Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 RA 911/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 90/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25.02.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiigten ist streitig, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, der Klägerin das Recht auf Entschädigungsrente mit Wirkung ab März 1998 abzuerkennen.
Die Klägerin ist die Witwe des am ... geborenen und am ... 1996 verstorbenen ... Nach den Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) war der Ehemann der Klägerin vom 04.11.1933 bis 11.04.1934 wegen Hochverrats verurteilt und verhaftet gewesen. Vom 27.03.1943 bis August 1944 war er im Dienstgrad eines Gefreiten in einem Infanterieregiment der Wehrmacht und gelangte im August 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde von dort am 28.03.1949 entlassen. Vom 11.11.1949 bis 30.04.1950 war er mit Dienstgrad Oberleutnant operativer Mitarbeiter der Bezirksverwaltung (BV) ..., Kreisdienststelle ... Nach Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) am 08.02.1950 war er vom 01.05.1950 bis 03.03.1953 Referatsleiter der Diensteinheit, vom 04.03.1953 bis 17.12.1953 Referatsleiter Abteilung III, vom 18.12.1953 bis 20.10.1954 deren stellvertretender Abteilungsleiter und vom 21.10.1954 bis 06.10.1956 deren Abteilungsleiter. Vom 07.10.1956 bis 21.10.1956 war er mit Dienstgrad Hauptmann weiter in dieser Dienststellung und Diensteinheit tätig. Nach Abschluss der Kreisparteischule war er vom 03.01.1957 bis 30.09.1957 wiederum als Abteilungsleiter der Abteilung III tätig und danach bis 31.12.1966 Leiter der Instrukteurgruppe. Vom 01.01.1967 bis 19.10.1968 war er Offizier vom Dienst im Büro der Leitung und im Anschluss daran bis 30.04.1969 Beauftragter für Fahndung der Leitung und danach bis zur Invalidisierung am 30.06.1971 Beauftragter für Fahndung der Arbeitsgruppe der Leitung. In den Jahren 1963/1964 und 1966 war er zu Sonderaktionen im Zusammenhang mit den Vorgängen "Stern" und "Tanne" eingesetzt. Vom Februar 1955 bis Juni 1957 führte er einen geheimen Informator und fertigte dabei 20 Treffberichte mit Aufgaben und Maßnahmen aus dieser Zeit.
Aufgrund der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie deren Hinterbliebene (EhPensAO) vom 20.09.1976 - Vertrauliche Dienstsache - (VD 26/19/76) war ihm in der DDR eine Ehrenpension im Wert von monatlich 1.700,- M mit Bescheid vom 16.01.1989 zuerkannt worden. Dieser Betrag wurde ab 01.05.1992 nach dem zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Gesetz über Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22.04.1992 (BGBl. I S. 906) durch ein gegen die beigeladene BfA gerichtetes Recht auf Entschädigungsrente mit einem monatlichen Wert von 1.400,- DM ersetzt. Die Beigeladene zu 2. zahlte diesen Betrag monatlich bis zum Eintritt des Todes am ...1996 aus.
Gegenüber der Beigeladenen zu 2. beantragte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin die Ehrenpension für Hinterbliebene von Kämpfern gegen den Faschismus.
Mit Bescheid vom 24.03.1997 erkannte die BfA gegenüber der Klägerin für die Zeit ab 01.12.1996 eine Entschädigungsrente in Höhe von monatlich 800,- DM an. Die Klägerin bezieht von der Beigeladenen eine große Witwenrente.
Nach Beiziehung der Unterlagen der Gauck-Behörde hörte die Beigeladene zu 1. die Klägerin mit Schreiben vom 14.05.1997 über die beabsichtigte Kürzung oder Aberkennung von Entschädigungsrente nach § 5 Abs. 1 EntschRG gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetz Zehntes Buch (SGB X) an.
Mit Beschluss vom 19.06.1997 schlug die Beigeladene zu 1. der Beklagten vor, der Klägerin die Entschädigungsrente vorläufig abzuerkennen. Mit Bescheid vom 14.10.1997 wurde gemäß § 5 Abs. 2 EntschRG in der durch Artikel 7 des 3. Wahlrechtsverbesserungsgesetzes (3. WRVG) vom 29.04.1997 geänderten Fassung i. V. m. § 4 Abs. 4 Versorgungsgesetz (VRG) vom 25.07.1991 der Anspruch gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Zahlung einer Entschädigungsrente (Hinterbliebenenrente) in Höhe von 800,- DM monatlich nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 EntschRG mit sofortiger Wirkung vorläufig aberkannt. Nach den Feststellungen der Beigeladenen zu 1. habe der verstorbene Ehegatte vom 11.11.1949 bis 30.06.1971 ununterbrochen dem MfS bzw. dessen Vorläufer als hauptamtlicher Mitarbeiter angehört. Letzter militärischer Dienstgrad sei der eines Hauptmannes gewesen. Bis Anfang 1950 habe er der BV Leipzig als operativer Mitarbeiter angehört und im Anschluss daran sei ihm die Funktion eines Referatsleiters in der Abteilung III übertragen worden. Er sei zuständig gewesen für die Überwachung sogenannter Schwerpunktbetriebe. Anschließend sei er als stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung III und als Leiter der Instrukteurgruppe tätig gewesen. Dem verstorbenen Ehemann werde der Vorwurf gemacht, im Rahmen der langjährigen Tätigkeit auf der mittleren Führungsebene im MfS der BV Leipzig Maßnahmen angeordnet zu haben oder in anderer Form daran beteiligt gewesen zu sein, die zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen an DDR-Bürgern geführt hätten. Gleiches gelte für die spätere Tätigkeit als sogenannter Beauftragter für Fahndung. Auch hier sei er für die Anordnung und Durchführung rechtsstaatswidriger Fahndungsmaßnahmen verantwortlich gewesen. Die Beklagte folge dem Vorschlag der Beigeladenen zu 1. vom 19.06.1997. Der Kommissionsbeschluss werde zum Gegenstand dieses Bescheides gemacht. Die Diensteinheiten des Ministeriums und der Bezirksverwaltungen seien im sogenannten Linienprinzip gegliedert gewesen. Es habe sich um sogenannte operative Diensteinheiten gehandelt. Zur Durchführung dieser operativen Prozesse hätten sich die Diensteinheiten eines weit verzweigten Netzes geheimer Mitarbeiter und geheimer Informatoren bedient (Richtlinie Nr. 21 vom 20.11.1952). Diese Arbeit hätte den Diensteinheiten Hinweise zum "Einsatz gezielter Maßnahmen gegen feindlich-negative-Personen" geliefert. Derartige Maßnahmen bestünden in Observation, Post- und Telefonkontrolle, Einschüchterungsversuchen ect ... Damit sei nach rechtsstaatlichen Maßstäben unstreitig, dass die sogenannten politisch operativen Maßnahmen des MfS auf die Verfolgung und Unterdrückung von Menschen gerichtet gewesen seien. Das Aufgabengebiet der Abteilung III hätte sich auch auf die Verfolgung von politisch Andersdenkenden, Oppositionellen sowie Flucht- bzw. Ausreisewilligen erstreckt. Dies ergebe sich aus der Dienstanweisung Nr. 40/53 vom 02. Dezember 1953, wonach von der "sporadischen Bekämpfung einzelner feindlicher Agenten zu einer organisierten, offensiven Bekämpfung des Gegners" überzugehen sei. In konzentrierten Schlägen müssten die Hauptkräfte der gegnerischen Sabotage, Schädlings- und Spionagetätigkeit in den Objekten zerschlagen werden. Dazu sei das Netz geheimer Informatoren und Mitarbeiter zahlenmäßig und qualitativ zu erweitern. Es seien Maßnahmen zu entwickeln, um in diese "gegnerischen Gruppierungen einzudringen und die darin befindlichen Kräfte zu liquidieren". Der Ehemann der Klägerin habe in der Zeit vom Februar 1955 bis Mitte 1957 einen geheimen Informatoren geführt. Damit stehe fest, dass der Ehemann lange Jahre mit sogenannten operativen Maßnahmen befasst gewesen sei, die im Wesentlichen darauf gezielt hätten, Menschenrechte, wie das Recht auf Freiheit oder Ausreisefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- oder Religionsfreiheit sowie das Recht auf Meinungsfreiheit zu verletzen. Gleiches gelte für die Tätigkeit als sogenannter Beauftragter für Fahndung in der Bezirksverwaltung Leipzig. Fahndungsaktionen des MfS hätten die Aufspürung und gegebenenfalls die Festnahme von Regimegegnern und Fluchtwilligen zum Ziel. Unter der Leitung des Ehemannes der Klägerin hätten größere Fahndungsaktionen durchgeführt werden können. Die übertragenen Aufgaben habe er zur Zufriedenheit realisiert, wie sich aus den Beurteilungen vom 08.03.1969 und vom 03.04.1971 ergebe. Er sei in leitender Funktion im MfS integriert gewesen und habe sich erkennbar mit dessen System identifiziert. Er habe Dienstanweisungen, Befehle und Richtlinien umgesetzt, die erkennbar gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen hätten.