L 6 KN 19/99 U

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 503/97 U
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 19/99 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 54 Berufskrankheiten-Verordnung der DDR (BKVO/DDR).

Der am ... geborene Kläger wurde nach seiner Schulentlassung im Steinkohlenwerk O ... von September 1955 bis August 1958 zum Hauer ausgebildet und war anschließend in diesem Beruf zunächst bis 1969 im Ausbildungsbetrieb, anschließend bis 1975 bei der SDAG Wismut - JBB K ...- tätig. Hier qualifizierte er sich weiter zum Wettersteiger (Tätigkeit vom 01.08.1975 bis 30.09.1990). Anschließend war er noch als Dispatcher und Sachgebietsleiter Technologie tätig. Unstreitig war er während seiner Tätigkeit als Hauer bis Juli 1975 Teilkörpervibrationen mit Beurteilungsschwingstärke zwischen KR = 37,9 und 116,0 ausgesetzt.

Über Lumbalgien klagte der Kläger seit 1980, über eine schmerzhafte Nackensteife mit rascher Schmerzzunahme mit Auftreten von allgemeiner Schwäche des rechten Armes und Schmerzausstrahlung bis zum Oberarm seit Juni 1981. Wegen eines Arbeitsunfalles vom 17.01.1983 - der Kläger war von Gesteinsbrocken im Genick getroffen worden - prüfte die Sozialversicherung der DDR, ob im Zusammenhang hiermit eine Richtung gebende Verschlimmerung des Radiculärsyndroms C 7, C 8 rechts eingetreten sei. In einem Gutachten vom 25.10.1983 kam Dr. M ...-S ... jedoch zu dem Ergebnis, dass hierdurch nur eine vorübergehende Verschlimmerung der Beschwerden bewirkt worden sei. In der Folge kam es dann bei unkontrollierten Kopfbewegungen zu einer Blockierung der HWS, bei Überkopfarbeiten trat auch Bewusstlosigkeit auf. Einen Arbeitsunfall mit Wirbelsäulenbeteiligung hatte es auch schon am 20. August 1972 gegeben, beim Stempel Stellen war ihm in gebückter Stellung eine Platte in den Rücken gefallen. Über Schulterschmerzen hatte der Kläger auch schon im Jahre 1974 geklagt; damals hatte ein Herr Dr. V ... in den Krankenakten niedergelegt, dass kein Anhalt für einen Vibrationsschaden bestehe.

Am 16.12.1992 beantragte der Kläger bei der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) die Anerkennung einer Berufskrankheit wegen starker Schmerzen des linken Handgelenks, des rechten Schultergelenks und der gesamten Wirbelsäule. Die Bergbau-BG war von diesem Fall bereits mit Schreiben vom 22.04.1992 informiert worden. Das Verfahren wurde am 11.01.1993 an die Beklagte abgegeben, die daraufhin die Krankenunterlagen des Klinikzentrums Bad S ..., des Krankenhauses H ... und die Krankenunterlagen des Gesundheitswesens Wismut anforderte. Die Beklagte beauftragte Prof. D ..., Dresden, damit, nach Auswertung dieser Unterlagen und Untersuchung des Klägers ein medizinisches Sachverständigen-Gutachten zu erstellen. Prof. D ... kam zu dem Ergebnis, dass für eine BK 54 eine ausreichende Exposition gegeben war, aber keine Funktionseinschränkungen an den Schulter-, Ellenbogen- sowie Handgelenken zu finden seien; insbesondere lägen völlig regelrechte röntgenologische Verhältnisse vor. Nachdem auch Frau Dr. N ... vom Sächsischen Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin empfohlen hatte, sich der gutachterlichen Beurteilung von Prof. D ... anzuschließen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.09.1997 den Anspruch auf Entschädigung ab. Hiergegen wandte sich der Kläger mit dem Widerspruch und machte geltend, dass ihm auf Grund des LWS-Syndroms längeres Sitzen nicht möglich sei und dass auf Grund des HWS-Syndroms damit zu rechnen sei, dass ungewollte Tätigkeiten zu Bewusstlosigkeit führten. Die Beklagte holte daraufhin eine gutachterliche Stellungnahme von Dr. W ..., Arzt für Radiologie in Mainz, ein. Er wurde gebeten, eine nochmalige Interpretation der Röntgenaufnahmen zu unternehmen. Dr. Wörth bestätigte hinsichtlich der Fingergelenke und der Ellbogengelenke die Einschätzung von Prof. D ..., wonach ein regelrechter Befund vorliege, der die Anerkennung einer BK Nr. 54 nicht rechtfertige. Hinsichtlich der Schultern diagnostizierte er allerdings - rechts mehr als links - arthrotische Veränderungen am Acromioclaviculargelenk sowie eine Periarthrose besonders rechts. Er nahm Bezug auf ein Gutachten aus dem Jahre 1974 von Prof. Dr. B ..., Dresden, in welchem differential-diagnostisch im Wege der Interpretation von Röntgenaufnahmen eine "Arthritis des rechten Acromioclaviculargelenks" und eine "Posttraumatische Akroosteolyse" diskutiert werden. Sollte die Diagnose Arthritis bestätigt werden, käme als weitere Behandlungsmaßnahme die Verordnung von Antirheumatika infrage, so Dr. C ..., Oberarzt unter Prof. B ... Dr. W ... war nunmehr der Meinung, dass seinerzeit die Endungen "-itis" und "-ose" häufig synonym verwendet worden seien und somit möglicherweise damals bereits eine Arthrose des rechten Acromioclaviculargelenks vorgelegen habe. Dann allerdings sei das radiologische Bild der BK Nr. 54 gegeben.

