L 3 AL 56/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AL 878/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 56/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides der Beklagten bezüglich des im Zeitraum vom 16.11.1998 bis 12.01.1999 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) sowie von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 1.901,44 DM.

Der am ... geborene Kläger meldete sich am 08.10.1998 arbeitlos und beantragte die Gewährung von Alg mit Wirkung vom 12.10.1998. Mit Bescheid vom 23.10.1998 bewilligte ihm die Beklagte Alg ab dem gewünschten Zeitpunkt nach der Leistungsgruppe A, dem allgemeinen Leistungssatz, einem Bemessungsentgelt von 390,00 DM in Höhe von 179,34 DM. Die Leistung zahlte sie bis zum 12.01.1999 aus.

Vom 16.11.1998 bis zum 12.01.1999 befand sich der Kläger im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt ... Am 02.12.1998 teilte der Sozialarbeiter der Strafvollzugsanstalt ..., Herr K ..., dies der Beklagten mit.

Am 18.01.1999 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung von Alg. Mit Schreiben vom 09.02.1999 übersandte er der Beklagten seinen Entlassungsschein. Daraus war ersichtlich, dass er vom 16.11.1998 bis 12.01.1999 inhaftiert war.

Mit Bescheid vom 15.03.1999 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg mit Wirkung vom 16.11.1998 auf. Der Kläger habe sich vom 16.11.1998 bis 12.01.1999 in Haft befunden. Er habe während dieser Zeit zu Unrecht Alg bezogen. Die Entscheidung beruhe auf § 48 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III. Der Kläger habe das überzahlte Alg in Höhe von 1.490,40 DM sowie die geleisteten Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 411,04 DM - insgesamt mithin 1.901,44 DM - zu erstatten.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 23.03.1999. Der Bescheid sei rechtswidrig, weil vor seinem Erlass keine Anhörung erfolgt sei. Bei objektiver Bearbeitung wäre zudem festzustellen gewesen, dass weder eine vorsätzliche, noch eine grob fahrlässige Negierung von Mitteilungspflichten vorgelegen habe. Er habe Herrn Korte beauftragt, seine Rechte und Pflichten zu vertreten. Durch ihn sei das Arbeitsamt von der Inhaftierung unterrichtet worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger sei während der Dauer der Haft vom 16.11.1998 bis 12.01.1999 nicht arbeitsfähig und deshalb nicht verfügbar im Sinne des § 119 Abs. 2 SGB III gewesen. Daher habe ihm kein Anspruch auf Alg zugestanden. Der Bewilligungsbescheid werde aus diesem Grunde gemäß § 48 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III aufgehoben. Von einer Anhörung gemäß § 24 SGB X habe man absehen können, da von den tatsächlichen Angaben des Klägers - nämlich der Dauer der Haft - nicht abgewichen worden sei. Der Kläger habe der Beklagten vor Antritt der Haft keine Mitteilung hierüber gegeben. Aus dem Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten" hätte ihm bekannt sein müssen, dass er verpflichtet war, das Arbeitsamt hierüber rechtzeitig zu informieren. Ferner lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 4 SGB X vor. Die Rückforderung der Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge basiere auf § 335 Abs. 1 SGB III.

Am 10.08.1999 hat der Kläger mündlich zu Protokoll des Sozialgerichts (SG) Dresden Klage erhoben.

Mit Gerichtsbescheid vom 16.02.2000 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 31.03.2000 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 15.03.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 19.07.1999 aufgehoben. Die Bescheide verstießen gegen die Anhörungspflicht. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen werde, der in die Rechte eines Beteiligten eingreife, sei diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine Anhörung sei vor Erlass des Bescheides vom 15.03.1999 nicht erfolgt. Sie sei auch nicht gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X entbehrlich gewesen. Nach der genannten Norm könne von einer Anhörung abgesehen werden, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder in einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Der Kläger habe lediglich die Dauer der Haft mitgeteilt, er habe hingegen nicht erklärt, er habe gewusst, dass ihm während der Dauer der Haft kein Alg zustehe. Die Annahme der Beklagten, die Abgabe der Entlassungsmitteilung beinhalte gleichzeitig eine Erklärung über die Kenntnis des Wegfalls des Anspruchs auf Alg, sei lebensfremd und entspreche nicht den Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X. Zwar habe sich der Kläger im Widerspruchsschreiben zur Verletzung der Mitteilungspflicht und somit zum Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X geäußert. Gleichwohl sei die Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren zu den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht entbehrlich gewesen. Die Beklagte sei in Abweichung von der Erklärung des Klägers im Widerspruchsbescheid zu Ungunsten des Klägers davon ausgegangen, dass er seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzt habe. Die Verletzung der Anhörungspflicht sei auch nicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X geheilt. Dem Kläger seien die entscheidungserheblichen Tatsachen weder durch ein Anhörungsschreiben noch durch den Bescheid vom 15.03.1999 mitgeteilt worden. Ausführungen zur Verletzung der Mitteilungspflicht und zur groben Fahrlässigkeit seien erstmals im Widerspruchsbescheid erfolgt.

