte sie sich nach dem eindeutigen Wortlaut ihrer Erklärung ausschließlich zum Anhörungsschreiben der Beklagten vom 28.07.1997. Mit Schreiben vom 15.12.1997 legte die Klägerin - wie sich dem Schreiben ebenfalls eindeutig entnehmen lässt - lediglich Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.11.1997 ein. Gegenstand des Widerspruchsbescheides war daher - wie von der Beklagten zutreffend angenommen - nur der Bescheid vom 27.11.1997. Auch in der mündlich zu Protokoll des SG Leipzig erhobenen Klage vom 23.10.1998 begehrte die Klägerin ausschließlich die Aufhebung des Bescheides vom 27.11.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1998. Selbiges stellte die Klägerin auf Nachfrage des Senats im Schriftsatz vom 18.05.2001 klar.

II.

Die Bescheide der Beklagten sind nicht bereits wegen fehlerhafter Anhörung aufzuheben. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

Ob eine ordnungsgemäße Anhörung vor Erlass des Bescheides zum 27.11.1997 erfolgt ist, kann vorliegend dahinstehen, weil in diesem Falle ein vorhandener Verfahrensmangel durch Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt wäre. Im Anhörungsschreiben vom 28.07.1997 teilte die Beklagte der Klägerin zwar die aus ihrer damaligen Sicht entscheidungserheblichen Tatsachen mit, sie gab ihr jedoch lediglich Gelegenheit, sich innerhalb von 14 Tagen zu äußern. Ob eine Frist von zwei Wochen ohne Berücksichtigung von Postlaufzeiten im vorliegenden Fall unangemessen kurz war, kann dahinstehen (vgl. BSG SozR 1200 § 34 Nr. 12; BSG, Urteil vom 13.10.1993, 2 RU 5/93; BSG SozR 3-1300 § 24 Nr.7).

Jedenfalls wäre ein Anhörungsfehler durch Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt. Eine mangelhafte Anhörung kann nach dem zum Zeitpunkt der letzten gehörten Entscheidung geltenden Fassung des § 41 Abs. 2 SGB X im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden (BSG SozR 1200 § 34 Nr. 12). Nach der Rechtsprechung des BSG ist die Anhörung als nachgeholt anzusehen, wenn zwar die Anhörungsfrist unangemessen kurz war und deshalb die Anhörung nicht ordnungsgemäß war, der Betroffene jedoch nach Bescheiderlass aber noch vor Klageerhebung sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen geäußert hat (BSG, SozR 1200 § 34 Nr. 12; BSG, Urteil vom 24.03.1994, 5 RJ 22/93). Dem Zweck der Anhörung entsprechend ist es von der Rechtsprechung des BSG deshalb bisher auch für ausreichend angesehen worden, wenn die Beklagte im Bescheid die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen angegeben hat, um von einem Nachholen der Anhörung im Widerspruchsverfahren auszugehen (BSG SozR 1200 § 34 Nrn. 1 und 13). Dem ist der vorliegende Fall gleichzustellen, in welchem die Klägerin jedenfalls mit einem Anhörungsschreiben während des Verwaltungsverfahrens schon vor Erlass der Entscheidung die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt bekam und im Widerspruchsverfahren Gelegenheit hatte, zu diesen Tatsachen Stellung zu nehmen. Es ist nicht erforderlich, dass eine bisher nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach Erlass des Bescheides während des Widerspruchsverfahrens vollständig neu erfolgt, um von einem Nachholen der Anhörung im Sinne von § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X sprechen zu können. Tatsachen, die dem Betroffenen schon aus dem Verwaltungsverfahren bekannt sind, können vielmehr auch im Widerspruchsverfahren als bekannt vorausgesetzt werden. Diese Auslegung des Begriffs "Nachholen" in § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X ergibt sich aus dem Zweck der Anhörung. Diese soll dem Betroffenen Gelegenheit geben, zu der beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen, bevor die Behörde ihre abschließende Entscheidung trifft. Dieser Zweck ist schon dann erreicht, wenn die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen dem Betroffenen bekannt gemacht worden sind und er vor der abschließenden Entscheidung hinreichend Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen (BSG, Urteil vom 24.03.1994, a.a.O.).

