Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 16 RA 306/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 117/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 05. April 2000 und die Bescheide der Beklagten vom 21. November 1995 und vom 18. November 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 1999 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung eines Anspruchs auf Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 3.049,17 DM.
Der am ...1971 geborene, im Beitrittsgebiet lebende Kläger bezog aufgrund der Aufnahme eines Direktstudiums an der Universität Leipzig im Wintersemester 1991 seit Oktober 1991 von der Überleitungsanstalt Sozialversicherung eine Halbwaisenrente aus der Versicherung seines 1983 verstorbenen Vaters. Diese Rentenleistung wurde mit Bescheid vom 28.11.1991 ab 01.01.1992 nach § 307 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) umgewertet und angepasst und mit einem monatlichen Zahlbetrag von 440,56 DM geleistet. Sie enthält einen Auffüllbetrag von 321,84 DM.
Der Kläger ist Vater des am 02.08.1993 geborenen Kindes Benedikt. Die Familienkasse bewilligte ihm mit Bescheid vom 28.09.1994 für die Zeit der häuslichen Erziehung dieses Kindes vom 02.10.1994 bis 01.08.1995 Bundeserziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG). Für die Zeit vom 02.08.1995 bis 01.10.1995 erhielt der Kläger wegen der weiteren häuslichen Erziehung des Kindes Landeserziehungsgeld nach dem Sächsischen Landeserziehungsgeldgesetz (vgl. Bescheid vom 02.08.1995).
Im Rahmen der Nachprüfung der Waisenrentenberechtigung forderte die Beklagte den Kläger regelmäßig, erstmals mit Schreiben vom 02.07.1993 auf, entsprechende Unterlagen für eine weiterhin bestehende Berufsausbildung vorzulegen. Als Anlage zu diesem Schreiben erhielt er u.a. das Hinweisblatt (Vordruck 4.3540), aus dem sich Anspruchsgrundlagen und Wegfallgründe für die Zahlung einer Waisenrente ergeben. Dem Hinweisblatt ist u.a. zu Ziff. 2.1.3. - zwar für weibliche Waisen - zu entnehmen, dass für die Dauer des Erziehungsurlaubs keine Berufsausbildung vorliege.
Auf Aufforderung der Beklagten legte ihr der Kläger, der seit 01.04.1993 als Direktstudent an der Technischen Universität Dresden im Studiengang Lebensmittelchemie immatrikuliert war, am 26.07.1994 die ausgefüllten Vordrucke und eine Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 1994 vor. Im Fragenkomplex "Bescheinigung der Schule, ..., Hochschule" gab er an, dass er für das nächste Semester vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 vom Studium beurlaubt sei.
Nach Prüfung der Anspruchsberechtigung bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 18.08.1994 den weiteren Bezug der Halbwaisenrente. Der Anspruch werde bis 30.09.1995 befristet. Zugleich bat sie um die Einsendung von Nachweisen für eine weitere Immatrikulation während der Beurlaubung.
Auf die Erinnerung der Beklagten ging bei ihr am 14.11.1994 eine Immatrikulationsbescheinigung vom 27.10.1994 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger im Wintersemester 1994/95 (01.10.1994 bis 31.03.1995) beurlaubt sei. Zugleich teilte der Kläger mit, dass auch für das Sommersemester 1995 (01.04.1995 bis 30.09.1995) eine Beurlaubung erfolgte.
Im Juni 1995 wurde der Kläger wieder aufgefordert, entsprechende anspruchsbegründende Unterlagen vorzulegen. Erst im Rahmen dieser Nachprüfung erkannte die Beklagte, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Zeit der Beurlaubung vom Studium nicht geklärt seien und stellte die Rentenzahlung ab September 1995 ein (Schreiben vom 18.08.1995).
Am 23.08.1995 meldete sich der Kläger telefonisch bei der Beklagten und gab an, dass die Beurlaubung wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub erfolgt sei. Er werde sein Studium ab Oktober 1995 weiterführen und begehre deshalb die Weiterzahlung der Halbweisenrente.
Mit Bescheid vom 21.11.1995 hob die Beklagte für die Zeit ab 01.10.1994 die Bewilligung der Halbwaisenrente nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf, da die Beurlaubung vom Studium wegen Kindererziehung erfolgt sei und für diesen Zeitraum ein Anspruch nicht bestanden habe. Zugleich forderte sie nach § 50 SGB X die zu Unrecht erbrachten Leistungen für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 in Höhe von insgesamt 6.098,34 DM zurück.
