L 2 BL 1/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 5 BL 37/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 BL 1/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
S 5 BL 38/96
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts geändert. Der Erstattungsbetrag wird auf 2793,00 DM festgesetzt. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat den Klägern ein Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte von den Klägern, den Erben von Frau G ... N ... (N.), einen Betrag in Höhe von 2.793,00 DM zurückfordern darf.

Am 23.03.1992 wurde unter Beifügung eines augenärztlichen Befundberichtes vom 06.02.1992 vom Landratsamt Z ... für Frau N. Blindengeld beantragt. Mit Bescheid des Beklagten vom 07.07.1992 wurde Frau N. rückwirkend bis zur Entscheidung über den endgültigen Anspruch auf Landesblindengeld eine vorläufige Leistung in Höhe von monatlich 600,00 DM gewährt. Die endgültige Entscheidung ergehe nach Eingang des beigefügten Antrages. Unter Nr. 9 dieses Antrages wurde erfragt, ob Pflegegeld bezogen werde. Vom Kläger zu 2., dem Ehemann von Frau N., wurde für diese mit der Unterschrift vom 25.08.1992 unter das Antragsformular u. a. erklärt, dass Änderungen in den Verhältnissen, z. B. der Bezug einer gleichartigen Leistung unverzüglich mitgeteilt würden.

Mit Bescheid vom 05.10.1992 bewilligte die Bundesknappschaft Frau N. Pflegeld wegen Schwerpflegebedürftigkeit gem. § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. H. v. 400,00 DM monatlich ab Juli 1992. Grundlage für die Anerkennung der Schwerpflegebedürftigkeit war eine Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes der Bundesknappschaft, wonach bei Frau N. eine fortgeschrittene Retinopathia diabetika beidseits mit Maculadegeneration und konsekutiver, fast vollständiger Amaurose vorlag, ferner ein Zustand nach Operation eines Karzinoms der Vagina mit Radiatio und Harninkontinenz, eine chronische cerebrovaskuläre Insuffizienz, eine chronisch-ischämische Herzkrankheit und ein tablettenpflichtiger Diabetes mellitus. Auf eine Anfrage des Beklagten vom 25.06.1993 bezüglich des Bezuges von Pflegegeld wurde vom Kläger zu 2. mitgeteilt, dass seit 1992 Pflegegeld bezogen werde.

Nach Einholen eines Befundberichtes und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme verfügte der Beklagte mit Bescheid vom 02.03.1994 die Anrechnung der Hälfte des Pflegegeldes auf das Blindengeld, weil das Pflegegeld zu einem wesentlichen Teil wegen der Blindheit gezahlt werde. Damit sei ab 01.07.1992 Blindengeld (nur) in Höhe von 400,00 DM zu gewähren. Es ergebe sich für die Zeit vom 01.07.1992 bis 31.03.1994 eine Überzahlung von 4.200,00 DM, die zurückgefordert werde. Der Rückerstattungsanspruch sei begründet, da nach dem allgemeinen Grundsatz der Vermeidung von Doppelzahlungen für den gleichen Zweck keine Mehrfachzahlung verlangt werden könne.

Nachdem der Kläger zu 2. für Frau N. Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt hatte, forderte der Beklagte nochmals medizinische Unterlagen an, in denen im Wesentlichen die von der Bundesknappschaft genannten Diagnosen aufgeführt waren. Nachdem der Versorgungsärztliche Dienst des Beklagten auf der Grundlage dieser Gutachten einen Zusammenhang von Pflegebedürftigkeit und Blindheit bejaht hatte, übersandte der Beklagte am 16.06.1994 ein Anhörungsschreiben nach § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), an Frau N., in dem im Wesentlichen der Inhalt des Bescheides vom 02.03.1994 wiederholt und darauf hingewiesen wurde, dass das Anhörungsschreiben vor Bescheiderteilung hätte übersandt werden sollen und dies nunmehr im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt werde. Am 05.07.1994 ließ Frau N. mitteilen, sie habe auf die Richtigkeit des vorläufigen Bescheides vertraut und das Geld für Dienstleistungen ausgegeben, die aufgrund ihrer Blindheit erforderlich geworden seien.

