L 4 RA 112/98

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 RA 985/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 112/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am ...1950 geborene Kläger hat 1968 eine Facharbeiterausbildung zum Rohrleitungsmonteur abgeschlossen und war im erlernten Beruf bis August 1973 tätig. Anschließend arbeitete er als Berufskraftfahrer und Verkehrsmeister. Im Mai 1984 schloss er ein Fernstudium zum Verkehrsingenieur (Ingenieurfachschulstudium) ab und war bis Oktober 1991 als Abteilungsleiter sowie als Bereichsleiter Verkehr und Technik tätig. Danach arbeitete er vom 01.11.1991 bis 31.05.1992 als Disponent und zuletzt vom 01.07.1992 bis 21.09.1992 als kaufmännischer Mitarbeiter. Vom 29.09.1992 bis 31.12.1992 bezog er Krankengeld und war anschließend ab 01.01.1993 arbeitslos. Von Februar 1994 bis Februar 1995 nahm der Kläger an einer von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Umschulungsmaßnahme zum Bauleiter teil.

Am 04.07.1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er sei im August 1992 an Lungenembolien erkrankt gewesen und leide an Wirbelsäulen- und Bandscheibenbeschwerden.

Die Beklagte holte Befundberichte der Fachärztin für Allgemeinmedizin SR Dr. W ... ein und zog ein orthopädisches als auch ein nervenärztliches Fachgutachten bei.

Die Fachärzte für Orthopädie Dipl.-Med. G ... und Dr. G ... erstellten in dem Gutachten vom 28.08.1996 folgende Diagnosen:

- chronisches lokales lumbales Schmerzsyndrom bei deutlichen degenerativen Veränderungen und muskulärer Dysbalance,
- chronisches Cervicobrachialsyndrom beidseits bei mäßigen degenerativen Veränderungen,
- Neuropathie linkes Bein unklarer Genese mit floriden Denervierungszeichen.

Der Kläger sei als Bauleiter noch vollschichtig einsatzfähig, sofern die Tätigkeit kein wiederholtes Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, keine Arbeiten in Vorneige und mit häufigem Bücken erfordere und der Kläger keinen Staubbelastungen ausgesetzt sei.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K ... stellte in seinem Gutachten vom 23.10.1996 beim Kläger neben der geringgradig ausgeprägten Lumbalgie ein depressives Syndrom, das sich aus der Lebenssituation ableite, fest. Eine erhebliche krankheitsbedingte Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit bestehe aus nervenärztlicher Sicht nicht. Der Kläger sei in der Lage, den Beruf als Bauleiter als auch eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben.

Die Beklagte lehnte nach Auswertung der beigezogenen Gutachten mit Bescheid vom 02.12.1996 die Gewährung einer Rentenleistung ab. Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sei berücksichtigt worden, dass der Kläger an rezidivierenden behandelbaren Rückenbeschwerden bei degenerativen Veränderungen leide und er 1992 eine Lungenembolie durchgemacht habe. Er sei jedoch noch in der Lage, in seinem bisherigen Berufsbereich sowie auf dem allgemeinen Arbeitsfeld vollschichtig tätig zu sein.

Auf den Widerspruch des Klägers zog die Beklagte zunächst das Gutachten des Arbeitsamtes vom 04.05.1993 bei, welches dem Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zeitdruck, ohne häufiges Bücken und ohne Zwangshaltungen bescheinigte. Nach Einschätzung der Arbeitsamtsärztin SR Dr. med. L ... sei der Kläger für Bauberufe unter den üblichen Belastungen ungeeignet. Eine Ingenieurtätigkeit auf diesem Gebiet könne nur ausgeführt werden, wenn unter Beachtung des Leistungsbildes keine Baustellenabnahme oder Besichtigungen inbegriffen seien. Eine Tätigkeit in seinem Beruf als Verkehrsingenieur ohne verantwortliche Funktion sei gegeben.

Ferner holte die Beklagte ein internistisches Fachgutachten, erstattet am 12.09.1997 vom Internisten Dr. W ... ein. Der Sachverständige diagnostizierte:

- Zustand nach Lungenembolie 1992 mit Infarktpneumonie linkes Unterfeld, - Morbus Scheuermann, - lumbosacraler Bandscheibenschaden, - Struma parenchymatosa permagna.

