L 3 AL 127/98

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 12 AL 195/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 127/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.08.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des klägerischen Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) in der Zeit vom 16.09.1996 bis 03.05.1997.

Der am ... geborene und seit 1971 verheiratete Kläger ist Vater eines am ... geborenen Kindes. Er stand vom 12.05.1970 bis 09.01.1996 in einem Beschäftigungsverhältnis als Kraftfahrer bei der Firma ATS-Spedition R ... Ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 27.12.1995 betrug die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 40 Stunden. Im Zeitraum vom 01.07.1995 bis 31.12.1995 erzielte er ein Gesamtbruttoarbeitsentgelt in Höhe von 16.433,05 DM in einer Gesamtstundenzahl von 1.487,75 Stunden. Auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für das Jahr 1996 waren die Lohnsteuerklasse IV und ein Kinderfreibetrag eingetragen.

Auf die Arbeitslosmeldung und Antragstellung des Klägers vom 04.01.1996 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 02.02.1996 ab 10.01.1996 Alg für die Dauer von 572 Tagen nach der Leistungsgruppe A, dem erhöhten Leistungssatz, unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgeltes (BE) von 440,00 DM in Höhe von 221,40 DM wöchentlich. Dieses BE berechnete die Beklagte aus einem lt. Arbeitsbescheinigung im Bemessungszeitraum in 1.040 Stunden erzielten Bruttoarbeitsentgelt von 11.507,20 DM unter Zugrundelegung einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.

Vom 02.04.1996 bis 14.09.1996 arbeitete der Kläger wiederum als Kraftfahrer bei seinem früheren Arbeitgeber. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 17.09.1996 betrug die tarifliche Arbeitszeit 40 Wochenstunden. Der Kläger arbeitete tatsächlich jedoch 57 Stunden pro Woche. Er erzielte in der Zeit vom 02.04.1996 bis 30.04.1996 (= 21 Arbeitstage) ein Bruttoarbeitsentgelt von 2.881,35 DM. In der Zeit vom 01.05.1996 bis 14.09.1996 erhielt der Kläger wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers keinen Lohn.

Am 16.09.1996 meldete sich der Kläger erneut bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Fortzahlung von Alg. Mit Bescheid vom 10.10.1996 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 09.01.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit ab 16.09.1996 die Fortzahlung von Alg aus dem am 10.01.1996 entstandenen Anspruch für die Dauer von 501 Tagen nach unveränderten Leistungskriterien.

Gegen den Bescheid vom 10.10.1996 richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 24.10.1996. Laut Arbeitsbescheinigung seines Arbeitgebers habe er 57 Stunden wöchentlich gearbeitet. Die Beklagte gehe lediglich von 40 Wochenstunden aus. Dies sei unzutreffend.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Da der Kläger in der Zeit vom 02.04.1996 bis 14.09.1996 lediglich eine Zwischenbeschäftigung ausgeübt und hierdurch keine Anwartschaftszeit von 360 Kalendertagen erfüllt habe, sei Alg lediglich im Wege der Wiederbewilligung aus dem am 10.01.1996 entstandenen Anspruch zu gewähren. Maßgeblich für die Höhe des Alg sei das in dem diesbezüglichen vom 01.07.1995 bis 31.12.1995 dauernden Bemessungszeitraum erzielte Bruttoarbeitsentgelt sowie die während dieser Zeit geleisteten Arbeitsstunden. Der Kläger habe in 1.040 bezahlten Arbeitsstunden (wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden) ein Bruttoarbeitsentgelt von 11.507,20 DM erzielt. Hieraus resultiere ein gerundetes Arbeitsentgelt von 440,00 DM (11.507,20 DM: 1.040 Std. x 40 Std.). Nach der Leistungsverordnung für 1996 betrage der wöchentliche Leistungssatz bei dem in Leistungsgruppe A (= Steuerklasse IV) befindlichen Kläger mit einem Kind 221,40 DM.

Mit Schriftsatz vom 07.03.1997, eingegangen beim SG Chemnitz am 11.03.1997, hat der Kläger Klage erhoben.

Am 29.04.1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung der Höhe des ab 10.01.1996 bewilligten Alg. Die regelmäßige Arbeitszeit im Bemessungszeitraum habe 56,9 Stunden betragen.