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 23.10.1997 beim Sozialgericht (SG) Leipzig Klage erhoben und begehrte zugleich die Aussetzung des Vollzuges des angefochtenen Bescheides. Mit Beschluss vom 16.12.1997 schlug die Beigeladene zu 1. der Beklagten gemäß § 5 Abs. 2 EntschRG die endgültige Aberkennung des Rechts auf den Bezug einer Entschädigungsrente vor. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im vorläufigen Aberkennungsbeschluss vom 19.06.1997. Mit Bescheid vom 04.02.1998 erkannte die Beklagte den Anspruch gegen die BfA auf Zahlung einer Entschädigungsrente (Hinterbliebenenrente) in Höhe von 800,- DM monatlich endgültig ab und verwies dabei im Wesentlichen auf die Gründe des Bescheides vom 14.10.1997. Der Bescheid wurde gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Klageverfahrens.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 25.02.2000 den Bescheid über die vorläufige Entziehung der Entschädigungsrente vom 14.10.1997 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid über die endgültige Entziehung der Entschädigungsrente vom 04.02.1998 abgewiesen. Der Bescheid vom 04.02.1998 habe den früheren Bescheid lediglich für die Zeit ab März 1998 ersetzt. In Ermangelung einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage sei die Beklagte nicht befugt gewesen, das der Klägerin zuerkannte Recht "vorläufig" abzuerkennen. Der Bescheid vom 04.02.1998 sei jedoch verwaltungsverfahrens- und materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Dieser Bescheid regele, das der Klägerin zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente "mit sofortiger Wirkung" abzuerkennen. Dies habe zur Folge, dass die beigeladene BfA für Bezugszeiträume ab 01.03.1998 die Entschädigungsrente nicht mehr zu zahlen habe. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG seien Entschädigungsrenten zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht habe. Diese Norm statuiere damit eine Unwürdigkeitsklausel. Die Beklagte habe die Befugnis zur Aberkennung auf Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch die langjährige Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin auf der mittleren Führungsebene des MfS der BV Leipzig gestützt. Sie habe daraus die Befugnis auf Aberkennung hergeleitet, dass der Ehemann der Klägerin unstreitig verschiedene Funktionen innerhalb des MfS langjährig ausgeübt und die damit verbundenen Aufgaben auch tatsächlich wahrgenommen habe. Durch die Funktion als kommissarischer, später stellvertretender Leiter und schließlich Leiter der Abteilung III sei er mitverantwortlich für die Anordnung und Durchführung von Maßnahmen gewesen, die im erheblichen Maße Menschenrechte verletzt hätten. Bei der Tätigkeit der sogenannten "operativen Diensteinheiten", des Bedienens eines Netzes geheimer Mitarbeiter und geheimer Informatoren auf der Grundlage der Richtlinie Nr. 21 sei nach rechtsstaatlichen Maßstäben unstreitig, dass sich die politisch operativen Maßnahmen des MfS auf die Verfolgung und Unterdrückung von Menschen gerichtet hätten. Durch die über 20 Jahre lang in leitenden Positionen beim ehemaligen MfS, auch in der Abteilung III, festgestellten Tätigkeiten, welche für die Sicherung der Volkswirtschaft zuständig war, hätte sich der Verstorbene mit der Abwehr von Sabotage, Diversion und Schädigungsarbeit in der volkseigenen Industrie befasst. Das Aufgabengebiet der Abteilung III hätte sich jedoch auch auf die Verfolgung von politisch Andersdenkenden, Oppositionellen sowie Flucht- und Ausreisewilligen u. a. gemäß der Dienstanweisung Nr. 40/53 vom 02. Dezember 1953 erstreckt. Hieran werde deutlich, dass insbesondere die politische Anschauung der Mitarbeiter in den Objekten ausreichte, um von der Abteilung III mit operativen Maßnahmen überzogen zu werden. Nach dem Volksbegehren vom 17. Juni 1953 habe die Hauptaufgabe der Abteilung III im Aufräumen "der Feinde" in den Betrieben bestanden, womit in erster Linie die "faschistischen und sozialdemokratischen Organisationen und Parteien" usw. auf dem Gebiet der DDR gemeint gewesen seien. Die Beigeladene zu 1. habe auf der Grundlage der beigezogenen Unterlagen des BStU den Nachweis geführt, dass der Verstorbene in der Zeit vom Februar 1955 bis Mitte 1957 selbst einen geheimen Informatoren geführt habe. Damit werde deutlich, dass das MfS mit Hilfe der geheimen Mitarbeiter die Bereiche der politischen Meinungsfreiheit Privater durchdrang, registrierte und beobachtete. Als Beauftragter für die Fahndung in der BV Leipzig ab 20.10.1968 sei er mit der Aufspürung und gegebenenfalls Festnahme von Regimegegnern und Fluchtwilligen beauftragt gewesen. Übertragene Aufgaben erfüllte er "zur Zufriedenheit", wie sich aus den Beurteilungen ergebe. Er habe sich in leitender Funktion im MfS integriert und identifizierte sich erkennbar mit dessen System. Er habe Dienstanweisungen, Befehle und Richtlinien umgesetzt, die erkennbar gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen hätten. Sein Beitrag gehe weit über das bloße allgemeine Fördern des Unrechts des Gewaltsystems der DDR oder die bloße Integration in diesem Machtapparat oder die Identifizierung mit seinen Zielen hinaus. Schließlich müsse sich die Klägerin das Verhalten ihres Ehemannes zurechnen lassen und könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 10.05.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.05.2000 zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung. Zweifelsfrei sei der Verstorbene im sogenannten politisch-operativen Bereich des MfS tätig gewesen und habe nicht ohne Erfolge gearbeitet. Unrichtig sei, dass die politisch-operativen Maßnahmen auf die Verfolgung und Unterdrückung von Menschen gerichtet waren. Die Aufgabe der Abteilung III hätte in der geheimdienstlichen Absicherung der Volkswirtschaft, naturwissenschaftlicher Forschungen und technischer Entwicklungen, der Finanzen und des Außenhandels der DDR bestanden. Es könne als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden, dass gerade im Bereich der Volkswirtschaft vielfältige von außerhalb der DDR ausgehende Handlungen eine reibungslose Entwicklung verhindern sollten. Entgegen der Auffassung des Gerichts werde gerade dadurch nicht deutlich, dass insbesondere die politischen Anschauungen der Mitarbeiter in den Objekten ausreichten, um mit operativen Maßnahmen überzogen zu werden. Aus den Unterlagen des BStU über die Führung eines geheimen Informators ergebe sich nicht der Schluss, der Verstorbene habe hierbei die Grenze rechtsstaatlichen Handelns überschritten, da die Treffberichte lediglich Banalitäten beinhalteten, die den schwerwiegenden Schuldvorwurf, Verstöße gegen die Grundsätze im Sinne des EntschRG begangen zu haben, nicht zu rechtfertigen vermag. Die Behauptungen der Beklagten seien Mutmaßungen, abgeleitet aus dienstlichen Bestimmungen und nichtssagenden Beurteilungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Leipzig vom 25.02.2000 und den Bescheid der Beklagten vom 04.02.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin stellten die dem verstorbenen Ehemann zur Last gelegten Handlungen eine die Aberkennung der Entschädigungsrente rechtfertigende Verletzung, wie vom SG zutreffend festgestellt, dar. Mit der Tätigkeit in der Abteilung III habe er an einer Vielzahl von Einzelfällen schwerwiegend in die unveräußerlichen Rechte von Bürgern eingegriffen. Die Treffberichte beinhalteten keineswegs nur "Banalitäten".
Die Beigeladene zu 1. beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aufgrund der langjährigen Tätigkeit des Verstorbenen auf der mittleren Führungsebene des MfS im operativen Bereich bestehe kein Anlass, die Entschädigungsrente lediglich zu kürzen. Das SG habe die Klage zutreffend abgewiesen.