Aus internistischer Sicht bestehe keine eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Die Beschwerden des Klägers seien auch nicht direkt auf das internistische Krankheitsbild bezogen. Das Hauptproblem des Klägers bestehe in der Langzeitarbeitslosigkeit. Nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. Weidnitzer könne der Kläger vollschichtig als Bereichsleiter/Spedition tätig sein.

Die Beklagte wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.1997 zurück.

Mit der am 24.11.1997 vor dem Sozialgericht Leipzig erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin die Gewährung einer Rentenleistung geltend. Nach Aussagen der ihn behandelnden Ärzte könne er nicht mehr arbeiten. Er leide weiterhin an Wirbelsäulenbeschwerden, seelischen Folgen einer Lungenembolie und Schilddrüsenbeschwerden.

Zur medizinischen Aufklärung des Sachverhalts zog das Sozialgericht Befundberichte der Orthopädin Dr. H ..., der Allgemeinmedizinerin SR Dr. W ... und der Neurologin Dr. St ... bei.

Nach dem Befundbericht der Orthopädin Dr. H ..., vom 19.01.1998 bestünden beim Kläger ein chronisch rezidives vertebragenes Schmerzsyndrom und eine schwere Osteochondrose L5/S1. Die Befunde seien seit September 1995 unverändert.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin SR Dr. W ... teilte in ihrem Befundbericht vom 16.01.1998 die Diagnosen "Gastritis; cerebrale Pertusionsstörungen und Struma nodosa" mit. Seit September 1997 habe sich die Gastritis nach Therapie gebessert. Die chronisch geäußerten Rückenschmerzen seien unverändert. Die Schilddrüsenerkrankung sei neu diagnostiziert worden.

Die Neurologin Dr. St ... teilte im Befundbericht vom 28.01.1998 die Diagnose "Neuropathie linkes Bein (Schwerpunkt) mit Zeichen florider Denervierung" mit. Die Befunde seien unverändert.

Das Sozialgericht wies die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 19.06.1998 ab. Der Kläger sei im Sinne der §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) weder berufs- noch erwerbsunfähig; ihm stehe eine Rentenanspruch deshalb nicht zu. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei der bisherige Beruf des Klägers als kaufmännischer Angestellter (Disponent, kaufmännischer Mitarbeiter), den er zuletzt ausgeübt habe. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger die vorher ausgeübte Tätigkeit als Verkehrsingenieur aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe. Ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ergebe sich jedoch nicht bereits dann, wenn der Versicherte seinen bisherigen versicherungspflichtig Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben könne (§ 43 Abs. 2 SGB VI). Das Gesetz verlange vielmehr, dass der bezogen Versicherte eine zumutbare berufliche Veränderung in Kauf nimmt. Zumutbar sei nach § 43 Abs. 2 S. 3 SGB VI stets eine Tätigkeit, für die der Versicherte durch Leistungen zur beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sei. Die Bauleitertätigkeit, für die der Kläger durch die Bundesanstalt für Arbeit umgeschult worden sei, bilde somit eine zumutbare Verweisungstätigkeit. Aufgrund der medizinischen Sachaufklärung, gestützt auf die übereinstimmenden Einschätzungen der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten, des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes und die beigezogenen Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, ging das Sozialgericht davon aus, dass der Kläger trotz bestehender gesundheitlicher Einschränkungen über ein Leistungsvermögen verfüge, welches eine vollschichtige Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf als kaufmännischer Angestellter oder in dem ihm zumutbaren Verweisungsberuf als Bauleiter zulasse. Die jeweilige Arbeitsmarktlage sei insoweit bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 2 Satz 4 zweiter Halbsatz SGB VI). Da der Kläger nicht berufsunfähig sei, erfülle er auch nicht die strengeren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 44 SGB VI oder auf Invalidenrente nach Art. 2 § 7 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG).

Gegen das dem Kläger mit Einschreiben vom 21.07.1998 zugestellte Urteil richtet sich seine am 10.08.1998 eingelegte Berufung.

Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen sei er nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit vollschichtig auszuüben, weder in seinem erlernten Beruf noch im Umschulungsberuf. Sein Gesundheitszustand habe sich seit 01.07.1996 wesentlich verschlechtert. Zu den bereits bekannten Erkrankungen leide er noch an rezidivierenden Harnverhaltungen bzw. Harnstau.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 19.06.1998 sowie den Bescheid vom 02.12.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.07.1996 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch die vom Senat veranlassten Nachbegutachtungen bestätigten dem Kläger das von der Beklagten vertretene vollschichtige Leistungsvermögen.

Der Senat hat zur medizinischen Sachaufklärung Befundberichte der Hausärztin SR Dr. W ... vom 26.11.1998; der Neurologin Dr. St ... vom 30.11.1998; der Orthopädin Dr. H ... vom 14.12.1998 sowie des Urologen Dr. K ... vom 10.05.2000 beigezogen. Es lag ferner eine Epikrise über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 02.05.2000 bis 24.05.2000 im Sächsischen Krankenhaus A ..., Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, nebst psychologischem Befund vor.

Zur Feststellung des Ausmaßes der Leistungseinschränkungen hat der Senat ein orthopädisches sowie ein neuropsychiatrisches Fachgutachten eingeholt.

Der Sachverständige auf orthopädischem Fachgebiet Prof. Dr. S ... stellte in seinem Gutachten vom 22.08.2000 beim Kläger Verschleißerkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule jeweils mit mittelgradigen Funktionseinschränkungen ohne neurologische Defizite sowie eine unklare Hemidysästhesie (halbseitige schmerzhafte Missempfindung) bei Verdacht auf entzündliche Erkrankung des Zentralnervenssystems fest. Bei den auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen handele es sich sowohl an der Hals- als auch an der Lendenwirbelsäule um auf einige Segmente begrenzte Verschleißerscheinungen. Eine eindeutig fassbare Wurzelreizsymptomatik bestehe nicht. Es seien weder manifeste motorische, noch segmental bezogene Sensibilitätsdefizite zu erfassen. Die röntgenologischen Veränderungen an beiden Wirbelsäulenabschnitten weisen die schon länger bestehenden Verschleißerscheinungen durch Zeichen der Osteochondrose und Spondylose sowie auch geringer ausgeprägt der Spondylarthrose nach. Die vom Kläger geäußerten schmerzhaften Dysästhesien der gesamten linken Körperseite seien nicht durch die erhobenen Befunde auf orthopädischem Fachgebiet zu erklären. Vielmehr komme eine entzündliche Nervenerkrankung bisher ungeklärter Genese in Betracht. Unter Berücksichtigung nur der genannten Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet seien dem Kläger leichte körperliche Arbeiten im Wechselrhythmus bei Vermeidung des Hebens und Tragens schwerer Lasten, des häufigen Arbeitens in gebückter Haltung und der ständigen Überkopfarbeiten vollschichtig möglich. Er könne sowohl die Tätigkeit als Verkehrsingenieur als auch die Tätigkeit als Bauleiter vollschichtig verrichten, da die qualitativen Einschränkungen in diesen Tätigkeitsfeldern berücksichtigt werden könnten. Eine Gehstreckenlimitierung sei nicht erforderlich. Im Vergleich zu vorherigen Begutachtungen sei eine bedeutsame Progredienz nicht zu verzeichnen.

In seinem neuropsychiatrischem Gutachten vom 28.12.2000 beschreibt der Sachverständige Doz. Dr. med. habil. Sch ... auf nervenärztlichem Fachgebiet folgende gesundheitliche Störungen:

- Somatoforme Störung im Sinne einer vorwiegenden Somatisierungsstörung, weniger im Sinne einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, letzten Endes handele es sich hier um ein Mischbild. - Allenfalls diskretes Rückenmarksnervenwurzelsyndrom im Bereich der Lendenwirbelsäule L5/S1 links ohne wesentliche funktionelle Auswirkungen auf das linke Bein.

