L 2 BL 3/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 5 BL 8/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 BL 3/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 30.11.1999 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Beklagte hat den Klägern ein Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte von den Klägern an deren Mutter, Frau G ... (G.), gezahltes Blindengeld in Höhe von 2.811,00 DM zurückfordern kann.

Frau G. hatte bereits vor dem 31.12.1991 Blindengeld nach dem Recht der DDR erhalten. Mit Schreiben vom 14.02.1992 wurde ihr mitgeteilt, dass rückwirkend zum 01.01.1992 das Sächsische Landesblindengeldgesetz (LBlindG) in Kraft getreten sei und dass sie nach diesem Gesetz einen Anspruch auf entweder 30,00 DM oder 600,00 DM monatlich habe. Die Höhe hänge davon ab, ob sie zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem LBlindG gehöre.

Mit Bescheid vom 22.12.1992 wurde ihr ab 01.01.1992 rückwirkend Blindengeld in Höhe von 600,00 DM monatlich bewilligt. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die Gewährung von Pflegegeld aus einer Unfallversicherung oder einem anderen Leistungsträger wegen der Blindheit unverzüglich dem Amt für Familie und Soziales angezeigt werden müsse. Frau G. teilte daraufhin mit, dass sie vom Unfallversicherungsträger eine Verletztenrente in Höhe von 328,60 DM erhalte. Auf eine weitere Anfrage hin wurde von der Bundesknappschaft am 06.09.1995 angegeben, Frau G. erhalte seit dem 28.12.1994 Pflegegeld gemäß § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalte. Mit Wirkung vom 01.04.1995 sei diese Leistung in die Pflegestufe 2 gemäß § 37 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) überführt worden. Pflegebegründende Diagnosen waren ausweislich eines beigefügten Pflegegutachtens vom 27.04.1995 Blindheit, Asthma bronchiale, chronisch-ischämische Herzkrankheit und Muskelatrophie beider Beine.

Mit Bescheid vom 27.12.1995 setzte der Beklagte die Leistung mit Wirkung vom 01.01.1996 auf 650,00 DM hinauf unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der späteren Neufeststellung für den Fall, dass gleichartige Leistungen bezogen würden.

Mit Bescheid vom 07.03.1996 errechnete der Beklagte unter Berücksichtigung des von Frau G. bezogenen Pflegegeldes eine Rückforderung von 5.427,00 DM.

Am 22.02.1996 war Frau G. jedoch verstorben; am 12.03.1996 wurde dies dem Beklagten mitgeteilt. Am 21.03.1996 gab die Klägerin zu 2. ferner an, dass ihre Mutter nichts hinterlassen habe außer einer 4-Zimmer-Wohnung mit 60 Jahre alten Möbeln. Sie selbst könne die Rückzahlung nicht leisten, da sie Arbeitslosenhilfempfängerin und ihr Mann Rentner sei.

Der Klägerin zu 2. wurde daraufhin am 03.04.1996 ein Rückforderungsbescheid über einen Betrag von 5.027,00 DM übersandt. Die Ermäßigung um 400,00 DM ergab sich daraus, dass der Beklagte das Blindengeld für den Monat März in Höhe von 400,00 DM bereits zurückerhalten hatte.

Die Klägerin zu 2. legte gegen den Bescheid vom 03.04.1996 Widerspruch ein und führte aus, das bezogene Pflegegeld sei keine gleichartige Leistung gewesen und daher auch nicht anzurechnen. Das Pflegegeld sei nicht wegen der Blindheit, sondern wegen chronischer Bronchitis und wegen Asthma gezahlt worden.

Der Beklagte forderte zunächst einen Befundbericht von der Frau G. behandelnden Hausärztin an. Im Befundbericht vom 10.06.1996 wurden zusätzlich zu den bereits bekannten Diagnosen eine Coxarthrose, eine Gonarthrose und eine Wirbelsäulenveränderung mit Gibbus erwähnt.