Am 05.05.1997 nahm der Kläger erneut eine Beschäftigung auf.

Am 08.07.1997 erließ die Beklagte einen ablehnenden Bescheid, in dem sie auf die Urteile des BSG vom 12.12.1990, (Az: 11 RAr 49/89) und vom 09.11.1983 (Az: 7 RAr 42/82) verwies. Maßgeblich für die Berechnung der Höhe des Alg sei die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit. Diese habe gemäß § 5 Ziffer 1 des Mantel-Tarifvertrages (MTV) für die gewerblichen Arbeitnehmer des Verkehrsgewerbes des Freistaates Sachsen 40 Stunden betragen. Zwar sei in § 5 Ziffer 2 MTV vorgesehen, dass - soweit es die betrieblichen Verhältnisse erforderten - die Arbeitszeit pro Woche unter Beachtung des Arbeitszeitgesetzes auf bis zu 60 Stunden ausgedehnt werden könne, wenn innerhalb eines halben Jahres ein Zeitausgleich erfolge. Die werktägliche Arbeitszeit dauere jedoch gemäß § 3 Arbeitszeitgesetz maximal 8 Stunden. Eine vom Kläger geleistete höhere Arbeitszeit sei nicht zu berücksichtigen, weil die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, auf die das Gesetz abstelle, 40 Stunden betragen habe.

Den Widerspruch des Klägers vom 05.11.1997 verwarf die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.1998 als unzulässig. Da über den Streitgegenstand bereits ein Verfahren am SG Chemnitz anhängig sei, sei ein weiteres diesbezügliches Vorverfahren gemäß § 94 Abs. 2 SGG unzulässig.

Mit Urteil vom 20.08.1998 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Da der Kläger auf Grund der vom 02.04.1996 bis 14.09.1996 aufgenommenen Zwischenbeschäftigung mangels der Erfüllung der Anwartschaftszeit keinen Neuanspruch auf Alg erworben habe, sei auf das im gemäß § 112 Abs. 2 AFG vom 01.07.1995 bis 31.12.1995 dauernden Bemessungszeitraum durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt vervielfältigt mit der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstundenzahl abzustellen. Der MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer des Verkehrsgewerbes des Freistaates Sachsen sei gemäß § 112 Abs. 4 Nr. 2 AFG maßgeblich. Dieser sehe in § 5 Abs. 1 eine regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vor. Ausweislich der vorgelegten Lohnbescheinigungen für Juli bis Dezember 1995 seien die Soll-Arbeitsstunden auch auf dieser Basis ausgewiesen und darüberhinaus geleistete Stunden als Mehrarbeitszuschläge vergütet worden. Das Bemessungsentgelt von 440,00 DM sei im Ergebnis zutreffend ermittelt worden (berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt i. H. v. 16.433,05 DM: Gesamtstundenzahl von 1.471,25 x tarifl. regelm. wöchentl. Arbeitszeit v. 40 Std.).

Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich Empfangsbekenntnisses vom 18.09.1998 zugestellte Urteil haben diese am 15.10.1998 Berufung eingelegt. Gemäß dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 (NZS 2000 S. 345), habe sich die Bemessung der Höhe der jeweiligen Lohnersatzleistung grundsätzlich an dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zu orientieren. Das sei lediglich bei kurzfristigen Lohnersatzleistungen nicht geboten. Das Alg sei nicht als kurzfristige Leistung anzusehen. Zudem sehe § 5 Nrn. 2 und 3 MTV eine Öffnungsklausel vor, nach der die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit abweichend festgelegt werden könne.

In der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2001 haben die Beteiligten erklärt, sie unterwürfen sich bezüglich der Zeit vom 10.01.1996 bis 01.04.1996 dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts. Der Bescheid vom 08.07.1997 und der Widerspruchsbescheid vom 02.02.1998 sollten nicht Gegenstand dieses Verfahrens sein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.08.1998 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 10.10.1996 und vom 09.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.1997 zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum vom 16.09.1996 bis 03.05.1997 Arbeitslosengeld auf der Basis einer Wochenarbeitszeit von 57 Stunden zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Vereinbarung im Sinne des § 5 Nr. 3 MTV sei in Betrieben, in denen Betriebsräte vorhanden seien, nur auf Grund einer Betriebsvereinbarung möglich, in anderen Betrieben bedürfe es einer schriftlichen Vereinbarung. Beides liege im Falle des Klägers nicht vor.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes hat der Senat auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Leistungsakte der Beklagten, die er zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG Chemnitz im Urteil vom 20.08.1998 die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 10.10.1996 und 09.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.1997 sind im Ergebnis rechtmäßig.