Ferner lägen die nach dem orthopädischen Fachgutachten beschriebenen Gesundheitsstörungen vor, wobei die anamnestisch angegebenen rezidivierenden Blockierungen in der Halswirbelsäule und insbesondere in der Lendenwirbelsäule hierbei als temporär leistungsmindernde Umstände zu berücksichtigen seien, die auch für die allgemeine Leistungseinschätzung bzw. Belastbarkeit von Bedeutung sind. Eine organ-pathologische Funktionsstörung von Seiten des Urogenitaltraktes liege nach den urologischen Befundberichten nicht vor. Die angeführten Funktionsstörungen seien im wesentlichen auf gestörte psychovegetative Funktionen zurückzuführen. Eine Funktionsbeeinträchtigung im Zusammenhang mit der anlässlich der Strumaoperation aufgetretenen Lähmung eines Stimmbandnerven könne aktuell nicht mehr festgestellt werden. Eine durchgehende depressive Symptomatik von Krankheitsrelevanz und damit entsprechender Funktionsbeeinträchtigung sei nicht erkennbar, auch wenn eine Beeinträchtigung der Stimmungslage im Zusammenhang mit den veränderten Lebensumständen und den gesundheitlichen Störungen für die Lebensqualität durchaus eine Rolle spiele. Der Kläger sei aus nervenärztlicher Sicht unter Berücksichtigung der geringen neurologischen Funktionsbeeinträchtigungen und der leicht- bis mittelgradigen psychopathologischen Funktionsbeeinträchtigungen durchaus in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Wenn davon ausgegangen werde, dass die Tätigkeit eines Verkehrsingenieurs vorwiegend Bürotätigkeiten einschließlich entsprechender organisatorischer und administrativer Aufgaben beinhalte, wäre auch hier eine Vollschichtigkeit gegeben. Die Tätigkeit als Bauleiter käme unter gleichen Voraussetzungen vollschichtig in Betracht, allerdings nicht, wenn ein erheblicher Teil der Arbeitszeit tatsächlich auf Baustellen verbracht werden müsste. Tätigkeiten unter Zeitdruck seien unter Berücksichtigung der psychovegetativen Störungen im Zusammenhang mit der Somatisierungsstörung nur bedingt durchführbar. Bezüglich besonderer Anforderungen an die Fingerfertigkeit ergeben sich allenfalls aufgrund der subjektiven Störungen (Empfindungsstörung, Schmerzsymptomatik) Einschränkungen für beidhändige Tätigkeiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers verhandeln und entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die statthafte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Die angefochtenen Entscheidungen des Sozialgerichts und der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger ist weder berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI noch erwerbsunfähig (§ 44 Abs. 2 SGB VI) oder invalide nach Art. 2 § 7 RÜG.

Der streitige Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit richtet sich noch nach §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden alten Fassung (a.F.), da der Rentenantrag bereits im Jahres 1996 gestellt worden ist und er sich somit auf die Zeit vor dem 01.01.2001 bezieht. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach §§ 43 Abs. 1 oder 2, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. S. 1827) besteht nicht.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 107 und 169; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Ausgehend von dem in § 43 Abs. 2 SGB VI verankerten Gedanken des Berufsschutzes soll demjenigen Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der bisherigen Weise arbeiten kann, ein zu starkes Absinken im Beruf erspart bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 30.07.1997 - 5 RJ 8/96 - oder BSG, Urteil vom 24.11.1998 B 13 RJ 95/97 R). Unter Berücksichtigung dieses Gedankens beurteilt sich die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs.

Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Entsprechend diesem sog Mehrstufenschema werden die Arbeiterberufe durch Gruppen mit dem Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 140 m.w.N.; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 15). In Anlehnung an dieses für Arbeiterberufe entwickelte Mehrstufenschema gilt ausgehend von der erforderlichen Ausbildung auch für Angestellte folgende Gruppenbildung: ungelernte Angestellte; Angestellte mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Angelernte); Angestellte mit einer längeren Ausbildung, regelmäßig von drei Jahren (Ausgebildete) und Angestellte hoher beruflicher Qualität.

