L 3 AL 106/98

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 1 AL 490/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 106/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Erstattungsforderung der Beklagten i. H. v. 7.550,40 DM streitig.

Der am ... geborene, verheiratete Kläger war zwischen 1973 und Mitte 1992 - zuletzt als kaufmännischer Leiter - bei der Ingenieurtechnische Erschließung L ... GmbH beitragspflichtig beschäftigt. Sein letztes monatliches Bruttoentgelt (Festgehalt) betrug 5.200,00 DM. Auf seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr 1992 war die Steuerklasse III (mit einem Kinderfreibetrag) eingetragen. Am 25.05.1992 wurde das Beschäftigungsverhältnis des Klägers seitens des Arbeitgebers zunächst ordentlich zum 30.11.1992 und dann am 23.06.1992 wegen dem Kläger angelasteten vertragswidrigen Verhalten fristlos gekündigt. Im Arbeitsvertrag war zwischen den Beteiligten eine ordentliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsschluss vereinbart.

Auf die vom Kläger sowohl gegen die ordentliche Kündigung vom 25.05.1992 als auch gegen die fristlose Kündigung vom 23.06.1992 zum Arbeitsgericht Leipzig erhobenen Klagen stellte dieses zunächst mit Teilurteil vom 05.03.1993 die Unwirksamkeit dieser Kündigungen fest und auf weitergehenden Antrag des Klägers mit einem Schlussurteil vom 23.04.1993 die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 28.12.1992 bei gleichzeitiger Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Zahlung einer Abfindung gem. §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), § 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. H. v. 26.000,00 DM fest (jeweils Az.: 3 Ca 3687/92). In dem anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Chemnitz (Az.: 5 Sa 84/93) schlossen die Beteiligten am 09.11.1993 einen Vergleich, in welchem das Arbeitsverhältnis als auf Veranlassung der Arbeitgeberin am 31.07.1992 beendet erklärt (Ziffer 1) und dem Kläger eine Abfindung i. H. v. 33.000,00 DM unter Anrechnung bereits gezahlter 26.000,00 DM (Ziffer 2) zuerkannt wurde. Damit erklärten die Beteiligten gleichzeitig alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die damit im Zusammenhang standen, für erledigt (Ziffer 3). Aufgrund dieses Vergleiches wurde nach Eingang entsprechender Zahlungen der Arbeitgeberin seitens des Klägers auch eine weitere, auf Entgeltzahlung in ursprünglicher Gesamthöhe von 31.477,47 DM gerichtete Klage zum Arbeitsgericht Leipzig (Az.: 17 Ca 4824/93) in der Folgezeit für erledigt erklärt.

Auf einen am 03.08.1992 beim Arbeitsamt Leipzig gestellten Leistungsantrag bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 09.09.1992 Arbeitslosengeld (Alg) im Wege der Gleichwohlgewährung i. H. v. 514,80 DM wöchentlich (entspricht einem täglichen Leistungssatz von 85,80 DM). Die Leistungsbemessung erfolgte auf der Grundlage eines gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelts von 1.220,00 DM, der Leistungsgruppe C sowie nach dem erhöhten Leistungssatz.

Mit Schreiben vom 22.03.1993 wies die Beklagte den Kläger und dessen frühere Arbeitgeberin darauf hin, dass im Hinblick auf das ihr bekannt gewordene arbeitsgerichtliche Verfahren vorsorglich ein Erstattungsanspruch gem. § 117 Abs. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) geltend gemacht werde. Die Arbeitgeberin erbat daraufhin zunächst mit Schreiben vom 24.03.1993 von der Beklagten die Mitteilung des an den Kläger ausgezahlten Alg, um den Erstattungsanspruch berücksichtigen zu können. Nachdem die Beklagte daraufhin einen Erstattungsanspruch i. H. v. 8.837,40 DM angemeldet hatte, lehnte sie jedoch unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingelegte Berufung mit Schreiben vom 16.07.1993 und vom 29.09.1994 die Erfüllung dieser Erstattungsforderung ab. Die im arbeitsgerichtlichen Verfahren vereinbarten (Abfindungs-)Zahlungen seien bereits an den Kläger erfolgt. Mit Schreiben vom 08.11.1994 teilte die Beklagte der Arbeitgeberin daraufhin mit, durch den Vergleich vom 09.11.1993 bestehe kein Anspruchsübergang nach § 117 Abs. 4 AFG mehr. Die vorausgegangene Zahlungsaufforderung werde storniert.

