L 3 AL 93/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AL 929/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 93/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.06.1999 und die Bescheide vom 22.07.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1996 abgeändert, soweit die Bewilligung von Unterhaltsgeld für die Zeit ab dem 08.07.1996 bis zum 23.07.1996 aufgehoben wurde. Der Erstattungsbescheid vom 02.08.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.1996 werden aufgehoben. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung der Bewilligung von Unterhaltsgeld (Uhg) ab 8. Juli 1996, die Erstattung von Uhg und Fahrtkosten sowie einen Anspruch auf Zinsen und Zinseszinsen.

Der am ... geborene Kläger beantragte nach einer Teilnahme an einem vom Arbeitsamt geförderten Arbeitsmarktseminar (22. Juli 1991 - 23. August 1993) und Arbeitslosigkeit (01. September 1993 - 27. Februar 1994) mit Bezug von Arbeitslosengeld am 24. Februar 1994 die Förderung der Teilnahme an dem Lehrgang "Staatlich anerkannter Heilerziehungspfleger" (28. Februar 1994 - 27. Februar 1997). Er erhielt dabei Hinweise zur Änderung des am 01. Februar 1993 in Kraft getretenen § 42 AFG und das Merkblatt 6 "Berufliche Fortbildung und Umschulung".

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 28. Februar 1994 Uhg, zuletzt in Höhe von wöchentlich 245,40 DM nach der Leistungsgruppe A O und einem Bemessungsentgelt von 600,00 DM. Mit weiteren Bescheiden wurden abschnittsweise Fahrtkostenerstattungen gewährt, zuletzt mit Bescheid vom 01.03.1996 für den Zeitraum vom Februar 1996 bis Juli 1996.

Der Kläger beantragte am 08. Juli 1996 die Erstattung der im Zeitraum vom 05. August 1996 bis 27. August 1996 im Rahmen der Umschulung als Praktikant bei der Lebenshilfe R ... e.V. (Wohnheim für Behinderte) entstehenden Fahrtkosten.

Die Stadtverwaltung Z ... erteilte dem Kläger am 08. Juli 1996 eine Reisegewerbekarte, die ihn zum Feilbieten und Ankauf von antiquarischen Gegenständen, Kunstgegenständen, Briefmarken und Druckerzeugnissen berechtigte.

Der Kläger teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 10. Juli 1996 mit, dass er für eine selbstständige Tätigkeit eine Reisegewerbekarte erworben und den Vertrag mit dem Träger der Umschulungsmaßnahme zum 28.08.1996 gekündigt habe. Er beantragte ab 28.08.1996 die Zahlung von Überbrückungsgeld in Höhe des Uhg.

Die Beklagte veranlasste daraufhin am 17.07.1996 den Abbruch der Umschulungsmaßnahme zum 08.07.1996.

Die Beklagte hob die Entscheidung über die Bewilligung des Uhg ohne Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 22.07.1996 mit Wirkung vom 08. Juli 1996 auf. Die Entscheidung begründete sie mit der Arbeitsaufnahme ab diesem Zeitpunkt. Die Aufhebung erfolgte gemäß § 44 Abs. 1 AFG, § 15 Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung/Umschulung sowie § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 152 Abs. 3 AFG.

Der Kläger sprach am 29.07.1996 beim Arbeitsamt Zwickau vor und wandte sich gegen den Abbruchtermin (08.07.1996). Er habe bis zum 12.07.1996 seine Pflichten als Praktikant erfüllt.

Er legte am 31. 07.1996 gegen den Bescheid vom 22.07.1996 Widerspruch ein. Mit der Erteilung der Reisegewerbekarte sei nicht zwangsläufig eine Arbeitsaufnahme verbunden. Eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Uhg sei rechtswidrig. Laut Teilnehmervertrag mit dem Träger der Umschulungsmaßnahme nehme er noch bis zum 27.08.1996 an der Maßnahme teil. Er ist deshalb der Ansicht, die seit 08.07.1996 abgeleistete Arbeitszeit müsse durch Uhg gefördert werden.