Ferner übersandte der Beklagte beiden Klägern am 18.02.1997 Schreiben, in denen er darauf hinwies, dass deren Mutter Blindengeld in Höhe von 5.047,- DM zuviel erhalten habe. Die Rückforderung müsse nun gegenüber den Erben geltend gemacht werden. Es werde Gelegenheit zur Stellungnahme vor Bescheiderteilung gegeben. Am 01.04.1997 erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger zu 1. ebenfalls einen Bescheid über die Rückforderung von 5.027,00 DM, worauf auch dieser Widerspruch einlegte. Mit Bescheid vom 21.04.1997 wurden die Widersprüche zurückgewiesen. Daraufhin ist Klage vor dem Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben worden.

Das SG hat weitere medizinische Unterlagen beigezogen, aus denen hervorgeht, dass Frau G. am 19.01.1996 einen Oberschenkelbruch erlitten hatte und deswegen am gleichen Tag in das Kreiskrankenhaus F ... eingewiesen worden war. Dort wurde auch eine Cerebralsklerose diagnostiziert und anläßlich eines Computertomogramms (CT) vom 27.01.1996 nachgewiesen. In einem Befundbericht der behandelnden Hausärztin vom 13.10.1997 sind folgende Diagnosen aufgeführt: Wirbelsäulenveränderungen, Coxarthrose, Gonarthrose, hochgradige Sehschwäche, Hyperthyreose, Hypokalcämie, chronische Emphysembronchitis, Cor pulmonale, Herzinsuffizienz, rezidivierende Lumbalgien bei Wirbelsäulenveränderung, Schwindel, Sturzneigung, zunehmender Schwächezustand, Gibbus.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG wurde vom Beklagten der ursprünglich zurückgeforderte Betrag von 5.027,00 DM auf 2.811,00 DM reduziert; das hierin liegende Anerkenntnis wurde von den Klägern angenommen. Das SG hat mit Urteil vom gleichen Tag die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die verstorbene Frau G. keine Nachlassverbindlichkeit sein könne, da der Anspruch auf Blindengeld insgesamt nicht vererblich sei, weder hinsichtlich der Aktiva noch hinsichtlich der Passiva. § 3 S. 2 LBlindG in der Fassung des Gesetzes vom 11.12.1995 (GVGl. S. 358) habe einen Regelungsgehalt nur bezüglich abgelaufener Zeiträume. Die Regelung bestimme in Abweichung zu § 59 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), dass Ansprüche auf Geldleistungen in jedem Fall erlöschten. Das Konkurrenzverhältnis der beiden Normen bestehe nicht darin, dass § 3 S. 2 LBlindG lex specialis sei, vielmehr finde § 59 S. 2 SGB I von vornherein keine Anwendung. Zu berücksichtigen sei des Weiteren, dass die §§ 1922 und 1967 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für öffentlich-rechtliche Ansprüche nur analog gälten. Es ergebe sich allgemein eine Rangfolge der Haftung, an deren erster Stelle die Sonderrechtsnachfolge entweder durch spezialgesetzliche Regelung im besonderen Teil bzw. Leistungsgesetz oder durch §§ 56, 57 SGB I stehe, an zweiter Stelle Vererbung, entweder durch spezialgesetzliche Regelung im besonderen Teil bzw. Leistungsgesetz oder durch §§ 58, 59 SGB I und drittens die analoge Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften. Vor diesem Hintergrund erscheine es zumindest systemwidrig, wenn die Frage der Vererbung spezialgesetzlich gelöst werde, für die Frage der Nachlassverbindlichkeiten aber auf allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts in analoger Anwendung zurückgegriffen werden müsse. Es sei nicht stimmig, Sozialleistungen, denen auf der einen Seite ein höchstpersönlicher Charakter zugesprochen werde, dann auf der anderen Seite doch in den Nachlass fallen zu lassen für den Fall, dass sich ein Negativsaldo ergebe. Dies sei vorliegend nur dann möglich, wenn man die Regelung des § 3 S. 2 LBlindG auf die Frage der Rechtsnachfolge und der Vererbung im eigentlichen Sinne beziehe, für die Frage der Nachlassverbindlichkeiten aber mangels einer ausdrücklichen Regelung auf den Rechtsgedanken des § 1967 BGB ausweiche. Es sei von einer Unteilbarkeit des Sozialrechtsverhältnisses auszugehen. Durch die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Vererbung schlechthin und unbedingt auszuschließen, werde das Sozialrechtsverhältnis als Ganzes dem Nachlass entzogen. Mit dem Tode der Frau G. sei somit der Anspruch auf Landesblindengeld mit Wirkung für die Vergangenheit unabhängig von der Frage erloschen, ob eine Überprüfung einen Auszahlungsanspruch oder einen Erstattungsanspruch ergebe.