Auf Wunsch des Klägers fand daraufhin eine nochmalige Begutachtung statt, diesmals durch Dr. O ..., ärztliche Gutachtergemeinschaft Niederdorf. Dr. O ... stellte nach Untersuchung des Klägers am 16.06.1997 in Auswertung der vorliegenden Röntgenaufnahmen fest, dass sowohl rechts als auch links der Gelenkspalt des Acromioclaviculargelenks verschmälert sei, es finde sich eine wellige Konturierung der Gelenkflächen sowie eine subchondrale Zystenbildung. Nach seiner Auffassung rechfertigen die nur als leicht einzustufenden arthrotischen Veränderungen in beiden Schultereckgelenken reichlich 20 Jahre nach Expositionsende aber nicht die Anerkennung einer BK 54 BKVO/DDR. Darüber hinaus seien auch die Beschwerden des Klägers auf ein Rotatoren-Manschetten-Syndrom und ein unteres Zervikalsyndrom zurückzuführen.

Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 10.09.1997 als unbegründet zurück.

Die dagegen erhobene Klage stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. W ..., in welchem - radiologischerseits - schließlich die Voraussetzungen für eine BK 54 bejaht worden seien. Im Übrigen habe auch Dr. O ... festgestellt, dass der Kraftdruck in der rechten Hand erheblich von dem in der linken abweiche (grobe Kraft, Dynamometer - rechts 8 kp, links 14 Kp).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.02.1999 abgewiesen. Auch bei unterschiedlicher Bewertung der Röntgenbefunde spreche mehr gegen eine berufsbedingte Schädigung als dafür. Selbst wenn man dem Gutachten von Dr. W ... folge, müsse festgestellt werden, dass keine wesentlichen Funktionsbeeinträchtigungen durch die arthrotischen Veränderungen bedingt worden seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er rügt, dass trotz widersprüchlicher Aussagen der Gutachter kein weiteres Gutachten eingeholt worden sei. Der Senat hat daraufhin Befundberichte eingeholt. Dr. E ... (Befundbericht vom 29.11.1999) sieht in den Schulterbeschwerden rechts Anzeichen für eine Tendinose; auch die Radiologin Penselin nimmt eine Tendinitis der Sehne des Musculus supraspinatus an. Dr. Sch ... weist darauf hin, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers von 1992 bis 2000 nicht wesentlich verändert habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.09.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, gegenüber dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 54 BKVO/DDR anzuerkennen und eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil Sozialgerichts Chemnitz vom 12.02.1999 zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 04.09.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.1997 abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung seiner Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit i.S. der Listen-Nr. 54 der BK-Liste/DDR.

Geltend gemacht wird der Eintritt des Versicherungsfalles vor dem 31.12.1991. Das SG hat daher zu Recht in Bundesrecht transformiertes Recht der DDR gewandt (vgl. Urteil des Senats vom 07.12.2000 - L 6 KN 6/99 U- ).