Mit Erstattungsbescheid vom 02. August 1996 forderte die Beklagte das im Zeitraum vom 08. Juli 1996 bis 13. Juli 1996 überzahlte Uhg in Höhe von 245,40 DM und überzahlte Fahrtkosten in Höhe von 98,64 DM gemäß § 50 SGB X zurück.

Der Kläger legte dagegen am 02. September 1996 Widerspruch ein. Er habe bis zum 12. Juli 1996 als Praktikant gearbeitet und erst ab 28. August 1996 die selbständige Tätigkeit aufgenommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1996 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid als unbegründet zurück. Der Kläger habe gewusst, dass mit Aufgabe der Absicht zur Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung die grundsätzlichen Leistungsvoraussetzungen entfallen. Damit seien die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X gegeben. Mit Erteilung der Reisegewerbekarte am 08. Juli 1996 sei eine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Daher habe die Beklagte auf eine Anhörung vor Erlass der Aufhebungsentscheidung verzichtet und diese auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nicht nachgeholt. Der Kläger habe sich aber im Widerspruchsschreiben und einer Mitteilung vom 10. Juli 1996 eindeutig zu den entscheidungserheblichen Tatsachen geäußert. Diese Schreiben könnten als Reaktion auf eine Anhörung gewertet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02. September 1996 wies die Beklagte den Widerspruch wegen der Erstattung von Leistungen als unbegründet zurück. Zum Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung habe der Kläger Uhg bis 13. Juli 1996 und Fahrtkosten für den Monat Juli 1996 erhalten, obwohl die Anspruchsvoraussetzungen ab 08. Juli 1996 nicht mehr vorlagen. Die ohne Rechtsgrund erhaltenen Leistungen (344,04 DM) seien zu erstatten.

Der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 1996, zugestellt mit PZU durch Niederlegung am 25. Oktober 1996, und gegen den Widerspruchsbescheid vom 02. September 1996, zugestellt mit PZU durch Niederlegung am 26. Oktober 1996 am 01. November 1996 jeweils Klage beim Sozialgericht Chemnitz erhoben, die mit Beschluss vom 15. Januar 1997 verbunden wurden.

Zur Begründung bezieht sich der Kläger auf die Widerspruchsschreiben. Ergänzend trägt er vor, er habe die Erstattung von Fahrtkosten nur bis zum 12. Juli 1996 beantragt.

Das Sozialgericht hat die Klagen mit Urteil vom 10. Juni 1999 abgewiesen. Der Kläger habe mit Beantragung der Reisegewerbekarte die Absicht, eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung aufzunehmen, aufgegeben. Die Voraussetzungen für eine Förderung nach § 36 Nr. 1 AFG i.V.m. § 4 Abs. 1 Anordnung, Fortbildung und Umschulung (AFuU) seien damit entfallen. Dies hätte der Kläger auf Grund der Hinweise im Merkblatt leicht erkennen können.

Gegen das mit Einschreiben vom 02. Juli 1999 zugestellte Urteil hatte der Kläger am 13. Juli 1999 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger verfolgt sein Begehren im Berufungsverfahren weiter. Darüberhinaus macht er nunmehr noch die Erstattung der nach Zahlungsaufforderung an die Beklagte überwiesenen Beträge von 245,40 DM Uhg und 98,64 DM Fahrtkosten sowie einen Anspruch auf Zinsen und Zinseszinsen geltend. Er habe in Bezug auf das Merkblatt nicht grob fahrlässig gehandelt. Die Erklärung zum Leistungsantrag habe er notwendigerweise unterschrieben. Er habe eine vierteljährliche Kündigungsfrist bei Beendigung der Praktikantentätigkeit einhalten müssen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10. Juni 1999, den Bescheid vom 22. Juli 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1996 sowie den Bescheid vom 02. August 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. September 1996 aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, dem Grunde nach Uhg und Fahrtkostenersatz zu zahlen, sowie die Beklagte zur Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % und Zinseszinsen ab 08. August 1996 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und die Begründung der Widerspruchsbescheide. Sie trägt ergänzend vor, sie habe dem Kläger die entscheidungserheblichen Tatsachen mit dem Aufhebungsbescheid vom 22.07.1996, auf den auch im Ersattungsbescheid vom 02.08.1996 Bezug genommen wurde, in hinreichender Weise unterbreitet, und ist deshalb der Ansicht, eine ordnungsgemäße mitgeteilt, die die Aufhebungsentscheidung rechtfertigten, aber die Tatsachen, die zur Verwaltungsentscheidung geführt haben. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gelte das Mitteilungserfordernis unabhängig davon, ob die Behörde von der richtigen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung ausgegangen sei (vgl. BSG, Urt. v. 14.07.1994, Az.: 7 RAr 104/93; Urt. v. 29.11.1990, Az.: 7 RAr 6/90). Die fehlerhafte Begründung der Aufhebungsentscheidung vom 22.07.1996 sei mit den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 24.10.1996 geheilt worden. Darüber hinaus habe der Kläger von sich aus die erheblichen wesentlichen Tatsachen vorgetragen, so dass von der Nachholung der Anhörung abgesehen werden durfte. Ab 08. Juli 1996 scheitere ein Anspruch auf Alg an der fehlenden Verfügbarkeit des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten (Stamm-Nr.: 015210) und die Verfahrensakten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist teilweise begründet.

1) Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen soweit der Aufhebungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ergangen ist und die Erstattung von Uhg und Fahrtkosten zum Gegenstand hat. Der Aufhebungsbescheid vom 22.07.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1996 ist insoweit formell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Beklagte hat den Kläger vor Erlass des Aufhebungsbescheides nicht gem. § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angehört. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, § 24 Abs. 1 SGB X. Mit dem Aufhebungsbescheid vom 22.07.1996 und dem Erstattungsbescheid vom 02.08.1996 hat die Beklagte Verwaltungsakte erlassen, die ihn belasten und damit in dessen Rechte eingreifen. Er erhielt vor deren Erlass keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen.

Von einer Anhörung konnte hier auch nicht abgesehen werden. Die in § 24 Abs. 2 SGB X abschließend aufgezählten Ausnahmen zur Anhörungspflicht liegen nicht vor.

Zwar kann gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X von der Anhörung abgesehen werden, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Die Regelung erfaßt jedoch nur die Fälle, in denen der Betroffene mit den eigenen Angaben eine Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen vorweggenommen hat. Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung deshab nur dann aus Gründen der Verfahrensökonomie rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung rechtfertigen könnten (vgl. Kopp, VwVG, 5. Aufl., § 28 Rn. 47). Hier hat der Kläger der Beklagten zwar mit Schreiben vom 10.07.1996 den Erwerb der Reisegewerbekarte am 08.07.1996 und die Kündigung des Teilnehmervertrages zum 28.08.1996 mitgeteilt. Daraus konnte die Beklagte aber nicht alle für eine Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen, also gerade auch die Voraussetzungen für einen Vertrauensschutz, insbesondere nicht dessen Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis vom Wegfall des Anspruchs ab 08.07.1996, entnehmen. Die Beklagte kannte die Ansicht des Klägers, er habe bis zum 28.08.1996 aufgrund des Teilnehmervertrages Verpflichtungen gegenüber dem Praktikumsbetrieb und deshalb einen Anspruch auf Uhg, zumindest für die tatsächlich bis zum 12.07.1996 geleistete Praktikantentätigkeit, vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nicht. Damit waren ihr die entscheidungserheblichen subjektiven Tatsachen nicht bekannt und konnten von ihr nicht in die Prüfung der Aufhebung einbezogen werden.

Der vorliegende Verfahrensfehler ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X durch Nachholung einer ordnungsgemäßen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt. Nach der Begründung im Widerspruchsbescheid vom 31.07.1996 ist eine solche Nachholung bewußt nicht vorgenommen worden.

