L 6 KN 11/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 296/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 11/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.11.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation hat.

Der am ...1941 geborene Kläger leidet seit 1975 an einer Angina pectoris Symptomatik und Hypertonie. Deswegen hatte schon in den Monaten April/Mai 1990 eine Heilkur stattgefunden mit Bescheid vom 25.05.1993 bewilligte die Beklagte ihm eine stationäre Heilbehandlung in der Fachklinik Bad L ... Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die Einschätzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Hypertonie/Herzkrankheit und psychovegetative Beschwerden erheblich gefährdet sei. Von einer stationären Kurmaßnahme wurde ein positiver Einfluss auf das Vegetativum erwartet. Im Entlassungsbericht vom 27.10.1993 wird das Rehabilitationsergebnis als gut eingeschätzt, der Kläger fühle sich wohl, er sei gut belastbar und könne seine alte Tätigkeit als Fachingenieur für Dampfkessel weiterhin vollschichtig ausüben.

Am 20.06.1996 beantragte er erneut Leistungen zur Rehabilitation. Er wurde daraufhin von dem Sozialmedizinischen Dienst der Beklagten am 02.09.1996 untersucht. Der Allgemeinzustand wurde als gut eingeschätzt, nach Beiziehung eines Befundberichtes der Internistin DM R ... gelangte Dr. L ... vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten zu der Auffassung, die festgestellte Herzrhythmusstörung in Form von Extrasystolie bedürfe weiterer cardiologischer Diagnostik und eventueller Therapie. Eine stationäre Kurmaßnahme könne dies weder leisten noch ersetzen.

Mit Bescheid vom 18.11.1996 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Gegenwärtig komme vorerst eine ambulante Behandlung in Betracht. Mit dem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass das Krankheitsbild einen Herzinfarkt auslösen könne. Bei Überleben seien die Behandlungskosten um ein Vielfaches höher als die Ausgaben für eine Kur. Er sei bereit, die Fahrtkosten selber zu tragen. Nach Einholung einer weiteren gutachterlichen Stellungnahme wies die Beklagte den Widerspruch mit ausführlichem Widerspruchsbescheid vom 09.06.1997 als unbegründet zurück. Die ambulanten Möglichkeiten seien unter anderem deswegen noch nicht ausgeschöpft, weil es der Kläger unterlassen habe, sich in internistisch-cardiologische Mitbehandlung zu begeben. Nach pflichtgemäßem Ermessen sei derzeit eine stationäre Kurmaßnahme zu Lasten der Rentenversicherung nicht zu befürworten. Eine fundierte Stellungnahme zur Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme auf Grund der erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit könne erst nach abgeschlossener ambulanter Diagnostik und Therapie erfolgen.

Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Chemnitz nach weiterer medizinischer Exploration mit Urteil vom 10.11.1999 abgewiesen: Der Kläger erfülle nicht die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 SGB VI. Es sei nicht ersichtlich, dass die Berufstätigkeit des Klägers durch die nachgewiesenen Erkrankungen erheblich gefährdet sei. Eine langzeitige ambulante orthopädische und physiotherapeutische Behandlung sei nicht nachgewiesen, Behandlungen wegen Zecken, akuten Verletzungen und kurzzeitigen Erkrankungen ließen die Notwendigkeit einer stationären Heilmaßnahme nicht erkennen.

Die dagegen eingelegte Berufung wurde vom Kläger trotz mehrmaliger Aufforderung nicht begründet.

Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.11.1999 (übersandt am 21.01.2000) sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. 11.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.06.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, medizinische Leistungen zur Rehabilitation in Form einer stationären Heilbehandlung zu bewilligen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 10.11.1999 zurückzuweisen.

Die Beteiligten wurden gem. § 153 Abs. 4 S. 2 SGG gehört.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gem. § 153 Abs. 4 die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss der Berufsrichter zurückweisen.

Die statthafte und insbesondere fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat es das Sozialgericht abgelehnt, den Bescheid der Beklagten vom 18.11.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 09.06.1997 aufzuheben. Diese Bescheide sind nämlich schon deswegen rechtmäßig, weil sie Ermessensfehler nicht erkennen lassen.