Dem Widerspruch, mit dem der Kläger darauf hinwies, dass er alle geforderten Informationen rechtzeitig erteilt habe, half die Beklagte mit Bescheid vom 18.11.1998 teilweise ab. Sie reduzierte im Rahmen der Ermessensausübung aufgrund ihres Mitverschuldens an der Überzahlung den Erstattungsbetrag um die Hälfte auf 3.049,17 DM. Zugleich gab sie dem Kläger nach § 24 SGB X Gelegenheit, sich hinsichtlich des Restbetrages und der Rückzahlung zu äußern.
Mit Schreiben vom 25.01.1999 erklärte der Kläger, dass er mit der Reduzierung der Rückforderung nicht einverstanden sei, da die Schuld an der Überzahlung ausschließlich bei der Beklagten liege. Durch die Weiterzahlung der Halbwaisenrente sei ihm ein Anspruch auf Sozialhilfe ab 01.10.1994 entgangen, der ihm ohne diese Zahlung zugestanden hätte. Ferner habe er die gezahlte Waisenrente für seinen Lebensunterhalt verbraucht, bevor er davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass ihm diese Zahlungen nicht zustünden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.05.1999 zurück, soweit ihm nicht mit Bescheid vom 18.11.1998 abgeholfen worden ist. Der Bewilligungsbescheid sei nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben gewesen. Der Kläger habe aufgrund des Umwertungsbescheides vom 28.11.1991 und aufgrund der diversen Nachprüfungsschreiben gewusst, dass ihm die Waisenrente nur zugestanden habe, soweit er sich in einer Schul- bzw. Berufsausbildung befand. Die Beklagte habe ihr Mitverschulden an der Überzahlung eingeräumt und mit dem Bescheid vom 18.11.1998 die Erstattungsforderung auf die Hälfte und damit auf 3.049,17 DM reduziert. Ferner bot sie dem Kläger Ratenzahlung an.
Mit der am 01.07.1999 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobenen Klage führte der Kläger sein Begehren zur Beseitigung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides weiter. Ein Sorgfaltsverstoß in besonders schwerem Maße, der die Beklagte zur rückwirkenden Einstellung der Zahlung der Halbwaisenrente berechtigen würde, liege nicht vor. Ob er die jeweiligen Hinweisblätter vollständig gelesen habe, könne er nicht sagen. Dies sei eher nicht der Fall gewesen; er gehe davon aus, dass er eher die ihn betreffenden Passagen gelesen habe. Jedenfalls habe er nicht gewusst, dass er bei einer Beurlaubung wegen des Erziehungsurlaub keinen Anspruch auf Halbwaisenrente gehabt habe.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 05.04.2000 ab. Dem Kläger stehe nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 ein Anspruch auf Halbwaisenrente nicht zu, denn er habe sich für die Dauer des Erziehungsurlaubs nicht in einer Berufsausbildung befunden. Dass für die Dauer des Erziehungsurlaubs ein Anspruch auf Waisenrente nicht bestehe, habe der Kläger dem ihm mehrfach übersandten Hinweisblatt (Vordruck 4.3540) entnehmen können. Da er dieses Formblatt nach eigenem Bekunden erhalten und auch zumindest teilweise gelesen habe, hätte er erkennen können, dass ihm ein Anspruch nicht zustand. Vorliegend sei daher § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X für die Aufhebung der Leistungsbewilligung einschlägig. Die Beklagte habe das ihr zukommende Ermessen korrekterweise ausgeübt und die Erstattungsforderung auf die Hälfte des überzahlten Betrages reduziert. Dabei habe sie berücksichtigt, dass sie ein Mitverschulden an der Überzahlung treffe. Der Kläger habe die für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 18.11.1998 festgesetzte Erstattungsforderung in Höhe von 3.049,17 DM zu begleichen.