Mit Bescheid vom 08.11.1994 stellte die Beklagte gegenüber dem Kläger das Ruhen des Anspruchs auf Alg für 105 Kalendertage bis zum 12.11.1992 fest, weil er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung i. H. v. 33.000,00 DM erhalten habe bzw. beanspruchen könne. Mit einem gesonderten Schreiben vom selben Tage (Anhörungsschreiben) wies sie ihn darauf hin, dass er deshalb Alg i. H. v. 7.550,40 DM zu Unrecht bezogen habe, weil durch den Vergleich vom 09.11.1993 das Arbeitsverhältnis zum 31.07.1992 beendet worden sei und er gegen den Arbeitgeber eine Abfindung i. H. v. 33.000,00 DM erhalten habe. In einer Stellungnahme vom 24.11.1994 lehnte der Kläger daraufhin jede Zahlung an die Beklagte ab.

Mit Bescheid vom 14.12.1994 verlangte die Beklagte vom Kläger die Erstattung von Alg für den Ruhenszeitraum vom 03.08.1992 bis zum 12.11.1992 i. H. v. insgesamt 7.550,40 DM. Als Rechtsgrundlage gab sie § 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) an. Eine Äußerung des Klägers zu diesem Bescheid ist den Leistungsunterlagen nicht zu entnehmen.

Ein Schreiben des Klägers vom 28.02.1995, mit welchem sich dieser gegen eine Zahlungsaufforderung seitens des Landesarbeitsamtes Sachsen wandte, wertete die Beklagte als Überprüfungsbegehren. Durch "Überprüfungsbescheid" vom 18.04.1995 lehnte sie eine Aufhebung ihrer Erstattungsforderung ab. Bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei die Kündigungsfrist von sechs Monaten nicht eingehalten worden, so dass die ihm zugesprochene Abfindung (nach § 117 Abs. 2 und 3 AFG) angerechnet werde. Das Alg ruhe daher für 105 Kalendertage bis zum 12.11.1992 und sei vom Kläger mithin zurückzuzahlen. Hiergegen legte der Kläger am 02.05.1995 sinngemäß Widerspruch ein und lehnte wiederum die von ihm geforderte Erstattung ab. Mit Schreiben vom 16.08.1996 erteilte die Beklagte daraufhin gegenüber der früheren Arbeitgeberin des Klägers die Genehmigung der Zahlung der auf sie übergegangenen Ansprüche an den Kläger. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.1996 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und erhöhte darüber hinaus gleichzeitig die gegenüber diesem geltend gemachte Erstattungsforderung auf insgesamt 8.665,80 DM. Bei einem dem Kläger zustehenden Leistungssatz von täglich 85,80 DM ergebe sich für 101 Leistungstage der Betrag in der nunmehr genannten Höhe. Im Übrigen habe die Überprüfung nicht zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides geführt. Vielmehr habe der Anspruch des Klägers auf Alg geruht, da ihm unter Berücksichtigung des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geschlossenen Vergleichs (nachträglich) Arbeitsentgelt bis zum 30.11.1992 zuerkannt worden sei. Mit der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses zum 31.07.1992 sei die vertragliche 6-monatige Kündigungsfrist, bei deren Einhaltung das Arbeitsverhältnis bis zum 30.11.1992 gedauert hätte, nicht eingehalten worden. Daher sei die dem Kläger zuerkannte Abfindung (i. H. v. 33.000,00 DM) "um 55 v. H. zu mindern", was einen zu berücksichtigenden Anteil i. H. v. 18.150,00 DM ergebe. Dieser Betrag geteilt durch das dem Kläger kalendertäglich zustehende Arbeitsentgelt von 173,33 DM führe zu einem Ruhen des Alg für volle 104 Kalendertage. Im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.07.1992 beginne der Ruhenszeitraum somit am 01.08.1992 und ende am 12.11.1992. Wegen eines gleichzeitig abgegoltenen Urlaubs für 17 Kalendertage verlängere sich der Ruhenszeitraum bis zum 27.11.1992, so dass ein Anspruch auf Zahlung von Alg ab dem 28.11.1992 bestehe.