Die Klägerin machte von der gegebenen Gelegenheit zur Stellungnahme im Widerspruchsverfahren Gebrauch. Mit Schreiben vom 15.12.1997 legte sie ausführlich dar, weshalb aus ihrer Sicht eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit und eine Geltendmachung einer Erstattungsforderung ausscheidet.

Mit dem SG ist davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide bezüglich Alg und Alhi mit Wirkung für die Vergangenheit und die Geltendmachung einer Erstattungsforderung nicht vorliegen.

Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides bezüglich Alg vom 25.07.1995 und die Entziehung der Leistung für den Zeitraum vom 11.05.1995 bis 06.06.1995 und der Bewilligungsbescheide bezüglich Alhi vom 21.08.1995, 15.12.1995, 12.07.1996 und 08.01.1997 für die Zeit vom 07.06.1995 bis 21.06.1997 sind §§ 45 Abs. 1 und 2, 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III i.F. des Artikel 3 des Arbeitsförderungsreformgesetzes vom 24.03.1997, BGBl. S. 594. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf gemäß § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3). Gemäß § 330 Abs. 2 SGB III ist, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz3 SGB X vorliegen, der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Mit dem SG ist davon auszugehen, dass die genannten Bewilligungsbescheide bezüglich Alg und Alhi rechtswidrig waren. Die Beklagte war fehlerhafter Weise von einem BE von 790,00 DM ausgegangen. Der Klägerin haben jedoch lediglich Leistungen nach einem BE von 360,00 DM ab 01.07.1995, von 380,00 DM ab 01.07.1996 und von 370,00 DM und ab 23.06.1997 zugestanden.

Die Klägerin hat weder vorsätzlich noch grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht (Nr. 2). Die Klägerin hat die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes auch nicht grob fahrlässig nicht gekannt (Nr. 3). Bei der Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist ein subjektiver Sorgfaltsbegriff zu Grunde zu legen, d.h. der Betroffene muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in einem das gewöhnliche Maß übersteigendem Ausmaß verletzt haben (BSGE 5, 267, 269; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 3). Ob grobe Fahrlässigkeit zu bejahen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen entschieden werden (BSGE 5,267). Darauf, ob die Behörde die Rechtswidrigkeit kannte oder gar verursacht hat, kommt es nicht an (Wiesner, in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 3. Auflage, Rdnr. 24 zu § 45).

Nach eigener Überprüfung der beigezogenen Leistungsunterlagen der Beklagten sowie der Feststellungen im Klage- und Berufungsverfahren ist dem SG Leipzig zu folgen, dass sich die Klägerin auf schutzwürdiges Vertrauen in die Richtigkeit der Leistungsbewilligung berufen kann.

Zwar erhöhte sich im Bewilligungsbescheid vom 25.07.1995 das BE von bis dato 360,00 DM auf 970,00 DM wöchentlich und die Höhe der Leistung von bis dahin 193,80 DM/Woche auf 408,60 DM/Woche, die Leistung verdoppelte sich folglich. Hierfür war kein Grund 11.04.1995 lediglich in der Zeit vom 12.04.1995 bis 05.05.1995 Krankengeld erhalten hatte. Es handelte sich folglich um eine "ins Auge springende" Erhöhung der Leistung.