Gegen das dem Kläger mit Einschreiben vom 06.06.2000 zugestellte Urteil richtet sich seine am 06.07.2000 eingelegte Berufung. Das Sozialgericht habe verkannt, dass einer Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X die Gutgläubigkeit des Klägers entgegenstehe. Die Beklagte sei nach Auffassung des Klägers über die Grundsätze der Bindung der Verwaltung an die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gebunden und damit gehalten, die Halbwaisenrente nach den vom BSG gefundenen Auslegungen zu bewilligen. Für den streitigen Zeitraum habe dem Kläger die Halbwaisenrente in vollem Umfang zugestanden, da er die Voraussetzungen des § 1 BErzGG erfüllt und seine Ausbildung wegen der Erziehung seines Kindes während dessen ersten drei Lebensjahren nach § 15 BErzGG unterbrochen habe. Soweit die Beklagte davon ausgehe, dass für die Dauer des Erziehungsurlaubs keine Ausbildung im Sinne des § 48 Abs. 4 SGB VI gegeben sei, widerspreche diese Auffassung der vom BSG vorgenommenen Auslegung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.04.2000 und die Bescheide der Beklagten vom 21.11.1995 und 18.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 28.05.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Nach derzeitiger Rechtsauffassung der Beklagten liege - entgegen der Entscheidungen des BSG vom 29.04.1997 (5 RJ 84/95) und vom 26.01.2000 (B 13 RJ 53/99 R) für die Dauer des Erziehungsurlaubs keine Ausbildung im Sinne des § 48 Abs. 4 SGB VI vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht haben das Sozialgericht und ihm zuvor die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 abgelehnt, denn der Kläger erfüllte nach der Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen des § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI. Die mit Bescheid vom 21.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.1999 ausgesprochene Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 SGB X für den hier streitigen Zeitraum ist daher rechtswidrig und war vom Senat aufzuheben. Eine auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützte Erstattungsforderung an den Kläger - auch soweit sie mit Bescheid vom 18.11.1998 auf 3.049,17 DM reduziert war - ergibt sich nicht.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt soll u.a. mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Eine in diesem Sinne wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die die Beklagte zur Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigt hätte, ist jedoch nicht eingetreten.
Nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI besteht der Anspruch auf Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise u.a. sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet. Für den hier streitigen Zeitraum hatte sich der Kläger aber weiterhin in einer Schulausbildung i.S. dieser Vorschrift befunden. Dazu gehört auch die vom Kläger gewählte Hochschulausbildung als immatrikulierter Student an der Technischen Universität Dresden.
Zwar hatte der Kläger in der Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995, obwohl die Immatrikulierung weiter bestand, tatsächlich keine Hochschulausbildung absolviert, weil er von seiner Verpflichtung, während der Vorlesungszeit an den universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen teilzunehmen, wegen der häuslichen Erziehung seines Kindes in dessen ersten Lebensjahren beurlaubt war. Auch wenn eine Ausbildung tatsächlich nicht stattgefunden hat, führte die Beurlaubung nicht zur Beendigung der Hochschulausbildung. Sie hat diese lediglich unterbrochen.
Im Wege der ausdehnenden Auslegung hat die Rechtsprechung jedoch bestimmte Übergangs- und Unterbrechungszeiten als für den Waisenrentenanspruch unschädlich angesehen, selbst wenn in diesen Zeiten eine tatsächliche Schul- oder Berufsausbildung nicht stattgefunden hat. Zu solchen Übergangszeiten zählen insbesondere unvermeidbare Zwischenzeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1267 Nrn. 1, 3 und BSGE 80, 205 = SozR 3-2200 § 1267 Nr. 5; BSG SozR 3-2600 § 48 Nr. 1 jeweils m.w.N.), wobei der Zeitraum einer Übergangszeit auf vier Monate beschränkt ist. Bei derartigen "Zwischenzeiten" entfalle häufig und typisch die Möglichkeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und damit einer Beitragsleistung (BSG SozR 3-2200 Nr. 3 m.w.N.).
Ebenfalls im Wege der Auslegung hat die Rechtsprechung Unterbrechungszeiten anerkannt, die eine begonnene Schul- oder Berufsausbildung fortbestehen lassen. Zu diesen Unterbrechungszeiten zählen nicht die regelmäßigen Ferien oder Erholungsurlaube oder die Beurlaubung vom Hochschulstudium zur Examensvorbereitung; diese Zeiten sind ohne weiteres der Ausbildung zuzurechnen. Als für das Fortbestehen der Schul- oder Berufsausbildung unschädlich angesehen wurden krankheitsbedingte wie auch schwangerschaftsbedingte Unterbrechungen, die die Ausbildung zwar tatsächlich, nicht aber rechtlich unterbrechen. Zur Begründung für die Weiterzahlung von Waisenrenten im Falle einer krankheitsbedingten Unterbrechung wurde von der Rechtsprechung vor allem angeführt, dass die Waisenrente auch für die Zeit der Berufsausbildung ihre Ersatzfunktion für verlorengegangene Unterhaltsansprüche behalte. Der Zweck der Waisenrente, eine möglichst qualifizierte Ausbildung zu gewährleisten, würde aber gefährdet, wenn die Waise mit dem Entzug der Rente während einer längeren Krankheit rechnen müsste und deshalb genötigt wäre, die Ausbildung abzubrechen. Der maßgebliche Grund für die von der Rechtsprechung vorgenommene ausdehnende Auslegung des Begriffs Schul- oder Berufsausbildung auch auf (unschädliche) Unterbrechungszeiten liegt darin, dass die Waise aufgrund von in ihrer Person liegenden, aber von ihr nicht zu vertretenden Umstände die begonnene Ausbildung für einen gewissen Zeitraum tatsächlich nicht fortsetzen kann.
