L 5 RJ 78/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 12 RJ 516/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 78/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Januar 2000 abgeändert: Der Bescheid der Beklagten vom 30. Janaur 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. April 1997 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01. April 1993 zu gewähren. Im Übrigen werden Klage und Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die am ... geborene Klägerin erlernte in der Zeit von September 1971 bis Juli 1974 den Beruf einer Geflügelzüchterin, erwarb am 12. Juli 1974 das entsprechende Facharbeiterzeugnis und war als solche bis zum 31. März 1988 beschäftigt. Anschließend arbeitete sie bis zum 30. Juni 1990 in der Buchhaltung und Verwaltung, von Juli 1990 bis Dezember 1991 als Geflügelarbeiterin und erneut vom 04. Mai bis zum 31. Juli 1992 im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses als Geflügelzüchterin. Nach Arbeitslosigkeit war die Klägerin vom 10. April 1995 bis zum 22. November 1996 als Rezeptionskraft /Telefonistin beschäftigt. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bzw. Krankengeld.

Den am 05. April 1993 gestellten Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise wegen Invalidität, begründete sie mit Rheuma und rheumaähnlichen Erkrankungen.

Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten vor:

- das Gutachten des Arbeitsamtes D ..., erstellt von Dr. L ..., vom 22. Februar 1993, sowie - das Gutachten des Dr. S ..., Gutachterarzt, vom 01. Dezem ber 1994, welcher ein zweistündiges bis unter halbschichtiges Leistungsvermögen als Geflügelzüchterin seit der Rentenan tragstellung und ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltun gen bescheinigte.

Mit Bescheid vom 30. Januar 1995 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Verweis auf ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab. Den Widerspruch vom 01. März 1995 wies sie, nach Einholung einer Arbeitgeberauskunft der ... Geflügel GmbH vom 09. Mai 1995, mit Bescheid vom 07. April 1997 zurück. Hierbei lagen an medizinischen Unterlagen vor:

- Befundbericht der Dr. W ..., Fachärztin für Innere Medi zin, vom 01. Juni 1995, - das Gutachtens des Arbeitsamtes L ..., erstellt von Fach ärztin R ..., vom 24. November 1994, - Bericht der Klinik S ... vom 29. Dezember 1995 über ei ne stationäre Rehabilitation vom 10. Oktober bis zum 21. No vember 1995, wonach die Klägerin halbschichtig leistungsfähig für leichte körperliche Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gewichten über 5 kg sowie ohne Bücken und ohne Zwangshaltun gen entlassen wurde sowie - das Gutachten der Dr. H ..., Gutachterärztin, vom 15. Ju li 1996, in welchem ein aufgehobenes Leistungsvermögen als Geflügelzüchterin und ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechsel der Körperhaltungen unter Beachtung weiterer Ein schränkungen bescheinigt wurde.

Nach den sozialmedizinischen Feststellungen könne die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Geflügelzüchterin, welcher der Gruppe der Facharbeiter zuzuordnen sei, nicht mehr ausüben. Sie sei jedoch in der Lage, leichte Arbeiten mit wechselnder Arbeitshaltung, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken und ohne häufiges Klettern oder Steigen sowie ohne Gefährdung durch Zugluft und Nässe, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Als zumutbare Verweisungstätigkeiten kämen in Betracht Bürogehilfin in landwirtschaftlichen Betrieben und Einrichtungen oder Schlachtbetrieben, Bürogehilfin im Ein- oder Verkauf sowie Mitarbeiterin in Zoo- bzw. Kleintierhandlungen.

