L 2 BL 6/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 BL 20/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 BL 6/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.10.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem am ...1993 (früh)geborenen Kläger, der an einer schweren geistigen und körperlichen Behinderung leidet und auch sehbehindert ist, Blindengeld auch für die Zeit von Oktober 1996 bis Mai 1997 zu gewähren ist.

Die gesetzliche Vertreterin des Klägers stellte beim Beklagten am 18.01.1996 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und anderer Leistungen für ihr Kind. Mit Bescheid vom 11.06.1996 bewilligte der Beklagte einen Nachteilsausgleich in Höhe von monatlich 150,00 DM. Am 08.10.1996 beantragte die gesetzliche Vertreterin des Klägers Blindengeld für ihren Sohn.

Der Beklagte forderte am 20.05.1997 einen Befundbericht der Universität L ..., Klinik für Augenheilkunde an. Im Befundbericht vom 03.06.1997 teilte die OÄ Dr. A ... mit, dass sie die letzte augenärztliche Untersuchung am 09.12.1997 (richtig: 1996) vorgenommen habe. Bei der Sehschärfenbestimmung habe sie bezüglich des rechten und des linken Auges "fix. und greift" festgestellt, eine Gesichtsfeldeinschränkung sei nicht prüfbar gewesen. Dr. A ... teilte des Weiteren mit, dass von diesen Befundverhältnissen auch zum Zeitpunkt der Antragstellung am 08.10.1996 ausgegangen werden könne. Ergänzend vermerkte sie, dass im April 1996 ein Visus rechts und links "fixiert zeitweise" festgestellt worden sei. Weitere Untersuchungen seien bei dem geistig schwerbehinderten Kind nicht möglich.

Frau Dr. B ... vom versorgungsärztlichen Dienst der Beklagten untersuchte daraufhin am 21.08.1997 den Kläger und vermerkte zur Funktionsprüfung des Sehorganes "R/L fixiert zeitweise und greift in 0,5 m; über 0,5 m bis 1,0 m wird keine Fixation aufgenommen". Danach betrage die Sehschärfe 0,5/50. Gesichtsfeldeinschränkungen seien nicht zu erheben. Auf dem besseren Auge bestehe eine Sehschärfe von nicht mehr als 1/50. Aufgrund dieser Untersuchung ging der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten davon aus, dass Blindheit im Sinne des Landesblindengeldgesetzes (LBlindG) vorliege; frühestens seit dem 21.08.1997, dem Tag der Untersuchung durch Dr. B ...

Am 04.11.1997 ging dem Versorgungsamt ein Pflegegutachten der AOK-Pflegekasse zu. In diesem Gutachten, das nach einem Besuch am 26.08.1996 erstellt worden war, wird u. a. festgestellt, dass Sehstörungen bestünden, die sich derzeit nicht diagnostizieren ließen. Das Kind fixiere jetzt Gegenstände.

Am 06.01.1998 erließ der Beklagte einen Bescheid, in dem festgestellt wurde, dass Blindheit im Sinne der gesetzlichen Vorschriften vorliege. Der Kläger erhalte ab 01.08.1997 Blindengeld in Höhe von 488,00 DM zum Ausgleich seiner durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen und sonstiger Nachteile.

Am 19.01.1998 wurde Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt mit dem Begehren der Gewährung von Blindengeld ab 08.10.1996. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Landesblindengeld hätten bereits seit Antragstellung vorgelegen. Auf eine Anfrage des Beklagten teilte Frau Dr. B ... mit, dass anzunehmen sei, dass der Anspruch auf Landesblindengeld seit Antragstellung bestehe, da der Schaden wahrscheinlich schon zu diesem Zeitpunkt vorgelegen habe. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.1998 die Bewilligung von Landesblindengeld ab 01.10.1996 ab. Erst aufgrund des augenärztlichen Befundberichtes vom 21.08.1997 habe Blindheit im Sinne des LBlindG nachgewiesen werden können, so dass die Voraussetzungen für die Zahlung von Blindengeld frühestens ab 01.08.1997 erfüllt seien. Bei den vorausgegangenen Untersuchungen habe eine Blindheit im Sinne des LBlindG noch nicht nachweisbar festgestellt werden können. Dass bereits ab Antragstellung eine wesentliche Sehminderung vorgelegen habe, werde nicht bestritten. Für die Zeit vor dem 01.08.1997 stehe Landesblindengeld nicht zu. Am 23.09.1998 ist Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben worden.

Zur Begründung der Klage ist insbesondere ausgeführt worden, dass der Antrag auf Zahlung von Blindengeld zunächst über Monate unbearbeitet geblieben sei und dass der Beklagte die Angaben der Sachverständigen Dr. B ... ignoriert habe. Das SG hat im Rahmen seiner medizinischen Ermittlungen die Krankenakte des Klägers von der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Universität L ... sowie die Schwerbehindertenakte angefordert. In der Krankenakte der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Universität L ... ist am 05. Juni 1997 vermerkt worden: "Visus binokular fixiert zeitweilig und greift, zeigt zeitweise binokular im Bereich 0,25/25 Bilder".