Gegen die Entscheidungen der Beklagten hat der Kläger am 28.08.1996 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. Eine Urlaubsabgeltung habe ihm seine Arbeitgeberin nicht gezahlt. Aufgrund der Vereinbarungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren sei im Übrigen auch allein diese zur Erstattung sämtlicher Forderungen aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und auch aus der Zahlung von Alg verpflichtet.

Ein von der Beklagten am 09.10.1996 abgegebenes Teilanerkenntnis, in welchem die Erstattungsforderung wieder auf insgesamt 7.550,40 DM beschränkt wurde, da dem Kläger keine Urlaubsabgeltung gezahlt worden sei, hat der Kläger (sinngemäß) angenommen.

Mit Urteil vom 14.08.1998 hat das Sozialgericht (SG) die Klage im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der Bescheid vom 14.12.1994 Gegenstand des (Verwaltungs-)Verfahrens geworden sei. Die Beklagte habe jedenfalls durch eine Überprüfung gem. § 44 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB X) und den Bescheid vom 18.04.1995 dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Im Ergebnis habe die Beklagte eine Änderung der Erstattungsforderung zu Gunsten des Klägers zu Recht abgelehnt. Insoweit hat das SG in den Entscheidungsgründen des Urteils gem. § 136 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im Wesentlichen auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen und ergänzend darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeberin aufgrund der Erklärungen des Beklagten bei der Auszahlung der vereinbarten Abfindung mit befreiender Wirkung geleistet habe.

Gegen das ihm am 03.09.1998 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 10.09.1998 Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung gerügt, der Zugang des Erstattungsbescheides vom 14.12.1994 sei nicht nachgewiesen. Ebenso sei ihm ein Schreiben vom 18.04.1995 nicht zugegangen, weil das von ihm an die im arbeitsgerichtlichen Verfahren tätig gewordenen Rechtsanwälte erteilte Mandat erloschen sei. Mit der "Güteverhandlung vom 09.11.1993" (beim Landesarbeitsgericht) seien alle anhängigen Verfahren beendet worden. Seine ehemalige Arbeitgeberin sei von der Rückforderung nicht befreit worden. Deren Angaben, die nicht der Wahrheit entsprächen, seien ungeprüft übernommen worden. Der (arbeitsgerichtliche) Vergleich sei mit der Maßgabe abgeschlossen worden, dass der bei der früheren Arbeitgeberin (seitens der Beklagten) "mit Datum 14.04.1993 geltend gemachte Erstattungsanspruch" bereits beglichen worden sei. Es sei keinesfalls ihm anzulasten, wenn es im Nachhinein, unter welchen Umständen auch immer, zu einer Befreiung der früheren Arbeitgeberin von der Erstattungspflicht gegenüber der Beklagten gekommen sei.

Die Beklagte hat sich in ihrer Berufungserwiderung vom 23.11.1998 dem angefochtenen Urteil angeschlossen. Die dem Kläger gezahlte Abfindung i. H. v. 33.000,00 DM führe zum Ruhen des Alg-Anspruchs für den Zeitraum bis 12.11.1992. Die ehemalige Arbeitgeberin habe den streitigen Betrag an den Kläger mit befreiender Wirkung geleistet. Die Beklagte habe auch nachträglich die Auszahlung genehmigen können. Es könne ohne entsprechenden Hinweis im Vergleich keine Verpflichtung der Arbeitgeberin angenommen werden, neben der Auszahlung der Abfindung auch noch den Erstattungsanspruch der Beklagten wegen der Zahlung des Alg erfüllen zu müssen. Daher habe der Kläger "im Rahmen der Gleichwohlgewährung" das ausgezahlte Alg zu erstatten.

In seinen dazu abgegebenen Stellungnahmen hat der Kläger demgegenüber weiterhin geltend gemacht, entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Abfindung an ihn nicht nachträglich aufgrund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs ausgezahlt worden. Vielmehr seien seine Ansprüche "entsprechend der Urteile und des Vergleichs" vom Arbeitgeber durch Zahlungen im August 1993 (i. H. v. 26.000,00 DM), im Dezember 1993 (Differenzzahlung von 7.000,00 DM) und im April 1994 (Gehaltszahlung für die Zeit vom 13.07. bis 31.07.1992 i. H. v. 2846,39 DM) befriedigt worden. Ein gesonderter Hinweis im Vergleich "auf eine bereits getätigte Verpflichtung zur Rückzahlung des Arbeitslosengeldes an die Bundesanstalt für Arbeit" sei daher entbehrlich gewesen. Im Übrigen habe die Beklagte weder bei der Anhörung vom 18.04.1995 noch mit dem Erstattungsbescheid vom 14.12.1995, deren Zugang nicht nachgewiesen werden könne, "die Zwei-Jahres-Frist eingehalten".