Nachdem der Sozialmedizinische Dienst des Beklagten am 29.12.1994 nochmals ausgeführt hatte, dass nicht ersichtlich sei, dass auch ohne die Blindheit Schwerpflegebedürftigkeit vorgelegen hätte, wurde mit Bescheid vom 16.01.1995, gerichtet an Frau N., der Widerspruch zurückgewiesen. Am 23.01.1995 teilte der Kläger zu 2. unter Beifügung einer Sterbeurkunde mit, dass seine Frau am 03.12.1994 verstorben sei. Nach Anforderung eines Erbscheins, aus dem hervorgeht, dass Frau N. von den Klägern je zur Hälfte beerbt worden ist, wurde mit an die Kläger zu 1. und 2. adressierten Widerspruchsbescheiden vom 14.11.1996, abgesandt am 21.11.1996, der Widerspruch zurückgewiesen.

Am 19.12.1996 haben die Kläger in selbständigen Klageschriften das Sozialgericht Chemnitz (SG) angerufen, das mit Beschluss vom 11.10.1999 die Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 30.11.1999 den Bescheid vom 02.03.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.11.1996 aufgehoben hat.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die verstorbene Frau N. könne keine Nachlassverbindlichkeit sein, da der Anspruch auf Blindengeld insgesamt nicht vererblich sei, weder hinsichtlich der Aktiva noch hinsichtlich der Passiva. § 3 S. 2 Landesblindengeldgesetz (LBlindG) in der Fassung des Gesetzes vom 11.12.1995 (GVGl. S. 358) regele nur abgelaufene Zeiträume und bestimme abweichend von § 59 S. 2 SGB I, dass Ansprüche auf Geldleistungen in jedem Fall erlöschten. Das Konkurrenzverhältnis beider Normen bestehe nicht darin, dass § 3 S. 2 LBlindG lex specialis sei, vielmehr sei § 59 S. 2 SGB I von vornherein nicht anwendbar. Zu berücksichtigen sei des Weiteren, dass die §§ 1922 und 1967 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für öffentlich-rechtliche Ansprüche nur analog gälten. Es ergebe sich allgemein eine Rangfolge der Haftung, an deren erster Stelle die Sonderrechtsnachfolge entweder durch spezialgesetzliche Regelung im besonderen Teil, einem Leistungsgesetz oder durch §§ 56, 57 SGB I stehe, an zweiter Stelle Vererbung, entweder durch spezialgesetzliche Regelung im besonderen Teil bzw. Leistungsgesetz oder durch §§ 58, 59 SGB I und drittens die analoge Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften. Vor diesem Hintergrund erscheine es zumindest systemwidrig, wenn die Frage der Vererbung spezialgesetzlich gelöst werde, für die Frage der Nachlassverbindlichkeiten aber auf allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts in analoger Anwendung zurückgegriffen werden müsse. Es sei nicht stimmig, Sozialleistungen, denen auf der einen Seite ein höchstpersönlicher Charakter zugesprochen werde, dann auf der anderen Seite doch in den Nachlass fallen zu lassen für den Fall, dass sich ein Negativsaldo ergebe. Dies sei vorliegend nur dann möglich, wenn man die Regelung des § 3 S. 2 LBlindG auf die Frage der Rechtsnachfolge und der Vererbung im eigentlichen Sinne beziehe, für die Frage der Nachlassverbindlichkeiten aber mangels einer ausdrücklichen Regelung auf den Rechtsgedanken des § 1967 BGB ausweiche. Es sei von einer Unteilbarkeit des Sozialrechtsverhältnisses auszugehen. Durch die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Vererbung schlechthin und unbedingt auszuschließen, werde das Sozialrechtsverhältnis als Ganzes dem Nachlass entzogen. Mit dem Tode von Frau N. sei somit der Anspruch auf Landesblindengeld mit Wirkung für die Vergangenheit unabhängig von der Frage erloschen, ob eine Überprüfung einen Auszahlungsanspruch oder einen Erstattungsanspruch ergebe.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 21.12.1999 zugestellte Urteil am 11.01.2000 Berufung eingelegt und ausgeführt, der angefochtene Bescheid werde dahin korrigiert, dass lediglich ein Betrag von 2793,00 DM zurückgefordert werde. Entsprechend der Rechtsprechung des Berufungsgerichtes werde nicht mehr die Hälfte des empfangenen Pflegegeldes, sondern nur ein Drittel desselben (133,00 DM) angerechnet. Im Übrigen könne dem Urteil des SG nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung der Nichtvererbbarkeit des Blindengeldes sicherstellen wollen, dass das Blindengeld den Blinden selbst, wegen ihrer blindheitsbedingten Mehraufwendungen, zugute komme und nicht den Erben. Da die Rückforderung auch gegenüber Frau N. durchgesetzt worden wäre, sei kein Grund ersichtlich, warum der zu Unrecht bereicherte Nachlass nicht durch eine Rückforderung solle belastet werden können.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 30.11.1999 insoweit aufzuheben, als der Bescheid vom 02.03.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.11.1996 vollumfänglich und nicht nur insoweit aufgehoben wurde, als ab Juli 1992 monatliche Pflegeleistungen über einen Betrag von 133,00 DM hinaus auf die monatlichen Blindengeldzahlungen angerechnet wurden und eine Überzahlung über einen Betrag von 2793,00 DM hinaus zurückgefordert wurde, und die Klage bezüglich des Betrages von 2.793,00 DM abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beziehen sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG und machen darüber hinaus geltend, die Erblasserin habe das Geld für sich verbraucht. Des Weiteren werde der Nachlass dürftig, wenn der Beklagte auch nur zum Teil mit seinem Anspruch durchdringe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 02.03.1994 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14.11.1996 ist rechtmäßig, soweit der noch mit der Berufung geltend gemachte Betrag von 2793,00 DM gefordert wird. Er belastet den Nachlass, in den die Erstattungsschuld nach den allgemeinen Regeln gelangt ist. Diese Rechtsfolge wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach § 3 S. 2 des Gesetzes über die Gewährung eines Landenblindengeldgesetzes und anderer Nachteilsausgleiche vom 11.02.1992 (SächsGVBl. S. 53 - LBlindG -) der Anspruch auf Blindengeld nicht vererblich ist (vgl. Urteile des Senates vom 24. April 1996 - L 2 BL 5/95 - und vom 26.01.2000 - L 2 BL 4/98).