Gegen den der Beklagten ausweislich Empfangsbekenntnisses am 21.02.2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese mit Schriftsatz vom 16.03.2000, eingegangen beim Sächsischen Landessozialgericht am 17.03.2000, Berufung eingelegt. Ein Anhörungsfehler liege nicht vor. Dem Zweck des rechtlichen Gehörs, auf das Verfahren Einfluss nehmen zu können, sei bereits durch die Angaben im Antrag Genüge getan.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 16.02.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes hat der Senat auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Leistungsakte der Beklagten, die er zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der mit der Berufung angegriffene Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 16.02.2000 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 15.03.1999 und der Widerspruchsbescheid vom 19.07.1999 sind rechtswidrig. Die Beklagte hat die Bewilligung von Alg im Bescheid vom 23.10.1998 zu Unrecht für den streitgegenständlichen Zeitraum aufgehoben und ebenfalls zu Unrecht die insoweit erbrachten Leistungen zurückgefordert.

Zu Recht hat das SG die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide wegen fehlerhafter Anhörung aufgehoben. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. § 24 SGB X gewährt mit Rücksicht auf das auch die Verwaltung verpflichtende Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz -GG-) das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger, wenn in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen werden soll. Die Norm will sicher stellen, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, auf das Verfahren der Sozialverwaltung und auf deren Entscheidung Einfluss zu nehmen, denn er darf nicht bloßes Objekt des Verwaltungsverfahrens werden. Damit hat der Gesetzgeber das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen verbessern wollen (Niels, Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anhörung, NVWZ 1982, S. 494).

I.

Eine ordnungsgemäße Anhörung ist vor Erlass des Bescheides vom 15.03.1999 nicht erfolgt.

II.

Eine Anhörung war im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann von einer Anhörung nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend (vgl. BSGE 44, 207, 209) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. So ist eine Anhörung u.a. dann nicht erforderlich, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (Nr. 1), durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde (Nr. 2) und von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll (Nr. 3).

§ 24 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB X sind ersichtlich nicht erfüllt, insbesondere war die Einhaltung der Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 4 SGB X nicht gefährdet. Ein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X liegt ebensowenig vor. Die Regelung dient vor allem der Verfahrensökonomie und beruht auf dem Gedanken, dass die Anhörung durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen schon vorweg genommen ist. Nach dem gesetzgeberischen Grund der Regelung und im Hinblick auf § 20 SGB X ist Nr. 3 einschränkend auszulegen bzw. anzuwenden (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, Rdnr. 64 f. zu § 28; Krasney, Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren, NVwZ 1986, S. 338; Clausen, in: Knack, VwVfG, 6. Aufl., Rn 4.3 zu § 28 und Rn 3.3 zu § 45; Obermayer, VwVfG, Rn 76 zu § 28). Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Möglichkeit auzuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp/Ramsauer, a.a.O.).

Zwar hat der Kläger im Antrag auf Alg angegeben, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Ferner hat der Kläger mit Schreiben vom 09.02.1999 seinen Haftentlassungsschein übersandt. Gleichwohl konnte die Beklagte aus den Äußerungen des Klägers und unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen nicht schließen, der Kläger habe ihr durch die Übersendung des Haftentlassungsscheines mitteilen wollen, dass er während der Haftzeit zu Unrecht Alg bezogen und vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Mitteilungspflicht verletzt habe. Ebensowenig konnte sie die Übersendung des Haftentlassungsscheines als Mitteilung des Klägers verstehen, er habe die Rechtswidrigkeit des Leistungsbezuges gekannt bzw. grob fahrlässig nicht gekannt. Ferner war - wie der Beklagten aus einer ganzen Reihe gleichwertiger Verfahren bekannt sein dürfte - die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte (z.B. Nichterhalt des Merkblattes trotz abgegebener Erklärung; fehlende Fähigkeit des Klägers, die im Merkblatt enthaltenen Hinweise auf Grund seiner Gesamtpersönlichkeit zu verstehen) ergab, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung hätte rechtfertigen können. Zudem wurde in der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2001 deutlich, dass der Kläger durchaus Angaben machen konnte, die Anlass zu Zweifeln am Vorliegen einer grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung gaben. Insbesondere schilderte er nachvollziehbar, in welcher Weise ihn die Inhaftierung unvorbereitet traf und er hiernach den Sozialarbeiter beauftragte, die entsprechenden Ämter zu informieren. Auch ist er von der Rechtmäßigkeit der Zahlung ausgegangen, weil die anderen Inhaftierten während der Haft ebenfalls Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit erhalten hätten und er sich im Übrigen auch gleich in der Haftanstalt um Arbeit als Freigänger bemüht habe, auch wenn dies schließlich seitens der Staatsanwaltschaft nicht genehmigt worden sei.