Auf die am 09. Mai 1997 erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig einen Befundbericht der Dr. W ..., Fachärztin für Innere Medizin, vom 28. Oktober 1997, der Dr. M ..., Fachärztin für Allgemeinmedizin, vom 30. Oktober 1997, dem Altbefunde beilagen, der Dr. C ..., Fachärztin für Orthopädie, vom 29. Oktober 1997 und vom 01. Juni 1999, der Dr. B ..., Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie, vom 28. Oktober 1997 und vom 22. November 1999 und der Zentralklinik B ... vom 06. Juli 1998 eingeholt sowie das in dem Verfahren 10 VS 9/95 des Sozialgerichts Leipzig erstellte internistische Gutachten der Dres. A ... und K ... vom 24. April 1997 und den Entlassungsbericht der Sachsen-Klinik N ... vom 09. Juni 1998, wonach die Klägerin aus der stationären Rehabilitation vom 01. April bis zum 06. Mai 1998 mit einem perspektivisch vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltungen ohne häufiges Bücken und Zwangshaltungen entlassen wurde, beigezogen. Des Weiteren hat das Sozialgericht ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. F ... erstellen lassen. Nach ambulanter Untersuchung am 03. August 1999 gelangte der Sachverständige in seinem Gutachten vom 05. August 1999 zu den Diagnosen:

- chronisches vertebragenes lokales Schmerzsyndrom aller Wir belsäulenabschnitte bei geringgradigen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und geringgradigen Folgen eines thorakolumbalen Mb. Scheuermann,
- mit gutem Ergebnis verheilte Fusion L4/5 mit geringen radikulären Residuen am rechten Bein,
- Beschwerden im Bereich beider Iliosakralfugen mit geringgradigen röntgenologischen Veränderungen rechtsseitig.

Mit diesen Gesundheitsstörungen könne die Klägerin Tätigkeiten leichter Natur unter Vermeidung von ständigem Stehen und langem Sitzen, Heben und Tragen schwerer Gegenstände (über 5 kg) sowie von Zwangshaltungen der Wirbelsäule und häufigem Bücken auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig ausführen. Der Klägerin sei ein Arbeitsweg von 1 km in etwa ½ Stunde zuzumuten. Unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben und der vorliegenden Unterlagen müsse davon ausgegangen werden, dass der derzeitige Zustand schon seit einigen Jahren, auch bereits seit April 1993 unverändert bestehe.

Das Sozialgericht hat der Klägerin mit Urteil vom 13. Januar 2000 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit mit einem Leistungsfall am 22. Februar 1993 ab dem 01. März 1993 zugesprochen. Es hat einen gesundheitsbedingten Wechsel von der Facharbeitertätigkeit der Geflügelzüchterin zur Mitarbeiterin in der Verwaltung 1988/1989 nach der Arbeitgeberauskunft vom 09. Mai 1995 und den vorhandenen medizinischen Unterlagen angenommen. Die Klägerin sei nur noch in der Lage, leichte Tätigkeiten im Wechsel mit weiteren Einschränkungen zu verrichten. Dieses Restleistungsvermögen entspreche, in Übereinstimmung mit den sozialmedizinischen Feststellungen im Widerspruchsbescheid, nicht mehr den Anforderungen einer Geflügelzüchterin. Die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten Bürohilfskraft bzw. Bürogehilfin in landwirtschaftlichen Betrieben bzw. im Ein- und Verkauf sowie Mitarbeiterin in einer Zoo- und Kleintierhaltung entsprächen nicht den Leitberufen des angelernten Arbeiters. Die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in einer Zoo- und Kleintierhaltung stehe wegen der zumindest mittelschweren Arbeit, regelmäßig mit Stehen und Gehen, dem Leistungsvermögen der Klägerin entgegen. Ausgehend von dem Gutachten des Arbeitsamtes (Delitzsch) vom 22. Februar 1993, mit der Feststellung eines Leistungsvermögens für nur noch leichte körperliche Tätigkeiten, habe die Klägerin innerhalb von drei Monaten nach der Feststellung des Restleistungsvermögens den Rentenantrag gestellt, so dass gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI der Rentenbeginn auf den 01. März 1993 festzulegen gewesen sei.