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat über die bislang anerkannten Unterbrechungstatbestände Krankheit und Schwangerschaft hinaus für den Bereich der Berufsausbildung und der 13. Senat für den Bereich der Schulausbildung bereits entschieden, das auch die Zeit der Unterbrechung der Ausbildung wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub rentenunschädlich ist, weil die Aufnahme einer Berufstätigkeit in dem Unterbrechungszeitraum nicht zumutbar sei (vgl. SozR 3-2200 § 1267 Nr. 5 und BSG Urteil vom 26.01.2000 B 13 RJ 53/99 R - m.w.N.). Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Das BErzGG wolle einem Elternteil die Betreuung und Erziehung des Kindes in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase ermöglichen bzw. erleichtern. Müttern und Vätern sei die Wahlfreiheit zwischen der Tätigkeit für die Familie und einer Erwerbstätigkeit geschaffen worden. Im Gegensatz zur Waisenrente handele es sich beim Erziehungsgeld nicht um eine Lohnersatzleistung, sondern um eine familienpolitisch motivierte Sozialleistung. Eine Leistungskumulation liege wegen der nicht identischen Zweckrichtung der verschiedenen Sozialleistungen nicht vor.
Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat nach eigener Bewertung an. Auch der erkennende Senat sieht die Gefahr eines Wertungswiderspruches, wenn einerseits mit dem gesetzlich eingeräumten Erziehungsurlaub die Kleinkindbetreuung durch einen Elternteil mit Nachdruck gefördert werden soll und mit dem Erziehungsgeld eine Sozialleistung vorgesehen ist, die weder auf andere Sozialleistungen noch auf private Unterhaltsleistungen angerechnet wird, andererseits aber die Waisenrente eines in Berufsausbildung befindlichen Elternteils wegfallen soll, wenn er Erziehungsurlaub nimmt. Vom Gesetzgeber werden jedoch sowohl der Erziehungsurlaub zur Betreuung des Kleinkindes als auch die Weiterzahlung der Waisenrente zur Förderung der Ausbildung der Waisen als sozialpolitisch wünschenswert erachtet, ohne dass eine Rangfolge in der Wertigkeit dieser beiden sozialpolitischen Zielsetzungen festgestellt werden kann.
Wenn eine schwangerschaftsbedingte Unterbrechung innerhalb der Mutterschutzfristen als für den Bezug von Waisenrente unschädlich anzusehen ist, erscheint es konsequent, wenn die nachfolgende Unterbrechung durch den vom Gesetzgeber geschaffenen Erziehungsurlaub ebenfalls als unschädlich erachtet wird. Die Erweiterung der bislang anerkannten (unschädlichen) Unterbrechungstatbestände einer vorübergehenden Krankheit und einer Schwangerschaft/Mutterschaft um den weiteren, neuen Unterbrechungstatbestand des Erziehungsurlaubs ist rechtssystematisch vertretbar und vor allem geeignet, den Wertungskonflikt dahingehend zu lösen, dass möglichst beide Wertentscheidungen des Gesetzgebers verwirklicht werden können. Wenn für die gesetzlich eingeräumte Dauer des Erziehungsurlaubes ein Arbeitsverhältnis (§§ 15 f BErzGG) und über § 20 Abs. 1 Satz 1 BErzGG auch ein Berufsausbildungsverhältnis als nicht beendet, sondern fortbestehend behandelt wird, ist es folgerichtig, diese Wertung des Gesetzgebers in Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung auch für das Vorliegen einer Schul- oder Berufsausbildung i.S. von § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI gelten zu lassen. Insoweit bezieht sich der Senat auf die oben zitierte Rechtsprechung des BSG, die den Beteiligten bekannt ist und der der Senat folgt. Er sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Befand sich der Kläger während des streitigen Zeitraums wegen der lediglich vorliegenden Beurlaubung noch in einer Hochschulausbildung i.S. von § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI, steht ihm auch die bereits bis zum 30.09.1995 gezahlte Halbwaisenrente zu. Ein Rechtsgrund zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 Abs. 1 SGB X liegt nicht vor. Damit erübrigt sich auch die Erstattungsforderung der Beklagten.
Aus den genannten Gründen waren auf die Berufung das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz sowie die Bescheide vom 21.11.1995 und vom 18.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Der Senat folgt bezüglich der erweiternden Auslegung des Begriffs Schul- und Berufsausbildung im Sinne des § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI der Rechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung eines Anspruchs auf Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 3.049,17 DM.