I.

Dem Kläger steht ab 16.09.1996 kein neuer Anspruch auf Alg wegen der vom 02.04.1996 bis 14.09.1996 durchgeführten Zwischenbeschäftigung zu. Gemäß § 100 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vom 25.06.1969 (BGBl. I S. 582, i. F. d. Artikel 10 des Gesetzes zur Änderungen des SGB VI und anderer Gesetze vom 15.12.1995, BGBl. I S. 1824), hat derjenige einen Anspruch auf Alg, der arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaftszeit erfüllt und sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet sowie Alg beantragt hat. Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 104 Abs. 1 AFG erfüllt, wer in der Rahmenfrist von 360 Kalendertagen in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat. Die Rahmenfrist geht gemäß § 104 Abs. 2 AFG dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind. Nach § 104 Abs. 3 AFG beträgt die Rahmenfrist drei Jahre; sie reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein.

Da die vorangegangene Rahmenfrist im Falle des Klägers am 09.01.1996 endete, dauerte die Rahmenfrist für die Prüfung des Anspruchs vom 10.01.1996 bis 15.09.1996 (Tag vor der Arbeitslosmeldung). In diesem Zeitraum stand der Kläger keine 360 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf ein höheres Alg aus dem am 10.01.1996 entstandenen Anspruch zu. Gemäß § 111 Abs. 1 AFG beträgt das Alg für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des Steuerrechts haben, 67 v.H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgeltes. Arbeitsentgelt in diesem Sinne ist gemäß § 112 Abs. 1 AFG das Arbeitsentgelt, dass der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat. Mehrarbeitszuschläge bleiben außer Betracht. Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 AFG die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten sechs Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Für die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgeltes wird das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt gemäß § 112 Abs. 3 AFG mit der Zahl der Arbeitsstunden vervielfacht, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt. Als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ist gemäß § 112 Abs. 4 AFG die wöchentliche Arbeitszeit zu Grunde zu legen, wenn ein Tarifvertrag für Teile des Jahres eine unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeit vorsah, die wöchentliche Arbeitszeit, die sich als Jahresdurchschnitt ergibt (Nr. 1), oder wenn keine tarifliche Arbeitszeit bestand, die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen oder, falls auch eine solche tarifliche Regelung nicht bestand, die für gleiche oder ähnliche Beschäftigungen übliche Arbeitszeit (Nr. 2).

Unter dem Begriff der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist die Wochenarbeitszeit zu verstehen, die nach dem Tarifvertrag die regelmäßige ist (BSG SozR 4100 § 112 Nr. 14). Regelmäßig ist eine Wochenarbeitszeit dann, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, regelmäßig die vereinbarten Arbeitsstunden zu arbeiten, er aber andererseits auch einen Anspruch darauf hat, dass der Arbeitgeber die Vergütung nach Maßgabe der tariflich vereinbarten Arbeitszeit zahlt, ungeachtet dessen, ob der Arbeitgeber auch Verwendung für die Arbeit hat (BSG, SozR 4100 § 112 Nr. 2).

Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ist jedenfalls diejenige Arbeitszeit, die der Tarifvertrag ausdrücklich als solche vorsieht. Lässt der Tarifvertrag eine höhere regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit zu, so gilt diese als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, wenn der Tarifvertrag eine Erhöhung der Arbeitszeit nicht lediglich aus besonderem Anlass zulässt, sondern die höhere regelmäßige Arbeitszeiten generell festgesetzt werden kann und dies auch für das konkrete Arbeitsverhältnis gewollt ist.

Eine regelmäßige tarifliche Arbeitszeit liegt bezüglich einer über 40 Stunden hinausgehenden Arbeitszeit nicht vor, wenn der betreffende Tarifvertrag zwar "Mehrarbeit" zulässt, er die regelmäßige Arbeitszeit aber auf 40 Stunden begrenzt. Eine hierüber hinausgehende Arbeitszeit widerspräche dem Regel-Ausnahme-Verhältnis und kann daher nicht dauerhaft vereinbart werden und folglich auch nicht die regelmäßige Arbeitszeit sein (BSG SozR 4100 Nr. 14; Brand: in Niesel, AFG, 2. Aufl., Rdnr. 18 ff. zu § 112 AFG).