Die Beklagte macht mit der am 14. März 2000 bei dem Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung geltend, eine gesundheitsbedingte Lösung von dem Beruf Geflügelzüchterin 1988 sei medizinisch nicht nachzuvollziehen, da bis heute eine echte rheumatische Erkrankung nicht nachweisbar sei und diesbezügliche Befunde nicht vorlägen. Des Weiteren sei nicht ersichtlich, weshalb bei einer gesundheitlichen Lösung im Jahr 1988 der Leistungsfall der Berufsunfähigkeit erst am 22. Februar 1993 eingetreten sein soll. Als bisheriger Beruf sei auf die Tätigkeit als Geflügelarbeiterin, welche der Berufsgruppe der angelernten Arbeiter im oberen Bereich zuzuordnen sei, abzustellen, so dass die Klägerin auf eine Tätigkeit als Telefonistin oder Rezeptionistin verweisbar sei. Im Übrigen sei der Klägerin eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in der Pensionstierpflege zumutbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 13. Januar 2000 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils.

Der Senat hat das Gutachten des Arbeitsamtes L ... vom 09. April 1999 und die Patientenakte der Klägerin aus der ehemaligen Betriebsarztpraxis Dr. S. K ..., M ..., beigezogen.

Zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Leistungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen und die Patientenakte der Klägerin aus der ehemaligen Betriebsarztpraxis Dr. S. K ..., M ... Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen und verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist insoweit begründet, als der Klägerin ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit erst ab dem 01. April 1993 zusteht; im Übrigen ist sie unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Leipzig (SG) der Klägerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit zugesprochen.

Die Klägerin ist berufsunfähig (§ 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung [a.F.]).

Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. liegt vor, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich, geistig oder seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.

Die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gesunken ist, wird danach getroffen, welchen Verdienst sie in einer Tätigkeit erzielen kann, auf die sie nach ihrem Gesundheitszustand und nach ihrem bisherigen Beruf zumutbar verwiesen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1963 - 12 RJ 24/58 - SozR Nr. 24 zu § 1246 RVO -). Für die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gesunken ist, kommt es auf den bisherigen Beruf an (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 107 und 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit oder Beschäftigung, die vollwertig und nachhaltig verrichtet worden ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).

Letzte Beschäftigung in diesem Sinne ist die bis zum 31. März 1988 ausgeübte Tätigkeit als Geflügelzüchterin. Diese gab die Klägerin wegen der seinerzeit von ihren behandelnden Ärzten gestellten Diagnose: Frühstadium Morbus Bechterew und Wirbelsäulenbeschwerden auf. Die gesundheitsbedingte Lösung ergibt sich aus den Vermerken in der Patientenkartei der Klägerin der ehemaligen Betriebsarztpraxis Dr. S. K ..., M ..., vom 11. Februar 1988, "siehe Befund Rheumadispensaire, Frühstadium Mb. Bechterew" und vom 18. März 1988, "Anruf (unleserlich) Absprache Kol. C ... Arbeitsplatzwechsel in Lohnbuchhaltung, alles klar ". Dass der Berufswechsel zur Lohnbuchhalterin/Sachbearbeiterin auch zeitnah zum 01. April 1988 vollzogen wurde, stellt ein weiteres Indiz dar und bestätigt die im Verwaltungsverfahren eingeholte Arbeitgeberauskunft vom 09. Mai 1995, in welcher ein gesundheitsbedingter Wechsel angegeben wurde. Einer gesundheitsbedingten Lösung steht es nicht entgegen, wenn sich die ärztlichen Diagnosen zur Notwendigkeit des Berufswechsels im Nachhinein nicht bestätigt haben, denn maßgeblich ist der Zeitpunkt des Berufswechsels.

Auf die vom 01. April 1988 bis zum 30. Juni 1990 ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung und Verwaltung sowie die von Juli 1990 bis Dezember 1991 verrichtete Tätigkeit als Geflügelarbeiterin kann nicht abgestellt werden. Denn hierbei handelt es sich nicht um Facharbeiter-, sondern um angelernte Tätigkeiten, welche die Klägerin lediglich zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit infolge des Unvermögens zur Verrichtung ihres bisherigen Berufes als Geflügelzüchterin aufgenommen hat.