Der Beklagte hat am 18.01.2000 Berufung eingelegt und zur Begründung der Berufung u. a. ausgeführt, es werde ein Betrag von 2.811,00 DM zurückgefordert, da entgegen der Ansicht des SG Blindengeld von den Erben eines Blindengeldempfängers zurückgefordert werden könne.

Der Vertreter des Beklagten beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 30.11.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie haben zum einen auf die Gründe des Urteils des SG verwiesen und zum anderen darauf hingewiesen, dass ihrer Ansicht nach die Pflegebedürftigkeit ausschließlich auf der chronischen Bronchitis und der Herzkrankheit beruht habe. Zudem sei der geforderte Betrag unangemessen hoch.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Akten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 03.04.1996 und 01.04.1997 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.04.1997 in der Form des Teilanerkenntnisses vom 30.11.1999 sind rechtmäßig, soweit der noch geltend gemachte Betrag von 2811,- DM gefordert wird. Er belastet den Nachlass, in den die Erstattungsschuld nach den allgemeinen Regeln gelangt ist. Diese Rechtsfolge wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach § 3 S. 2 LBlindG der Anspruch auf Blindengeld nicht vererblich ist (vgl. Urteile des Senates vom 24. April 1996 - L 2 BL 5/95 - und vom 26.01.2000 - L 2 BL 4/98).

Auch bei unvererblichen Rechten findet eine Haftung für Nachlassverbindlichkeiten statt (vgl. BSG Breithaupt 1980, 409, 411). Entgegen der Ansicht des SG lässt sich aus § 3 S. 2 LBlindG ein Ausschluss der Erbenhaftung nicht herleiten. Der Senat hat u. a. im Urteil vom 26.01.2000 dazu im Wesentlichen ausgeführt:

Gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 LBlindG endet der Anspruch auf Blindengeld mit Ablauf des Monats, in dem die Voraussetzungen weggefallen sind. Da dies ohne Zweifel beim Tod einer Berechtigten der Fall ist, kann sich eine mögliche Verbindlichkeit von vornherein nur auf solche Ansprüche beziehen, die noch zu ihren Lebzeiten entstanden sind. Die nachträgliche Zahlung einer Leistung an einen Erben, die zum Ausgleich der durch Blindheit bedingten Mehraufwendungen und sonstiger Nachteile des Blinden selbst bestimmt ist, würde den Leistungszweck verfehlen. Eine vergleichbare Zweckverfehlung bestünde bei einer Doppelleistung im Sinne von § 2 Abs. 3 LBlindG. Stand das Blindengeld - soweit die Gleichartigkeit reicht - schon der Blinden selbst nicht zu, so muss dies erst recht für die insoweit unberechtigt bereicherten Erben gelten. Das der Nichtvererblichkeit zugrunde liegende Prinzip gebietet es deshalb, die Grundlage dafür zu schaffen, dass eine der Blinden zu Unrecht erbrachte und damit ihren Zweck verfehlende Leistung dem Grunde nach zurückgefordert werden kann.

Zu der vom SG vertretenen Rechtsauffassung ist auf Folgendes hinzuweisen:

Dem SG ist zwar darin zu folgen, daß § 3 S. 2 LBlindG eine im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes abweichende Regelung zu einer Vorschrift des SGB I - nämlich § 59 S. 2 SGB I (und ergänzend ist hinzuzufügen: auch zu § 58 SGB I) - trifft: Ansprüche auf Blindengeld sind nicht vererblich. Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch der vom SG daraus gezogenen Konsequenz, dass dies - aus Gründen der Symmetrie - auch für das (Nicht-)Erben von Schulden gelte. Zwar ist gegen die vom SG aufgestellte "Haftungsrangfolge" an sich nichts einzuwenden. Der Senat vermag aber nicht die vom SG behauptete Systemwidrigkeit zu erkennen, die dann bestünde, wenn die Vererbung (von Leistungen) spezialgesetzlich geregelt wäre, für die Nachlassverbindlichkeiten aber auf allgemeine Rechtsgrundsätze des Zivilrechts zurückgegriffen werden müsste. Dem ist entgegenzuhalten, dass es zunächst darauf ankommt, ob die in Anspruch Genommenen überhaupt Erben geworden sind, was sich nach den §§ 1922 BGB richtet und im hier zu entscheidenden Fall nicht zweifelhaft ist. In einem zweiten Schritt ist der Umfang der Gesamtrechtsnachfolge zu klären, insbesondere inwieweit öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten von § 1967 BGB ("der Erbe haftet für die Nachlassverbindlichkeiten") umfasst sind. Auch dies ist im Grundsatz nicht zweifelhaft, unterschiedliche Ansätze betreffen nur die Frage, ob die Haftungsvorschriften unmittelbar anzuwenden sind (so Stadie, Rechtsnachfolge im Verwaltungsrecht, DVBl. 1990, 501 ff.) oder lediglich analog (so Siegmann in: Münchner Kommentar zum BGB, Rn. 75 zu § 1967; Erichsen, Das Verwaltungshandeln Rn. 51 in: ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1998 S. 259; allgemein zum Meinungsstand Stober in: Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1999, § 42 Rn. 60). Im Übrigen hat das SG selbst mit dem Nennen von § 57 Abs. 2 SGB I den richtigen Lösungsansatz bezeichnet: Wenn im Falle der Sonderrechtsnachfolge eine Haftung der Erben entfällt, dann setzt dies tatsächlich eine Erbenhaftung dem Grundsatz nach voraus (soweit das SG meint, eine "diametral" entgegengesetzte Auslegung werde von Gitter, NJW 1979, 1031 vertreten, beruht dies auf einer Überinterpretation eines bloßen, weiter nicht differenzierten Hinweises auf diese Norm).

Erst in dem folgenden dritten Schritt stellt sich die Frage, ob ein konkreter öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch aufgrund ausdrücklicher Regelungen oder allgemeiner Prinzipien von der grundsätzlich bestehenden Erbenhaftung ausgenommen ist. Da es wie auch sonst im öffentlichen Recht (von Ausnahmen wie § 92c BSHG abgesehen) an ausdrücklichen Regelungen über Erbenhaftung fehlt, muss zunächst die Lösung aus einer Auslegung der Leistungsnormen - hier vorrangig aus deren Zweck - gewonnen werden, wobei freilich der Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze durchaus legitim ist.

Im Unterschied zu den Entgeltersatzleistungen insbesondere des Sozialversicherungsrechts dient das Blindengeld nicht der Deckung allgemeiner Lebensunterhaltskosten sondern allein dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und sonstigen Nachteile (§ 1 Abs. 1 LBlindG). Daran anknüpfend geht die Nichtvererblichkeit des Anspruchs von dem Gedanken aus, dass es sich hier um einen höchstpersönlichen Anspruch auf den Ausgleich individueller Bedürfnisse handelt, aus dessen Nichterfüllung dem Erben kein eigener Nachteil erwächst (so bereits Senat, Urt. v. 28.04.1999 - L 2 BL 3/95 - Umdr. S. 11). Wurde einer Blinden eine Leistung (wenigstens zum Teil) zu Unrecht erbracht, dann hatte sie von vornherein ihren gesetzlichen Zweck verfehlt. Eine höchstpersönliche Schutzwürdigkeit kann daher insoweit erst gar nicht entstanden sein. Damit aber entfällt das gedankliche Glied zur (angeblichen) Nichtvererblichkeit der Verbindlichkeit: die Überzahlung als solche und damit auch die Rückforderung hat keinen höchstpersönlichen Charakter (anders etwa als ein Ordnungs- oder Zwangsgeld). Der vom SG vermissten Stimmigkeit ist entgegenzuhalten, dass das von ihm für zutreffend gehaltene Ergebnis einen Unrechtstatbestand über den Tod der Nichtberechtigten hinaus perpetuiert und potenziert: Ist die zu Unrecht erbrachte Leistung wenigstens der durch ihr Leiden schwer getroffenen Blinden zugute gekommen, dann sind die nicht betroffenen und unversehrten Erben durch die Fehlleistung voll begünstigt, weil sich - jedenfalls rechnerisch - der Nachlass um den Betrag erhöht, der ansonst hätte ausgegeben werden müssen, um die tatsächlich getätigten Aufwendungen zu finanzieren. Im Ergebnis machte eine Nichtvererblichkeit eines Blindengeld-Erstattungsanspruchs die Erben zu Nutznießern einer Leistung (aus einem begrenzten öffentlichen Etat), für die sie nicht gedacht waren. Dies ist unstimmig.