Zur weiteren Überprüfung der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse hat der Senat eine Auskunft der für den Kläger in den arbeitsgerichtlichen Streitverfahren tätig gewordenen Rechtsanwälte ... über die näheren Umstände des im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Chemnitz am 09.11.1993 zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Vergleichs eingeholt. Auf den Inhalt des Auskunftsschreibens vom 28.08.2000 sowie die Stellungnahme des Klägers hierzu vom 03.10.2000 wird insoweit Bezug genommen. Zur abschließenden Klärung der seitens der ehemaligen Arbeitgeberin an den Kläger geleisteten Zahlungen und deren Zweckbestimmung hat der Kläger auf Anforderung des Senats mit Schreiben vom 10.02.2001 eine detaillierte Aufstellung vorgelegt und gleichzeitig nochmals eine chronologische Darstellung zu der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses und der deshalb geführten arbeitsgerichtlichen Verfahren abgegeben.

Auf Anfrage des Senats haben der Kläger mit Schreiben vom 17.02.2001 und die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.02.2001 jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. In einem weiteren Schreiben vom 17.03.2001 hat der Kläger ergänzend vorgetragen, aus den von ihm eingereichten Nachweisen ergebe sich die Unrechtmäßigkeit der streitigen Erstattungsforderung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14.08.1998 sowie die Bescheide der Beklagten vom 18.04.1995 und 14.12.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.1996 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der zum Verfahren beigezogenen Leistungsunterlagen der Beklagten, der Verfahrensakten der arbeitsgerichtlichen Verfahren (5 Sa 84/93 mit 3 Ca 3687/92 sowie 17 Ca 4824/93) und die Verfahrensakten aus beiden Rechtszügen des sozialgerichtlichen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem vom Kläger angegriffenen Urteil die Klage zu Recht abgewiesen und die Rechtmäßigkeit der streitigen Bescheide der Beklagten bestätigt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Überprüfung und Aufhebung der von der Beklagten mit dem Bescheid vom 14.12.1994 geltend gemachten Erstattungsforderung gem. § 44 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) liegen nicht vor.

Materiell-rechtliche Grundlage der von der Beklagten gegenüber dem Kläger geltend gemachten Erstattungsforderung ist § 117 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 AFG in der für die angefochtenen Bescheide der Beklagten maßgeblichen Fassung des Artikels 10 des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl. I S. 1824).

Gemäß § 117 Abs. 2 ruht der Anspruch auf Alg von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist geendet hätte, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten hat und dieses ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. Die hier noch maßgebliche Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tage der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nach § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG hat in solchen Fällen der Arbeitslose das Alg insoweit zu erstatten, wenn der Arbeitgeber die in den Absätzen 1 bis 3 a genannten Leistungen trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen gezahlt hat. Eine solche Sachverhaltsgestaltung liegt beim Kläger nach den im Klage- und Berufungsverfahren getroffenen Feststellungen vor.