Zweck der Regelungen des § 112 AFG ist nicht in erster Linie die Sicherung eines auf vergangenen Einkünften beruhenen Lebensstandards. Zweck ist vielmehr, einen Ausgleich für die Einkünfte zu schaffen, die dem Arbeitslosen entgehen. Es ist folglich darauf abzustellen, was er in einem neuen Arbeitsverhältnis verdienen könnte, wenn er einen Arbeitsplatz im bisherigen Beruf finden würde. Grund dieser Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitszeit auf die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ist die Annahme, dass ein Arbeitsloser, der im Bemessungszeitraum eine tarifliche überdurchschnittliche Arbeitsleistung erbracht hat, keine oder kaum Gelegenheit haben wird, dies in einem neuen Arbeitsverhältnis zu wiederholen.

Der Bemessungszeitraum dauerte vorliegend vom 01.07.1995 bis 31.12.1995. Ausweislich der vom Kläger vorgelegten Lohnbescheinigungen für den Bemessungszeitraum erzielte er ein Brutto-Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 16.433,05 DM bei einer geleisteten Arbeitsstundenzahl von 1.471,25.

Die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Bemessungszeitraum betrug 40 Stunden. Dem SG ist darin zuzustimmen, dass letztlich dahinstehen kann, ob der MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer und kaufmännischen und technischen Angestellten des Verkehrsgewerbes im Land Sachsen vom 01.01.1994 (MTV) gemäß § 112 Abs. 4 Nr. 1 AFG maßgeblich war. Eine Allgemeinverbindlicherklärung liegt - wie vom SG zutreffend ausgeführt - ebenso wenig vor wie eine Tarifbindung des Arbeitgebers ATS (§§ 4, 5 Tarifvertraggesetz). Auch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung lässt sich nicht konkret, allenfalls durch die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses (Zahlung von Tariflohn in Höhe von 11,00 DM) feststellen.

Falls der MTV jedoch nicht gemäß § 112 Abs. 4 Nr. 1 AFG zur Bestimmung der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zu Grunde zu legen wäre, fände er dennoch gemäß § 112 Abs. 4 Nr. 2 AFG Berücksichtigung. Danach ist, wenn keine tarifliche Arbeitszeit besteht, die tarifliche Arbeitszeit für gleiche oder ähnliche Beschäftigte maßgeblich. Der Kläger arbeitete als Kraftfahrer eines sächsischen Speditionsunternehmens. Auf vergleichbare Beschäftigte war im maßgeblichen Zeitraum der MTV anzuwenden. Gemäß seines § 1 galt er für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditionsgewerbes im Land Sachsen.

Gemäß § 5 Ziff. 1 MTV beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit einschließlich der Arbeitsbereitschaft, jedoch ausschließlich der Pausen, 40 Stunden. Nach § 5 Ziff. 2 MTV kann, soweit es die betrieblichen Verhältnisse erfordern, unter Beachtung des Arbeitszeitgesetzes die Arbeitszeit in einer Woche bis zu 60 Stunden ausgedehnt werden. Ziff. 3 des § 5 MTV bestimmt, dass abweichend von § 5 Ziff. 1 MTV eine flexible Arbeitszeit in einem Arbeitszeitkonto vereinbart werden kann. Dieses muss in Betrieben mit Betriebsräten in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden; in Betrieben ohne Betriebsrat bedarf die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos einer individuellen Vereinbarung. § 5 Ziff. 3 MTV verweist auf die Protokollnotiz 1.

In dieser Protokollnotiz stellen die Tarifvertragsparteien klar, dass auch bei der Führung eines Arbeitszeitkontos eine durchschnittlich regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche gilt. Bei einer Flexibilisierung der Arbeitszeit kann, beginnend bei mehr als 200 Stunden im Monat im Güter- und Personenverkehr, die Differenz zwischen der tatsächlichen Arbeitszeit und der regelmäßigen Stundenzahl auf ein Arbeitszeitkonto angelegt werden. Dieses ist am Monatsende abzurechnen. Im Monat mit wenig Arbeitsanfall kann eine Aufrechnung der Stunden des Arbeitszeitkontos zur Höhe der monatlichen Arbeitszeit erfolgen. Das Arbeitszeitkonto ist innerhalb von 12 Monaten, jedoch maximal bis zum Ablauf des auf den 12-Monats-Zeitraum folgenden Vierteljahres, auszugleichen.