Gleichwohl konnte sie sich nach der Vorsprache in der Leistungsabteilung des Arbeitsamtes Leipzig auf schutzwürdiges Vertrauen berufen. Die Klägerin hat die Rechtswidrigkeit der Bewilligung weder gekannt, noch grob fahrlässig nicht gekannt. Auf Grund der Beweisaufnahme im Termin zur mündlichen Verhandlung am 22.05.2001, der Erklärung des Zeugen K ... vom 13.12.1997, seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Leipzig am 29.03.2000 sowie der Einlassungen der Klägerin im Verwaltungs-, Sozialgerichts- und Berufungsverfahren steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung nicht grob fahrlässig nicht gekannt hat. Die Klägerin hat gemeinsam mit dem Zeugen K ... die Leistungsabteilung des Arbeitsamtes Leipzig nach Erhalt der Bescheide vom 21.08.1995 im August 1995 aufgesucht. Nachdem die Klägerin um eine Barauszahlung der Leistung gebeten hatte und ihr die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes mitgeteilt hatte, dass die Leistung bereits angewiesen sei und deshalb eine Barauszahlung nicht erfolgen könne, hat die Klägerin der Mitarbeiterin der Leistungsabteilung den Bescheid vom 25.07.1995 und die beiden Bescheide vom 21.08.1995 vorgelegt und um Überprüfung der Höhe der Leistung gebeten. Sie hatte die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes darauf hingewiesen, dass ihr das Bemessungsentgelt angesichts ihres zuletzt erzielten Verdienstes zu hoch vorkam. Danach überprüfte die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes die ihr vorgelegten Bescheide anhand des Computers.

Es kann dahinstehen, ob die Richtigkeit der Bewilligung anhand des Computers überprüft werden kann. Nach Einlassung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung müssten die Zahlungsnachweise im Computer ersichtlich sein. Aus den Zahlungsnachweisen hätte die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes erkennen können und müssen, dass die Leistung bis zum 11.04.1995 nach einem BE von 360,00 DM bemessen war und in Höhe von 193,80 DM ausgezahlt wurde. Sie hätte ferner ersehen müssen, dass Alg ab 11.05.1995 nach einem BE von 970,00 DM in Höhe von 408,60 DM ausgezahlt wurde. Aber selbst wenn eine Überprüfung der Bewilligung anhand des Computers nicht möglich gewesen sein sollte, hatte die Klägerin hierüber zum Zeitpunkt der Vorlage der Bescheide bei der Mitarbeiterin des Arbeitsamtes keine Kenntnis hierüber. Vielmehr musste sie auf Grund der Vorgehensweise der Sachbearbeiterin davon ausgehen, dass eine Überprüfung anhand des Computers vorgenommen wurde.

Nach der Überprüfung sagte die Sachbearbeiterin zur Klägerin in scharfem Ton, die Mitarbeiter des Arbeitsamtes seien schon kompetent genug, die Leistung richtig auszurechnen. Nach Aussage des Zeugen K ... sowie den Einlassungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG war dieser Satz so scharf formuliert, dass das Gespräch damit für die Klägerin ersichtlich beendet war.

Nach dieser Aussage der Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes durfte die Klägerin auf die Richtigkeit der Bewilligung vertrauen. Mit dem SG ist davon auszugehen, dass von einem Arbeitslosen mehr als die Vorlage der fehlerhaften Bescheide und der Hinweis auf ein - nach seiner Auffassung zu hohes BE - nicht erwartet werden kann. Bestätigt dann ein Mitarbeiter der Leistungsabteilung die Richtigkeit der Bewilligung, ist das daraufhin entwickelte Vertrauen des Versicherten in die Richtigkeit der Leistungsbewilligung schutzwürdig.