Für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers mit der Firma Ingenieurtechnische Erschließung L ... GmbH war eine ordentliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsschluss vereinbart. Diese wäre bei der erstmaligen Kündigung durch den Arbeitgeber am 25.05.1992 mit Wirkung zum 30.11.1992 eingehalten gewesen. Sowohl diese Kündigung als auch die außerordentliche Kündigung vom 23.06.1992 sind aufgrund der Kündigungsschutzklagen des Klägers im arbeitsgerichtlichen Verfahren jedoch für unwirksam erklärt und das Beschäftigungsverhältnis von den Beteiligten in dem am 09.11.1993 geschlossenen Vergleich mit Wirkung zum 31.07.1992, d. h. also ohne Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist, bei gleichzeitiger Vereinbarung einer Abfindungszahlung an den Kläger aufgelöst worden. Von der Beklagten ist ungeachtet der anhängig gemachten Kündigungsschutzklagen dem Kläger auf Grund seiner Arbeitslosmeldung und seines Leistungsantrags vom 03.08.1992 im Hinblick auf die Freistellung von der Arbeitspflicht durch die Arbeitgeberin ab diesem Zeitpunkt Alg bewilligt (Bescheid vom 09.09.1992) und im Wege der so genannten Gleichwohlgewährung gezahlt worden. Nach Kenntniserlangung von dem Teilurteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 05.03.1993, in welchem die Unwirksamkeit der arbeitgeberseitigen Kündigung festgestellt worden war, sind sowohl der Kläger als auch dessen frühere Arbeitgeberin mit Schreiben der Beklagten vom 22.03.1993 ausdrücklich auf einen sich aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren möglicherweise ergebenden Erstattungsanspruch gemäß § 117 Abs. 4 AFG und den damit verbundenen gesetzlichen Forderungsübergang hingewiesen worden. Daraufhin teilte die frühere Arbeitgeberin des Klägers der Beklagten zwar zunächst die Absicht mit, eine eventuelle Erstattungsforderung der Beklagten zu befriedigen, lehnte jedoch nach Anmeldung eines Erstattungsanspruchs i. H. v. 8.837,40 DM durch die Beklagte in der Folgezeit die Befriedigung dieses Anspruchs unter Hinweis auf die im Kündigungsschutzverfahren eingelegte Berufung ab und zahlte vielmehr am 17.06.1993 den im Schlussurteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 23.04.1993 festgelegten Abfindungsbetrag i. H. v. 26.000,00 DM und sowie nach Abschluss des Vergleichs vor dem Landesarbeitsgericht Chemnitz am 09.11.1993 den sich zu der darin vereinbarten Gesamtabfindung i. H. v. 33.000,00 DM ergebenden Differenzbetrag von 7.000,00 DM am 23.12.1993 an den Kläger selbst aus. Ebenso gelangte der vom Kläger in einem weiteren Klageverfahren eingeklagte Restlohnanspruch (für die Zeit bis 31.07.1992) i. H. v. 2846,39 DM am 13.05.1994 zur Auszahlung an den Kläger. Diese auch vom Kläger in seiner Aufstellung vom 10.02.2001 bestätigten Zahlungen des Arbeitgebers hat der Kläger neben dem ihm von der Beklagten für den streitigen Zeitraum gewährten Alg entgegengenommen und damit über die darin enthaltenen Arbeitsentgeltansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis ungeachtet des ihm mitgeteilten gesetzlichen Forderungsübergangs auf die Beklagte verfügt.

Trotz des zunächst eingetretenen gesetzlichen Forderungsübergangs (§ 117 Abs. 4 AFG, § 115 Abs. 1 SGB X) konnte der frühere Arbeitgeber des Klägers mit der Auszahlung an diesen die Leistung mit befreiender Wirkung erbringen. Neben dem Regelfall einer befreienden Leistung nach §§ 412, 407 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) tritt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die befreiende Wirkung der Zahlung des Arbeitgebers auch dann ein, wenn die Beklagte Zahlungen, die zunächst ohne eine solche Wirkung an den Arbeitslosen erfolgt sind, nachträglich ausdrücklich oder konkludent genehmigt (vgl. BSG SozR 3-4100 § 117 Nr. 7 und Nr. 11; ebenso Heuer, in: Hennig/Kühl/Heuer/Henke, Kommentar zum AFG, § 117 Rn. 28). Eine solche nachträgliche Genehmigung hat die Beklagte spätestens mit dem Schreiben vom 16.08.1996 gegenüber der Arbeitgeberin erteilt.