Der Beklagte durfte den ursprünglichen Leistungsbescheid wegen des Eintritts einer wesentlichen Änderung teilweise aufheben. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Betroffene nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt hat, welches zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt gemäß S. 3 der Vorschrift in den Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum anzurechnen ist, der Beginn dieses Anrechnungszeitraumes.

Bei der Bewilligung des Landesblindengeldes handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Durch die Bewilligung von Pflegegeld, welches entsprechend der Vorgehensweise des Beklagten auf das Blindengeld anzurechnen ist, ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen von Frau G. eingetreten.

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X "soll" der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt des Eintritts der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wobei nach den allgemeinen Auslegungsprinzipien mit "soll" ein auf den Regelfall abstellendes Müssen gemeint, jedoch für Ausnahmen eine andere Entscheidung erlaubt ist. In "atypischen" Fallgestaltungen besteht dann für die Verwaltung keine Pflicht zur rückwirkenden Aufhebung. Vielmehr hat sie im Wege einer Ermessensentscheidung darüber zu befinden, ob der Verwaltungsakt rückwirkend aufzuheben ist oder nicht (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 26.10.1998, S. 9 - Az.: B 2 U 35/97 R m. w. N.).

Bei der Entscheidung darüber, ob ein bestimmter Sachverhalt einen atypischen Fall darstellt, verfügt die Verwaltung nicht über Ermessen (BSGE 59, 111, 115; 66, 103, 108; 74, 287, 293), vielmehr haben dies die Gerichte selbst zu überprüfen und zu entscheiden. Diese Entscheidung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 44). Ein solcher muss, um als atypisch angesehen werden zu können, Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen. Zu berücksichtigen ist bei dieser Beurteilung - wegen der mit der rückwirkenden Aufhebung verbundenen Erstattungspflicht des Empfängers zu Unrecht erbrachter Leistungen (§ 50 Abs. 1 SGB X) -, ob die Rückerstattung nach Lage des Falles eine unzumutbare Härte bedeuten würde, die den Leistungsbezieher in untypischer Weise stärker belastete als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSGE 74, 287, 294). Ein irreversibler Verbrauch der erhaltenen Überzahlung, aus der die Empfängerin die Erstattungsforderung sonst beglichen hätte, stellt für sich genommen keinen Umstand dar, der als besondere Härte die sich aus Nr. 3 des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X ergebende Aufhebungsbefugnis einschränken könnte.

So hat das BSG einen atypischen Fall dann angenommen, wenn der Betroffene aufgrund besonderer Umstände nicht damit zu rechnen brauchte, erstattungspflichtig zu werden, und er im Vertrauen darauf das nachträglich erzielte Einkommen, aus dem er sonst die Erstattungsforderung beglichen hätte, ausgegeben hat (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Betroffene aus seiner Sicht zu Recht davon ausgehen konnte, dass eine Doppelleistung überhaupt nicht entstanden sei (vgl. BSG vom 28.10.1998, S. 10 - Az.: B 2 U 35/97 R).

Der hier zu beurteilende Sachverhalt stellt keinen atypischen Fall dar. Insbesondere ergibt sich aus dem Verhalten des Beklagten kein Umstand, der zum Vorliegen eines atypischen Falles führen könnte. Zwar kann grundsätzlich ein mitwirkendes Fehlverhalten auf der einen Seite, das als atypische Behandlung im Sinne einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestandes nach § 48 Abs. 1 SGB X ergeben (BSGE 74, 287, 294). Hier hatte der Beklagte jedoch bereits im Bescheid vom 22.12.1992 darauf hingewiesen, dass Änderungen in den Verhältnissen, insbesondere die Gewährung von Pflegegeld aufgrund von Blindheit, mitgeteilt werden müssten. erkundigt. Auch der Mangel der zunächst unterbliebenen Anhörung (§ 24 SGB X) ist geheilt worden.

