Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AL 1174/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 233/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. November 2000 wird zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vor einer Entscheidung in der Hauptsache über die fristgerechte Klageerhebung.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf deren Antrag vom 13. Oktober 1997 mit Bescheid vom 17. November 1997 ab 01. November 1997 Arbeitslosengeld in Höhe vom 273,60 DM wöchentlich nach der, der Steuerklasse I, ohne Kinderfreibetrag, entsprechenden Leistungsgruppe A 0 und einem Bemessungsentgelt in Höhe von 730,00 DM.
Den dagegen am 04. Dezember 1997 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1998 zurück. Die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgeltes sei entsprechend einer Fiktiveinstufung nach dem Manteltarifvertrag der Metallindustrie, Gehaltsgruppe III/Gruppenjahr 2, wonach das Monatsentgelt 3.161,00 DM betrage, erfolgt. Unter Berücksichtigung der 38-Stunden-Woche ergebe sich daraus ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 730,00 DM.
Die am 30. März 1999 beantragte Überprüfung dieser Berechnung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. April 1999 ab. Die Bemessung der Leistung sei gemäß § 112 AFG zutreffend erfolgt.
Den dagegen am 07. Mai 1999 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 1999, der Klägerin mit einfachem Brief am selben Tag übersandt, als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 22. Oktober 1999 beim Sozialgericht Dresden Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, sie habe den Widerspruchsbescheid am 21. September 1999 erhalten.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin habe die Klage nicht fristgerecht erhoben. Die Neuregelung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG sei analog auf den Beginn der Klagefrist gemäß § 87 Abs. 2 SGG anzuwenden, mit der Folge, dass die Klagefrist mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu laufen begann. Bei dem Umstand, dass § 87 Abs. 2 SGG nicht gleichzeitig mit § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG durch das 5. SGG-ÄndG geändert wurde, handele es sich um eine Gesetzeslücke.
Das Sozialgericht hat die Zulässigkeit der Klage mit Zwischenurteil vom 23. November 2000 ausgesprochen. Im Zeitraum zwischen dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG durch das 5. SGG-ÄndG am 01. Juni 1998 und dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 87 Abs. 2 SGG durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 am 01. Januar 2000 habe eine Klagefrist, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, erst mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides zu laufen begonnen. Die Regelung sei abschließend und eindeutig. Eine planwidrige Gesetzeslücke liege nicht vor. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz sei auch für eine Analogie kein Raum.
Die Beklagte hat am 29. Dezember 2000 gegen das Zwischenurteil, zugestellt mit Empfangsbekenntnis am 05. Dezember 2000, Berufung eingelegt.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den Vortrag im Klageverfahren.
Die Beklagte beantragt,
das Zwischenurteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. November 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen und verfolgt ihr Klagebegehren weiter.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte des Sozialgerichts Dresden haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gem. § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Beteiligten haben dazu ihr Einverständnis gegeben.
Die Berufung gegen das Zwischenurteil ist statthaft. Das Sozialgericht hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache zugelassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Die Berufung ist auch im übrigen zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Zulässigkeit der Klage ausgesprochen.
Die Klage ist nicht verfristet. Denn die Klagefrist wurde mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides nicht in Gang gesetzt.
Gem. § 87 Abs.1 SGG ist die Klage binnen einen Monats nach Zustellung oder, wenn nicht zugestellt wird, nach Bekanntngabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, beginnt die Klagefrist gem. § 87 Abs. 2 SGG i. d. F. des 5. SGG-ÄndGes mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides. Die Beklagte hat hier den Widerspruchsbescheid vom 16. September 1999 mit einfachem Brief an die Klägerin übersandt. Damit hat die Beklagte keine förmliche Zustellung (§§ 2-15 Verwaltungszustellungsgesetz) vorgenommen. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin vielmehr bekannt gegeben. Nach § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG in der oben genannten Fassung ist die Beklagte nicht mehr zur Zustellung verpflichtet. Eine Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides ist danach ausreichend. Mit der Bekanntgabe wird aber die Klagefrist gem. § 87 Abs.2 SGG nicht in Lauf gesetzt (vgl. BSGE 39, 224, (225 f.) m.w.N.). Diese beginnt auch nicht ab dem tatsächlichen Erhalt des Widerspruchsbescheides. Die am 22. Oktober 1999 erhobene Klage ist deshalb nicht verfristet.
Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich der Normwiderspruch der §§ 85 Abs. 3 Satz 1, 87 Abs. 2 SGG in der oben genannten Fassung nicht im Wege der Analogie oder einschränkenden Auslegung lösen.