Gegen die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Genehmigung der Auszahlung der Abfindung durch den Arbeitgeber an den Kläger und der nachfolgend darauf gestützten Geltendmachung der Erstattungsforderung gegenüber dem Kläger selbst bestehen nach Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgetragenen Einwände keine überzeugenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat weder die im Verwaltungs- und im Klageverfahren durchgeführte Überprüfung noch die aufgrund des Vorbringens des Klägers vom Senat im Berufungsverfahren veranlassten ergänzenden Ermittlungen einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür ergeben, dass der Arbeitgeber des Klägers neben der im arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarten Gesamtabfindung i. H. v. 33.000,00 DM unter Anrechnung bereits gezahlter 26.000,00 DM (Ziffer 2 des Vergleiches) sich in einer auch für die - am arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligte - Beklagte verbindlichen Weise verpflichtet hätte, den Kläger auch von Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber dem Arbeitsamt freizustellen. Für die vom Kläger behauptete Regelung in diesem Sinn lässt sich eine hinreichende Grundlage weder aus dem Wortlaut der Vergleichsvereinbarungen selbst (Ziffer 1 bis 5) und dem sonstigen Inhalt der Niederschrift über die Verhandlungen in der öffentlichen Sitzung des Landesarbeitsgerichts Chemnitz am 09.11.1993 noch auch aus der vom Senat bei den damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers, den Rechtsanwälten ..., eingeholten schriftlichen Auskunft vom 28.08.2000 entnehmen. Aus der Auskunft der damaligen Prozessvertreter des Klägers ergibt sich vielmehr, dass beim Landesarbeitsgericht gerade hinsichtlich der Höhe der dem Kläger erstinstanzlich ausgesprochenen Abfindung Zweifel bestanden hatten und deshalb "einerseits die möglichen Gehaltsansprüche des Klägers und andererseits die Höhe der Abfindung zur Diskussion" gestanden hatten. Der dann vor dem Landesarbeitsgericht abgeschlossene Vergleich wird bei dieser Ausgangslage ausdrücklich als Kompromiss bezeichnet, bei dem der Kläger schlechtergestellt war, als wenn er zusätzlich zu der Abfindung noch die gesamte Differenz zu dem bezogenen Alg bekommen hätte, jedoch besser, als wenn er nur die Abfindung bezogen hätte. Aufgrund dieser Darstellung ist ein Sachverhalt, bei dessen Vorliegen der Beklagten eine nachträgliche Genehmigung der Auszahlung der gesamten Abfindungssumme an den Kläger durch die ehemalige Arbeitgeberin bei gleichzeitiger Geltendmachung des Erstattungsanspruches aus § 117 Abs. 4 Satz 2 AFG gegenüber dem Kläger rechtlich verwehrt wäre, nicht festzustellen.

Der Kläger kann gegen die angefochtenen Bescheide auch nicht mit Erfolg die Versäumung einer ordnungsgemäßen, insbesondere fristgerechten Anhörung nach § 24 SGB X einwenden. Unbeschadet der Frage, ob allein ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht im Rahmen des Überprüfungsverfahrens gem. § 44 SGB X überhaupt zu einer Rechtwidrigkeitsfeststellung des Ausgangsbescheides führen kann (vgl. dazu zutreffend Steinwedel, Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X Rn. 31 ff.), hat die Beklagte den Kläger vor Erlass des Bescheides vom 14.12.1994 mit dem Schreiben vom 08.11.1994 zur beabsichtigten Entscheidung ordnungsgemäß angehört. Der Kläger hat sich dazu auch mit seiner ablehnenden Stellungnahme vom 24.11.1994 ausdrücklich geäußert.

Die für die Rücknahme und Erstattungsentscheidungen vorgeschriebene Zweijahresfrist gem. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist dagegen bei der hier angegriffenen Erstattungsentscheidung nach § 117 Abs. 4 AFG nicht einschlägig, denn die Erstattungsverpflichtung nach dieser Norm knüpft gerade nicht an eine Aufhebung einer vorausgegangenen - rechtswidrigen - Alg-Bewilligung sondern an die rechtmäßig erfolgte sog. Gleichwohlgewährung an.

Gegen die rechnerische Feststellung des Beginns und der Dauer des Ruhenszeitraums zwischen dem 03.08. und 12.11.1992 sind vom Kläger konkrete Bedenken nicht vorgetragen worden. Solche ergeben sich unter Berücksichtigung der auch vom Kläger bestätigten vollen Befriedigung seiner Arbeitsentgeltansprüche für die Zeit bis einschließlich 31.07.1992 auch nicht bei der vom Senat durchgeführten Überprüfung anhand der in den Leistungsakten enthaltenen Berechnungskriterien.

Nach alldem waren der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 14.12.1994 sowie die die Änderung dieser Entscheidung zu Gunsten des Klägers ablehnenden Bescheide vom 18.04.1995 und vom 25.09.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.1996 nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 14.08.1998 musste demnach ohne Erfolg bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten beruht unter Berücksichtigung des Verfahrensausgangs auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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