Mit Schreiben vom 20.04.1999 hat der Beklagte daraufhin ein Vergleichsangebot abgegeben, in dem er sich bereit erklärt hat, mit Wirkung ab 01.06.1997 Blindengeld zu gewähren. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.10.1999 hat der Kläger beantragen lassen, dass unter Abänderung des Bescheides vom 06.01.1998 in Gestalt des Bescheides vom 07.09.1998 Blindengeld von Oktober 1996 bis Mai 1997 gewährt werden solle.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass für einen vor dem 01.06.1997 liegenden Zeitraum die Voraussetzungen für Blindheit im Sinne des LBlindG nicht festgestellt werden könne.

Gegen das ihm am 20.01.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.02.2000 Berufung eingelegt. Prof. Dr. W ... vom Universitätsklinikum L ..., Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, der vom Berufungsgericht zum Gutachter bestellt worden ist, hat im Gutachten vom 01.12.2000 ausgeführt, dass bereits am 10.01.1994 ein Sehnervenschwund beobachtet und dokumentiert worden sei. Im weiteren Verlauf sei festgestellt worden, dass das rechte Auge gegenüber dem linken eine wohl deutlich schlechtere Funktion zeige. Die Fixation (Aufnahme und Halt der Blickrichtung) sei im Dezember 1995 rechts als nicht vorhanden und links als schweifend, unsicher beurteilt worden. Eine Pupillenreaktion auf Licht sei beiderseits träge vorhanden gewesen. Eine weitergehende qualitative Prüfung der Sehschärfe sei auch bei den Folgeuntersuchungen, so auch am 09.12.1996, aufgrund der fehlenden Kooperation des Klägers, die durch seinen allgemeinen Gesundheitszustand bedingt sei, nicht möglich gewesen. Eine Gesichtsfeldprüfung sei zu keinem Zeitpunkt möglich gewesen und auch in Zukunft nicht zu erwarten. Von der am 05.06.1997 notierten Sehschärfe ("zeigt zeitweise binokular im Bereich 0,25/25 Bilder") könne ebenso wenig wie aus dem am 05.04.2000 (R=L 1/50) und den am 12.10.2000 festgehaltenen Visuswert (R=L 0,2/50) ein annähernd verlässlicher, den geltenden Prüfkriterien vergleichbarer Visus abgeleitet werden, da alle diese Messwerte nicht auf Angaben des Klägers beruhten. Die Sehschärfe sei vielmehr abgeleitet worden aufgrund von Blickwendungen, Fixieren, Zeigen oder Greifen, nicht jedoch aus dem Bennen von normierten Sehzeichen. Dies gelte auch für das Untersuchungsergebnis von Frau Dr. B ... vom 21.08.1997. Auch in dem strittigen Zeitraum Oktober 1996 bis Mai 1997 müsse von einer fehlenden Blickaufnahme rechts und einer unsicheren Blickhaltung größerer in ca. Armlänge vorgehaltener Spielobjekte ausgegangen werden. Die Sehschärfe des Klägers habe jedoch aufgrund der erheblichen Hirnschädigung von Anfang an bis jetzt nie annähernd genau festgestellt werden können. Objektive Untersuchungsmethoden erlaubten nur eine grobe Einschätzung und seien deshalb nicht angezeigt. Außerdem sei diese Untersuchung wegen mangelnder Kooperation nicht möglich. Somit stehe lediglich fest, dass eine erhebliche Sehminderung beidseits, rechts mehr als links seit Behandlungsbeginn vorliege. Ferner könne davon ausgegangen werden, dass die Sehschärfe zwischen Oktober 1996 und Mai 1997 nicht schlechter als in der Zeit nach Mai 1997 gewesen sei, da sich derartige Befunde im Laufe der Zeit nicht verbesserten. Eine Verschlechterung des Visus ab Oktober 1996 über Mai 1997 bis jetzt könne aber nicht ausgeschlossen werden. Andererseits bestehe bei Opticusatrophie häufig eine periphere Gesichtsfeldeinengung, die bei einer Einschränkung auf 30 Grad und weniger bezüglich Blindheit bereits bei einem Visus von 1/30 relevant werde. Da eine Prüfung des Gesichtsfeldes nicht möglich sei, könne hierzu jedoch kein Urteil gefällt werden. Zusammenfassend werde festgestellt, dass die Sehschärfe auf dem besseren Auge mit Wahrscheinlichkeit zu keinem Zeitpunkt, also auch nicht zwischen Oktober 1996 und Mai 1997 besser als 1/50 gewesen sei. Eine Bewertung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich sei nicht möglich. Begründet werde dies auch damit, dass ebenso nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden könne, ob die ermittelte Sehschärfe im Falle einer ausreichenden geistigen Entwicklung vor und/oder nach Mai 1997 nicht besser als 1/50 wäre.