Soweit der Beklagte einen Betrag von 2.811,- DM von den Erben zurückfordert, ist dies weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Er folgt damit der ständigen Rechtsprechung des Senats (grundlegend Urteil vom 28. April 1999 - L 2 BL 3/97; vgl. auch Urteil vom 26.01.2000, aaO.):

Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 LBlindG werden gleichartige Leistungen, die der Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Vorschriften erhält, auf das Blindengeld angerechnet. Bei dem Frau G. gewährten Pflegegeld handelt es sich um eine gleichartige Leistung i.S. dieser Vorschrift. Dass Blindengeld von Anfang an auch für die Bestreitung von Pflegekosten gedacht war, ergibt sich schon aus § 2 Abs. 1 S. 1 LBlindG, wonach dann, wenn sich der Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung befindet und die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen werden, das Blindengeld sich um die aus diesen Mitteln bestrittenen Kosten verringert, höchstens jedoch um 50 vom Hundert des gewährten Blindengeldes. Der Senat hat dieser Regelung über seinen spezifischen Anwendungsbereich hinaus die Grundentscheidung des sächsischen Gesetzgebers entnommen, für pflegerische Aufwendungen in einem weiteren Sinne nur die Hälfte des Pflegegeldes anzusetzen und den übrigen Teil der Leistung den Blinden zur freien Verfügung zu überlassen. Somit dürfen, soweit Blinde pflegerische Leistungen benötigen, diese (nur) bis zur Hälfte des Blindengeldes als gleichartige Leistung angerechnet werden.

Des Weiteren hat der Senat bereits in den genannten Urteilen ausgeführt, dass sich blindheitsbedingter Mehrbedarf generalisierend aufgliedern lässt in die drei Bereiche der technischen Hilfen (z. B. Lese- und Audiogeräte), des Kommunikationsersatzes (z. B. Besuch von Konzerten, Theater und anderen Veranstaltungen), sowie der persönlichen Dienstleistungen als dem Bereich der eigentlichen Pflegeleistungen. Die beiden erstgenannten werden von der Pflegeversicherung nicht erfasst, es bleibt als mögliche gleichartige und damit anrechenbare Leistung die dritte Gruppe, auf die - pauschalierend - rechnerisch 1/3 entfällt. Es lässt sich abschätzen, dass etwa die Hälfte der notwendigen pflegerischen Verrichtungen blindheitsbedingt sind, so dass bei einer Leistung von 400,- DM Pflegegeld nach Stufe 1 die Hälfte davon - 200 DM - als pflegebedingt übereinstimmt mit dem Drittel des (ursprünglich) mit 600,- DM angesetzten Blindengeldes.

Erhalten Blinde Pflegegeld nach Stufe II, so kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass der in dieser Stufe zu erbringende erhöhte Pflegeaufwand allein oder auch nur überwiegend auf einem blindheitsbedingten Mehrbedarf beruht. Dann, wenn ein Stadium der Beeinträchtigung der Sehschärfe in dem nach § 2 Abs. 2 LBlindG erforderlichen Grade eingetreten ist, kann sich, was den pflegerischen Aspekt der benötigten Hilfeleistungen betrifft, eine weitere Beeinträchtigung bis hin zur totalen Blindheit nur noch marginal, jedenfalls aber nicht vervielfachend auswirken. In Betracht zu ziehen ist jedoch, dass durch das Hinzutreten weiterer Gebrechen die blindheitsbedingten Leistungen schwieriger werden und einen erhöhten Zeitaufwand erfordern. Dem lässt sich durch eine Abstufung des Gleichartigkeits-Anteils Rechnung tragen, die sowohl berücksichtigt, dass der prozentuale Anteil an der Gesamtleistung zurückgeht als auch, dass der tatsächliche Aufwand als absolute Größe wächst.

Folgende Staffelung der Anrechnung hält der Senat für angemessen und geboten:

Stufe I: 1/2, Anrechnung gem. § 37 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI: 200,00 DM; Stufe II: 1/3, Anrechnung gem. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI: 266,66 DM; Stufe III: 1/4, Anrechnung gem. § 37 Abs. 1 Nr. 3 SGB XI: 325,00 DM.