Dazu ist es erforderlich, dass die Begründung des mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheides selbst alle Tatsachen enthält, auf die es nach der Rechtsansicht der Behörde für den Verfügungssatz objektiv ankommt (vgl. BSG, Urt. v. 14.07.1994, Az.: 7 RAr 104/93). Die mit Widerspruch angegriffenen Bescheide erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Die Beklagte hat den Aufhebungsbescheid vom 22.07.1996 nur mit einer Arbeitsaufnahme des Klägers zum 08.07.1996 begründet. Im Erstattungsbescheid vom 02.08.1996 wird ebenfalls auf die Arbeitsaufnahme und den Wegfall der Leistungsvoraussetzungen Bezug genommmen. Damit enthalten die Begründungen der Bescheide nicht alle Tatsachen, auf die es für den Verfügungssatz nach der Rechtsansicht der Behörde im Widerspruchsbescheid objektiv ankommt. Denn nach unzutreffender Ansicht der Beklagten kam es zunächst nur auf die Tatsache der Arbeitsaufnahme zum 08.07.1996 an. Die Beklagte stützte jedoch den Widerspruchsbescheid auf andere Tatsachen, nämlich die Aufgabe der beabsichtigten Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung nach Abschluß der Maßnahme und Kenntnis vom Entfallen der Leistungsvoraussetzungen. Diese Tatsachen hat die Beklagte dem Kläger aber vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht mitgeteilt.

Auch bei der persönlichen Vorsprache am 29.07.1996 ist dies ausweislich des Beratungsvermerkes nicht erfolgt. Zwar hat sich der Kläger bei diesem Termin gegen den rückwirkenden Abbruch des Umschulungsmaßnahme zum 08.07.1996 gewandt. Der Beratungsvermerk erhält aber keinen Hinweis darüber, dass der Kläger dabei über die für die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides entscheidungserheblichen Tatsachen informiert wurde. Er wiederholte insoweit nur bekannte Tatsachen, nämlich die Tätigkeit als Praktikant bis 12.07.1996 und die Mitteilung von 10.07.1996 über die Erteilung der Reisegewerbekarte.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist eine Nachholung der erforderlichen Anhörung auch nicht durch die Widerspruchsbegründung des Klägers entbehrlich geworden. Der Kläger stützt den Widerspruch auf die Teilnahme am Praktikum bis 27.08.1996. Außerdem wendet er ein, mit Erteilung der Reisegewerbekarte sei nicht zwangsläufig eine Arbeitsaufnahme verbunden. Zum einen betrifft diese Begründung nur einen Teil der entscheidungserheblichen Tatsachen. Inhaltlich stellen diese Angaben aber bezüglich des Zeitpunkts einer eventuellen Änderung der Verhältnisse ein klares Abweichen von der Interpretation der Beklagten, der Kläger habe eine Arbeitsaufnahme ab 10. Juli 1996 angezeigt, dar. Zu den die Kenntnis oder groben Fahrlässigkeit begründenden Tatsachen äußert sich der Kläger darin aber nicht. Zum anderen besteht die Anhörungspflicht der Behörde unabhängig von vorherigen Äußerungen des Betroffenen und ist nur in gesetzlichen Ausnahmefällen entbehrlich. Die Behörde muß deshalb bei einer Änderung der entscheidungserheblichen Tatsachen - nicht bei nachträglicher Änderung der Rechtsgrundlage unter Berücksichtigung derselben Tatsachen - den Betroffenen erneut anhören.

Die Rechtslage änderte sich durch die Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X (Art. 10 Nr. 5 Gesetz zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften) mit Wirkung zum 01.01.2001, wonach eine Anhörung nunmehr bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- und verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Diese Neuregelung ist aber nach allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozeßrechts (BSG, Urt. v. 18.09.1997, Az.: 11 RAr 9/97) lediglich auf Verfahren anzuwenden, deren Vorverfahren nicht zum 01.01.2001 durch Widerspruchsbescheid abgeschlossen war. Das ist hier nicht der Fall. Eine davon abweichende ausdrückliche Übergangsregelung hierzu ist nicht getroffen worden.

2) Die angefochtenen Bescheide sind aber insoweit rechtmäßig als die Bewilligung des Uhg mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde und verletzen insoweit den Kläger nicht in seinen Rechten.

Scheitert die Aufhebung der Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit, ist stets zu prüfen, ob der insoweit fehlerhafte Aufhebungsbescheid nicht zumindest die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft erfüllt (vgl. BSGE 67, 104, 121 f. zu § 45 SGB X).