Überdies beruhte die Höhe der Erstattungsforderung nicht auf Angaben des Klägers. Wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat, kann gerade die Höhe der Erstattungsforderung fehlerhaft sein oder jedenfalls Anlass zu Einwänden des Klägers bieten (BSG, Urteil vom 17.12.1997, 11 RAr 103/96; BSG, Urteil vom 17.12.1997, 11 RAr 61/97; vgl. auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15.10.1999, L 3 AL 110/98).

III.

Der Verfahrensfehler ist auch nicht gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung einer ordnungsgemäßen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt. Eine Heilung tritt nur ein, wenn der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid oder ein vor Erlass des Widerspruchsbescheides versandtes Anhörungsschreiben alle Tatsachen enthält, auf die es nach der Rechtsansicht der Behörde für den Verfügungssatz objektiv ankommt (BSG, SozR 3-4010 § 117 Nr. 11 m.w.N.). Die Beklagte hat ihre Entscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 4 SGB X gestützt. Bei einer Entscheidung über die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides auf Grund dieser Rechtsnormen sind - wie der Senat bereits im Urteil vom 27.04.1999, L 3 AL 146/97, sowie im Urteil vom 29.09.2000, L 3 AL 147/98, entschieden hat - neben den für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Leistungsbezuges maßgeblichen Tatsachen in gleicher Weise auch die für die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der Aufhebung maßgeblichen Tatsachen zu zählen. Dazu gehören bei der von der Beklagten für ihre Entscheidung herangezogenen Rechtsgrundlage die Tatsachen, die für die Feststellung eines schuldhaften Verhaltens des Klägers im Sinne eines Vorsatzes bzw. einer groben Fahrlässigkeit maßgeblich sind. Letztere sind innere Tatsachen, zu denen ebenso wie zu äußeren anzuhören ist. Hierzu hat die Beklagte weder im mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheid vom 15.03.1999 noch in einem vor Erlass des Widerspruchsbescheides versandten Anhörungsschreiben Ausführungen gemacht.

Die Äußerungen des Klägers im Widerspruchsschreiben, bei objektiver Bearbeitung wäre festzustellen gewesen, dass weder eine vorsätzliche noch eine grob fahrlässige Negierung der Mitteilungspflicht vorgelegen habe, führen nicht dazu, dass die erforderliche Anhörung des Klägers hierdurch wirksam "nachgeholt" worden wäre (§ 42 Satz 2 i.V.m. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beklagte im Widerspruchsverfahren die ihr durch § 24 Abs. 1 SGB X gebotene "Handlung" (so ausdrücklich § 41 Abs. 2 SGB X), also "die unterlassene Verfahrenshandlung" (so ausdrücklich § 41 Abs. 3 Satz 2 SGB X), "nachgeholt" hätte. Das ist nicht geschehen. Das BSG hat mehrfach klargestellt (SozR 1300 § 24 Nr. 6; BSG, Urteil vom 26.09.1991, 4 RU 4/91), das die Nachholung der erforderlichen Anhörung nur dann heilende Wirkung im Sinne von § 41 Abs. 1 SGB X hat, wenn sie die selbe rechtliche Qualität wie die Handlung hat, welche die Behörde von Rechts wegen nach § 24 Abs. 1 SGB X vor Erteilung des Bescheides hätte vornehmen müssen. Deswegen setzt eine Heilung des Anhörungsmangels zwingend voraus, dass die Verwaltung, die den Betroffenen rechtswidrig mit einer Überraschungsentscheidung überzogen hat, ihm bis zu der von § 41 Abs. 2 SGB X gezogenen zeitlichen Grenze Gelegenheit gibt, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (so ausdrücklich § 24 Abs. 1 SGB X; vgl. Kopp, VwVfG, 5. Auflage, Rdnr. 25 zu § 45; Weides, Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren, 3. Auflage, S. 143).

Die Nachholungshandlung, die - ebenso wie die vorherige Anhörung - kein gesondertes Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) neben dem zur Entscheidung der Sache führenden Verwaltungsverfahren ist, soll und muss dem Adressaten der Verwaltungsentscheidung ausreichende Gelegenheit geben, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt jedenfalls das letzte Wort der Verwaltung zur Sache zu beeinflussen (zum Zweck der Anhörungspflicht stellvertretend: BSG, SozR 1300 § 24 Nrn. 7, 9, jeweils m.w.N.). Hierzu ist es, wie das BSG mehrfach entschieden hat (BSG SozR 1300 § 24 Nr. 6; BSG, Urteil vom 26.09.1991, a.a.O.), notwendig, dass der Verwaltungsträger dem Betroffenen die entscheidungserheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet, die diesen in die Lage versetzen, sie als solche zu erkennen und sich zu ihnen - gegebenenfalls nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde - sachgerecht zu äußern. Im Bescheid vom 15.03.1999 hat die Behörde dem Kläger nicht mitgeteilt, dass sie davon ausgeht, dass er seiner Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Ebensowenig hat sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie ferner der Ansicht ist, dass er die Rechtswidrigkeit der Bewilligung gekannt hat oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 48 Abs. 1 Nr. 4 SGB X). Diese Tatsachen sind jedoch entscheidungserheblich und müssen dem Kläger mitgeteilt werden.

Eine Heilung des der Beklagten unterlaufenen Verfahrensfehlers ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen des Klägers im Widerspruchsschreiben, bei objektiver Bearbeitung wäre festzustellen gewesen, dass weder eine vorsätzliche noch eine grob fahrlässige Negierung der Mitteilungspflicht vorgelegen habe. Jedenfalls im Anwendungsbereich des SGB X, das die Anhörungsobliegenheit der Behörde zu einem subjektiven Verfahrensrecht des Betroffenen mit Abwehranspruch bei dessen Verletzung (§ 42 Satz 2 SGB X) ausgestaltet hat (BSG SozR 1200 § 34 Nrn. 3, 4, 6, 8; Schnapp, in: GK-SGB X, § 24 Rdnr. 53; Krasney, Die Anhörungspflicht im Verwaltungsverfahren, NVWZ 1986, S. 338, 343; Sachs, in: Stellkens/Bonk/Sachs VwVfG, 5. Auflage, Rdnr. 78 zu § 45; a.A. BVerwGE 66, 111; BVerwGE 66, 184, wobei sich der Wortlaut der Parallelvorschrift zu § 42 SGB X - nämlich § 46 VwVfG - von diesem unterscheidet), liegt in der bloßen Einlegung des Widerspruchs keine Heilung des Verfahrensmangels der unterlassenen Anhörung. Abgesehen davon, dass nach dem Gesetz die Heilung einer unterlassenen Verfahrenshandlung ein Tätigwerden der Behörde und nicht des Bürgers voraussetzt, und anderenfalls (Heilung bereits durch Einlegung des Widerspruchs) § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X leerliefe, ist letztlich darauf abzustellen, dass § 41 SGB X die Voraussetzungen abschließend aufzählt, unter denen die Unbeachtlichkeit eines dort genannten Verfahrensfehlers zu bejahen ist. Die Einlegung eines Widerspruchs gegen den rechtswidrigen Überraschungsakt ist dort nicht genannt.

Nicht unberücksichtigt bleiben kann ferner, dass dem Kläger der in seinem Widerspruchsschreiben ausdrücklich auf den Anhörungsfehler hinweist, mithin der Behörde die Möglichkeit einräumt, diesen Fehler im Widerspruchsverfahren zu beseitigen, und zusätzlich äußert, bei objektiver Bearbeitung wäre festzustellen gewesen, dass weder eine vorsätzliche noch eine grob fahrlässige Negierung der Mitteilungspflicht vorgelegen habe, diese Äußerung nicht zum Nachteil gereichen kann. Der Kläger durfte nämlich sehr wohl nach seinem ausdrücklichen und zutreffenden Hinweis auf die Verletzung von § 24 SGB X davon ausgehen, dass die Behörde die fehlende Anhörung nachholen und ihm dadurch Gelegenheit gegeben würde, sich umfassend auch zu den subjektiven Vorwürfen zu äußern. Unzutreffenderweise ging die Beklagte jedoch im Widerspruchsbescheid wiederum davon aus, dass eine Anhörung entbehrlich sei.