Den Beruf als Geflügelzüchterin kann die Klägerin nicht mehr verrichten. Hiervon geht auch die Beklagte nach den Stellungnahmen des Sozialmedizinischen Dienstes vom 02. Dezember 1994, 14. Juni 1995, 24. Juli 1996 und 11. Februar 1997 aus. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen mittelschweren Arbeitsanteile mit Kälte- und Nässeeinflüsse sind mit dem Gesundheitszustand der Klägerin nicht mehr vereinbar.

Die Klägerin ist nur noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltungen (nicht ständiges Stehen und Sitzen), ohne ständige Greif- und Haltebewegungen, ohne häufiges Heben und Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne häufiges Bücken, Klettern oder Steigen, ohne Gefährdung durch Kälte, starke Temperaturunterschiede und Nässe, vollschichtig zu verrichten. Die Beschränkung auf nur noch leichte körperliche Tätigkeiten mit den vorbezeichneten Funktionseinschränkungen ergibt sich auf Grund des chronisch vertebragenen lokalen Schmerzsyndroms aller Wirbelsäulenabschnitte bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und den Folgen eines thorakolumbalen Morbus Scheuermann, den radikulären Residuen am rechten Bein und den Beschwerden im Bereich beider Iliosakralfugen. Hinsichtlich der Leistungsbeurteilung besteht im Wesentlichen Übereinstimmung in den Gutachten des Arbeitsamtes D ... vom 22. Februar 1993, des Dr. S ... vom 01. Dezember 1994, des Arbeitsamtes L ... vom 24. November 1994, der Dr. H ... vom 15. Juli 1996, dem Entlassungsbericht der Sachsen-Klinik N ... vom 09. Juni 1998 und dem Gutachten des Prof. Dr. F ... vom 05. August 1999.

Zur Bestimmung, auf welche Tätigkeiten eine leistungsgeminderte Versicherte zumutbar verwiesen werden kann, hat das Bundessozialgericht ein Mehr-Stufen-Schema entwickelt und die Arbeiterberufe in Gruppen eingeteilt. Es gibt die Gruppe der Facharbeiterberufe, der Anlerntätigkeiten und der ungelernten Tätigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1972 - 5 RJ 105/72 - SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Später hat das Bundessozialgericht zu diesen drei Gruppen noch eine weitere Gruppe der "Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion" hinzugefügt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 - BSGE 43, 243), zu welcher auch "besonders hoch qualifizierte Facharbeiter" gehören (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 - BSGE 45, 276). Diesem Schema ist eigentümlich, dass jeder Versicherte auf Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden kann, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht. Ein Facharbeiter kann daher auf Anlerntätigkeiten, ein angelernter Arbeiter auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden.

In Übereinstimmung mit der sozialgerichtlichen Entscheidung ist die Klägerin als Geflügelzüchterin der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen. Sie hat von September 1971 bis Juli 1974 erfolgreich die Lehre als Geflügelzüchterin absolviert und das entsprechende Facharbeiterzeugnis erworben. Nach der Arbeitgeberauskunft vom 18. Mai 1999 ist die Klägerin bis 1988 auch als Geflügelzüchterin mit der Betreuung von Hühnergeflügel beschäftigt gewesen. Als solche ist die Klägerin sozial zumutbar nur auf Anlerntätigkeiten verweisbar.