Gemäß § 3 des Arbeitszeitgesetzes (ATG) vom 06.06.1994, (BGBl. I S. 1170), auf den § 5 Ziffer 2 MTV Bezug nimmt, darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer 8 Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 10 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von 6 Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Gemäß § 7 Abs. 1 ATG kann ein Tarifvertrag abweichend von § 3 vorsehen, dass die Arbeitszeit über 10 Stunden werktäglich auch ohne Ausgleich verlängert werden kann, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt (a.), einen anderen Ausgleichszeitraum festlegen (b.), ohne Ausgleich die Arbeitszeit auf bis zu 10 Stunden werktäglich an höchstens 60 Tagen im Jahr verlängern (c.).

Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Ziff. 1 MTV und der Ziff. 1 der Protokollnotiz zu § 5 Ziff. 3 MTV betrug die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden. § 5 Ziff. 2 und 3 MTV enthalten im Gegensatz zu Ziff. 1 keine Regelung über die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, sondern normieren lediglich Arbeitszeitverschiebungen im Rahmen der §§ 3 und 7 ATG, mithin Ausnahmefälle.

Selbst für den Fall, dass man entgegen dem Wortlaut des § 5 Ziff. 2 MTV eine von den Tarifvertragsparteien eröffnete Möglichkeit der Verlängerung der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit sehen sollte, bedürfte eine solche der Vereinbarung. Wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt, existierte eine diesbezügliche Betriebsvereinbarung nicht. Eine individuelle Vereinbarung war ebenso wenig vorhanden. Aus den Soll-Stunden der Gehaltsabrechnungen ist jedoch klar ersichtlich, dass von den Arbeitsvertragsparteien auch tatsächlich eine 40-Stunden-Woche zugrunde gelegt wurde.

Im Falle des Klägers wurde die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos - wie sich sowohl aus dem Arbeitsvertrag des Klägers vom 02.01.1991 als auch vor allem aus den vorgelegten Lohnabrechnungen ergibt - nicht vereinbart. Die Lohnabrechnungsbelege enthalten in der Spalte "Bestand Zeitkonto" keine Einträge.

III.

Die Regelung des § 112 AFG stellt keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot oder das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (GG) dar. Sowohl das Bundesverfassungsgericht (SozR 4100 § 112 Nr. 10 und Nr. 14) als auch das BSG (SozR 4100 § 122 Nr. 6) gehen übereinstimmend davon aus, dass im Geltungsbereich des AFG zulässigerweise eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen entrichteten Beträgen und der Höhe der Leistung nicht erreicht werden muss. Verfassungsrechtlich ist es daher nicht geboten, dass sich die in ihrer absoluten und relativen Höhe nicht sehr beträchtlichen Beitragsanteile, die auf höhere Arbeitsentgelte entfallen, leistungssteigernd auswirken (BVerfG a.a.O.; Schwertfeger, Die Sozialgerichtsbarkeit 1975, S. 349, 353; BSG, Urteil vom 23.09.1980, 7 RAr 109/79). Dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entspricht die Vorschrift des § 112 AFG bereits dadurch, dass sie dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leistet, den dieser dadurch erleidet, dass er keinen Arbeitsplatz findet, in dem er das im vorigen Beschäftungsverhältnis erzielte Arbeitsentgelt realisieren kann (BVerfG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 23.09.1980, 7 RAr 109/79).

Entgelt für gewöhnlich geleistete Mehrarbeit kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei der Berechnung von Alg unterschiedlich auswirken. Die Vergütung für regelmäßige Überstunden eines Arbeitnehmers mit tarifvertraglich kürzerer Arbeitszeit wirkt sich anders aus als diejenige eines Arbeitnehmers, der weder eine tarifliche noch eine vergleichbare Beschäftigung ausübt. Bei der einen Gruppe wird nach § 112 Abs. 2 AFG nur die tarifliche Arbeitszeit berücksichtigt; ein etwaiger Überstundenzuschlag verbessert dabei nur geringfügig den maßgeblichen Durchschnittsverdienst. Bei der anderen Gruppe geht die übliche Arbeitszeit selbst dann in die Berechnung des Alg ein, wenn sie durch Mehrarbeit geprägt ist (§ 112 Abs. 4 Nr. 2 letzter Halbsatz AFG). Indessen liegt der gesetzlichen Regelung bei diesen unterschiedlichen Berechnungen die gleiche Überlegung zu Grunde. Diese geht nämlich für beide Personengruppen davon aus, dass die übliche regelmäßige Arbeitszeit für die Bemessung des Alg maßgeblich sein soll. Sie will Besonderheiten, wie sie in der Leistung von Überstunden, aber auch bei Kurzarbeit vorliegen können, unberücksichtigt lassen. Dieses Ziel wird für die weitaus meisten Fälle durch den Rückgriff auf den jeweiligen Tarifvertrag erreicht, weil Tarifverträge am ehesten Aufschluss über die in den verschiedenen Arbeitsbereichen übliche Arbeitszeit geben. Nur in den verhältnismäßig wenigen Fällen, in denen es an einem solchen Anknüpfungspunkt fehlt, greift die Regelung auf die tatsächlich übliche Arbeitszeit zurück. Grundsätzlich wird dieser Maßstab der Forderung nach gleicher Behandlung gleicher Lebenssachverhalte gerecht. In Einzelfällen kann sie dazu führen, dass bei der Berechnung des Alg nicht unerhebliche Unterschiede entstehen, wenn - wie im vorliegenden Fall - im Bemessungszeitraum Mehrarbeit geleistet worden ist. Insoweit handelt es sich dann um die Folge einer typisierenden Regelung, die insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen notwendig und verfassungsrechtlich hinnehmbar ist (vgl. BVerfGE 11, 245, 254; 17, 1, 23; 40, 121, 136; BVerfG SozR 4100 § 112 Nr. 10).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 (1 BvL 1/98; 1 BvL 4/98; 1 BvL 15/99). Nach dieser Entscheidung ist es von Verfassungs wegen auch bei der Bemessung kurzfristiger Lohnersatzleistungen nicht geboten, eine versicherungsmathematische Äquivalenz zwischen den entrichteten Beiträgen und der Höhe der Leistungen zu erzielen. Hierfür muss allerdings ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegen. Dass im Falle der Regelung des § 112 Abs. 2 und 4 AFG ein sachlich gerechtfertigter Grund gegeben ist, hat das Bundesverfassungsgericht in der bereits zitierten Entscheidung vom 03.04.1997 (BVerfG 4100 § 112 Nr. 10) bejaht. Die Regelung des AFG orientierte sich - anders als die des SGB III - gerade an dem vom Arbeitslosen zukünftig erzielbaren Entgelt. Ein Arbeitsloser konnte zwar auch während der Geltung des AFG davon ausgehen, bei einer künftigen Beschäftigung in den Genuss von Einmalzahlungen zu kommen, weil diese regelmäßig tarifvertraglich vorgesehen sind (hier: §§ 15, 16 des genannten MTV). Er konnte jedoch nicht davon ausgehen, dass er bei einem künftigen Arbeitgeber Gelegenheit haben würde, eine überdurchschnittliche Arbeitsstundenzahl zu leisten.

Bezüglich der Berechnung des Bemessungsentgeltes wird auf die zutreffenden Ausführung des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Bei der im Monat Juli gezahlten "Urlaubsabgeltung" i. H. v. 280,00 DM handelt es sich um Urlaubsgeld i. S. d. § 15 Ziff. 1 des MTV. Dieses ist dem Arbeitsentgelt i. S. d. § 112 Abs. 1 AFG nicht zuzurechnen (Brand, in: Niesel, AFG, 2. Aufl., Rdnr. 4 zu § 112; BSG SozR 4100 § 112 Nr. 30).

Unter Berücksichtigung einer regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ermittelte die Beklagte ausgehend vom erhöhten Leistungssatz (wegen des Vorhandenseins eines berücksichtigungsfähigen Kindes), der Leistungsgruppe A und einem Bemessungsentgelt von 440,00 DM wöchentlich zutreffend einen Leistungssatz von 221,40 DM.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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