Gemäß § 13 Abs. 1 SGB VI bestimmt der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen zur Rehabilitation sowie die Rehabilitationseinrichtung. Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Rechtsanspruch (§ 39 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VI). Ermessensentscheidungen unterliegen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Das Gericht kann nur prüfen, ob der Rentenversicherungsträger 1) seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist bzw. ob er sie überhaupt erkannt hat (Ermessensnichtgebrauch), 2) mit seiner Entscheidung die Grenzen des Ermessens überschritten hat (Ermessensüberschreitung) oder ob er 3) von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehlgebrauch). Das Gericht kann nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen, eine eigene Sachentscheidung durch das Gericht kommt in der Regel nur bei einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null in Betracht, also in dem Ausnahmefall, dass denklogisch nur eine einzige Entscheidung ohne Ermessensfehler getroffen werden kann (vgl. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Allerdings bezieht sich diese eingeschränkte Überprüfbarkeit nur auf die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers hinsichtlich des "Wie" (also Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung sowie Ort der Reha-Leistung, vgl. KassKomm-Niesel § 3 SGB VI, Rdnr. 13). Beim "Ob" der Reha-Leistung ist dem Rentenversicherungsträger kein Ermessen eingeräumt (a.a.O. Rdnr. 5).

Anders als das Sozialgericht hat die Beklagte die sogenannten Eingangsvoraussetzungen beim Kläger nicht verneint, im Gegenteil: Der Widerspruchsbescheid bejaht die persönliche Voraussetzung des § 10 Nr. 1 SGB VI (erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit) wenn auch nicht im Verfügungssatz so doch in den Gründen ausdrücklich. Diese Frage ist damit nicht mehr Streitgegenstand im Sinne des § 95 SGG. Streitgegenstand ist allein die Frage, ob bei gegebenen Eingangsvoraussetzungen eine stationäre Heilbehandlung angezeigt ist. Auch die Frage, ob die Beklagte eventuell verpflichtet ist, andere medizinische Leistungen zur Rehabilitation zu erbringen, ist nicht Thema dieses Rechtsstreits.

Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer stationären Heilbehandlung verneint. Gemäß § 33 S. 2 SGB I soll zwar den Wünschen des Berechtigten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Eine Nichtberücksichtigung der Wünsche des Betroffenen begründet für sich allein allerdings noch keinen Ermessensfehler. Der Kläger hat durchaus zu Recht darauf hingewiesen, dass die intensive medizinische Betreuung durch Spezialisten, die CO2-Bäder, das autogene Training, die sportliche Betätigung einschließlich Schwimmen sowie insbesondere die gesundheitsbewusste Ernährung und die Herauslösung aus dem Alltag einen positiven Gesamteffekt auf seinen Gesundheitszustand erwarten lassen. Wenn die Beklagte diese Gesichtspunkte in ihrem Widerspruchsbescheid nicht erwähnt hat, heißt das nicht, dass sie unberücksichtigt geblieben sind. Es handelt sich um allgemein bekannte Haupt- und Nebeneffekte einer solchen Kur, die wohl - unabhängig vom jeweiligen Gesundheitszustand - immer einen ausgleichenden Effekt auf das Vegetativum haben und das Wohlbefinden steigern dürften. Hierdurch wird das Hauptargument der Beklagten allerdings nicht abgewertet: Fachmedizinische Diagnostik und Therapie kann die begehrte Kur nicht ersetzen. Es kann dahinstehen, ob damit schon der Tatbestand des § 13 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI erfüllt ist, wonach durch den Rentenversicherungsträger medizinische Leistungen zur Rehabilitation in der Phase "akuter Behandlungsbedürftigkeit" nicht erbracht werden - in jenem Fall läge eine Ermessensreduzierung auf Null im Sinne der Ablehnung vor -; auch wenn von medizinischer Seite unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten noch nicht unbedingt von akuter Behandlungsbedürftigkeit gesprochen werden muss, darf ohne Ermessensfehler eine jedenfalls mögliche und erfolgversprechende Behandlung als vorrangig angesehen werden, schließlich entspricht es auch dem Zweck der Ermächtigung (Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit), die Kurplätze den Versicherten vorzubehalten, deren Gesundheitszustand auf andere Weise kaum gebessert werden kann. Nicht unerwähnt werden sollte auch, dass - wie bei solchen Heilbehandlungen üblich - dem Kläger die Fortsetzung bestimmter Verhaltensweisen wie Schwimmen, Saunabesuche, cholesterinarme Ernährung und ggf. Ergometertrainig "mit auf den Weg gegeben wurden". Bei der gegebenen Sachlage konnte die Beklagte ermessensfehlerfrei die Bewilligung einer Wiederholungskur ablehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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