Der am ...1971 geborene, im Beitrittsgebiet lebende Kläger bezog aufgrund der Aufnahme eines Direktstudiums an der Universität Leipzig im Wintersemester 1991 seit Oktober 1991 von der Überleitungsanstalt Sozialversicherung eine Halbwaisenrente aus der Versicherung seines 1983 verstorbenen Vaters. Diese Rentenleistung wurde mit Bescheid vom 28.11.1991 ab 01.01.1992 nach § 307 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) umgewertet und angepasst und mit einem monatlichen Zahlbetrag von 440,56 DM geleistet. Sie enthält einen Auffüllbetrag von 321,84 DM.
Der Kläger ist Vater des am 02.08.1993 geborenen Kindes Benedikt. Die Familienkasse bewilligte ihm mit Bescheid vom 28.09.1994 für die Zeit der häuslichen Erziehung dieses Kindes vom 02.10.1994 bis 01.08.1995 Bundeserziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG). Für die Zeit vom 02.08.1995 bis 01.10.1995 erhielt der Kläger wegen der weiteren häuslichen Erziehung des Kindes Landeserziehungsgeld nach dem Sächsischen Landeserziehungsgeldgesetz (vgl. Bescheid vom 02.08.1995).
Im Rahmen der Nachprüfung der Waisenrentenberechtigung forderte die Beklagte den Kläger regelmäßig, erstmals mit Schreiben vom 02.07.1993 auf, entsprechende Unterlagen für eine weiterhin bestehende Berufsausbildung vorzulegen. Als Anlage zu diesem Schreiben erhielt er u.a. das Hinweisblatt (Vordruck 4.3540), aus dem sich Anspruchsgrundlagen und Wegfallgründe für die Zahlung einer Waisenrente ergeben. Dem Hinweisblatt ist u.a. zu Ziff. 2.1.3. - zwar für weibliche Waisen - zu entnehmen, dass für die Dauer des Erziehungsurlaubs keine Berufsausbildung vorliege.
Auf Aufforderung der Beklagten legte ihr der Kläger, der seit 01.04.1993 als Direktstudent an der Technischen Universität Dresden im Studiengang Lebensmittelchemie immatrikuliert war, am 26.07.1994 die ausgefüllten Vordrucke und eine Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 1994 vor. Im Fragenkomplex "Bescheinigung der Schule, ..., Hochschule" gab er an, dass er für das nächste Semester vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 vom Studium beurlaubt sei.
Nach Prüfung der Anspruchsberechtigung bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 18.08.1994 den weiteren Bezug der Halbwaisenrente. Der Anspruch werde bis 30.09.1995 befristet. Zugleich bat sie um die Einsendung von Nachweisen für eine weitere Immatrikulation während der Beurlaubung.
Auf die Erinnerung der Beklagten ging bei ihr am 14.11.1994 eine Immatrikulationsbescheinigung vom 27.10.1994 ein, aus der sich ergibt, dass der Kläger im Wintersemester 1994/95 (01.10.1994 bis 31.03.1995) beurlaubt sei. Zugleich teilte der Kläger mit, dass auch für das Sommersemester 1995 (01.04.1995 bis 30.09.1995) eine Beurlaubung erfolgte.
Im Juni 1995 wurde der Kläger wieder aufgefordert, entsprechende anspruchsbegründende Unterlagen vorzulegen. Erst im Rahmen dieser Nachprüfung erkannte die Beklagte, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Zeit der Beurlaubung vom Studium nicht geklärt seien und stellte die Rentenzahlung ab September 1995 ein (Schreiben vom 18.08.1995).
Am 23.08.1995 meldete sich der Kläger telefonisch bei der Beklagten und gab an, dass die Beurlaubung wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub erfolgt sei. Er werde sein Studium ab Oktober 1995 weiterführen und begehre deshalb die Weiterzahlung der Halbweisenrente.
Mit Bescheid vom 21.11.1995 hob die Beklagte für die Zeit ab 01.10.1994 die Bewilligung der Halbwaisenrente nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf, da die Beurlaubung vom Studium wegen Kindererziehung erfolgt sei und für diesen Zeitraum ein Anspruch nicht bestanden habe. Zugleich forderte sie nach § 50 SGB X die zu Unrecht erbrachten Leistungen für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 in Höhe von insgesamt 6.098,34 DM zurück.
Dem Widerspruch, mit dem der Kläger darauf hinwies, dass er alle geforderten Informationen rechtzeitig erteilt habe, half die Beklagte mit Bescheid vom 18.11.1998 teilweise ab. Sie reduzierte im Rahmen der Ermessensausübung aufgrund ihres Mitverschuldens an der Überzahlung den Erstattungsbetrag um die Hälfte auf 3.049,17 DM. Zugleich gab sie dem Kläger nach § 24 SGB X Gelegenheit, sich hinsichtlich des Restbetrages und der Rückzahlung zu äußern.