Die Beigeladene zu 2. hat sich dem Vorbringen und dem Antrag der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1. angeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), erweist sich jedoch als unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 04.02.1998 über die endgültige Aberkennung des gegen die Beigeladene zu 2. gerichteten Rechts der Klägerin auf Entschädigungsrente. Eines Vorverfahrens bedurfte es bezüglich dieses Bescheides nicht (§ 6 Abs. 4 Satz 2 EntschRG i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen - Versorgungsruhensgesetz - VRG vom 25.07.1991 - BGBl. 1606).
Soweit das SG die Klage gegen die "endgültige" Aberkennung der Entschädigungsrente im Bescheid vom 04.02.1998 abgewiesen hat, erfolgte dies zutreffend. Die Beklagte hat der Klägerin ihr Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA zurecht aberkannt.
Die Beklagte hat den Eingriffsakt vom 04.02.1998 auf die in § 5 Abs. 1 EntschRG enthaltene Ermächtigungsgrundlage gestützt. Gerichtlicher Prüfung unterfällt nur, ob der von der Beklagten im Verwaltungsakt geltend gemachte Kürzungs- oder Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Nach § 5 Abs. 2 EntschRG entscheidet das Bundesversicherungsamt (BVA) über die Kürzung oder Aberkennung einer Entschädigungsrente auf Vorschlag der Kommission nach § 3 VRG, hier also der Beigeladenen zu 1 ... Den gesetzlich geforderten Vorschlag zur endgütligen Aberkennung hat die Kommission mit Beschluss vom 16.12.1997 unterbreitet. Eine Verletzung der im Übrigen für das Verfahren entsprechend geltenden Vorschriften des VRG ist nicht erkennbar. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 04.02.1998 Gelegenheit zur Stellungnahme zu den tragenden Gesichtspunkten für eine Aberkennung gegeben.
Einfach gesetzlich trägt § 5 Abs. 1 EntschRG die im Bescheid vom 04.02.1998 getroffene Regelung, das zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente mit sofortiger Wirkung abzuerkennen. Dies hat zur Folge, dass die beigeladene BfA der Klägerin für Bezugszeiträume ab 01.03.1998 Entschädigungsrente nicht mehr zu zahlen hat. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG sind Entschädigungsrenten zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschenlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zu eigenem Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Die Norm statuiert damit eine Unwürdigkeitsklausel, d.h., das Recht auf Entschädigungsrente besteht insoweit nicht mehr, wie die Beklagte zu Recht den Einwand erhebt, dass der Betroffene selbst gegen die Grundsätze verstoßen hat, auf denen die Gewährung der Entschädigungsrente beruht. Insoweit enthält die Vorschrift eine spezialgesetzliche Ermächtigung ("aberkennen", "kürzen") für die Beklagte, die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes zu durchbrechen, mit dem ein Recht auf Entschädigungsrente zuerkannt worden war (BSG Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 23/96, Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R). Derartige Verstöße muss sich der Hinterbliebene zurechnen lassen, wenn er aus abgeleitetem Recht eine Entschädigungsrente beansprucht.
Der gerichtlichen Prüfung unterliegt insoweit, ob der von der Beklagten geltend gemachte Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Die Beklagte hat die Befugnis zur Aberkennung auf Verstöße des Ehemannes der Klägerin gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch das Mitwirken an operativen Vorgängen und die langjährige Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Bezirksverwaltung des MfS gestützt. Ihre Entscheidung, der Aberkennungsgrund liege vor, ist nicht zu beanstanden.
Der objektive Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG setzt folgendes voraus:
Der Betroffene muss gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Insoweit genügt eine nur allgemeine Förderung des Unrechts und Gewaltsystems der SED nicht, er muss vielmehr durch ein konkretes nachweisbares Verhalten gegen die genannten Grundsätze verstoßen haben. Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die (Ansehens-) Würde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, dass jeder Gewaltinhaber sich in einer den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessenen Sachbehandlung, vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bemühen muss und insbesondere nicht willkürlich handeln darf; keinesfalls darf jemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG ist danach erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt, den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass andere diesen Erfolg herbeiführten. Ferner muss er zurechnungsfähig sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergab (BSGE 80, 72, 86 ff. m. w. N.). Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Dem SG ist dahin zu folgen, dass der Verstoß gegen diese Grundsätze dann anzunehmen ist, wenn jemand durch konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist, gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstöße gegen sie - obwohl ihm möglich und zumutbar - nicht entgegengetreten ist. Es reicht eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtliche Teilnahmeform begrenzt ist, aus. Notwendig ist jedoch nicht, dass der Berechtigte die Verletzung selbst mit beschlossen oder diese eigenhändig bewirkt hat. Es reicht, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Soweit die dem Berechtigten verliehenen Macht Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zum Inhalt hatte, es also gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, kann der Verstoß durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert sein (Urteile des BSG vom 30.01.1997, a. a. O. bzw. 4 RA 99/95). Ein einmaliger, punktueller, nach der Art der Begehung und dem eingetretenen Verletzungserfolg nicht schwerwiegender Verstoß gegen die vorgenannten Grundsätze kann schon aus Gründen tatbestandlicher Verhältnismäßigkeit die Anwendung des § 5 Abs. 1 EntschRG nicht begründen. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Beklagten und des SG ergibt sich die berechtigte Annahme, dass der Ehemann der Klägerin an menschenverachtenden Maßnahmen mitgewirkt hat.
Der Ehemann der Klägerin hat als Inhaber eines bestehenden subjektiven Rechts auf Entschädigungsrente gegen die oben genannten Grundsätze verstoßen, also durch konkretes räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten. Er war als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS über 20 Jahre in leitenden Positionen tätig. In den Funktionen als Referatsleiter, Abteilungsleiter, Leiter der Instrukteurgruppe und Beauftragter für Fahndung bei einer Bezirksverwaltung, nicht Kreisdienststelle, war er nach dem beim MfS geltenden Prinzip der Einzelleitung für die Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie für die Erfüllung politisch-operativer Aufgaben im Territorium des Bezirkes mitverantwortlich. Nach den Richtlinien und Dienstanweisungen handelte es sich dabei um Anordnungen von Post- und Telefonüberwachung sowie sonstige Bespitzelung durch MfS, Hausdurchsuchungen, häufige Vorladungen zu Behörden, Verlust des Arbeitsplatzes oder Umsetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz, Sanktionen gegen Familienmitglieder, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Ächtung durch SED und staatliche Organisationen, Kriminalisierungen und Inhaftierungen, z.B. des Vorwurfs der Vorbereitung von Republikflucht oder wegen Behinderung von staatlichen Organen oder "gezielter Einsatz gegen feindlich-negative Personen, Eindringen in gegnerische Gruppierungen und deren Liquidierung". Vor dem Hintergrund dieses massiven Bedrohungspotentiales mutet es wie menschenverachtender Zynismus an, wenn die Klägerin meint, der Ehemann habe lediglich im Rahmen seiner Tätigkeit im MfS das politische System in der DDR allgemein gefördert (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Ein Verkennen der Funktionen ist auf dieser Grundlage nicht gegeben. Zutreffend hat das SG unter Benennung der jeweiligen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie deren Ziele festgestellt, dass mit der Umsetzung dieser Richtlinien und Dienstanweisungen wesentsnotwendig ein Verstoß gegen fundamentale Grund- und Menschenrechte verbunden war. Ebenso waren diese Menschenrechtsverletzungen mit der Ausübung der Amtspflichten des Verstorbenen in den genannten Funktionen und Positionen beim MfS zwingend verbunden. Damit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hilfstatsächich indiziert. Des Weiteren kann aus der (Hilfs-) Tatsache, dass jemand ein Amt nicht nur ganz kurzzeitig inne gehabt hat, auf die Hauptsache geschlossen werden, er habe die mit dem Amt verbundenen Aufgaben wahrgenommen, falls - wie hier - keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, es könne sich im Einzelfall ausnahmsweise anders verhalten haben. Der Ehemann der Klägerin hat mit seinem persönlichen Einsatz zur Stabilierung und Erhöhung der Effizienz des herrschenden Unterdrückungssystems beigetragen und zweifelsfrei bewegt, dass es zur Verletzung der genannten Grundsätze kommen konnte. Die politisch-operative Arbeit des MfS und seiner Organe, zu denen vorrangig auch die BV gehörten, war stets auf eine völlige Durchdringung der Bevölkerung der ehemaligen DDR mit informellen und geheimen Mitarbeitern zu deren Kontrolle, Bespitzelung, Verfolgung und Unterdrückung gerichtet. Insoweit stellen die den Anlagen enthaltenen Treffberichte von 1955 bis 1957 keineswegs "Banalitäten" dar, sofern der vom Verstorbenen geführte "geheime Informator" über die Verhältnisse in den Betrieben, Verbindungen in den Westen, beabsichtigte "Westflüchten", etc. zu berichten hatte. Hierbei ging es im Wesentlichen nicht um die Abwehr von Spionage- und Geheimdiensttätigkeiten, sondern um gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern. Dadurch ist in erheblichem Maße in unveräußerliche Rechtsgüter eingegriffen worden.