Auch bei unvererblichen Rechten findet eine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten statt (vgl. BSG Breithaupt 1980, 409, 411). Entgegen der Ansicht des SG lässt sich aus § 3 S. 2 LBlindG ein Ausschluss der Erbenhaftung nicht herleiten. Der Senat hat dazu im Urteil vom 26.01.2000 im Wesentlichen ausgeführt:

Gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 LBlindG endet der Anspruch auf Blindengeld mit Ablauf des Monats, in dem die Voraussetzungen weggefallen sind. Da dies ohne Zweifel beim Tod einer Berechtigten der Fall ist, kann sich eine mögliche Verbindlichkeit von vornherein nur auf solche Ansprüche beziehen, die noch zu Lebzeiten einer Berechtigten entstanden sind. Die nachträgliche Zahlung einer Leistung an einen Erben, die zum Ausgleich der durch Blindheit bedingten Mehraufwendungen und sonstiger Nachteile des Blinden selbst bestimmt ist, würde den Leistungszweck verfehlen. Eine vergleichbare Zweckverfehlung bestünde bei einer Doppelleistung im Sinne von § 2 Abs. 3 LBlindG. Stand das Blindengeld - soweit die Gleichartigkeit reicht - schon der Blinden selbst nicht zu, so muss dies erst recht für die insoweit unberechtigt bereicherten Erben gelten. Das der Nichtvererblichkeit zugrunde liegende Prinzip gebietet es deshalb, die Grundlage dafür zu schaffen, dass eine der Blinden zu Unrecht erbrachte und damit ihren Zweck verfehlende Leistung dem Grunde nach zurückgefordert werden kann.

Zu der vom SG vertretenen Rechtsauffassung ist auf folgendes hinzuweisen:

Dem SG ist zwar darin zu folgen, daß § 3 S. 2 LBlindG eine im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes abweichende Regelung zu einer Vorschrift des SGB I - nämlich § 59 S. 2 SGB I (und ergänzend ist hinzuzufügen: auch zu § 58 SGB I) - trifft: Ansprüche auf Blindengeld sind nicht vererblich. Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch der vom SG daraus gezogenen Konsequenz, dass dies - aus Gründen der Symmetrie - auch für das (Nicht-)Erben von Schulden gelte. Zwar ist gegen die vom SG aufgestellte "Haftungsrangfolge" an sich nichts einzuwenden. Der Senat vermag aber nicht die vom SG behauptete Systemwidrigkeit zu erkennen, die dann bestünde, wenn die Vererbung (von Leistungen) spezialgesetzlich geregelt wäre, für die Nachlassverbindlichkeiten aber auf allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts zurückgegriffen werden müsste. Dem ist entgegenzuhalten, dass es zunächst darauf ankommt, ob die in Anspruch Genommenen überhaupt Erben geworden sind, was sich nach den §§ 1922 BGB richtet und im hier zu entscheidenden Fall nicht zweifelhaft ist. In einem zweiten Schritt ist der Umfang der Gesamtrechtsnachfolge zu klären, insbesondere inwieweit öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten von § 1967 BGB ("der Erbe haftet für die Nachlassverbindlichkeiten") umfasst sind. Auch dies ist im Grundsatz nicht zweifelhaft, unterschiedliche Ansätze betreffen nur die Frage, ob die Haftungsvorschriften unmittelbar anzuwenden sind (so Stadie, Rechtsnachfolge im Verwaltungsrecht, DVBl. 1990, 501 ff.) oder lediglich analog (so Siegmann in: Münchner Kommentar zum BGB, Rn. 75 zu § 1967; Erichsen, Das Verwaltungshandeln Rn. 51 in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998 S. 259; allgemein zum Meinungsstand Stober in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, § 42 Rn. 60). Im Übrigen hat das SG selbst mit dem Nennen von § 57 Abs. 2 SGB I den richtigen Lösungsansatz bezeichnet: Wenn im Falle der Sonderrechtsnachfolge eine Haftung der Erben entfällt, dann setzt dies tatsächlich eine Erbenhaftung dem Grundsatz nach voraus (soweit das SG meint, eine "diametral" entgegengesetzte Auslegung werde von Gitter, NJW 1979, 1031 vertreten, beruht dies auf einer Überinterpretation eines bloßen, weiter nicht differenzierten Hinweises auf diese Norm).

Erst in dem folgenden dritten Schritt stellt sich die Frage, ob ein konkreter öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch aufgrund ausdrücklicher Regelungen oder allgemeiner Prinzipien von der grundsätzlich bestehenden Erbenhaftung ausgenommen ist. Da es wie auch sonst im öffentlichen Recht (von Ausnahmen wie § 92c BSHG abgesehen) an ausdrücklichen Regelungen über Erbenhaftung fehlt, muss zunächst die Lösung aus einer Auslegung der Leistungsnormen - hier vorrangig aus deren Zweck - gewonnen werden, wobei freilich der Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze durchaus legitim ist.

Im Unterschied zu den Entgeltersatzleistungen insbesondere des Sozialversicherungsrechts dient das Blindengeld nicht der Deckung allgemeiner Lebensunterhaltskosten sondern allein dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und sonstigen Nachteile (§ 1 Abs. 1 LBlindG). Daran anknüpfend geht die Nichtvererblichkeit des Anspruchs von dem Gedanken aus, dass es sich hier um einen höchstpersönlichen Anspruch auf den Ausgleich individueller Bedürfnisse handelt, aus dessen Nichterfüllung dem Erben kein eigener Nachteil erwächst (so bereits Senat, Urt. v. 28.04.1999 - L 2 BL 3/95 - Umdr. S. 11). Wurde einer Blinden eine Leistung (wenigstens zum Teil) zu Unrecht erbracht, dann hatte sie von vornherein ihren gesetzlichen Zweck verfehlt. Eine höchst persönliche Schutzwürdigkeit kann daher insoweit erst gar nicht entstanden sein. Damit aber entfällt das gedankliche Glied zur (angeblichen) Nichtvererbbarkeit der Verbindlichkeit: die Überzahlung als solche und damit auch die Rückforderung hat keinen höchstpersönlichen Charakter (anders etwa als ein Ordnungs- oder Zwangsgeld). Der vom SG vermissten Stimmigkeit ist entgegenzuhalten, dass das von ihm für zutreffend gehaltene Ergebnis einen Unrechtstatbestand über den Tod der Nichtberechtigten hinaus perpetuiert und potenziert: Ist die zu Unrecht erbrachte Leistung wenigstens der durch ihr Leiden schwer getroffenen Blinden zugute gekommen, dann sind die nicht betroffenen und unversehrten Erben durch die Fehlleistung voll begünstigt, weil sich - jedenfalls rechnerisch - der Nachlass um den Betrag erhöht, der ansonst hätte ausgegeben werden müssen, um die tatsächlich getätigten Aufwendungen zu finanzieren. Im Ergebnis machte eine Nichtvererblichkeit eines Blindengeld-Erstattungsanspruchs die Erben zu Nutznießern einer Leistung (aus einem begrenzten öffentlichen Etat), für die sie nicht gedacht waren. Dies ist unstimmig.