Das Gericht misst im Rahmen der Beweiswürdigung den Aussagen des Zeugen in den mündlichen Verhandlungen vor dem Sächsischen LSG und dem SG Leipzig sowie in seiner Erklärung vom 13.12.1997 große Bedeutung bei. Der Zeuge konnte sich an die Details des Gespräches besser erinnern als die Klägerin selbst. Das zeigte sich bereits im Widerspruchsverfahren. Nachdem die Klägerin zunächst in ihrem Schriftsatz vom 04.08.1997 angegeben habe, bei dem Gespräch im August 1995 sei von der Mitarbeiterin des Arbeitsamtes eine Barauszahlung veranlasst worden, hat die Klägerin dies nach einem Gespräch mit dem Zeugen K ... in ihrem Schriftsatz vom 15.12.1997 revidiert. Des Weiteren hat der Zeuge stets übereinstimmend ausgesagt, die Klägerin habe bei dem Gespräch die Höhe der Leistung bemängelt. Es sei "ziemlich viel Geld", "was sie bekomme". Dies sei "von ihrem Verdienst her sehr komisch" gewesen. Während die Klägerin in ihren Einlassungen nicht gänzlich klar und übereinstimmend vortrug, was sie an den Bescheiden vom 25.07.1995 und 21.08.1995 bemängelte, machte der Zeuge hierzu übereinstimmende Aussagen.

Zu beachten ist diesbezüglich, dass es der Klägerin am Tage des Besuchs beim Arbeitsamt gesundheitlich nicht gut ging. Sie befand sich entsprechend einer Bescheinigung der AOK Sachsen vom 19.07.2000 in der Zeit vom 10.08. bis 15.08.1995 im Krankenhaus Schkeuditz. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus fühlte sie sich selbst nicht in der Lage, mit der Straßenbahn das Arbeitsamt aufzusuchen. Sie litt an Kreislaufproblemen.

Die Tatsache, dass die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes über das Gespräch keinen Vermerk fertigte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch aus anderen Verfahren ist dem Gericht bekannt, dass über Gespräche zum Teil keine Vermerke gefertigt werden. Aus dem Nichtvorhandensein eines derartigen Vermerkes, kann jedoch nicht geschlossen werden, ein derartiges Gespräch habe nicht stattgefunden. Insbesondere auf Grund der glaubhaften Aussage des Zeugen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es Mitte August 1995 zu dem beschriebenen Gespräch gekommen ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge die Unwahrheit gesagt haben könnte, bestehen nicht.

Die Einlassungen der Klägerin und die Aussagen des Zeugen K ... sind nach Auffassung des Senats nicht - wie die Beklagte meint - in sich widersprüchlich. Zwar gab die Klägerin im Schreiben vom 04.08.1997 an, im Arbeitsamt bei ihrer damaligen Sachbearbeiterin (Antragstelle) vorgesprochen und den Bescheid vom 25.07.1995 vorgelegt zu haben. Im Schriftsatz vom 09.03.2000 ließ sie sich dahingehend ein, bei der Sachbearbeiterin der Leistungsabteilung nachgefragt zu haben. Die Klägerin meinte jedoch stets die Sachbearbeiterin der Leistungsabteilung. Sie benutzte die Begriffe synonym. Da die Klägerin zu keinem Zeitpunkt im Arbeitsamt oder einer anderen Behörde beschäftigt war, ist davon auszugehen, dass ihr die Unterschiede bezüglich der einzelnen Mitarbeiter nicht bewußt waren. In dem sie im Schreiben vom 04.08.1997 angab, bei "ihrer Sachbearbeiterin" im Arbeitsamt (Leistungsabteilung) vorgesprochen zu haben, ist ersichtlich, dass hiermit die Mitarbeiterin der Leistungsabteilung gemeint war. Ein Widerspruch ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Klägerin im Schreiben vom 04.08.1997 lediglich behauptete, den Bescheid vom 25.07.1995 vorgelegt zu haben und im Schreiben vom 15.12.1997 angab, neben dem Bescheid vom 25.07.1995 die Bescheide vom 21.08.1995 zur Überprüfung vorgelegt zu haben. Für die Klägerin war zum Zeitpunkt ihres ersten Schriftsatzes nicht ersichtlich, dass es darauf ankommen würde, die vorgelegten Bescheide exakt zu bezeichnen. Jedenfalls waren alle drei bezeichneten Bescheide für die Klägerin nicht nachvollziehbar.