Darüber hinaus hat der Ehemann der Klägerin eigenhändig in unveräußerliche Grundrechte und Menschenrechte in rechtsstaatswidriger Weise eingegriffen, wie sich aus den beigezogenen Unterlagen der Gauck-Behörde ergibt und im Bescheid der Beklagten dargestellt wurde. 1954 hat er im Rahmen des sogenannten Vorganges "Stern" mitgewirkt. Anhand dieser und weiterer in den vorliegenden Akten dokumentierter Vorgänge ergibt sich, dass der Kläger selbst oder als Vorgesetzter in der BV Leipzig an derartigen Maßnahmen beteiligt war. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihm insofern ein konkreter Schuldvorwurf zu machen. Der Beurteilung vom 03.04.1971 ist zu entnehmen, dass er seiner Tätigkeit als Fahndungsbeauftragter dieses Aufgabengebiet in der BV selbst nach Anleitung durch das MfS aufbaute und durch seine Anleitung und Kontrolle in den Kreisdienststellen gewährleistete. Darüber hinaus war er als Geheimnisträger eingestuft.
Nicht unberücksichtigt blieb auch der Sinn und Zweck des EntschRG, den Verfolgten des Nationalsozialismus, die in der DDR lebten, die Wiedergutmachungsrechte zuzuerkennen, wie sie im Bundesentschädigungsgesetz für die Opfer des Nationalsozialismus im früheren Bundesgebiet vorgesehen waren. Während in der DDR eine ideologisch geleitete Auswahl unter allen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung getroffen wurde, erkannte das Bundesrecht nach §§ 1 - 6 Bundesentschädigungsgesetz grundsätzlich allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung ein Recht auf Wiedergutmachung zu (vgl. BSG, Urteile vom 30.01.1997). Ferner war zu berücksichtigen, dass es die Achtung vor den Opfern menschenverachtender Gewaltherrschaft dem Rechtsstaat grundsätzlich nicht erlaubt, die Sachwahl einer derartigen totalitären Gewaltherrschaft, wo sie selbst auch Opfer der NS-Verfolgung waren, schlechthin in jeder Hinsicht denjenigen wiedergutmachungsrechtlich gleichzustellen, die ausschließlich Opfer waren. Gerade der Ehemann der Klägerin hatte als Verfolgter des Nationalsozialismus erkennen müssen und können, dass seine Tätigkeit - zumindest teilweise - gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstößt. § 5 Abs. 1 EntschRG enthält kein (Kriminal-) Strafrecht, denn es geht nicht darum, dem Berechtigten wegen eines in der Vergangenheit verübten Verbrechens oder Vergehens eine seiner individuellen Tatschuld angemessene Strafsanktion aufzuerlegen (BVerfGE 34, 331, 341 m. w. N.), sondern um eine Kürzung oder Aberkennung eines von der Bundesrepublik Deutschland gewährten Rechts auf Wiedergutmachung bei solchen NS-Opfern, die zugleich Täter von Menschenrechtsverletzungen sind.
Somit liegt ein ausreichender Grund, das Recht auf Entschädigungsrente abzuerkennen, vor, wenn der Rechtsinhaber oder derjenige, aus dem das Recht abgeleitet wird, den von anderen beschlossenen (initiierten) bzw. vollstreckten Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit bewußt gefördert hat. Die aufgezeigten Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtstaatlichkeit sind dem Ehemann der Klägerin nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv zuzurechnen. Der mit der Unwürdigkeitserklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG verbundene ethische Vorwurf schuldhaften Verhaltens (BVerfGE 12, 264) basiert auf der tatsächlichen, wissentlichen und willentlichen Mitwirkung an (mindestens) einer Verletzungshandlung. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Machtausübende mit seiner bewussten und gewollten vorgenommenen Verletzungshandlung gerade die Absicht verfolgte, die genannten Grundsätze zu verletzten; vielmehr reicht aus, dass er bei gehöriger Gewissensanspannung hätte erkennen können, dass er jene verletzt; Rechtsblindheit entschuldigt nicht (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Vorliegend ist die Tatsachenkenntnis belegt durch die langjährig ausgeübten Funktionen in einer BV des MfS. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG ist im Falle eines (nachgewiesenen) Verstoßes die bereits bewilligte Rente zu kürzen oder abzuerkennen. Dieser an die BVA gerichtete strikte Anwendungsbefehl eröffnet weder ein Betätigungs- noch ein Auswahlermessen. Somit kommt es entscheidend auf Schwere und Intensität der Unrechtshandlungen des Betroffenen selbst in der DDR an. Maßgebend sind Anzahl, Ort, Umfang und Dauer der Unrechtshandlungen des Betroffenen sowie diejenigen der Verletzungen seiner Opfer. Gemessen an diesen Maßstäben ist die endgültige Aberkennung des Rechtes auf Entschädigungsrente aus den dargestellten Gründen nicht zu beanstanden. Nach der vom Senat vorgenommenen Auslegung ist bei der Anwendung der Ermächtigungsnormen des § 5 Abs. 1 EntschRG sowohl der Nachweis (mindestens) einer konkreten Handlung erbracht als auch durch die langjährige Zugehörigkeit des Ehemannes der Klägerin zum MfS und durch die ausgeübten Funktionen nachgewiesen, dass wiederholt und dauerhaft gegen elementare Rechtsstaatsprinzipien verstoßen worden ist. Somit ist unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung des BSG ein konkreter, sachlich und zeitlich eingegrenzter und dem Beweis zugänglicher Lebenssachverhalt vorhanden, dem die zum Verstoß führende Handlung und darauf basierende unmittelbare Verletzungshandlung und der Verletzungserfolg zu entnehmen ist.
Die Regelungen des § 5 Abs. 1 EntschRG sind verfassungsgemäß und stehen mit den völkervertragsrechtlich begründeten Pflichten der Bundesrepublik Deutschland im Einklang (BSG Urteile vom 30.01.1997 sowie 24.03.1998 [a. a. O.]).
Der Bescheid der Beklagten vom 04.02.1998 sowie das Urteil des SG vom 25.02.2000 sind daher rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch hinsichtlich der dort angeordneten vollständigen Aberkennung der Entschädigungsrente, da entgegen der Ansicht der Klägerin die durch die Unterlagen der Gauck-Behörde belegten Vorwürfe derart gravierend sind, dass eine nur teilweise Entziehung der Entschädigungsrente nicht gerechtfertigt wäre. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der langen Zeitspanne, in der der Verstorbene in verantwortlicher Position beim MfS tätig war, sondern auch hinsichtlich der Menschenrechte der Bürger der ehemaligen DDR.
Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wird die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiigten ist streitig, ob die beklagte Bundesrepublik Deutschland berechtigt war, der Klägerin das Recht auf Entschädigungsrente mit Wirkung ab März 1998 abzuerkennen.