Der Beklagte durfte den ursprünglichen Leistungsbescheid wegen des Eintritts einer wesentlichen Änderung teilweise aufheben. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Betroffene nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt hat, welches zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt gemäß S. 3 der Vorschrift in den Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum anzurechnen ist, der Beginn dieses Anrechnungszeitraumes.

Bei der Bewilligung des Landesblindengeldes handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Durch die Bewilligung von Pflegegeld, welches entsprechend der Vorgehensweise des Beklagten auf das Blindengeld anzurechnen ist, ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen von Frau N. eingetreten.

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X "soll" der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt des Eintritts der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wobei nach den allgemeinen Auslegungsprinzipien mit "soll" ein auf den Regelfall abstellendes Müssen gemeint, jedoch für Ausnahmen eine andere Entscheidung erlaubt ist. In "atypischen" Fallgestaltungen besteht dann für die Verwaltung keine Pflicht zur rückwirkenden Aufhebung. Vielmehr hat sie im Wege einer Ermessensentscheidung darüber zu befinden, ob der Verwaltungsakt rückwirkend aufzuheben ist oder nicht (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 26.10.1998, S. 9 - Az.: B 2 U 35/97 R m. w. N.).

Bei der Entscheidung darüber, ob ein bestimmter Sachverhalt einen atypischen Fall darstellt, verfügt die Verwaltung nicht über Ermessen (BSGE 59, 111, 115; 66, 103, 108; 74, 287, 293), vielmehr haben dies die Gerichte selbst zu überprüfen und zu entscheiden. Diese Entscheidung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44). Ein solcher muss, um als atypisch angesehen werden zu können, Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen. Zu berücksichtigen ist bei dieser Beurteilung - wegen der mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Erstattungspflicht des Empfängers zu Unrecht erbrachter Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) -, ob die Rückerstattung nach Lage des Falles eine unzumutbare Härte bedeuten würde, die den Leistungsbezieher in untypischer Weise stärker belastete als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSGE 74, 287, 294). Ein irreversibler Verbrauch der erhaltenen Überzahlung, aus der die Empfängerin die Erstattungsforderung sonst beglichen hätte, stellt für sich genommen keinen Umstand dar, der als besondere Härte die sich aus Nr. 3 des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X begründende Aufhebungsbefugnis einschränken könnte.

So hat das BSG einen atypischen Fall dann angenommen, wenn der Betroffene aufgrund besonderer Umstände nicht damit zu rechnen brauchte, erstattungspflichtig zu werden, und er im Vertrauen darauf das nachträglich erzielte Einkommen, aus dem er sonst die Erstattungsforderung beglichen hätte, ausgegeben hat (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Betroffene aus seiner Sicht zu Recht davon ausgehen konnte, dass eine Doppelleistung überhaupt nicht entstanden sei (vgl. BSG vom 28.10.1998, S. 10 - Az.: B 2 U 35/97 R).

Der hier zu beurteilende Sachverhalt stellt keinen atypischen Fall dar. Der Kläger zu 2. hatte bereits mit der Unterschrift unter das Antragsformular für die Bewilligung von Landesblindengeld am 25.08.1992 erklärt, dass Änderungen in den Verhältnissen, z. B. der Bezug einer gleichartigen Leistung unverzüglich mitgeteilt würden. Auch war erfragt worden, ob Pflegegeld bezogen werde. Somit war für die Klägerin erkennbar, dass die Gewährung von Pflegegeld Einfluss auf die Höhe des Blindengeldes haben kann, wobei der Senat als selbstverständlich voraussetzt, dass Frau N. von ihrem Ehemann entsprechend unterrichtet wurde (Sofern dies nicht geschehen sein sollte, wäre ein Berufen darauf rechtsmissbräuchlich.). Frau N. musste somit mit einer Leistungsminderung in Bezug auf das Blindengeld rechnen.