Mit Schreiben vom 25.01.1999 erklärte der Kläger, dass er mit der Reduzierung der Rückforderung nicht einverstanden sei, da die Schuld an der Überzahlung ausschließlich bei der Beklagten liege. Durch die Weiterzahlung der Halbwaisenrente sei ihm ein Anspruch auf Sozialhilfe ab 01.10.1994 entgangen, der ihm ohne diese Zahlung zugestanden hätte. Ferner habe er die gezahlte Waisenrente für seinen Lebensunterhalt verbraucht, bevor er davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass ihm diese Zahlungen nicht zustünden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.05.1999 zurück, soweit ihm nicht mit Bescheid vom 18.11.1998 abgeholfen worden ist. Der Bewilligungsbescheid sei nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben gewesen. Der Kläger habe aufgrund des Umwertungsbescheides vom 28.11.1991 und aufgrund der diversen Nachprüfungsschreiben gewusst, dass ihm die Waisenrente nur zugestanden habe, soweit er sich in einer Schul- bzw. Berufsausbildung befand. Die Beklagte habe ihr Mitverschulden an der Überzahlung eingeräumt und mit dem Bescheid vom 18.11.1998 die Erstattungsforderung auf die Hälfte und damit auf 3.049,17 DM reduziert. Ferner bot sie dem Kläger Ratenzahlung an.
Mit der am 01.07.1999 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobenen Klage führte der Kläger sein Begehren zur Beseitigung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides weiter. Ein Sorgfaltsverstoß in besonders schwerem Maße, der die Beklagte zur rückwirkenden Einstellung der Zahlung der Halbwaisenrente berechtigen würde, liege nicht vor. Ob er die jeweiligen Hinweisblätter vollständig gelesen habe, könne er nicht sagen. Dies sei eher nicht der Fall gewesen; er gehe davon aus, dass er eher die ihn betreffenden Passagen gelesen habe. Jedenfalls habe er nicht gewusst, dass er bei einer Beurlaubung wegen des Erziehungsurlaub keinen Anspruch auf Halbwaisenrente gehabt habe.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 05.04.2000 ab. Dem Kläger stehe nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 ein Anspruch auf Halbwaisenrente nicht zu, denn er habe sich für die Dauer des Erziehungsurlaubs nicht in einer Berufsausbildung befunden. Dass für die Dauer des Erziehungsurlaubs ein Anspruch auf Waisenrente nicht bestehe, habe der Kläger dem ihm mehrfach übersandten Hinweisblatt (Vordruck 4.3540) entnehmen können. Da er dieses Formblatt nach eigenem Bekunden erhalten und auch zumindest teilweise gelesen habe, hätte er erkennen können, dass ihm ein Anspruch nicht zustand. Vorliegend sei daher § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X für die Aufhebung der Leistungsbewilligung einschlägig. Die Beklagte habe das ihr zukommende Ermessen korrekterweise ausgeübt und die Erstattungsforderung auf die Hälfte des überzahlten Betrages reduziert. Dabei habe sie berücksichtigt, dass sie ein Mitverschulden an der Überzahlung treffe. Der Kläger habe die für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 18.11.1998 festgesetzte Erstattungsforderung in Höhe von 3.049,17 DM zu begleichen.
Gegen das dem Kläger mit Einschreiben vom 06.06.2000 zugestellte Urteil richtet sich seine am 06.07.2000 eingelegte Berufung. Das Sozialgericht habe verkannt, dass einer Aufhebung des begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X die Gutgläubigkeit des Klägers entgegenstehe. Die Beklagte sei nach Auffassung des Klägers über die Grundsätze der Bindung der Verwaltung an die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gebunden und damit gehalten, die Halbwaisenrente nach den vom BSG gefundenen Auslegungen zu bewilligen. Für den streitigen Zeitraum habe dem Kläger die Halbwaisenrente in vollem Umfang zugestanden, da er die Voraussetzungen des § 1 BErzGG erfüllt und seine Ausbildung wegen der Erziehung seines Kindes während dessen ersten drei Lebensjahren nach § 15 BErzGG unterbrochen habe. Soweit die Beklagte davon ausgehe, dass für die Dauer des Erziehungsurlaubs keine Ausbildung im Sinne des § 48 Abs. 4 SGB VI gegeben sei, widerspreche diese Auffassung der vom BSG vorgenommenen Auslegung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.04.2000 und die Bescheide der Beklagten vom 21.11.1995 und 18.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 28.05.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Nach derzeitiger Rechtsauffassung der Beklagten liege - entgegen der Entscheidungen des BSG vom 29.04.1997 (5 RJ 84/95) und vom 26.01.2000 (B 13 RJ 53/99 R) für die Dauer des Erziehungsurlaubs keine Ausbildung im Sinne des § 48 Abs. 4 SGB VI vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und auf die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht haben das Sozialgericht und ihm zuvor die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995 abgelehnt, denn der Kläger erfüllte nach der Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen des § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI. Die mit Bescheid vom 21.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.05.1999 ausgesprochene Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 SGB X für den hier streitigen Zeitraum ist daher rechtswidrig und war vom Senat aufzuheben. Eine auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützte Erstattungsforderung an den Kläger - auch soweit sie mit Bescheid vom 18.11.1998 auf 3.049,17 DM reduziert war - ergibt sich nicht.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt soll u.a. mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Eine in diesem Sinne wesentliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die die Beklagte zur Aufhebung der Leistungsbewilligung berechtigt hätte, ist jedoch nicht eingetreten.
Nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI besteht der Anspruch auf Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise u.a. sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet. Für den hier streitigen Zeitraum hatte sich der Kläger aber weiterhin in einer Schulausbildung i.S. dieser Vorschrift befunden. Dazu gehört auch die vom Kläger gewählte Hochschulausbildung als immatrikulierter Student an der Technischen Universität Dresden.
Zwar hatte der Kläger in der Zeit vom 01.10.1994 bis 30.09.1995, obwohl die Immatrikulierung weiter bestand, tatsächlich keine Hochschulausbildung absolviert, weil er von seiner Verpflichtung, während der Vorlesungszeit an den universitäts-spezifischen Lehrveranstaltungen teilzunehmen, wegen der häuslichen Erziehung seines Kindes in dessen ersten Lebensjahren beurlaubt war. Auch wenn eine Ausbildung tatsächlich nicht stattgefunden hat, führte die Beurlaubung nicht zur Beendigung der Hochschulausbildung. Sie hat diese lediglich unterbrochen.
Im Wege der ausdehnenden Auslegung hat die Rechtsprechung jedoch bestimmte Übergangs- und Unterbrechungszeiten als für den Waisenrentenanspruch unschädlich angesehen, selbst wenn in diesen Zeiten eine tatsächliche Schul- oder Berufsausbildung nicht stattgefunden hat. Zu solchen Übergangszeiten zählen insbesondere unvermeidbare Zwischenzeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1267 Nrn. 1, 3 und BSGE 80, 205 = SozR 3-2200 § 1267 Nr. 5; BSG SozR 3-2600 § 48 Nr. 1 jeweils m.w.N.), wobei der Zeitraum einer Übergangszeit auf vier Monate beschränkt ist. Bei derartigen "Zwischenzeiten" entfalle häufig und typisch die Möglichkeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und damit einer Beitragsleistung (BSG SozR 3-2200 Nr. 3 m.w.N.).
Ebenfalls im Wege der Auslegung hat die Rechtsprechung Unterbrechungszeiten anerkannt, die eine begonnene Schul- oder Berufsausbildung fortbestehen lassen. Zu diesen Unterbrechungszeiten zählen nicht die regelmäßigen Ferien oder Erholungsurlaube oder die Beurlaubung vom Hochschulstudium zur Examensvorbereitung; diese Zeiten sind ohne weiteres der Ausbildung zuzurechnen. Als für das Fortbestehen der Schul- oder Berufsausbildung unschädlich angesehen wurden krankheitsbedingte wie auch schwangerschaftsbedingte Unterbrechungen, die die Ausbildung zwar tatsächlich, nicht aber rechtlich unterbrechen. Zur Begründung für die Weiterzahlung von Waisenrenten im Falle einer krankheitsbedingten Unterbrechung wurde von der Rechtsprechung vor allem angeführt, dass die Waisenrente auch für die Zeit der Berufsausbildung ihre Ersatzfunktion für verlorengegangene Unterhaltsansprüche behalte. Der Zweck der Waisenrente, eine möglichst qualifizierte Ausbildung zu gewährleisten, würde aber gefährdet, wenn die Waise mit dem Entzug der Rente während einer längeren Krankheit rechnen müsste und deshalb genötigt wäre, die Ausbildung abzubrechen. Der maßgebliche Grund für die von der Rechtsprechung vorgenommene ausdehnende Auslegung des Begriffs Schul- oder Berufsausbildung auch auf (unschädliche) Unterbrechungszeiten liegt darin, dass die Waise aufgrund von in ihrer Person liegenden, aber von ihr nicht zu vertretenden Umstände die begonnene Ausbildung für einen gewissen Zeitraum tatsächlich nicht fortsetzen kann.