Die Klägerin ist die Witwe des am ... geborenen und am ... 1996 verstorbenen ... Nach den Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) war der Ehemann der Klägerin vom 04.11.1933 bis 11.04.1934 wegen Hochverrats verurteilt und verhaftet gewesen. Vom 27.03.1943 bis August 1944 war er im Dienstgrad eines Gefreiten in einem Infanterieregiment der Wehrmacht und gelangte im August 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft und wurde von dort am 28.03.1949 entlassen. Vom 11.11.1949 bis 30.04.1950 war er mit Dienstgrad Oberleutnant operativer Mitarbeiter der Bezirksverwaltung (BV) ..., Kreisdienststelle ... Nach Bildung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) am 08.02.1950 war er vom 01.05.1950 bis 03.03.1953 Referatsleiter der Diensteinheit, vom 04.03.1953 bis 17.12.1953 Referatsleiter Abteilung III, vom 18.12.1953 bis 20.10.1954 deren stellvertretender Abteilungsleiter und vom 21.10.1954 bis 06.10.1956 deren Abteilungsleiter. Vom 07.10.1956 bis 21.10.1956 war er mit Dienstgrad Hauptmann weiter in dieser Dienststellung und Diensteinheit tätig. Nach Abschluss der Kreisparteischule war er vom 03.01.1957 bis 30.09.1957 wiederum als Abteilungsleiter der Abteilung III tätig und danach bis 31.12.1966 Leiter der Instrukteurgruppe. Vom 01.01.1967 bis 19.10.1968 war er Offizier vom Dienst im Büro der Leitung und im Anschluss daran bis 30.04.1969 Beauftragter für Fahndung der Leitung und danach bis zur Invalidisierung am 30.06.1971 Beauftragter für Fahndung der Arbeitsgruppe der Leitung. In den Jahren 1963/1964 und 1966 war er zu Sonderaktionen im Zusammenhang mit den Vorgängen "Stern" und "Tanne" eingesetzt. Vom Februar 1955 bis Juni 1957 führte er einen geheimen Informator und fertigte dabei 20 Treffberichte mit Aufgaben und Maßnahmen aus dieser Zeit.
Aufgrund der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie deren Hinterbliebene (EhPensAO) vom 20.09.1976 - Vertrauliche Dienstsache - (VD 26/19/76) war ihm in der DDR eine Ehrenpension im Wert von monatlich 1.700,- M mit Bescheid vom 16.01.1989 zuerkannt worden. Dieser Betrag wurde ab 01.05.1992 nach dem zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen Gesetz über Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22.04.1992 (BGBl. I S. 906) durch ein gegen die beigeladene BfA gerichtetes Recht auf Entschädigungsrente mit einem monatlichen Wert von 1.400,- DM ersetzt. Die Beigeladene zu 2. zahlte diesen Betrag monatlich bis zum Eintritt des Todes am ...1996 aus.
Gegenüber der Beigeladenen zu 2. beantragte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin die Ehrenpension für Hinterbliebene von Kämpfern gegen den Faschismus.
Mit Bescheid vom 24.03.1997 erkannte die BfA gegenüber der Klägerin für die Zeit ab 01.12.1996 eine Entschädigungsrente in Höhe von monatlich 800,- DM an. Die Klägerin bezieht von der Beigeladenen eine große Witwenrente.
Nach Beiziehung der Unterlagen der Gauck-Behörde hörte die Beigeladene zu 1. die Klägerin mit Schreiben vom 14.05.1997 über die beabsichtigte Kürzung oder Aberkennung von Entschädigungsrente nach § 5 Abs. 1 EntschRG gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetz Zehntes Buch (SGB X) an.
Mit Beschluss vom 19.06.1997 schlug die Beigeladene zu 1. der Beklagten vor, der Klägerin die Entschädigungsrente vorläufig abzuerkennen. Mit Bescheid vom 14.10.1997 wurde gemäß § 5 Abs. 2 EntschRG in der durch Artikel 7 des 3. Wahlrechtsverbesserungsgesetzes (3. WRVG) vom 29.04.1997 geänderten Fassung i. V. m. § 4 Abs. 4 Versorgungsgesetz (VRG) vom 25.07.1991 der Anspruch gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Zahlung einer Entschädigungsrente (Hinterbliebenenrente) in Höhe von 800,- DM monatlich nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 EntschRG mit sofortiger Wirkung vorläufig aberkannt. Nach den Feststellungen der Beigeladenen zu 1. habe der verstorbene Ehegatte vom 11.11.1949 bis 30.06.1971 ununterbrochen dem MfS bzw. dessen Vorläufer als hauptamtlicher Mitarbeiter angehört. Letzter militärischer Dienstgrad sei der eines Hauptmannes gewesen. Bis Anfang 1950 habe er der BV Leipzig als operativer Mitarbeiter angehört und im Anschluss daran sei ihm die Funktion eines Referatsleiters in der Abteilung III übertragen worden. Er sei zuständig gewesen für die Überwachung sogenannter Schwerpunktbetriebe. Anschließend sei er als stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung III und als Leiter der Instrukteurgruppe tätig gewesen. Dem verstorbenen Ehemann werde der Vorwurf gemacht, im Rahmen der langjährigen Tätigkeit auf der mittleren Führungsebene im MfS der BV Leipzig Maßnahmen angeordnet zu haben oder in anderer Form daran beteiligt gewesen zu sein, die zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen an DDR-Bürgern geführt hätten. Gleiches gelte für die spätere Tätigkeit als sogenannter Beauftragter für Fahndung. Auch hier sei er für die Anordnung und Durchführung rechtsstaatswidriger Fahndungsmaßnahmen verantwortlich gewesen. Die Beklagte folge dem Vorschlag der Beigeladenen zu 1. vom 19.06.1997. Der Kommissionsbeschluss werde zum Gegenstand dieses Bescheides gemacht. Die Diensteinheiten des Ministeriums und der Bezirksverwaltungen seien im sogenannten Linienprinzip gegliedert gewesen. Es habe sich um sogenannte operative Diensteinheiten gehandelt. Zur Durchführung dieser operativen Prozesse hätten sich die Diensteinheiten eines weit verzweigten Netzes geheimer Mitarbeiter und geheimer Informatoren bedient (Richtlinie Nr. 21 vom 20.11.1952). Diese Arbeit hätte den Diensteinheiten Hinweise zum "Einsatz gezielter Maßnahmen gegen feindlich-negative-Personen" geliefert. Derartige Maßnahmen bestünden in Observation, Post- und Telefonkontrolle, Einschüchterungsversuchen ect ... Damit sei nach rechtsstaatlichen Maßstäben unstreitig, dass die sogenannten politisch operativen Maßnahmen des MfS auf die Verfolgung und Unterdrückung von Menschen gerichtet gewesen seien. Das Aufgabengebiet der Abteilung III hätte sich auch auf die Verfolgung von politisch Andersdenkenden, Oppositionellen sowie Flucht- bzw. Ausreisewilligen erstreckt. Dies ergebe sich aus der Dienstanweisung Nr. 40/53 vom 02. Dezember 1953, wonach von der "sporadischen Bekämpfung einzelner feindlicher Agenten zu einer organisierten, offensiven Bekämpfung des Gegners" überzugehen sei. In konzentrierten Schlägen müssten die Hauptkräfte der gegnerischen Sabotage, Schädlings- und Spionagetätigkeit in den Objekten zerschlagen werden. Dazu sei das Netz geheimer Informatoren und Mitarbeiter zahlenmäßig und qualitativ zu erweitern. Es seien Maßnahmen zu entwickeln, um in diese "gegnerischen Gruppierungen einzudringen und die darin befindlichen Kräfte zu liquidieren". Der Ehemann der Klägerin habe in der Zeit vom Februar 1955 bis Mitte 1957 einen geheimen Informatoren geführt. Damit stehe fest, dass der Ehemann lange Jahre mit sogenannten operativen Maßnahmen befasst gewesen sei, die im Wesentlichen darauf gezielt hätten, Menschenrechte, wie das Recht auf Freiheit oder Ausreisefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- oder Religionsfreiheit sowie das Recht auf Meinungsfreiheit zu verletzen. Gleiches gelte für die Tätigkeit als sogenannter Beauftragter für Fahndung in der Bezirksverwaltung Leipzig. Fahndungsaktionen des MfS hätten die Aufspürung und gegebenenfalls die Festnahme von Regimegegnern und Fluchtwilligen zum Ziel. Unter der Leitung des Ehemannes der Klägerin hätten größere Fahndungsaktionen durchgeführt werden können. Die übertragenen Aufgaben habe er zur Zufriedenheit realisiert, wie sich aus den Beurteilungen vom 08.03.1969 und vom 03.04.1971 ergebe. Er sei in leitender Funktion im MfS integriert gewesen und habe sich erkennbar mit dessen System identifiziert. Er habe Dienstanweisungen, Befehle und Richtlinien umgesetzt, die erkennbar gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen hätten.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 23.10.1997 beim Sozialgericht (SG) Leipzig Klage erhoben und begehrte zugleich die Aussetzung des Vollzuges des angefochtenen Bescheides. Mit Beschluss vom 16.12.1997 schlug die Beigeladene zu 1. der Beklagten gemäß § 5 Abs. 2 EntschRG die endgültige Aberkennung des Rechts auf den Bezug einer Entschädigungsrente vor. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im vorläufigen Aberkennungsbeschluss vom 19.06.1997. Mit Bescheid vom 04.02.1998 erkannte die Beklagte den Anspruch gegen die BfA auf Zahlung einer Entschädigungsrente (Hinterbliebenenrente) in Höhe von 800,- DM monatlich endgültig ab und verwies dabei im Wesentlichen auf die Gründe des Bescheides vom 14.10.1997. Der Bescheid wurde gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des laufenden Klageverfahrens.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 25.02.2000 den Bescheid über die vorläufige Entziehung der Entschädigungsrente vom 14.10.1997 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid über die endgültige Entziehung der Entschädigungsrente vom 04.02.1998 abgewiesen. Der Bescheid vom 04.02.1998 habe den früheren Bescheid lediglich für die Zeit ab März 1998 ersetzt. In Ermangelung einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage sei die Beklagte nicht befugt gewesen, das der Klägerin zuerkannte Recht "vorläufig" abzuerkennen. Der Bescheid vom 04.02.1998 sei jedoch verwaltungsverfahrens- und materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Dieser Bescheid regele, das der Klägerin zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente "mit sofortiger Wirkung" abzuerkennen. Dies habe zur Folge, dass die beigeladene BfA für Bezugszeiträume ab 01.03.1998 die Entschädigungsrente nicht mehr zu zahlen habe. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG seien Entschädigungsrenten zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht habe. Diese Norm statuiere damit eine Unwürdigkeitsklausel. Die Beklagte habe die Befugnis zur Aberkennung auf Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch die langjährige Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin auf der mittleren Führungsebene des MfS der BV Leipzig gestützt. Sie habe daraus die Befugnis auf Aberkennung hergeleitet, dass der Ehemann der Klägerin unstreitig verschiedene Funktionen innerhalb des MfS langjährig ausgeübt und die damit verbundenen Aufgaben auch tatsächlich wahrgenommen habe. Durch die Funktion als kommissarischer, später stellvertretender Leiter und schließlich Leiter der Abteilung III sei er mitverantwortlich für die Anordnung und Durchführung von Maßnahmen gewesen, die im erheblichen Maße Menschenrechte verletzt hätten. Bei der Tätigkeit der sogenannten "operativen Diensteinheiten", des Bedienens eines Netzes geheimer Mitarbeiter und geheimer Informatoren auf der Grundlage der Richtlinie Nr. 21 sei nach rechtsstaatlichen Maßstäben unstreitig, dass sich die politisch operativen Maßnahmen des MfS auf die Verfolgung und Unterdrückung von Menschen gerichtet hätten. Durch die über 20 Jahre lang in leitenden Positionen beim ehemaligen MfS, auch in der Abteilung III, festgestellten Tätigkeiten, welche für die Sicherung der Volkswirtschaft zuständig war, hätte sich der Verstorbene mit der Abwehr von Sabotage, Diversion und Schädigungsarbeit in der volkseigenen Industrie befasst. Das Aufgabengebiet der Abteilung III hätte sich jedoch auch auf die Verfolgung von politisch Andersdenkenden, Oppositionellen sowie Flucht- und Ausreisewilligen u. a. gemäß der Dienstanweisung Nr. 40/53 vom 02. Dezember 1953 erstreckt. Hieran werde deutlich, dass insbesondere die politische Anschauung der Mitarbeiter in den Objekten ausreichte, um von der Abteilung III mit operativen Maßnahmen überzogen zu werden. Nach dem Volksbegehren vom 17. Juni 1953 habe die Hauptaufgabe der Abteilung III im Aufräumen "der Feinde" in den Betrieben bestanden, womit in erster Linie die "faschistischen und sozialdemokratischen Organisationen und Parteien" usw. auf dem Gebiet der DDR gemeint gewesen seien. Die Beigeladene zu 1. habe auf der Grundlage der beigezogenen Unterlagen des BStU den Nachweis geführt, dass der Verstorbene in der Zeit vom Februar 1955 bis Mitte 1957 selbst einen geheimen Informatoren geführt habe. Damit werde deutlich, dass das MfS mit Hilfe der geheimen Mitarbeiter die Bereiche der politischen Meinungsfreiheit Privater durchdrang, registrierte und beobachtete. Als Beauftragter für die Fahndung in der BV Leipzig ab 20.10.1968 sei er mit der Aufspürung und gegebenenfalls Festnahme von Regimegegnern und Fluchtwilligen beauftragt gewesen. Übertragene Aufgaben erfüllte er "zur Zufriedenheit", wie sich aus den Beurteilungen ergebe. Er habe sich in leitender Funktion im MfS integriert und identifizierte sich erkennbar mit dessen System. Er habe Dienstanweisungen, Befehle und Richtlinien umgesetzt, die erkennbar gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen hätten. Sein Beitrag gehe weit über das bloße allgemeine Fördern des Unrechts des Gewaltsystems der DDR oder die bloße Integration in diesem Machtapparat oder die Identifizierung mit seinen Zielen hinaus. Schließlich müsse sich die Klägerin das Verhalten ihres Ehemannes zurechnen lassen und könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 10.05.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.05.2000 zum Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegte Berufung. Zweifelsfrei sei der Verstorbene im sogenannten politisch-operativen Bereich des MfS tätig gewesen und habe nicht ohne Erfolge gearbeitet. Unrichtig sei, dass die politisch-operativen Maßnahmen auf die Verfolgung und Unterdrückung von Menschen gerichtet waren. Die Aufgabe der Abteilung III hätte in der geheimdienstlichen Absicherung der Volkswirtschaft, naturwissenschaftlicher Forschungen und technischer Entwicklungen, der Finanzen und des Außenhandels der DDR bestanden. Es könne als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden, dass gerade im Bereich der Volkswirtschaft vielfältige von außerhalb der DDR ausgehende Handlungen eine reibungslose Entwicklung verhindern sollten. Entgegen der Auffassung des Gerichts werde gerade dadurch nicht deutlich, dass insbesondere die politischen Anschauungen der Mitarbeiter in den Objekten ausreichten, um mit operativen Maßnahmen überzogen zu werden. Aus den Unterlagen des BStU über die Führung eines geheimen Informators ergebe sich nicht der Schluss, der Verstorbene habe hierbei die Grenze rechtsstaatlichen Handelns überschritten, da die Treffberichte lediglich Banalitäten beinhalteten, die den schwerwiegenden Schuldvorwurf, Verstöße gegen die Grundsätze im Sinne des EntschRG begangen zu haben, nicht zu rechtfertigen vermag. Die Behauptungen der Beklagten seien Mutmaßungen, abgeleitet aus dienstlichen Bestimmungen und nichtssagenden Beurteilungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Leipzig vom 25.02.2000 und den Bescheid der Beklagten vom 04.02.1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin stellten die dem verstorbenen Ehemann zur Last gelegten Handlungen eine die Aberkennung der Entschädigungsrente rechtfertigende Verletzung, wie vom SG zutreffend festgestellt, dar. Mit der Tätigkeit in der Abteilung III habe er an einer Vielzahl von Einzelfällen schwerwiegend in die unveräußerlichen Rechte von Bürgern eingegriffen. Die Treffberichte beinhalteten keineswegs nur "Banalitäten".
Die Beigeladene zu 1. beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aufgrund der langjährigen Tätigkeit des Verstorbenen auf der mittleren Führungsebene des MfS im operativen Bereich bestehe kein Anlass, die Entschädigungsrente lediglich zu kürzen. Das SG habe die Klage zutreffend abgewiesen.
Die Beigeladene zu 2. hat sich dem Vorbringen und dem Antrag der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 1. angeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), erweist sich jedoch als unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 04.02.1998 über die endgültige Aberkennung des gegen die Beigeladene zu 2. gerichteten Rechts der Klägerin auf Entschädigungsrente. Eines Vorverfahrens bedurfte es bezüglich dieses Bescheides nicht (§ 6 Abs. 4 Satz 2 EntschRG i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über das Ruhen von Ansprüchen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen - Versorgungsruhensgesetz - VRG vom 25.07.1991 - BGBl. 1606).
Soweit das SG die Klage gegen die "endgültige" Aberkennung der Entschädigungsrente im Bescheid vom 04.02.1998 abgewiesen hat, erfolgte dies zutreffend. Die Beklagte hat der Klägerin ihr Recht auf Entschädigungsrente gegen die BfA zurecht aberkannt.