Für den Kläger ist hierzu ausgeführt worden, dass dem Beklagten nach wie vor vorgeworfen werde, dass erst sieben Monate nach Antragstellung ein Gutachtensauftrag erteilt worden sei.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 21.10.1999 aufzuheben, den Bescheid vom 06.01.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.1998 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Blindengeld auch für die Zeit von Oktober 1996 bis Mai 1997 zu gewähren.

Der Vertreter des Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat darauf verwiesen, dass nach dem Gutachten der Universität L ... vom 12.01.2000 nur mit Wahrscheinlichkeit Blindheit im strittigen Zeitraum vorliege. Dies genüge jedoch nicht, da Blindheit nachgewiesen sein müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen, ferner die Schwerbehindertenakte und Landesblindengeldakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die streitentscheidenden Normen hat das SG zutreffend genannt, hierauf wird Bezug genommen. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Ziff. 1 LBlindG sind jedoch nicht erfüllt.

Nicht festgestellt werden konnte zum einen, dass die Sehschärfe des Klägers auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt. Insoweit wäre eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich gewesen, ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass ein vernünftiger Mensch nicht daran zweifeln kann (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 6. Auflage 1998, § 118 Rn. 5 m.w.N.). Aus dem gerichtlicherseits eingeholten, schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten, dem der Senat keine Bedenken hat sich anzuschließen, ergibt sich jedoch, dass nicht festgestellt werden kann, in welchem Maße die Sehschärfe des Klägers gemindert ist bzw. ob seine Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt. Da keine Möglichkeit besteht, die Sehschärfe des Klägers mit der erforderlichen Sicherheit zu bestimmen, muss die Entscheidung im Verfahren nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast getroffen werden. Insoweit gilt, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 103 Rn. 19a). Da der Kläger somit die Beweislast für das Vorliegen einer Sehschärfe auf dem besseren Auge von nicht mehr als ein 1/50 trägt, geht es zu seinen Lasten, dass die Sehschärfe nicht festgestellt werden kann.

Auch dass der Beklagte erst mehrere Monate nach Antragstellung ein augenärztliches Gutachten in Auftrag gegeben hat, führt nicht dazu, dass dem klägerischen Begehren stattgegeben werden könnte. Zum einen ergibt sich aus dem gerichtlicherseits eingeholten Gutachten vom 01.12.2000, dass auch für den Zeitpunkt, ab dem der Beklagte Blindheit festgestellt und Blindengeld gewährt hat, nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass Blindheit im Sinne des LBlindG besteht. Selbst wenn der Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt das Gutachten in Auftrag gegeben hätte (und das Gutachten zu demselben Ergebnis gekommen wäre), hätte dies nicht zur Folge, dass der Anspruch des Klägers zu diesem Zeitpunkt als begründet angesehen werden könnte. Ebenso wenig können angesichts dessen, dass auch im Juni 1997 nicht mit der erforderlichen Sicherheit die Sehschärfe des Klägers bestimmt werden konnte, Rückschlüsse auf die in den Monaten zuvor bestehende Sehschärfe gezogen werden. Hinzu kommt, dass nach dem Gutachten vom 01.12.2000 auch eine Verschlechterung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht ausgeschlossen werden kann.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung von Blindheit und Bewilligung von Blindengeld ergibt sich auch nicht aus der Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 LBlindG. Die Vorschrift erfasst z.B. auch Fälle, in denen eine Beeinträchtigung der Sehschärfe besteht, die das in Nr. 1 genannte Ausmaß nicht erreicht oder deren Ausmaß nicht messbar ist und in denen außerdem eine oder mehrere sonstige Störungen des Sehvermögens vorliegen. Wenn in einem solchen Fall die Beeinträchtigungen zusammen so schwerwiegend sind, dass sie einer Beeinträchtigung der Sehschärfe nach der Nr. 1 gleichzuachten sind, sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 31.01.1995, Az. 1 RS 1/93). Maßgeblich ist somit, ob der Schweregrad einer Sehstörung nach Nr. 2 der Sehschärfenbeeinträchtigung der Nr. 1 entspricht. Da jedoch nicht festgestellt werden kann, in welchem Maße das Sehvermögen des Klägers gemindert ist und da auch keine Krankheiten oder Störungen vorliegen, aufgrund derer eine Störung des Sehvermögens in einem der Nr. 1 gleichzusetzenden Ausmaß bejaht werden könnte, kann auch auf der Grundlage des § 1 Abs. 2 Nr. 2 LBlindG der geltend gemachte Anspruch nicht begründet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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