Auch aus dem Verhalten des Beklagten lässt sich kein atypischer Fall herleiten. Zwar kann eine fehlerhafte Sachbearbeitung als Abweichung von der typischerweise erwartbar korrekten im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestandes nach § 48 Abs. 1 SGB X ergeben (BSGE 74, 287, 294). Hier hatte der Beklagte jedoch ausreichend frühzeitig, nämlich bereits mit dem Antragsformular, erklärt, dass Änderungen in den Verhältnissen mitgeteilt werden müssten und sich nach dem Bezug von Pflegegeld erkundigt. Dass im Übrigen durch Frau N. bzw. den Kläger zu 2. dies erst auf die schriftliche Anfrage des Beklagten vom 25.06.1993 mitgeteilt wurde, ist allerdings nicht weiter entscheidungserheblich, da die Rückforderung nicht aufgrund fehlender Erfüllung von Mitwirkungspflichten erfolgte, sondern nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X wegen der Erzielung von Einkommen, das zur Minderung des Anspruchs auf Blindengeld führte. Wenn nachträglich eine anrechenbare Leistung erzielt worden ist, reicht dies allein zur Aufhebung aus, ohne dass es noch auf Verschulden ankommt. Die zunächst unterbliebene Anhörung (§ 24 SGB X) konnte im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden.

Soweit der Beklagte mit der Berufung noch einen Betrag von 2.793,00 DM von den Erben zurückfordert, ist dies sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Er folgt damit der ständigen Rechtsprechung des Senats (grundlegend Urteil vom 28. April 1999 - L 2 BL 3/97, vgl. auch Urteil vom 26.01.2000, aaO.):

Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 LBlindG werden gleichartige Leistungen, die der Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Vorschriften erhält, auf das Blindengeld angerechnet. Bei dem Frau N. gewährten Pflegegeld handelt es sich um eine gleichartige Leistung i.S. dieser Vorschrift. Dass Blindengeld von Anfang an auch für die Bestreitung von Pflegekosten gedacht war, ergibt sich schon aus § 2 Abs. 1 S. 1 LBlindG, wonach dann, wenn sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befindet und die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen werden, das Blindengeld sich um die aus diesen Mitteln bestrittenen Kosten verringert, höchstens jedoch um 50 vom Hundert des gewährten Blindengeldes. Der Senat hat dieser Regelung über seinen spezifischen Anwendungsbereich die Grundentscheidung des sächsischen Gesetzgebers entnommen, für pflegerische Aufwendungen in einem weiteren Sinne nur die Hälfte des Pflegegeldes anzusetzen und den übrigen Teil der Leistung den Blinden zur freien Verfügung zu überlassen. Somit dürfen, soweit Blinde pflegerische Leistungen benötigen, diese (nur) bis zur Hälfte des Blindengeldes als gleichartige Leistung angerechnet werden.

Des Weiteren hat der Senat bereits in den genannten Urteilen ausgeführt, dass sich blindheitsbedingter Mehrbedarf generalisierend aufgliedern lässt in die drei Bereiche der technischen Hilfen (z. B. Lese- und Audiogeräte), des Kommunikationsersatzes (z. B. Besuch von Konzerten, Theater und anderen Veranstaltungen), sowie der persönlichen Dienstleistungen als dem Bereich der eigentlichen Pflegeleistungen. Die beiden erstgenannten werden von der Pflegeversicherung nicht erfasst, es bleibt als mögliche gleichartige und damit anrechenbare Leistung die dritte Gruppe, auf die - pauschalierend - rechnerisch 1/3 entfällt. Es lässt sich abschätzen, dass etwa die Hälfte der notwendigen pflegerischen Verrichtungen blindheitsbedingt sind, so dass bei einer Leistung von 400,- DM Pflegegeld nach Stufe 1 die Hälfte davon - 200- DM als pflegebedingt übereinstimmt mit dem Drittel des (ursprünglich) mit 600,- DM angesetzten Blindengeldes.