Streitig ist lediglich noch, ob eine Arthrose des Acromioclaviculargelenks als Berufskrankheit i.S. der BK 54 BKVO/DDR anzuerkennen ist. Halswirbelveränderungen und/oder Zervikalsyndrome sind nämlich nicht Bestandteil einer BK 54 (vgl. Konetzke, G.: Arbeitsmedizininformation 11 (1984), Nr. 2, S. 28 ff, zitiert nach Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, Berlin 1994, S. 260), hinsichtlich der Ellbogen- und Handgelenke liegen keine Erkrankungen von Relavanz vor. Der Kläger stützt seine Ansicht auf die gutachterliche Stellungnahme von Dr. W ..., in welcher ja auch in der Tat explizit ausgeführt wird, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die BK 54 gegeben ist. An dieser Einschätzung, die auch ausdrücklich mit der Einschränkung versehen ist, dass sie sich "vom radiologischen Standpunkt" aus ergebe, ist in mehrerer Hinsicht Kritik angebracht: Dr. W ... macht für seine Schlussfolgerung die Voraussetzung, dass in der gutachterlichen Stellungnahme vom 27.02.1974 (Dr. C ..., Dresden) eine Arthrosis deformans festgestellt wurde. Hier schwingt die Prämisse mit, dass eine Anerkennung nur dann in Betracht kommt, wenn die Krankheit im Wesentlichen zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit schon vorgelegen hat. Dies ist aber - anders als bei BK 70 und 71 BKVO/DDR bei der BK 54 nicht der Fall. Wie auch hinsichtlich der BK Nr. 2103 BeKV nach gesamtdeutschem Recht als gesichertes medizinisches Wissen gilt, dass der "Druckluftschaden" in seiner Grundform auch nach weit zurückliegender Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit erstmalig auftreten kann (vgl. Mehrtens/Perlebach, BEKV, M 2103, S. 6), so galt schon nach der Literatur zur BKVO/DDR, dass das Auftreten der Arthrosis deformans auch - relativ lange - nach Beendigung der Exposition möglich sei (vgl. Konnetzke, a.a.O., Ziff. 3.2).

Darüber hinaus dürfte die gesetzte Prämisse auch nicht nur unnötig, sondern falsch sein: Keineswegs wurde in der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. C ... eine Arthrosis deformans festgestellt. Vielmehr wird differenzialdiagnostisch eine Arthritis in Betracht gezogen. Es mag Bereiche geben, in denen die Endungen "-ose" und "-itis" mehr oder weniger synonym verwendet werden. Allerdings hat immer schon gegolten, dass die Endung "-itis" einen entzündlichen Prozess meint, während die Endung "-ose" eher ein undifferenziertes, unspezifisches allgemeines Krankheitsgeschehen benennt. Auch im Jahre 1974 galt schon allgemein die Arthrose als Synonym für die Arthrosis deformans, also in erster Linie den Überlastungsschaden mit Degeneration der Gelenkflächen, knöchernen Wulst- und Zackenbildungen. Dahingegen bezeichnet die Arthritis in enger begrifflicher Nähe zu dem griechischen Ursprungswort, welches "Gicht" bedeutet (vgl. auch Arthritis urica) einen entzündlichen Prozess, wie z.B. die Arthritis rheumatica. Dass Dr. C ... auch tatsächlich eine Arthritis in diesem Sinne gemeint hat, folgt daraus, dass er für den Fall, dass sich dieser Verdacht bestätigt, eine Behandlung mit Antirheumatika vorschlägt. Im Zusammenhang mit der damals auch schon diskutierten BK 54 wurde aber die Arthritis gerade nicht genannt, sondern die Akroosteolyse, ein Prozess, von dem Dr. C ... annahm, dass er durch Teilkörpervibrationen ausgelöst werden könne. Unabhängig von der Frage, ob Dr. C ... sich mit dieser Ansicht durchgesetzt hat, muss jedenfalls festgestellt werden, dass die Diagnose der Osteolyse, also des Abbaus von Knochengewebe im Schlüsselbein/Schultergelenk nie wieder - auch nicht als Verdachtsdiagnose - in Erwägung gezogen wurde. Der Senat ist daher der Auffassung, dass die Entscheidung von Dr. W ... für eine BK 54 auf falschen Grundlagen beruht.

Die Einholung eines weiteren Gutachtens ist nicht erforderlich. Die unterschiedlichen Interpretationen der Röntgenbilder sind im Übrigen mininmal: Während Prof. D ... einen regelrechten Schultergelenksbefund ausmachte, diagnostizierte Dr. O ... in den Schultereckgelenken nur relativ leichte arthrotische Veränderungen. Einigkeit besteht auch darüber, dass die Beschwerden des Klägers im Wesentlichen auf Probleme mit den Sehnen (Rotatorenmanschetten-Syndrom, Tendinitis, Tendinose) sowie ein HWS-Syndrom zurück geht. Der ungenügende Faustschluss rechts korrespondiert mit der festgestellten Hypästhesie des I. bis III. Fingers rechts und ist einem C 6/C 7-Syndrom zuzuordnen.

Zuzustimmen ist dem SG schließlich auch hinsichtlich seiner Hilfserwägungen, dass sich selbst unter Zugrundelegung der beruflichen Verursachung eine MdE von unter 10 % ergeben würde. Nach Konetzke (a.a.O., Ziff. 4.2.) kann eine Arthrosis deformans im Acromioclaviculargelenk mit Beeinträchtigung der Bewegungs- und/oder Haltefunktion des Schultergürtels allenfalls einen GdK von bis zu 10 % bedingen. Im Falle des Klägers sind aber, wie dargelegt, die geklagten Beschwerden nicht kausal auf eine Arthrose des Schultereckgelenks zurückzuführen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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