IV.

Auch bezüglich des in der Zeit vom 10.07.1997 bis 13.08.1997 zu viel gezahlten Uhg hat die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung gegen die Klägerin.

Als Rechtsgrundlage für diese Erstattungsforderung kommt § 42 Abs. 2 SGB I nicht in Betracht.

Gemäß der genannten Norm sind Vorschüsse auf zustehende Leistungen anzurechnen. Soweit sie diese übersteigen, sind sie vom Empfänger zu erstatten.

Vorschüsse sind ausschließlich Geldleistungen, die im Hinblick auf einen seiner Höhe nach noch unbestimmten, dem Grunde nach aber bereits feststehenden Anspruch erbracht werden. Ihnen ist wesenseigen, durch eine erst zukünftige, endgültige Verbescheidung des Leistungsantrages abgelöst und ersetzt zu werden (BSG, SozR 4150 Art. 4 § 2 Nr. 1). Diese vorläufige Natur der Vorschussleistungen führt dazu, dass die Entscheidung des Sozialleistungsträgers allein über die Vorschussgewährung bezüglich der Voraussetzungen der später endgültig festzulegenden Leistung keinerlei Bindungswirkung entfalten (BSGE 55, 257). Die Gewährung einer Vorschussleistung setzt das Bestehen eines Anspruchs dem Grunde nach voraus. Alle materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der in Frage stehenden Norm mit Ausnahme derjenigen, die ausschließlich die Höhe betreffen, müssen feststehen. Es kommt allerdings eine entsprechende Anwendung des § 42 Abs. 1 SGB I in Betracht, wenn die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach Schwierigkeiten bereitet, die Anspruchshöhe aber schon feststeht (BSG SozR 3-1200 § 42 Nr. 2). Ferner muss der dem Grunde nach feststehende Anspruch bereits fällig sein.

Gezahlte Vorschussbeträge, die die dem Leistungsberechtigten endgültig zustehenden Gesamtleistungen übersteigen, sind von diesem zu erstatten. Dieser öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch entsteht kraft Gesetzes zum Zeitpunkt der Vorschusszahlung.

Die Beklagte bewilligte fehlerhafterweise zunächst lediglich einen Vorschuss auf das Uhg. Sie ging hierbei davon aus, dass Fiktivbemessung des BE gemäß § 112 Abs. 7 AFG erforderlich sei. Da der Bemessungszeitraum (01.01.1994 - 30.06.1994) zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruches (ab 23.06.1997) allerdings nicht länger als drei Jahre zurücklag, waren die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung nicht gegeben. Die Leistung wäre vielmehr endgültig zu bewilligen gewesen. Die Beklagte war daher am 10.07.1997 nicht zum Erlass eines Vorschussbescheides berechtigt. Daher durfte sie die Rückforderung nicht auf § 42 Abs. 2 SGB I stützen.

Erforderlich wäre vielmehr eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides gemäß § 45 SGB X i.V.m. § 152 Abs. 2 AFG gewesen. Mit Bescheid vom 27.11.1997 hat die Beklagte die Bewilligung von Uhg für die Zeit vom 23.06.1997 bis 13.08.1997 gemäß § 45 SGB X i.V.m. § 152 Abs. 2 AFG zurückgenommen und ihre Erstattungsforderung auf § 50 SGB X gestützt. Im Widerspruchsbescheid hat sie den Bescheid allerdings dahingehend abgeändert, dass die Erstattung auf § 42 Abs. 2 SGB I (ohne Aufhebung des bewilligenden Bescheides in Betracht kommt) gestützt wird. Daher fehlt es an der erforderlichen Aufhebungsentscheidung. Die Rückforderung von Uhg gemäß § 42 Abs. 2 SGB I ist jedoch - wie dargelegt - nicht möglich.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG; Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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