Die Beklagte hat den Eingriffsakt vom 04.02.1998 auf die in § 5 Abs. 1 EntschRG enthaltene Ermächtigungsgrundlage gestützt. Gerichtlicher Prüfung unterfällt nur, ob der von der Beklagten im Verwaltungsakt geltend gemachte Kürzungs- oder Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Nach § 5 Abs. 2 EntschRG entscheidet das Bundesversicherungsamt (BVA) über die Kürzung oder Aberkennung einer Entschädigungsrente auf Vorschlag der Kommission nach § 3 VRG, hier also der Beigeladenen zu 1 ... Den gesetzlich geforderten Vorschlag zur endgütligen Aberkennung hat die Kommission mit Beschluss vom 16.12.1997 unterbreitet. Eine Verletzung der im Übrigen für das Verfahren entsprechend geltenden Vorschriften des VRG ist nicht erkennbar. Vielmehr hat die Beklagte der Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 04.02.1998 Gelegenheit zur Stellungnahme zu den tragenden Gesichtspunkten für eine Aberkennung gegeben.
Einfach gesetzlich trägt § 5 Abs. 1 EntschRG die im Bescheid vom 04.02.1998 getroffene Regelung, das zuerkannte Recht auf Entschädigungsrente mit sofortiger Wirkung abzuerkennen. Dies hat zur Folge, dass die beigeladene BfA der Klägerin für Bezugszeiträume ab 01.03.1998 Entschädigungsrente nicht mehr zu zahlen hat. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG sind Entschädigungsrenten zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Berechtigte oder derjenige, von dem sich die Berechtigung ableitet, gegen die Grundsätze der Menschenlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zu eigenem Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat. Die Norm statuiert damit eine Unwürdigkeitsklausel, d.h., das Recht auf Entschädigungsrente besteht insoweit nicht mehr, wie die Beklagte zu Recht den Einwand erhebt, dass der Betroffene selbst gegen die Grundsätze verstoßen hat, auf denen die Gewährung der Entschädigungsrente beruht. Insoweit enthält die Vorschrift eine spezialgesetzliche Ermächtigung ("aberkennen", "kürzen") für die Beklagte, die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes zu durchbrechen, mit dem ein Recht auf Entschädigungsrente zuerkannt worden war (BSG Urteil vom 30.01.1997 - 4 RA 23/96, Urteil vom 24.03.1998 - B 4 RA 78/96 R). Derartige Verstöße muss sich der Hinterbliebene zurechnen lassen, wenn er aus abgeleitetem Recht eine Entschädigungsrente beansprucht.
Der gerichtlichen Prüfung unterliegt insoweit, ob der von der Beklagten geltend gemachte Aberkennungsgrund vorliegt und den vorgenommenen Eingriff rechtfertigt. Die Beklagte hat die Befugnis zur Aberkennung auf Verstöße des Ehemannes der Klägerin gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch das Mitwirken an operativen Vorgängen und die langjährige Tätigkeit als Abteilungsleiter in der Bezirksverwaltung des MfS gestützt. Ihre Entscheidung, der Aberkennungsgrund liege vor, ist nicht zu beanstanden.
Der objektive Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG setzt folgendes voraus:
Der Betroffene muss gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Insoweit genügt eine nur allgemeine Förderung des Unrechts und Gewaltsystems der SED nicht, er muss vielmehr durch ein konkretes nachweisbares Verhalten gegen die genannten Grundsätze verstoßen haben. Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die (Ansehens-) Würde (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz - GG -) und die unveräußerlichen Menschenrechte (Art. 1 Abs. 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat. Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit ist, dass jeder Gewaltinhaber sich in einer den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessenen Sachbehandlung, vor allem unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bemühen muss und insbesondere nicht willkürlich handeln darf; keinesfalls darf jemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 EntschRG ist danach erfüllt, wenn der Inhaber eines Rechts auf Entschädigungsrente durch sein Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung ihm übertragener oder eingeräumter Gewalt, den Unrechtserfolg des Verstoßes gegen einen der genannten Grundsätze herbeigeführt oder einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet hat, dass andere diesen Erfolg herbeiführten. Ferner muss er zurechnungsfähig sein und die Tatsachen gekannt haben, aus denen sich die Unvereinbarkeit seines Verhaltens mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit ergab (BSGE 80, 72, 86 ff. m. w. N.). Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Dem SG ist dahin zu folgen, dass der Verstoß gegen diese Grundsätze dann anzunehmen ist, wenn jemand durch konkretes, räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten, das einem Beweis zugänglich ist, gegen die Inhalte der Grundsätze vorgegangen oder Verstöße gegen sie - obwohl ihm möglich und zumutbar - nicht entgegengetreten ist. Es reicht eine Mitwirkung an den Verstößen anderer Gewaltinhaber, die nicht auf die strafrechtliche Teilnahmeform begrenzt ist, aus. Notwendig ist jedoch nicht, dass der Berechtigte die Verletzung selbst mit beschlossen oder diese eigenhändig bewirkt hat. Es reicht, wenn er durch Rat oder Tat oder durch Organisations- oder Schulungsmaßnahmen oder in anderer Weise im Rahmen der ihm eingeräumten Gewalt den Verstoß gefördert hat. Soweit die dem Berechtigten verliehenen Macht Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zum Inhalt hatte, es also gewissermaßen zu seiner Amtsausübung gehörte, kann der Verstoß durch den Inhalt der jeweiligen "Amtsgeschäfte" hilfstatsächlich indiziert sein (Urteile des BSG vom 30.01.1997, a. a. O. bzw. 4 RA 99/95). Ein einmaliger, punktueller, nach der Art der Begehung und dem eingetretenen Verletzungserfolg nicht schwerwiegender Verstoß gegen die vorgenannten Grundsätze kann schon aus Gründen tatbestandlicher Verhältnismäßigkeit die Anwendung des § 5 Abs. 1 EntschRG nicht begründen. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Beklagten und des SG ergibt sich die berechtigte Annahme, dass der Ehemann der Klägerin an menschenverachtenden Maßnahmen mitgewirkt hat.
Der Ehemann der Klägerin hat als Inhaber eines bestehenden subjektiven Rechts auf Entschädigungsrente gegen die oben genannten Grundsätze verstoßen, also durch konkretes räumlich und zeitlich eingegrenztes Verhalten. Er war als hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS über 20 Jahre in leitenden Positionen tätig. In den Funktionen als Referatsleiter, Abteilungsleiter, Leiter der Instrukteurgruppe und Beauftragter für Fahndung bei einer Bezirksverwaltung, nicht Kreisdienststelle, war er nach dem beim MfS geltenden Prinzip der Einzelleitung für die Umsetzung der einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie für die Erfüllung politisch-operativer Aufgaben im Territorium des Bezirkes mitverantwortlich. Nach den Richtlinien und Dienstanweisungen handelte es sich dabei um Anordnungen von Post- und Telefonüberwachung sowie sonstige Bespitzelung durch MfS, Hausdurchsuchungen, häufige Vorladungen zu Behörden, Verlust des Arbeitsplatzes oder Umsetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz, Sanktionen gegen Familienmitglieder, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Ächtung durch SED und staatliche Organisationen, Kriminalisierungen und Inhaftierungen, z.B. des Vorwurfs der Vorbereitung von Republikflucht oder wegen Behinderung von staatlichen Organen oder "gezielter Einsatz gegen feindlich-negative Personen, Eindringen in gegnerische Gruppierungen und deren Liquidierung". Vor dem Hintergrund dieses massiven Bedrohungspotentiales mutet es wie menschenverachtender Zynismus an, wenn die Klägerin meint, der Ehemann habe lediglich im Rahmen seiner Tätigkeit im MfS das politische System in der DDR allgemein gefördert (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Ein Verkennen der Funktionen ist auf dieser Grundlage nicht gegeben. Zutreffend hat das SG unter Benennung der jeweiligen Richtlinien und Dienstanweisungen sowie deren Ziele festgestellt, dass mit der Umsetzung dieser Richtlinien und Dienstanweisungen wesentsnotwendig ein Verstoß gegen fundamentale Grund- und Menschenrechte verbunden war. Ebenso waren diese Menschenrechtsverletzungen mit der Ausübung der Amtspflichten des Verstorbenen in den genannten Funktionen und Positionen beim MfS zwingend verbunden. Damit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hilfstatsächich indiziert. Des Weiteren kann aus der (Hilfs-) Tatsache, dass jemand ein Amt nicht nur ganz kurzzeitig inne gehabt hat, auf die Hauptsache geschlossen werden, er habe die mit dem Amt verbundenen Aufgaben wahrgenommen, falls - wie hier - keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, es könne sich im Einzelfall ausnahmsweise anders verhalten haben. Der Ehemann der Klägerin hat mit seinem persönlichen Einsatz zur Stabilierung und Erhöhung der Effizienz des herrschenden Unterdrückungssystems beigetragen und zweifelsfrei bewegt, dass es zur Verletzung der genannten Grundsätze kommen konnte. Die politisch-operative Arbeit des MfS und seiner Organe, zu denen vorrangig auch die BV gehörten, war stets auf eine völlige Durchdringung der Bevölkerung der ehemaligen DDR mit informellen und geheimen Mitarbeitern zu deren Kontrolle, Bespitzelung, Verfolgung und Unterdrückung gerichtet. Insoweit stellen die den Anlagen enthaltenen Treffberichte von 1955 bis 1957 keineswegs "Banalitäten" dar, sofern der vom Verstorbenen geführte "geheime Informator" über die Verhältnisse in den Betrieben, Verbindungen in den Westen, beabsichtigte "Westflüchten", etc. zu berichten hatte. Hierbei ging es im Wesentlichen nicht um die Abwehr von Spionage- und Geheimdiensttätigkeiten, sondern um gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern. Dadurch ist in erheblichem Maße in unveräußerliche Rechtsgüter eingegriffen worden.