Der Gesetzgeber hat mit dem 5. SGG-ÄndG nur eine isolierte Änderung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG vorgenommen. Bis zum 31. März 1998 sah § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG alte Fassung für den Widerspruchsbescheid als Teil des Vorverfahrens vor, dass dieser den Beteiligten zuzustellen ist. Ab 01. April 1998 wurde nun § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG dahin geändert, dass "zuzustellen" durch "bekannt zu geben" ersetzt wurde. Begründet wurde diese Änderung mit einer Kostenentlastung durch Portoeinsparungen bei den Widerspruchsbehörden.
Eine analoge Anwendung des § 87 Abs.2 SGG kommt aber nicht in Betracht.
Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Änderung des § 85 Abs.3 SGG offensichtlich nur die Kostenentlastung im Blick. Denn die korrespondierende Regelung des § 87 Abs. 2 SGG, wonach die Klagefrist mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides beginnt, wurde nicht geändert. Damit hat der Gesetzgeber einen Normenwiderspruch geschaffen, den er mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz mit Wirkung vom 01. Januar 2000 korrigierte. Nunmehr läuft die Klagefrist nämlich bereits mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides.
Es kann dahingestellt bleiben, ob mit diesem Normwiderspruch eine die Analogie voraussetzende planwidrige Regelungslücke entstanden ist. Denn einer entsprechenden Anwendung des § 87 Abs.2 SGG steht jedenfalls Art. 19 Abs.4 Grundgesetz (GG) entgegen.
Art. 19 Abs.4 GG verbietet den Rechtswegausschluß. Zugangsbeschränkungen dürfen jedoch zulässigerweise normiert werden, soweit sie nicht unzumutbar und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen sind. Klage- und Ausschlußfristen dienen zum einen der Rechtssicherheit, sind aber auch aus Gründen der Verwaltungseffizienz notwendig. Gerade in einer Rechtsordnung, die die öffentliche Gewalt der gerichtlichen Kontrolle in weitem Umfang unterwirft, muß die Verwaltung verläßlich wissen, von wann ab sie ihre Entscheidungen als unangreifbar ansehen und an sie Folgeentscheidungen anknüpfen kann ( vgl, Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. IV, Rn. 233 ff.). Angesichts der strengen Folgen, die die Bestandskraft von Verwaltungsakten darüberhinaus auslöst, sind die notwendigen Rahmenbedingungen jedenfalls bewußt zu halten. Die Klagefristen müssen daher eindeutig und unmißverständlich geregelt werden. Ein Normenwiderspruch darf sich nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken. Das hätte die Berechnung der Klagefrist entsprechend § 87 Abs.2 SGG bei Bekanntgabe anstelle Zustellung des Widerspruchsbescheides aber zur Folge. Außerdem wäre die Berechnung der Klagefrist für den Rechtssuchenden nicht eindeutig normiert und würde der Formstrenge des Verfahrensrechts nicht gerecht. Danach besteht ein Unterschied zwischem der Bekanntgabe und der Zustellung eines Verwaltungsaktes. Die in § 87 Abs. 2 SGG vorausgesetzte Zustellung ist eine besondere Form der Bekanntgabe, nämlich die in gesetzlicher Form geführte und beurkundete Übergabe eines Schriftstückes mit dem Zweck, den Nachweis von Zeit und Ort der Übergabe zu sichern. Die Bekanntgabe wird diesem Zweck nicht gerecht.
Auch eine einschränkende Auslegung des § 87 Abs. 2 SGG dahingehend, dass der Fristbeginn nur für diejenigen Fälle eine Regelung enthält, in denen die Widerspruchsbehörden tatsächlich eine förmliche Zustellung statt einer Bekanntgabe vorgenommen hat, ist ebenfalls ausgeschlossen (vgl. Behn, Michael: Beginn der Klagefrist und Rechtsmittelbelehrung über Fraitbeginn, in: RV 12/98, S. 224). § 87 Abs. 2 SGG regelt ausdrücklich den Fristbeginn in all den Fällen, in denen ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn diese Form des Verfahrens nicht statthaft ist, d. h. der Widerspruch als Rechtsbehelf von vornherein nicht gegeben ist. Nur dann greift § 87 Abs. 1 SGG ein, d. h. die Frist beginnt ab Zustellung oder Bekanntgabe. Eine weitere Ausnahme sieht die Norm nicht vor. Der einschränkenden Auslegung würde darüberhinaus auch Art. 19 Abs.4 GG entgegenstehen. Auf die vorherigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Eine Kostenentscheidung ergeht im Endurteil.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung ist mit der Änderung des § 87 SGG zum 01. Januar 2000 entfallen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vor einer Entscheidung in der Hauptsache über die fristgerechte Klageerhebung.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf deren Antrag vom 13. Oktober 1997 mit Bescheid vom 17. November 1997 ab 01. November 1997 Arbeitslosengeld in Höhe vom 273,60 DM wöchentlich nach der, der Steuerklasse I, ohne Kinderfreibetrag, entsprechenden Leistungsgruppe A 0 und einem Bemessungsentgelt in Höhe von 730,00 DM.