Da diejenigen pflegebedürftigen Blinden, die bis zum 31.03.1995 Leistungen nach den §§ 53 bis 57 SGB V erhalten haben - nach § 57 Abs. 1 SGB V 400,00 DM je Kalendermonat -, gem. Art. 45 Abs. 1 Pflegeversicherungsgesetz der Pflegestufe II zugeordnet werden, gilt für diese Leistung das oben Ausgeführte entsprechend: Als gleichartige Leistung sind auch in diesen Fällen nur 1/3, also 133,33 DM anzurechnen.

Diese allgemeinen Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, führen zu folgendem Ergebnis: Frau G. hatte grundsätzlich gem. § 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 LBLindG ab 01.01.1992 einen Blindengeldanspruch in Höhe von 600,- DM und ab 01.01.1996 von 650,- DM monatlich. Ab 28.12.1994 erhielt sie zusätzlich Pflegegeld in Höhe von 400,00 DM monatlich und ab 01.04.1995 (bis 31.12.1995) in Höhe von 800,- DM monatlich. Dieses Pflegegeld wurde auch wegen der Blindheit gezahlt (s. o.), auch wenn nach den vorhandenen medizinischen Unterlagen davon auszugehen ist, dass sich der Gesundheitszustand von Frau G. im Jahr 1995 laufend verschlechtert hat und sich der Pflegebedarf auch wegen der anderen Leiden erhöht haben dürfte. Jedoch ist im Pflegegutachten vom 27.04.1995, aufgrund dessen Pflegegeld der Stufe II gewährt worden ist, Blindheit an erster Stelle der pflegebegründenden Diagnosen genannt. Auch ist davon auszugehen, dass insbesondere der Pflegebedarf aufgrund der Muskelatrophie der Beine durch die Blindheit erhöht worden ist. Des Weiteren ergibt sich daraus, dass im Januar 1996 eine Hirnatrophie diagnostiziert worden ist, nichts anderes. Über den Umfang der Hirnatrophie ist nichts bekannt; es ist auch nirgends dokumentiert, dass diese Erkrankung zu einem erhöhten Pflegebedarf (unabhängig von der Blindheit) geführt hätte.

Für die Zeit des Bezuges von Blindengeld und von Pflegegeld ist auf das Blindengeld entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen jeweils ein Drittel anzurechnen. Der Beklagte hat jedoch vom 28.12.1994 bis 31.12.1995 Blindengeld in voller Höhe und nicht gekürzt um den Anrechnungsbetrag von 133,33 DM bzw. 266,67 DM monatlich ausgezahlt. Frau G. hatte somit einen Betrag in Höhe von 17,77 DM für Dezember 1994, ferner von 3 x 133,33 DM für Januar bis März 1995 und von 9 x 266,67 DM (insgesamt 2817,79 DM) zu viel erhalten. Diesen Betrag war der Beklagte berechtigt zurückzufordern und insoweit durfte er den bewilligenden Bescheid vom 22.12.1992 aufheben. Soweit der Beklagte lediglich einen Betrag von 2811,- DM (18,- DM zuzügl. 3 x 133,- DM zuzügl. 9 x 266,- DM) zurückfordert, begegnet dies keinen Bedenken.

Gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Dementsprechend ist vom Beklagten in den Bescheiden vom 03.04.1996, 01.04.1997 und 21.04.1997 eine Rückforderung von zunächst 5.027,- DM, im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG reduziert auf 2.811,- DM geltend gemacht worden. In dieser Höhe ist nunmehr der Nachlass mit einer Erstattungsforderung belastet. Ob dies zur Folge hat, dass der Nachlass überschuldet ist, kann dahinstehen, da die Kläger die Möglichkeit haben, die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses zu erheben mit der Folge, dass die Haftung auf den Nachlass beschränkt wird (Münchner Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 6, 2. Auflage 1989, Bearb. Siegmann, vor § 1967, Rn. 1 a. E., § 1990, Rn. 11). Die Entscheidung über die Haftungsbeschränkung kann auch noch in die Vollstreckungsinstanz verlagert werden (a. a. O., Rn. 16, vgl. auch Urteil des Senates vom 26.01.2000, a. a. O., S. 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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