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat über die bislang anerkannten Unterbrechungstatbestände Krankheit und Schwangerschaft hinaus für den Bereich der Berufsausbildung und der 13. Senat für den Bereich der Schulausbildung bereits entschieden, das auch die Zeit der Unterbrechung der Ausbildung wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub rentenunschädlich ist, weil die Aufnahme einer Berufstätigkeit in dem Unterbrechungszeitraum nicht zumutbar sei (vgl. SozR 3-2200 § 1267 Nr. 5 und BSG Urteil vom 26.01.2000 B 13 RJ 53/99 R - m.w.N.). Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck der Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub. Das BErzGG wolle einem Elternteil die Betreuung und Erziehung des Kindes in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase ermöglichen bzw. erleichtern. Müttern und Vätern sei die Wahlfreiheit zwischen der Tätigkeit für die Familie und einer Erwerbstätigkeit geschaffen worden. Im Gegensatz zur Waisenrente handele es sich beim Erziehungsgeld nicht um eine Lohnersatzleistung, sondern um eine familienpolitisch motivierte Sozialleistung. Eine Leistungskumulation liege wegen der nicht identischen Zweckrichtung der verschiedenen Sozialleistungen nicht vor.
Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat nach eigener Bewertung an. Auch der erkennende Senat sieht die Gefahr eines Wertungswiderspruches, wenn einerseits mit dem gesetzlich eingeräumten Erziehungsurlaub die Kleinkindbetreuung durch einen Elternteil mit Nachdruck gefördert werden soll und mit dem Erziehungsgeld eine Sozialleistung vorgesehen ist, die weder auf andere Sozialleistungen noch auf private Unterhaltsleistungen angerechnet wird, andererseits aber die Waisenrente eines in Berufsausbildung befindlichen Elternteils wegfallen soll, wenn er Erziehungsurlaub nimmt. Vom Gesetzgeber werden jedoch sowohl der Erziehungsurlaub zur Betreuung des Kleinkindes als auch die Weiterzahlung der Waisenrente zur Förderung der Ausbildung der Waisen als sozialpolitisch wünschenswert erachtet, ohne dass eine Rangfolge in der Wertigkeit dieser beiden sozialpolitischen Zielsetzungen festgestellt werden kann.
Wenn eine schwangerschaftsbedingte Unterbrechung innerhalb der Mutterschutzfristen als für den Bezug von Waisenrente unschädlich anzusehen ist, erscheint es konsequent, wenn die nachfolgende Unterbrechung durch den vom Gesetzgeber geschaffenen Erziehungsurlaub ebenfalls als unschädlich erachtet wird. Die Erweiterung der bislang anerkannten (unschädlichen) Unterbrechungstatbestände einer vorübergehenden Krankheit und einer Schwangerschaft/Mutterschaft um den weiteren, neuen Unterbrechungstatbestand des Erziehungsurlaubs ist rechtssystematisch vertretbar und vor allem geeignet, den Wertungskonflikt dahingehend zu lösen, dass möglichst beide Wertentscheidungen des Gesetzgebers verwirklicht werden können. Wenn für die gesetzlich eingeräumte Dauer des Erziehungsurlaubes ein Arbeitsverhältnis (§§ 15 f BErzGG) und über § 20 Abs. 1 Satz 1 BErzGG auch ein Berufsausbildungsverhältnis als nicht beendet, sondern fortbestehend behandelt wird, ist es folgerichtig, diese Wertung des Gesetzgebers in Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung auch für das Vorliegen einer Schul- oder Berufsausbildung i.S. von § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI gelten zu lassen. Insoweit bezieht sich der Senat auf die oben zitierte Rechtsprechung des BSG, die den Beteiligten bekannt ist und der der Senat folgt. Er sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Befand sich der Kläger während des streitigen Zeitraums wegen der lediglich vorliegenden Beurlaubung noch in einer Hochschulausbildung i.S. von § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI, steht ihm auch die bereits bis zum 30.09.1995 gezahlte Halbwaisenrente zu. Ein Rechtsgrund zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 Abs. 1 SGB X liegt nicht vor. Damit erübrigt sich auch die Erstattungsforderung der Beklagten.
Aus den genannten Gründen waren auf die Berufung das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz sowie die Bescheide vom 21.11.1995 und vom 18.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Der Senat folgt bezüglich der erweiternden Auslegung des Begriffs Schul- und Berufsausbildung im Sinne des § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a SGB VI der Rechtsprechung des 5. und 13. Senats des BSG.
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