Den dagegen am 04. Dezember 1997 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1998 zurück. Die Berechnung des in der Woche durchschnittlich erzielten Arbeitsentgeltes sei entsprechend einer Fiktiveinstufung nach dem Manteltarifvertrag der Metallindustrie, Gehaltsgruppe III/Gruppenjahr 2, wonach das Monatsentgelt 3.161,00 DM betrage, erfolgt. Unter Berücksichtigung der 38-Stunden-Woche ergebe sich daraus ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 730,00 DM.
Die am 30. März 1999 beantragte Überprüfung dieser Berechnung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. April 1999 ab. Die Bemessung der Leistung sei gemäß § 112 AFG zutreffend erfolgt.
Den dagegen am 07. Mai 1999 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 1999, der Klägerin mit einfachem Brief am selben Tag übersandt, als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 22. Oktober 1999 beim Sozialgericht Dresden Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, sie habe den Widerspruchsbescheid am 21. September 1999 erhalten.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin habe die Klage nicht fristgerecht erhoben. Die Neuregelung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG sei analog auf den Beginn der Klagefrist gemäß § 87 Abs. 2 SGG anzuwenden, mit der Folge, dass die Klagefrist mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu laufen begann. Bei dem Umstand, dass § 87 Abs. 2 SGG nicht gleichzeitig mit § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG durch das 5. SGG-ÄndG geändert wurde, handele es sich um eine Gesetzeslücke.
Das Sozialgericht hat die Zulässigkeit der Klage mit Zwischenurteil vom 23. November 2000 ausgesprochen. Im Zeitraum zwischen dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG durch das 5. SGG-ÄndG am 01. Juni 1998 und dem In-Kraft-Treten der Neufassung des § 87 Abs. 2 SGG durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 am 01. Januar 2000 habe eine Klagefrist, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, erst mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides zu laufen begonnen. Die Regelung sei abschließend und eindeutig. Eine planwidrige Gesetzeslücke liege nicht vor. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz sei auch für eine Analogie kein Raum.
Die Beklagte hat am 29. Dezember 2000 gegen das Zwischenurteil, zugestellt mit Empfangsbekenntnis am 05. Dezember 2000, Berufung eingelegt.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den Vortrag im Klageverfahren.
Die Beklagte beantragt,
das Zwischenurteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. November 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen und verfolgt ihr Klagebegehren weiter.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte des Sozialgerichts Dresden haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gem. § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Beteiligten haben dazu ihr Einverständnis gegeben.
Die Berufung gegen das Zwischenurteil ist statthaft. Das Sozialgericht hat die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache zugelassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Die Berufung ist auch im übrigen zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Zulässigkeit der Klage ausgesprochen.
Die Klage ist nicht verfristet. Denn die Klagefrist wurde mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides nicht in Gang gesetzt.
Gem. § 87 Abs.1 SGG ist die Klage binnen einen Monats nach Zustellung oder, wenn nicht zugestellt wird, nach Bekanntngabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, beginnt die Klagefrist gem. § 87 Abs. 2 SGG i. d. F. des 5. SGG-ÄndGes mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides. Die Beklagte hat hier den Widerspruchsbescheid vom 16. September 1999 mit einfachem Brief an die Klägerin übersandt. Damit hat die Beklagte keine förmliche Zustellung (§§ 2-15 Verwaltungszustellungsgesetz) vorgenommen. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin vielmehr bekannt gegeben. Nach § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG in der oben genannten Fassung ist die Beklagte nicht mehr zur Zustellung verpflichtet. Eine Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides ist danach ausreichend. Mit der Bekanntgabe wird aber die Klagefrist gem. § 87 Abs.2 SGG nicht in Lauf gesetzt (vgl. BSGE 39, 224, (225 f.) m.w.N.). Diese beginnt auch nicht ab dem tatsächlichen Erhalt des Widerspruchsbescheides. Die am 22. Oktober 1999 erhobene Klage ist deshalb nicht verfristet.
Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich der Normwiderspruch der §§ 85 Abs. 3 Satz 1, 87 Abs. 2 SGG in der oben genannten Fassung nicht im Wege der Analogie oder einschränkenden Auslegung lösen.