Erhalten Blinde Pflegegeld nach Stufe II, so kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass der in dieser Stufe zu erbringende erhöhte Pflegeaufwand allein oder auch nur überwiegend auf einem blindheitsbedingten Mehrbedarf beruht. Dann, wenn ein Stadium der Beeinträchtigung der Sehschärfe in dem nach § 2 Abs. 2 LBlindG erforderlichen Grade eingetreten ist, kann sich, was den pflegerischen Aspekt der benötigten Hilfeleistungen betrifft, eine weitere Beeinträchtigung bis hin zur totalen Blindheit nur noch marginal, jedenfalls aber nicht vervielfachend auswirken. In Betracht zu ziehen ist jedoch, dass durch das Hinzutreten weiterer Gebrechen die blindheitsbedingten Leistungen schwieriger werden und einen erhöhten Zeitaufwand erfordern. Dem lässt sich durch eine Abstufung des Gleichartigkeits-Anteils Rechnung tragen, die sowohl berücksichtigt, dass der prozentuale Anteil an der Gesamtleistung zurückgeht als auch, dass der tatsächliche Aufwand als absolute Größe wächst.

Folgende Staffelung der Anrechnung hält der Senat für angemessen und geboten:

Stufe I: 1/2, Anrechnung gem. § 37 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI: 200,00 DM; Stufe II: 1/3, Anrechnung gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI: 266,66 DM; Stufe III: 1/4, Anrechnung gem. § 37 Abs. 1 Nr. 3 SGB XI: 325,00 DM.

Da diejenigen pflegebedürftigen Blinden, die bis zum 31.03.1995 Leistungen nach den §§ 53 bis 57 SGB V erhalten haben - nach § 57 Abs. 1 SGB V 400,00 DM je Kalendermonat -, gem. Art. 45 Abs. 1 Pflegeversicherungsgesetz der Pflegestufe II zugeordnet werden, gilt für diese Leistung das oben Ausgeführte entsprechend: Als gleichartige Leistung sind auch in diesen Fällen nur 1/3, also 133,33 DM anzurechnen.

Diese allgemeinen Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, führen zu folgendem Ergebnis: Frau N. hatte grundsätzlich gem. § 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 LBlindG einen Blindengeldanspruch auf 600,00 DM monatlich. Ab Juli 1992 erhielt sie zusätzlich Pflegegeld in Höhe von 400,00 DM monatlich. Für die Zeit des Bezuges von Blindengeld und von Pflegegeld ist auf das Blindengeld ein Drittel von 400,00 DM anzurechnen. Der Beklagte hat jedoch von Juli 1992 bis März 1994, also für 21 Monate, Blindengeld in voller Höhe und nicht gekürzt um den Anrechnungsbetrag von 133,33 DM ausgezahlt. Frau N. hatte somit einen Betrag in Höhe von 21 x 133,33 DM (2.799,93) zu viel erhalten. Diesen Betrag war der Beklagte berechtigt zurückzufordern und insoweit durfte er den bewilligenden Bescheid vom 07.07.1992 aufheben. Soweit der Beklagte den Erstattungsbetrag auf 2.793,00 DM (21x133,00 DM) begrenzt hat, begegnet dies keinen Bedenken.

Gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Dementsprechend ist vom Beklagten eine Rückforderung im Bescheid vom 02.03.1994, zunächst in Höhe von 4.200,00 DM, dann reduziert auf 2.793,00 DM geltend gemacht worden. In dieser Höhe ist nunmehr der Nachlass mit einer Erstattungsforderung belastet. Ob dies zur Folge hat, dass der Nachlass überschuldet ist, kann dahinstehen, da die Kläger die Möglichkeit haben, die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses zu erheben mit der Folge, dass die Haftung auf den Nachlass beschränkt wird (Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, 2. Auflage 1989, Bearb. Siegmann, vor § 1967, Rn. 1 a. E., § 1990, Rn. 11). Die Entscheidung über die Haftungsbeschränkung kann auch noch in die Vollstreckungsinstanz verlagert werden (a. a. O., Rn. 16, vgl. auch Urteil des Senates vom 26.01.2000, a. a. O., S. 17). Da wegen der Möglichkeit, die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses zu erheben, eine besondere Berücksichtigung der Belange der Kläger nicht erforderlich war, musste gegenüber den Klägern auch kein neuer Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ergehen (vgl. Kasseler Kommentar, Bearb. Steinwedel, Stand Dezember 1998, § 50 SGB X, Rn. 19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved