L 3 AL 8/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AL 774/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 8/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04. November 1999 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Verfahrenszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides der Beklagten bezüglich Arbeitslosengeldes (Alg) für den Zeitraum vom 01.03.1997 bis 08.04.1997 i. H. v. 2.194,50 DM.

Der am ...1956 geborene Kläger ist der Vater eines am ...1982 geborenen Kindes. Auf seiner Lohnsteuerkarte war zu Beginn des Jahres 1996 die Lohnsteuerklasse I eingetragen. Der Kläger arbeitete nach einem erfolgreichen Abschluss einer Lehre (1974 bis 1976) als Baufacharbeiter von 1976 bis 1979 als Montagearbeiter und Schichtleiter sowie nach seinem Grundwehrdienst (1979 bis 1980) von 1980 bis 1990 als Baufacharbeiter und Brigadier, von 1990 bis 1991 als Vorarbeiter und von 1991 bis 1994 als Vorarbeiter und Stellvertreter des Poliers sowie von 1994 bis zum 15.11.1996 als Werkspolier. Vom 16.11.1996 bis 08.12.1996 erhielt der Kläger Alg nach der Leistungsgruppe A, dem erhöhten Leistungssatz unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgeltes von 1.050,00 DM i. H. v. 406,80 DM wöchentlich. Vom 09.12.1996 bis 06.01.1997 arbeitete er wiederum als Polier. Am 09.12.1996 zeigte der Kläger die Arbeitsaufnahme an. Die bis zum 19.12.1996 gezahlte Leistung zahlte er nach Aufhebung der Leistungsbewilligung und Geltendmachung einer Erstattungsforderung an die Beklagte zurück.

Am 08.01.1997 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Mit Schreiben vom 23.01.1997 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass über seinen Antrag zunächst nur vorläufig entschieden werde. Für die abschließende Bearbeitung fehlten noch nähere Angaben. Der Kläger erhalte daher die Leistung zunächst als Vorschuss gem. § 42 SGB I. Mit Bescheid vom 27.01.1997 bewilligte ihm die Beklagte für die Dauer von 293 Kalendertagen Alg nach - im Vergleich zur letzten Leistung - unveränderten Leistungskriterien i. H. v. 399,00 DM. Als vorläufiger Beginn der Leistung war der 08.01.1997 festgesetzt. Mit Bescheid vom 11.03.1997 gewährte ihm die Beklagte endgültig ab 08.01.1997 die Leistung. Der Bezug der Leistung dauerte bis zum 30.04.1997 an.

Bereits ab 01.03.1997 arbeitete der Kläger bei der Firma H & K Ausbau GmbH, D ... als Polier. Mit Kündigung vom 24.03.1997 beendete der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis. Lt. Arbeitsvertrag war eine Kündigungsfrist von zwei Wochen einzuhalten. Eine förmliche Veränderungsmitteilung über die Arbeitsaufnahme befindet sich in den Akten der Beklagten nicht. Jedoch ist ein Vermerk vom 28.02.1997 vorhanden, dass dem Kläger die Lohnsteuerkarte ausgehändigt wurde, da ein Arbeitsverhältnis zum 01.03.1997 aufgenommen worden sei.

Mit einer im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten abgegebenen Veränderungsmitteilung vom 09.04.1997 informierte der Kläger die Beklagte darüber, dass er ab 01.05.1997 in Arbeit sei.

Mit Schreiben vom 20.08.1997 teilte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) der Beklagten mit, der Kläger habe vom 01.03.1997 bis 31.03.1997 eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt.

Auf Nachfrage der Beklagten bestätigte die Firma H & K Ausbau GmbH D ... der Beklagten, dass der Kläger vom 01.03.1997 bis 31.03.1997 bei ihr als Polier beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.12.1997 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.03.1997 bis 30.04.1997 auf und forderte vom Kläger 3.458,00 DM zurück. Der Kläger sei vorsätzlich seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen "nicht richtig" nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Mit Bescheid vom selben Tag forderte die Beklagte für den Zeitraum vom 01.04.1997 bis 30.04.1997 Krankenversicherungsbeiträge i. H. v. 422,24 DM sowie Pflegeversicherungsbeiträge i. H. v. 61,88 DM zurück.

Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 10.12.1997. Das Arbeitsverhältnis mit der Firma H & K habe lediglich für die Zeit vom 01.03.1997 bis 23.03.1997 bestanden. Ab 24.03.1997 habe er dem Arbeitsamt wieder zur Verfügung gestanden. Eine Vorsprache sei diesbezüglich am 09.04.1997 erfolgt. Er bat daher um teilweise Aufhebung des Bescheides und Geltendmachung einer Erstattungsforderung lediglich für die Zeit vom 01.03.1997 bis 23.03.1997.

Mit Schreiben vom 10.12.1997 informierte die Beklagte den Kläger, dass weitere Feststellungen erforderlich seien. Nach Abschluss der Erhebungen erhalte der Kläger einen schriftlichen Bescheid. Sie forderte den Kläger ferner dazu auf, anzugeben, wann und bei welchem Mitarbeiter der Leistungsabteilung des Arbeitsamts Dresden er die Arbeitsaufnahme zum 01.03.1997 angezeigt habe. Überdies wies sie ihn darauf hin, dass er aus dem Merkblatt für Arbeitslose habe wissen müssen, dass nach dem Ende eines Beschäftigungsverhältnisses eine persönliche Arbeitslosmeldung für den erneuten Leistungsbezug erforderlich sei. Sie forderte den Kläger zur Mitteilung auf, warum er die Beklagte über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses nicht informiert habe. Sie erwarte die Stellungnahme binnen zwei Wochen.

Mit Schreiben vom 05.02.1998 gab der Kläger an, sich am 28.02.1997 in der Leistungsabteilung persönlich gemeldet und angegeben zu haben, dass er ab 01.03.1997 ein Beschäftigungsverhältnis aufnehme. Er sei in das Zimmer 6 geschickt worden, um sich dort seine Lohnsteuerkarte aushändigen zu lassen. Am 09.04.1997 habe er sich erneut persönlich arbeitslos gemeldet. Gleichzeitig habe er darauf hingewiesen, dass er ab 01.05.1997 in Arbeit sei. Am 24.03.1997 habe er die Kündigung der Firma H & K erhalten. Laut Arbeitsvertrag habe die Kündigungsfrist 14 Tage betragen. Er sei davon ausgegangen, bis 06.04.1997 beschäftigt zu sein.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 30.04.1998 änderte die Beklagte den Bescheid vom 03.12.1997 dahingehend ab, dass die Bewilligung von Alg lediglich für die Zeit vom 01.03.1997 bis 08.04.1997 aufgehoben werde. Im Übrigen nahm sie auf den Bescheid vom 03.12.1997 Bezug. Der Kläger sei zur Erstattung der überzahlten Leistung i. H. v. 2.194,50 DM gem. § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.1998 gab die Beklagte dem Widerspruch insoweit statt, als er den Zeitraum vom 09.04.1997 bis 30.04.1997 betraf. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Begründung für die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit änderte sie dahingehend ab, dass der Anspruch auf die Leistung kraft Gesetzes für den streitgegenständlichen Zeitraum weggefallen sei (§ 48 Satz 2 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

Mit Schriftsatz vom 20.08.1998, eingegangen beim Sozialgericht (SG) Dresden am selben Tag, hat der Kläger Klage erhoben. Am 28.02.1997 habe er beim Arbeitsamt D ... persönlich vorgesprochen und mitgeteilt, ab 01.03.1997 ein Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Er sei von einem Mitarbeiter der Leis- tungsabteilung, an dessen Namen er sich nicht erinnere, in das Zimmer 6 geschickt worden, um sich dort seine Lohnsteuerkarte abzuholen. Am 09.04.1997 habe er sich erneut bei der Beklagten persönlich arbeitslos gemeldet. Bezüglich des Zeitraums vom 01.03.1997 bis 24.03.1997 lägen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht vor. Der Kläger sei seiner Mitteilungspflicht gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nachgekommen. Auch der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X sei nicht erfüllt. Bezüglich des Zeitraums vom 25.03.1997 bis 08.04.1997 sei der Kläger anspruchsberechtigt, weil er nach dem Empfang der Kündigung faktisch arbeitslos gewesen sei. Seine Arbeitskraft sei bis zum Ende der Kündigungsfrist vom Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen worden. Die Arbeitslosmeldung des Klägers vom 08.01.1997 wirke trotz Aufnahme einer Beschäftigung fort. Überdies bestreite er, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten zu haben. Die Aufhebung scheitere ferner daran, dass die Beklagte ihr Ermessen nicht erkannt und nicht ausgeübt habe.

Mit Urteil vom 04.11.1999 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 03.12.1997, den Änderungsbescheid vom 30.04.1998 sowie den Widerspruchsbescheid vom 20.07.1998 wegen fehlerhafter Anhörung aufgehoben. Die Beklagte habe den Kläger vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht ordnungsgemäß angehört. So habe sie ihm weder die ihrer Entscheidung zugrunde liegende Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 Nr. 2 und 4 SGB X noch die für die Feststellung eines schuldhaften Verhaltens des Klägers maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt. Mit Schreiben vom 20.01.1998 sei ebenso wenig eine umfassende Anhörung erfolgt. Die Beklagte habe dem Kläger darin nicht den Vorwurf gemacht, aus dem Merkblatt hätte er wissen müssen, dass er wegen einer Zwischenbeschäftigung keinen Anspruch auf Alg hatte. Ein Fall des § 24 Abs. 2 SGB X, bei dem von einer Anhörung abgesehen werden kann, liege nicht vor.

Gegen das der Beklagten am 15.12.1999 ausweislich Empfangsbekenntnisses zugestellte Urteil hat diese mit Schriftsatz vom 07.01.2000, eingegangen beim Sächsischen Landessozialgericht am 11.01.2000, Berufung eingelegt. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X könne von der Anhörung abgesehen werden, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser im Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werde. Der Kläger habe am 28.02.1997 mitgeteilt, sich ab 01.03.1997 in Arbeit zu befinden. Da im Rahmen der Aufhebung der Bewilligung ab 01.03.1997 wegen Arbeitsaufnahme nicht von seinen Angaben abgewichen wurde, sei eine Anhörung entbehrlich gewesen. Durch die Arbeitsaufnahme sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 3 AFG lägen vor. Der Kläger habe bei Antragstellung unterschriftlich bestätigt, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Auf Seite 17 des Merkblatts werde ausgeführt, dass derjenige arbeitslos sei, der vorübergehend in keinem Beschäftigungsverhältnis stehe. Seite 10 des Merkblatts enthalte zudem den Hinweis, dass der Leistungsbezug durch eine Zwischenbeschäftigung unterbrochen werden könne. Alg könne dann frühestens wieder ab dem Tag bezogen werden, an dem die Leistung erneut beantragt wird. Eine persönliche Arbeitslosmeldung sei selbst dann erforderlich, wenn keine Einstellung der Leistung erfolgt sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 08.03.2001 hat der Beklagtenvertreter erklärt, die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bewilligung von Alg gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X lägen vor.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 04.11.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger schließt sich vollinhaltlich den Ausführungen des SG Dresden an.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts hat der Senat auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Leis- tungsakte der Beklagte, die er zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig und auch begründet. Das mit der Berufung angegriffene Urteil des SG Dresden vom 04.11.1999 ist daher aufzuheben. Die Bescheide der Beklagten vom 03.12.1997 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 30.04.1998 sowie in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.07.1998 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat die Bewilligung von Alg zu Recht für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.03.1997 bis 08.04.1997 aufgehoben und ebenfalls zu Recht die insoweit erbrachten Leistungen zurückgefordert.

I.

Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide der Beklagten sind nicht wegen fehlerhafter Anhörung rechtswidrig. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

Dem SG ist darin zuzustimmen, dass eine ordnungemäße Anhörung vor Erlass des Bescheides vom 03.12.1997 nicht erfolgt ist.

Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann von einer Anhörung nur unter bestimmten im Gesetz abschließend (vgl. BSGE 44, 207, 209) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. So ist eine Anhörung unter anderem nicht erforderlich, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (Nr. 1), durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist infrage gestellt würde (Nr. 2) und von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll (Nr. 3).

§ 24 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGB X sind ersichtlich nicht erfüllt, insbesondere war die Einhaltung der Jahresfrist gem. § 45 Abs. 4 SGB X nicht gefährdet. Ein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X liegt ebenso wenig vor. Die Regelung dient vor allem der Verwaltungsökonomie und beruht auf dem Gedanken, dass die Anhörung durch eigene Angaben des Betroffenen gewissermaßen schon vorweggenommen ist. Nach dem gesetzgeberischen Grund der Regelung und im Hinblick auf § 20 SGB X ist Nr. 3 einschränkend auszulegen bzw. anzuwenden (vgl. Kopp, VwVfG, 5. Auflage, Rn. 47 zu § 28). Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falls die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (Kopp, a. a. O.). Zwar hat der Kläger im Antrag angegeben, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Ferner hat der Kläger behauptet, am 28.02.1997 bei der Beklagten vorgesprochen und ihr mitgeteilt zu haben, dass er sich ab 01.03.1997 in Arbeit befinde. Jedoch war - wie der Beklagten aus einer ganzen Reihe gleichartiger Verfahren bekannt sein dürfte - die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte (z. B. Nichterhalt des Merkblatts trotz abgegebener Bestätigung; fehlende Fähigkeit des Klägers, die im Merkblatt enthaltenen Hinweise aufgrund seiner gesamten Persönlichkeit zu verstehen) hätte ergeben können, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung hätte rechtfertigen können. Am 28.02.1997 hat der Kläger jedenfalls nicht mitgeteilt, dass ihm auch nach eigener Ansicht ab 01.03.1997 für die Dauer der Zwischenbeschäftigung kein Anspruch auf Alg zustand und er somit die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung ab 01.03.1997 kannte.

Der Verfahrensfehler ist jedoch gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung einer ordnungsgemäßen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt. Eine Heilung tritt ein, wenn der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid oder ein vor Erlass des Widerspruchsbescheides versandtes Anhörungsschreiben alle Tatsachen enthält, auf die es nach der Rechtsansicht der Behörde zum Zeitpunkt der Nachholung der Anhörung für den Verfügungssatz objektiv ankam (BSG SozR 3-4010 § 117 Nr. 11 m. w. N.). Die Beklagte hat ihre Entscheidung im Widerspruchsbescheid vom 20.07.1998 auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt. Diese Variante setzt voraus, dass der Anspruch auf Alg wegen des Erzielens von Einkommens weggefallen ist.

Mit Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 03.12.1997 hat die Beklagte folglich den Anhörungsfehler geheilt. Sie gab ihm hierdurch Gelegenheit, sich zu allen nach ihrer zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vertretenen Ansicht für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. In diesem Bescheid hat die Beklagte als Grund für die Aufhebung angegeben, der Kläger habe ab 01.03.1997 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden und daher einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Dadurch sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten, die zu einer Aufhebung der Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.03.1997 bis 30.04.1997 berechtige.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Nachholung der Anhörung - entgegen der Ansicht des SG Dresden - nicht erforderlich, dass ein gesondertes Anhörungsschreiben übersandt wird (Krasney, NVwZ 1986, S. 338, 343).

Eine weitere Anhörung vor Erlass des Änderungsbescheides vom 30.04.1998 war nicht erforderlich. Mit diesem Bescheid änderte die Beklagte aufgrund der im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Argumente des Klägers ihre Entscheidung ab. Sie hob die Bewilligung von Alg nunmehr lediglich noch für die Zeit vom 01.03.1997 bis 08.04.1997 auf. Von einer Aufhebung für die Zeit ab 09.04.1997 sah sie ab, weil der Kläger am 09.04.1997 bei der Beklagten vorstellig geworden war und die Beklagte über das Ende der Zwischenbeschäftigung informiert hatte. Sie machte lediglich noch eine Erstattungsforderung i. H. v. 2.194,50 DM geltend. Eine erneute Anhörung wäre lediglich dann erforderlich gewesen, wenn der Bescheid im Vergleich zum Vorbescheid erneut einen Eingriff in die Rechte des Klägers, d. h. eine Verschlechterung seiner Situation, beinhaltet hätte. Das wäre beispielsweise dann der Fall gewesen, wenn sich der Erstattungszeitraum verlängert oder die Erstattungsforderung erhöht hätte. Da sich im vorliegenden Fall der Erstattungszeitraum verkürzt und die Erstattungsforderung verringert hat, war eine erneute Anhörung nicht erforderlich.

Nicht außer Acht gelassen werden kann ferner, dass der Kläger in seinem Widerspruch vom 10.12.1997 lediglich die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 03.12.1997 und die Geltendmachung einer Erstattungsforderung für die Zeit vom 01.03.1997 bis zum 23.03.1997 begehrte. Hiermit brachte er gleichzeitig zum Ausdruck, dass er einsehe, dass ihm für die Zeit vom 01.03.1997 bis 23.03.1997 kein Anspruch auf Alg zustand und eine diesbezügliche Erstattungsforderung berechtigt war. Da die Beklagte bezüglich dieses Zeitraumes nicht von den Aussagen des Klägers abwich, war nach Eingang des Widerspruchsschreibens bei der Beklagten diesbezüglich eine Anhörung zudem gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X entbehrlich.

Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides - wie vom SG ausgeführt - §§ 45 Abs. 1 und 2, 50 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 2 AFG i. d. F. des Artikels 11 des Arbeitsförderungsreformgesetzes (AFG) vom 24.03.1997, BGBl. I S. 594, oder §§ 48 Abs. 1, 50 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 3 AFG ist (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.1997 - 8 RKn 29/95 m. w. N.; BSG, Urteil vom 19.02.1986, 7 RAr 55/84; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 60; Sächs. LSG, Urteil vom 19.07.1995, L 4 Kn 14/94). Nach der Rechtsprechung des BSG existieren unterschiedliche Ansichten zu der Frage, ob im Falle des Auseinanderfallens des Datums des Bescheiderlasses (hier: 11.03.1997) und des Beginns des materiell-rechtlichen Anspruchs (hier: 08.01.1997) eine Rücknahme gemäß § 45 SGB X oder eine Aufhebung gemäß § 48 SGB X vorzunehmen ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf gem. § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X).

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i. V. m. § 152 Abs. 3 AFG ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

Bei dem Bewilligungsbescheid vom 11.03.1997 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil er Alg gewährte, mithin ein Rechtsverhältnis begründete, das den dauernden Bezug von Sozialleistungen zum Gegenstand hatte (Wiesner in: Schroeder-Printzen/Engelmann/Schmalz/Wiesner/von Wulffen, SGB X, 3. Auflage, Rn. 3 zu § 48).

Würde man auf den Beginn des materiell-rechtlichen Anspruchs auf Alg am 08.01.1997 abstellen, ist durch die Arbeitsaufnahme des Klägers am 01.03.1997 eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. § 48 SGB X wäre anzuwenden.

Kläger hat ab 01.03.1997 Arbeitsentgelt erzielt, das zum Wegfall des Anspruchs auf Alg geführt hat.

Stellt man auf den Erlass des Bewilligungsbescheides vom 11.03.1997 ab, war dieser wegen der Arbeitsaufnahme am 01.03.1997 anfänglich rechtswidrig. § 45 SGB X wäre anzuwenden. In diesem Falle wären die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz Nr. 3 SGB X gegeben. Der Kläger handelte grob fahrlässig, wenn er die Rechtswidrigkeit der Alg-Bewilligung für die Zeit vom 01.03.1997 bis 08.04.1997 nicht erkannte. Bei der Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist ein subjektiver Sorgfaltsbegriff zugrunde zu legen, d. h. der Betroffene muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in einem das gewöhnliche Maß übersteigenden Ausmaß verletzt haben (BSGE 5, 267, 269; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 3). Ob grobe Fahrlässigkeit zu bejahen ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen entschieden werden (BSGE 5, 267). Darauf, ob die Behörde die Rechtswidrigkeit kannte oder gar verursacht hat, kommt es nicht an.

Nach eigener Überprüfung der beigezogenen Leistungsunterlagen der Beklagten sowie der Feststellungen im Klage- und im Berufungsverfahren ist der Beklagten zu folgen, dass der Kläger sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen in die Richtigkeit der Leistungsbewilligung berufen kann.

Unter Berücksichtigung der schulischen und beruflichen Ausbildung sowie des Berufswerdegangs und der Gesamtpersönlichkeit des Klägers, von der sich der Senat in der mündlichen Verhandlung ein Bild machen konnte, war er in der Lage, die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung im Zeitraum vom 01.03.1997 bis 08.04.1997 zu erkennen. Der Kläger verfügt über eine Facharbeiterausbildung und arbeitete seit 1980 als Brigadier, Vorarbeiter bzw. Polier, mithin in einer Tätigkeit, die sich aufgrund der Leitungstätigkeit und der geforderten Verantwortung aus dem Kreis der Facharbeiter heraushebt. Zu Lasten des Klägers ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kläger aus vorhergehenden Leistungsbewilligungen wusste, dass ihm Alg nur während der Arbeitslosigkeit, nicht hingegen im Zeitraum des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses, zusteht. Für eine derartige Kenntnis spricht zudem, dass der Kläger die Beklagte über die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses am 28.02.1997 informierte. Gleichfalls teilte er der Beklagten am 09.04.1997 die Aufnahme einer weiteren Beschäftigung zum 01.05.1997 mit. Indem der Kläger neben dem Arbeitsentgelt Arbeitslosengeld entgegennahm, ohne bei der Beklagten nachzufragen, ob die Bewilligung rechtmäßig erfolgt, handelte er zumindest grob fahrlässig.

Ermessen war seitens der Beklagten - sowohl im Falle der Anwendbarkeit des § 45 SGB X als auch für den Fall, dass § 48 SGB X einschlägig wäre - nicht auszuüben (§ 152 Abs. 2 bzw. 3 AFG).

Sofern die zutreffende Aufhebungsnorm § 45 SGB X wäre, würde die Rücknahme der Leistungsbewilligung auch nicht daran scheitern, dass die Beklagte sie dann fehlerhafterweise auf § 48 SGB X gestützt hat. Die Sozialgerichte haben die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Ein Rückgriff auf eine andere Rechtsgrundlage, die dieselbe Regelung rechtfertigt, ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht beeinträchtigt oder erschwert wird (vgl. zu Vorstehendem: BSG, Urteil vom 18.09.1997, 11 RAr 9/97; BSG, Urteil vom 19.03.1998, B 7 AL 44/97 R). Die Rechtsgrundlage für die Rücknahme könnte in diesem Fall ausgewechselt werden, weil dieselbe Rechtsfolge eintritt. Die Rechtsverteidigung des Klägers wurde auch nicht erschwert. Der Kläger hatte sich sowohl im Klage- als auch Berufungsverfahren stets selbst zur Frage der grob fahrlässigen Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligung geäußert.

Die Jahresfrist der §§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 4 SGB X für die Rücknahme eines begünstigenden Bescheides mit Wirkung für die Vergangenheit ist gewahrt. Die Bewilligung von Alg datierte vom 11.03.1997 die Aufhebung vom 03.12.1997. Ebenso ist die 10-Jahres-Frist seit Bekanntgabe des Verwaltungsaktes gewahrt (§§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X).

Die Höhe der geltend gemachten Erstattungsforderung ist nicht zu beanstanden.

Nach alledem war das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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