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung des Uhg mit Wirkung für die Zukunft gem. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X liegen vor. Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Der Bewilligungsbescheid vom 29.02.1994 in der Fassung der Änderungsbescheide ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Denn mit der Bewilligung des Uhg wird ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis begründet.

Vorliegend ist eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Der Kläger nahm zum 28.08.1996 eine selbständige Tätigkeit auf. Diese Absicht hatte er bereits bei Erteilung der Reisegewerbekarte am 08.07.1996. Die Förderungsvoraussetzungen sind damit entfallen, § 36 Nr. 1 AFG i.V.m. § 4 Abs. 1 Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (A Fortbildung und Umschulung). Nach § 36 Abs. 1 AFG dürfen Leistungen zu individuellen Förderung der beruflichen Bildung nur gewährt werden, wenn der Antragsteller beabsichtigt, eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung im Geltungsbereich des Gesetzes aufzunehmen oder fortzuführen. § 4 Abs. 1 A Fortbildung und Umschulung enthält folgende ergänzende Regelung: Personen, die sich beruflich fortbilden oder umschulen wollen, werden nur gefördert, wenn die beabsichtigen, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuüben.

Von einer Anhörung gem. § 24 Abs. 1 SGB X konnte die Beklagte insoweit absehen. Denn der Kläger hat vor Erlass des Aufhebungsbescheides vom 22.07.1996 die für die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft erheblichen Tatsachen mitgeteilt. Entscheidungserheblich ist die Ändeurng der tatsächlichen Verhältnisse und damit die mit Erteilung der Reisegewerbekarte verbundene Absicht, die selbständige Tätigkeit ab 28.08.1996 aufzunehmen. Diese teilte der Kläger der Beklagten bereits mit Schreiben vom 10.07.1996 mit.

Der Aufhebungsbescheid vom 22.07.1996 ging dem Kläger am 24.07.1996 zu. Ab diesem Zeitpunkt setzt die Wirkung der Aufhebung für die Zukunft gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein (vgl. Kass. Komm. § 45 Rn. 17). Insoweit ist der angefochtene Aufhebungsbescheid rechtmäßig.

3) Der Erstattungsbescheid vom 02.08.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.1996 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Erstattung setzt gem. § 50 Abs. 1 SGB X die Aufhebung der Bewilligung des ausgezahlten Uhg voraus. Die Beklagte hat zwar den Bewilligungsbescheid aufgehoben; dieser Aufhebungsbescheid ist teilweise rechtswidrig. Die Anfechtungsklage hat bezüglich der Aufhebung mit Rechtswirkung für die Vergangenheit und damit hinsichtlich des der Erstattungsforderung zugrunde liegenden Zeitraumes Erfolg.

Soweit die Erstattung darüberhinaus Fahrtkosten für den Monat Juli 1996 betrifft, ist die Erstattung bereits deshalb rechtswidrig, weil der Bewilligungsbescheid vom 01.03.1996 nicht aufgehoben wurde. Der Erstattung steht damit ein bindender Verwaltungsakt entgegen. Der Kläger hat diese Leistung nicht ohne Rechtsgrund erhalten.

Die Beklagte hat dem Kläger ferner den auf die Zahlungsaufforderung vom 08.08.1996 bereits erstatteten Betrag (344,04 DM) zurückzuerstatten.

4) Soweit der Kläger im Berufungsverfahren im Wege der Leistungsklage Zinsen und Zinseszinsen begehrt, ist sein Antrag unzulässig.

Der Kläger hat zwar einen Anspruch auf Zinsen gem. § 44 Abs. 1 SGB I ab Fälligkeit in Höhe von 4 %. Dieser Anspruch ist aber zunächst gegenüber der Beklagten in einem Verwaltungsverfahren geltend zu machen. Insoweit bedarf es eines Antrages und einer Verwaltungsentscheidung. Für eine Leistungsklageklage fehlt es bei diesem Sachstand an einem Rechtsschutzbedürfnis.

Rein vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass für einen Anspruch auf Zinseszinsen im übrigen keine Rechtsgrundlage besteht. Unabhängig davon ist die Leistungsklage aber ebenfalls aus dem zuvor genannten Grund bereits unzulässig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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