IV.

Eine Änderung der Rechtslage ist nicht durch die Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X durch das Gesetz zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften - 4. Euro-Einführungsgesetz - vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) eingetreten. Gemäß der neuen Fassung des § 41 Abs. 2 SGB X können Handlungen nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 SGB X - mithin auch die Anhörung - bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Die geänderte Fassung der genannten Norm ist gemäß Art. 68 Abs. 1 4. Euro-Einführungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2001 in Kraft getreten.

Eine Übergangsregelung, die bestimmt, auf welche Verfahren die Vorschrift Anwendung finden soll, enthält das Gesetz nicht. Auch die Gesetzesmaterialien zum 4. Euro-Einführungsgesetz (vgl. BT-Drucks. 14/4375; BR-Drucks. 531/00) lassen Ausführungen hierzu vermissen.

Unbeachtlich für die Entscheidung des Senats ist, dass der maßgebliche Leistungszeitraum (16.11.1998 bis 12.01.1999) zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X bereits verstrichen war (vgl. BSG, Urteil vom 18.09.1997 a.a.O.; BSG, Urteil vom 19.03.1998 a.a.O.).

Unter Beachtung allgemeiner Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts ist im Falle einer Anfechtungsklage die neue Fassung der Norm lediglich auf Verfahren anzuwenden, in denen die das Vorverfahren abschließende Entscheidung der Verwaltung nach In-Kraft-Treten der Norm ergangen ist (BSG, Urteil vom 13.03.1997; 11 RAr 51/96; BSG, Urteil vom 23.04.1997, 7 RAr 66/96; BSG, Urteil vom 18.09.1997, 11 RAr 9/97; BSG, Urteil vom 19.03.1998, B 7 AL 44/97 R). Die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Aufhebung einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung richtet sich im Falle einer Anfechtungsklage mithin grundsätzlich nach der Rechtslage zur Zeit eines das Verwaltungsverfahren beendenden Widerspruchsbescheides (BSG, Urteil vom 13.03.1997, a.a.O.; BSG, Urteil vom 18.09.1997, a.a.O.; BSG, Urteil vom 19.03.1998, a.a.O., m.w.N.). Im vorliegenden Verfahren ist der Widerspruchsbescheid am 21.07.1999 erlassen worden. Zum Zeitpunkt seines Erlasses war § 41 Abs. 2 SGB X noch nicht geändert. Er ist in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (BSG, Urteil vom 18.09.1997, a.a.O.; BSG, Urteil vom 19.03.1998, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 12.03.1998, 4 CN 12/97; Sachs, a.a.O., Rn 102 ff. zu § 45).

Das gefundene Ergebnis berücksichtigt das Rechtsstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 3 GG. Würde der neu gefasste § 41 Abs. 2 SGB X dahingehend verstanden, dass er auch auf die bereits vor seinem In-Kraft-Treten abgeschlossenen Verwaltungsverfahren anzuwenden wäre, beinhaltete die Norm eine gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende Rückwirkung belastender Gesetze (vgl. BVerfGE 13, 261).

Auch wenn das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen weniger geschützt ist als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen (BVerfGE 25, 269, 286 ff., 291 ff.; BVerfGE 39, 156, 167; BVerfGE 63, 343, 359 m.w.N.), können auch verfahrensrechtliche Positionen im Einzelfall ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein wie Positionen des materiellen Rechts. So hat das Bundesverfassungsgericht einen nachträglichen Eingriff in die - als Verfahrensrecht qualifizierten - Verjährungsbestimmungen inzident jedenfalls dann für nicht mehr tragbar erklärt, wenn die Verfolgung der Straftat nach altem Recht zum Zeitpunkt der Änderung der Verjährungsbestimmungen bereits verjährt war; hier werde die Grenze verfassungsrechtlich zulässiger Änderungen von Verfahrensrecht überschritten (BVerfGE 25, 269, 286 ff.; BVerfGE 63, 343, 360).

Auch eine rein verfahrensrechtliche Neuregelung muss bereits verfestigte, schutzwürdige verfahrensrechtliche Rechtspositionen des Bürgers ebenso achten wie eine materiell-rechtliche Neuregelung entstandene materiell-rechtliche Positionen nach Maßgabe vor allem der Grundrechte zu berücksichtigen hat (BVerfGE 63, 343, 360). Für die Frage des Vertrauensschutzes gegenüber Änderungen von Verfahrensrecht ist folglich darauf abzustellen, ob ein insoweit rechtlich abgeschlossenes Verfahren vorliegt, in dem der Bürger Rechtspositionen erworben hat, die ihn nach altem Recht nicht mehr zu nehmen sind.