Darüber hinaus hat der Ehemann der Klägerin eigenhändig in unveräußerliche Grundrechte und Menschenrechte in rechtsstaatswidriger Weise eingegriffen, wie sich aus den beigezogenen Unterlagen der Gauck-Behörde ergibt und im Bescheid der Beklagten dargestellt wurde. 1954 hat er im Rahmen des sogenannten Vorganges "Stern" mitgewirkt. Anhand dieser und weiterer in den vorliegenden Akten dokumentierter Vorgänge ergibt sich, dass der Kläger selbst oder als Vorgesetzter in der BV Leipzig an derartigen Maßnahmen beteiligt war. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ihm insofern ein konkreter Schuldvorwurf zu machen. Der Beurteilung vom 03.04.1971 ist zu entnehmen, dass er seiner Tätigkeit als Fahndungsbeauftragter dieses Aufgabengebiet in der BV selbst nach Anleitung durch das MfS aufbaute und durch seine Anleitung und Kontrolle in den Kreisdienststellen gewährleistete. Darüber hinaus war er als Geheimnisträger eingestuft.
Nicht unberücksichtigt blieb auch der Sinn und Zweck des EntschRG, den Verfolgten des Nationalsozialismus, die in der DDR lebten, die Wiedergutmachungsrechte zuzuerkennen, wie sie im Bundesentschädigungsgesetz für die Opfer des Nationalsozialismus im früheren Bundesgebiet vorgesehen waren. Während in der DDR eine ideologisch geleitete Auswahl unter allen Opfern nationalsozialistischer Verfolgung getroffen wurde, erkannte das Bundesrecht nach §§ 1 - 6 Bundesentschädigungsgesetz grundsätzlich allen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung ein Recht auf Wiedergutmachung zu (vgl. BSG, Urteile vom 30.01.1997). Ferner war zu berücksichtigen, dass es die Achtung vor den Opfern menschenverachtender Gewaltherrschaft dem Rechtsstaat grundsätzlich nicht erlaubt, die Sachwahl einer derartigen totalitären Gewaltherrschaft, wo sie selbst auch Opfer der NS-Verfolgung waren, schlechthin in jeder Hinsicht denjenigen wiedergutmachungsrechtlich gleichzustellen, die ausschließlich Opfer waren. Gerade der Ehemann der Klägerin hatte als Verfolgter des Nationalsozialismus erkennen müssen und können, dass seine Tätigkeit - zumindest teilweise - gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstößt. § 5 Abs. 1 EntschRG enthält kein (Kriminal-) Strafrecht, denn es geht nicht darum, dem Berechtigten wegen eines in der Vergangenheit verübten Verbrechens oder Vergehens eine seiner individuellen Tatschuld angemessene Strafsanktion aufzuerlegen (BVerfGE 34, 331, 341 m. w. N.), sondern um eine Kürzung oder Aberkennung eines von der Bundesrepublik Deutschland gewährten Rechts auf Wiedergutmachung bei solchen NS-Opfern, die zugleich Täter von Menschenrechtsverletzungen sind.
Somit liegt ein ausreichender Grund, das Recht auf Entschädigungsrente abzuerkennen, vor, wenn der Rechtsinhaber oder derjenige, aus dem das Recht abgeleitet wird, den von anderen beschlossenen (initiierten) bzw. vollstreckten Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit bewußt gefördert hat. Die aufgezeigten Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtstaatlichkeit sind dem Ehemann der Klägerin nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv zuzurechnen. Der mit der Unwürdigkeitserklärung im Sinne des § 5 Abs. 1 EntschRG verbundene ethische Vorwurf schuldhaften Verhaltens (BVerfGE 12, 264) basiert auf der tatsächlichen, wissentlichen und willentlichen Mitwirkung an (mindestens) einer Verletzungshandlung. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Machtausübende mit seiner bewussten und gewollten vorgenommenen Verletzungshandlung gerade die Absicht verfolgte, die genannten Grundsätze zu verletzten; vielmehr reicht aus, dass er bei gehöriger Gewissensanspannung hätte erkennen können, dass er jene verletzt; Rechtsblindheit entschuldigt nicht (BSG Urteil vom 24.03.1998 a. a. O.). Vorliegend ist die Tatsachenkenntnis belegt durch die langjährig ausgeübten Funktionen in einer BV des MfS. Nach § 5 Abs. 1 EntschRG ist im Falle eines (nachgewiesenen) Verstoßes die bereits bewilligte Rente zu kürzen oder abzuerkennen. Dieser an die BVA gerichtete strikte Anwendungsbefehl eröffnet weder ein Betätigungs- noch ein Auswahlermessen. Somit kommt es entscheidend auf Schwere und Intensität der Unrechtshandlungen des Betroffenen selbst in der DDR an. Maßgebend sind Anzahl, Ort, Umfang und Dauer der Unrechtshandlungen des Betroffenen sowie diejenigen der Verletzungen seiner Opfer. Gemessen an diesen Maßstäben ist die endgültige Aberkennung des Rechtes auf Entschädigungsrente aus den dargestellten Gründen nicht zu beanstanden. Nach der vom Senat vorgenommenen Auslegung ist bei der Anwendung der Ermächtigungsnormen des § 5 Abs. 1 EntschRG sowohl der Nachweis (mindestens) einer konkreten Handlung erbracht als auch durch die langjährige Zugehörigkeit des Ehemannes der Klägerin zum MfS und durch die ausgeübten Funktionen nachgewiesen, dass wiederholt und dauerhaft gegen elementare Rechtsstaatsprinzipien verstoßen worden ist. Somit ist unter Heranziehung der ständigen Rechtsprechung des BSG ein konkreter, sachlich und zeitlich eingegrenzter und dem Beweis zugänglicher Lebenssachverhalt vorhanden, dem die zum Verstoß führende Handlung und darauf basierende unmittelbare Verletzungshandlung und der Verletzungserfolg zu entnehmen ist.
Die Regelungen des § 5 Abs. 1 EntschRG sind verfassungsgemäß und stehen mit den völkervertragsrechtlich begründeten Pflichten der Bundesrepublik Deutschland im Einklang (BSG Urteile vom 30.01.1997 sowie 24.03.1998 [a. a. O.]).
Der Bescheid der Beklagten vom 04.02.1998 sowie das Urteil des SG vom 25.02.2000 sind daher rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch hinsichtlich der dort angeordneten vollständigen Aberkennung der Entschädigungsrente, da entgegen der Ansicht der Klägerin die durch die Unterlagen der Gauck-Behörde belegten Vorwürfe derart gravierend sind, dass eine nur teilweise Entziehung der Entschädigungsrente nicht gerechtfertigt wäre. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der langen Zeitspanne, in der der Verstorbene in verantwortlicher Position beim MfS tätig war, sondern auch hinsichtlich der Menschenrechte der Bürger der ehemaligen DDR.
Aus den genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung wird die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
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