Die nach diesem Schema vorzunehmende Einordnung erfolgt aber nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Ausbildung. Entscheidend ist vielmehr die Wertigkeit der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI am Ende genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 15, Nr. 17 m.w.N.). Davon ausgehend darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf grundsätzlich auf die nächstniedrigere Berufsgruppe verwiesen werden (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 5 m.w.N.; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Was die Suche nach Verweisungstätigkeiten anbelangt, die den Kräften und Fähigkeiten eines Versicherten entsprechen, so ist nach der vom Großen Senat des BSG (vgl. BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8) bestätigten Rechtsprechung davon auszugehen, dass einem Versicherten grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen ist, die er noch ausüben kann. Eine derartige Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit ist hingegen grundsätzlich nicht erforderlich, wenn der Versicherte zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbar ist.

Nach diesen Kriterien hatte das Sozialgericht zutreffend zunächst den bisherigen Beruf des Klägers festzustellen. Dabei ist unter dem bisherigen Beruf in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zu verstehen. Sie ist auch dann maßgebend, wenn sie nur kurzfristig verrichtet wurde, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten war. Die Aufnahme einer anderen Tätigkeit führt nicht in jedem Fall zur Lösung vom früheren Beruf, sondern nur dann, wenn der neue Beruf versicherungsrechtlich relevant ist, wenn er also die Voraussetzungen erfüllt, die unabhängig von der früheren Berufsentwicklung zum Erwerb eines versicherungsrechtlich geschützten Berufs führen. Das ist dann der Fall, wenn der Beruf mit dem Ziel aufgenommen und ausgeübt wird, ihn weiterhin bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zur Erreichung der Altersgrenze - also auf Dauer - auszuüben.

Zutreffend hat das Sozialgericht danach die zuletzt bis September 1992 vom Kläger ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter (Disponent, kaufmännischer Mitarbeiter) als bisherigen Beruf angesehen. Von der zuvor bis Oktober 1991 über mehrere Jahre ausgeübten Tätigkeit als leitender Angestellter (Abteilungsleiter und Bereichsleiter Verkehr und Technik) hatte sich der Kläger ohne zwingende gesundheitliche Gründe gelöst. Wurde die Arbeit gezwungenermaßen, insbesondere aus betriebliche Gründe, aufgegeben, so ist eine Lösung im vorerwähnten Sinne jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Versicherte sofort oder im Laufe der Zeit mit dem Wechsel abgefunden hat (vgl. z.B. BSG vom 30.07.1997 - 5 RJ 20/97). Ein endgültiges Sich-Abfinden mit dem neuen, nunmehr ausgeübten Beruf kann auch im Laufe der Zeit unter dem Druck der Verhältnisse erfolgen (vgl. BSGE 46, 121 = SozR 2600 § 45 Nr. 22 m.w.N.). Von welcher Art dieser Druck ist, ist grundsätzlich unerheblich. Auch wenn der Versicherte z.B. wegen der Aussichtslosigkeit, zum früheren höherwertigen Beruf zurückzukehren, resigniert und sich endgültig einem anderen Beruf zuwendet, ist versicherungsrechtlich vom letzten Beruf auszugehen. So steht es im Fall des Klägers, der seinen früheren Beruf als leitender Angestellter zum 31.10.1991 allein aus betriebsbedingten Gründen aufgeben musste.

Diesen zuletzt ausgeübten Beruf als kaufmännischer Angestellter (Disponent, kaufmännischer Mitarbeiter) im Verkehrs- oder Speditionswesen kann der Kläger nach Überzeugung des Senates nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen weiterhin, wie vom Sozialgericht bereits festgestellt, vollschichtig ausüben. Insoweit stellt sich die Frage des Vorhandenseins einer zumutbaren Verweisungstätigkeit auf der Grundlage des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehr-Stufen-Schemas für die Angestelltenberufe nicht. So handelt es sich bei der Tätigkeit eines Disponenten im Frachtverkehr (vgl. berufskundliche Informationen der Bundesanstalt für Arbeit BO 701/I und gabi 781 b) um eine Bürotätigkeit, die als körperlich leicht anzusehen ist und bei der ein Wechsel der Körperhaltung nach den Wünschen des Beschäftigten möglich ist. Diese Tätigkeit erfasst das Besorgen und Organisieren von Verkehrsleistungen, insbesondere:

- ein Versenden, Umschlagen, Lagern von Waren und Gütern,
- das Erstellen von Angeboten,
- das Auswählen von Verkehrsmitteln, Transportrouten unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien (Preis-, Terminvorstellungen, Art und Beschaffenheit der Ware),
- ein Ausfertigen von Fracht-, Zollpapieren
- Abschließen von Transportversicherungen, Bearbeiten von Schadensmeldungen,
- Erledigen allgemeiner Bürotätigkeiten,
- Klären von Kundenanfragen über das Dienstleistungsangebot,
- Errechnen der entsprechenden Tarife, Erläutern von Frachtberechnungsvorschriften,
- Gewinnen neuer Auftraggeber(innen) im Innen- und Außendienst,
- Disponieren eingehender und ausgehender Waren,
- Entgegennehmen, Prüfen und Bearbeiten von Reklamationen,
- Ausfüllen von Einfuhr- und Ausfuhrdokumenten,
- Feststellen von Schäden, Erstellen eines Schadensprotokolls,
- Auswählen der Lager im Hinblick auf ihre Eignung für das einzulagernde Gut.

Diese Aufgaben können je nach Branchen variieren, stellen sich in der Gesamtheit aber als körperlich leichte Tätigkeiten dar, die der Kläger nach Überzeugung des Senates auch unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch vollschichtig auszuüben vermag. Das ergibt sich aus den im Verwaltungsverfahren als auch im Berufungsverfahren beigezogenen vorliegenden Gutachten von Dipl.-Med. G ... vom 28.08.1996, von Dr. K ... vom 23.10.1996, von Dr. W ... vom 12.09.1997 sowie von Prof. Dr. S ... vom 22.08.2000 und von Doz. Dr. Sch ... vom 28.12.2000, die übereinstimmend eine vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers für die Tätigkeit eines Verkehrsingenieurs mit vorwiegend Bürotätigkeit einschließlich entsprechender organisatorischer und administrativer Aufgaben bestätigen.

Zwar bestehen beim Kläger nach dem orthopädischen Fachgutachten von Prof. Dr. S ... vom 22.08.2000 Verschleißerscheinungen an der Hals- und Lendenwirbelsäule mit mittelgradigen Funktionseinschränkungen ohne neurologisches Defizit. Aufgrund dieser somatischen Veränderungen am Achsorgan (Wirbelsäule) hat sich beim Kläger, wie der Sachverständige Dr. Sch ... darstellt, vor dem Hintergrund veränderter Lebensumstände (Arbeitslosigkeit mit zunehmend geringer werdenden Perspektiven des Wiedereinstiegs in das Berufsleben) eine deutlich psychogen überlagerte Schmerzsymptomatik entwickelt, die mit den erhobenen Befunden nicht im Einklang steht. Eine durchgehende depressive Symptomatik von Krankheitswert und damit eine entsprechende Funktionsbeeinträchtigung besteht hingegen nicht, so dass der Kläger bei entsprechender Willensanstrengung in der Lage ist vollschichtig eine leichte körperliche Tätigkeit in seinem bisherigen Berufsbereich auszuüben. Damit ist er nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI.

Arbeitsplätze in den dem Kläger zumutbaren Tätigkeiten gibt es dem Grunde nicht nur vereinzelt, sondern in nennenswerter Zahl in den verschiedensten Speditionen. Es kommt insoweit nicht auf freie Arbeitsplätze an, sondern nur darauf, dass solche Arbeitsplätze, seien sie frei oder besetzt, in genügender Anzahl vorhanden sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI ist die Arbeitsmarktlage, d.h. die Frage, ob der Kläger vor dem Hintergrund seines Alters und seiner gesundheitlichen Einschränkungen eine leidensgerechte Tätigkeit findet oder vermittelt bekommen kann, nicht zu berücksichtigen.

Da Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI beim Kläger nicht vorliegt, besteht auch kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach der strengeren Vorschrift des § 44 SGB VI.

Aus den genannten Gründen blieb die Berufung ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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