Im vorliegenden Fall war eine Heilung des Anhörungsfehlers nach altem Recht lediglich bis zum Abschluss des Vorverfahrens (hier: 21.07.1999) möglich. Ab diesem Zeitpunkt hatte der Kläger eine schutzwürdige verfahrensrechtliche Rechtsposition inne. Würde man die Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X auf derartige Sachverhalte erstrecken, entzöge man dem Betroffenen rückwirkend eine verfestigte, schutzwürdige Rechtsposition.

Ein solcher Entzug wäre auch nicht durch ein erkennbares überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt (BSGE 73, 148, 156 f.). Die Änderung des § 41 Abs. 2 SGB X wird in den Gesetzesmaterialien mit einer Angleichung des Verfahrensrechts der Sozialleistungsträger an das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht gerechtfertigt (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 4. Euro-Einführungsgesetz, BT-Drucks. 14/4375, S. 1; BR-Drucks. 531/00). Da die Änderung des dem § 41 Abs. 2 SGB X entsprechenden § 45 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz mit Wirkung zum 19.09.1996 vorgenommen wurde (Sachs, a.a.O., Rn 102 zu § 45), mithin eine gleichzeitige Änderung der Verfahrensvorschriften ohnehin nicht erfolgte, liegt nach Auffassung des Senat ein überwiegendes öffentliches Interesse nicht vor.

Ein anderes Ergebnis ist auch unter Bachtung der sonstigen Regelungen des 4. Euro-Einführungsgesetzes nicht gerechtfertigt. Das 4. Euro-Einführungsgesetz enthält bezüglich der Änderung des SGB X lediglich in § 120 Abs. 1 Satz 2 eine Schadensersatzansprüche der Sozialversicherungsträger gegen Dritte betreffende Übergangsbestimmung. Danach sind, wenn das Schadensereignis nach dem 30.06.1983 eingetreten ist, die §§ 116 Abs. 1 Satz 2 und 119 Abs. 1, 3 und 4 SGB X in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung auf einen Sachverhalt auch dann anzuwenden, wenn der Sachverhalt bereits vor diesem Zeitpunkt bestanden hat und darüber noch nicht abschließend entschieden ist. Das Gesetz selbst enthält keine Regelung, wann eine abschließende Entscheidung anzunehmen ist. Nach den Gesetzesmaterialien ist das Verfahren dann als noch nicht abschließend entschieden anzusehen, wenn ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren anhängig ist (Gesetzentwurf des Bundesregierung zum 4. Euro-Einführungsgesetz, BT-Drucks. 14/4375, S. 61).

Aus dieser Vorschrift lassen sich unmittelbare Rückschlüsse zur Anwendung der Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X nicht ziehen. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Gesetzeswortlaut selbst nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, dass die Vorschrift auch auf Verfahren anzuwenden ist, die sich zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des 4. Euro-Einführungsgesetzes bereits im Klageverfahren befinden. Ob die in den Gesetzesmaterialien vorgenommene Auslegung verfassungskonform ist, kann im vorliegenden Fall dahinstehen.

Selbst für den Fall, dass diese nicht gegen das Rechtsstaatsgebot des GG verstoßen sollte, spräche dies keinesfalls gegen das im vorliegenden Fall gefundene Ergebnis. Aus dem Fehlen einer Übergangsregelung zu § 41 Abs. 2 SGB X wäre unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine solche zu einer anderen Norm vorhanden ist, vielmehr zu schließen, dass der Gesetzgeber bezüglich § 41 Abs. 2 SGB X von den allgemeinen Grundsätzen intertemporalen Prozessrechtes gerade nicht abweichen wollte.

V.

Schließlich durfte die Beklagte auch nach Einlegung des Widerspruchs nicht gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X von der Anhörungsnachholung absehen. Denn der Kläger hat in seinem Widerspruchsscheiben nicht ausgeführt, dass er vorsätzlich oder grob fahrlässig seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist. Vielmehr hat er für sich das Gegenteil in Anspruch genommen und sinngemäß die Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbeschdes gerügt.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, insbesondere hinsichtlich der Neuregelung im 4. Euro-Einführungsgesetz, zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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