Der Gesetzgeber hat mit dem 5. SGG-ÄndG nur eine isolierte Änderung des § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG vorgenommen. Bis zum 31. März 1998 sah § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG alte Fassung für den Widerspruchsbescheid als Teil des Vorverfahrens vor, dass dieser den Beteiligten zuzustellen ist. Ab 01. April 1998 wurde nun § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG dahin geändert, dass "zuzustellen" durch "bekannt zu geben" ersetzt wurde. Begründet wurde diese Änderung mit einer Kostenentlastung durch Portoeinsparungen bei den Widerspruchsbehörden.
Eine analoge Anwendung des § 87 Abs.2 SGG kommt aber nicht in Betracht.
Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Änderung des § 85 Abs.3 SGG offensichtlich nur die Kostenentlastung im Blick. Denn die korrespondierende Regelung des § 87 Abs. 2 SGG, wonach die Klagefrist mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides beginnt, wurde nicht geändert. Damit hat der Gesetzgeber einen Normenwiderspruch geschaffen, den er mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz mit Wirkung vom 01. Januar 2000 korrigierte. Nunmehr läuft die Klagefrist nämlich bereits mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides.
Es kann dahingestellt bleiben, ob mit diesem Normwiderspruch eine die Analogie voraussetzende planwidrige Regelungslücke entstanden ist. Denn einer entsprechenden Anwendung des § 87 Abs.2 SGG steht jedenfalls Art. 19 Abs.4 Grundgesetz (GG) entgegen.
Art. 19 Abs.4 GG verbietet den Rechtswegausschluß. Zugangsbeschränkungen dürfen jedoch zulässigerweise normiert werden, soweit sie nicht unzumutbar und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen sind. Klage- und Ausschlußfristen dienen zum einen der Rechtssicherheit, sind aber auch aus Gründen der Verwaltungseffizienz notwendig. Gerade in einer Rechtsordnung, die die öffentliche Gewalt der gerichtlichen Kontrolle in weitem Umfang unterwirft, muß die Verwaltung verläßlich wissen, von wann ab sie ihre Entscheidungen als unangreifbar ansehen und an sie Folgeentscheidungen anknüpfen kann ( vgl, Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. IV, Rn. 233 ff.). Angesichts der strengen Folgen, die die Bestandskraft von Verwaltungsakten darüberhinaus auslöst, sind die notwendigen Rahmenbedingungen jedenfalls bewußt zu halten. Die Klagefristen müssen daher eindeutig und unmißverständlich geregelt werden. Ein Normenwiderspruch darf sich nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken. Das hätte die Berechnung der Klagefrist entsprechend § 87 Abs.2 SGG bei Bekanntgabe anstelle Zustellung des Widerspruchsbescheides aber zur Folge. Außerdem wäre die Berechnung der Klagefrist für den Rechtssuchenden nicht eindeutig normiert und würde der Formstrenge des Verfahrensrechts nicht gerecht. Danach besteht ein Unterschied zwischem der Bekanntgabe und der Zustellung eines Verwaltungsaktes. Die in § 87 Abs. 2 SGG vorausgesetzte Zustellung ist eine besondere Form der Bekanntgabe, nämlich die in gesetzlicher Form geführte und beurkundete Übergabe eines Schriftstückes mit dem Zweck, den Nachweis von Zeit und Ort der Übergabe zu sichern. Die Bekanntgabe wird diesem Zweck nicht gerecht.
Auch eine einschränkende Auslegung des § 87 Abs. 2 SGG dahingehend, dass der Fristbeginn nur für diejenigen Fälle eine Regelung enthält, in denen die Widerspruchsbehörden tatsächlich eine förmliche Zustellung statt einer Bekanntgabe vorgenommen hat, ist ebenfalls ausgeschlossen (vgl. Behn, Michael: Beginn der Klagefrist und Rechtsmittelbelehrung über Fraitbeginn, in: RV 12/98, S. 224). § 87 Abs. 2 SGG regelt ausdrücklich den Fristbeginn in all den Fällen, in denen ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn diese Form des Verfahrens nicht statthaft ist, d. h. der Widerspruch als Rechtsbehelf von vornherein nicht gegeben ist. Nur dann greift § 87 Abs. 1 SGG ein, d. h. die Frist beginnt ab Zustellung oder Bekanntgabe. Eine weitere Ausnahme sieht die Norm nicht vor. Der einschränkenden Auslegung würde darüberhinaus auch Art. 19 Abs.4 GG entgegenstehen. Auf die vorherigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Eine Kostenentscheidung ergeht im Endurteil.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Die grundsätzliche Bedeutung ist mit der Änderung des § 87 SGG zum 01. Januar 2000 entfallen.
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