Die vom 01. April 1988 bis zum 30. Juni 1990 ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung und Verwaltung sowie die von Juli 1990 bis Dezember 1991 verrichtete Tätigkeit als Geflügelarbeiterin sind keine zumutbaren Verweisungstätigkeiten. Zur vollwertigen Ausübung der berufsfremden Tätigkeit als Sachbearbeiterin bzw. Lohnbuchhalterin fehlen der Klägerin, wie in der Arbeitgeberauskunft vom 09. Mai 1995 bescheinigt die fachlichen Voraussetzungen. Zwar hat die Klägerin am 09. Juni 1989 eine Qualifizierungsmaßnahme zur Wirtschaftskauffrau Industrie begonnen, diese jedoch wegen des langen Sitzens nicht durchgehalten. Ein Abschluss dieser Qualifizierungsmaßnahme, welcher als erfolgreiche berufliche Rehabilitation nach § 43 Abs. 3 Satz 3 SGB VI a.F. eine sozial zumutbare Verweisbarkeit auf diese Tätigkeit begründen könnte, liegt nicht vor. Eine Tätigkeit als Geflügelarbeiterin ist der Klägerin, wegen des erforderlichen Wechsels der Körperhaltung und der notwendigen Vermeidung von Kälte und Nässe, gesundheitlich nicht zumutbar. Denn nach der vorbezeichneten Arbeitgeberauskunft handelt es sich hierbei um Bandarbeit, welche in feuchten, kühlen Räumen ausgeübt wird.

Die von der Beklagten im Widerspruchsbescheid benannten Verweisungstätigkeiten Bürogehilfin in landwirtschaftlichen Betrieben und Einrichtungen oder Schlachtbetrieben, Bürogehilfin im Ein- oder Verkauf sowie Mitarbeiterin in Zoo- bzw. Kleintierhandlungen sind lediglich pauschal benannt, hingegen nicht konkret dargelegt worden, so dass weder eine medizinische, noch eine soziale Zumutbarkeit durch den Senat geprüft werden konnte. Ob die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit einer Mitarbeiterin in der Pensionstierpflege der Klägerin zumutbar ist, konnte mangels entsprechender Darlegung gleichfalls nicht geprüft werden. Aus § 35 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 in Verbindung mit § 41 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und aus § 85 Abs. 3 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 41 Abs. 2 SGB X ergibt sich für den Rentenversicherungsträger die Verpflichtung, im Falle einer Verweisung auf eine zumutbare Tätigkeit, dieselbe zu benennen. Insoweit obliegt dem Rentenversicherungsträger die nach § 103 Halbsatz 2 SGG durchsetzbare Darlegungs- und Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 4 RA 104/94). Es müssen Tatsachen dargelegt werden, aus welchen sich das Vorhandensein eines für zumutbar erachteten Vergleichsberufes in der Arbeitswelt sowie dessen (fachlich-qualitatives) Anforderungs- und sein (gesundheitliches) Belastungsprofil ergeben. Bestimmtheitserfordernis für die Tatsachenangaben über den Vergleichsberuf ist, ob sie dafür ausreichen, dass der Versicherte erkennen kann, welchen in der Arbeitswelt vorhandenen Vergleichsberuf der Versicherungsträger für zumutbar erachtet. Es muss deutlich werden, welche das Berufsbild prägende Aufgaben, welche typischen Anforderungen an die berufliche Vorbildung, an die Berufserfahrung, an sonstige Kenntnisse sowie an fachliche Fähigkeiten, die der Beruf stellt und welche Belastungen üblicherweise mit den typischen Aufgaben verbunden sind; die Beanspruchung der Leistungsfähigkeit durch die berufstypisch üblichen Arbeitsbedingungen, gegebenenfalls einschließlich besonderer Arbeitszeiten und Einsatz von technischen Mitteln muss abschätzbar werden; außerdem müssen gegebenenfalls weitere Tatsachen (z.B. die tarifvertragliche Einstufung) benannt werden, wenn der Vergleichsberuf (unter anderem) deswegen als der Berufskompetenz des Versicherten qualitativ entsprechend (gleichwertig) erachtet wird. Bei der Verweisung auf eine andere Tätigkeit ist auch darzulegen, ob der Versicherte die erforderliche Umstellungsfähigkeit besitzt (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 1997, Az. 13 RJ 101/96). Die mit Schreiben vom 27. Februar 2001 aufgezeigten Arbeitsanforderungen einer Mitarbeiterin in der Pensionstierpflege, wonach diese als körperlich leicht, im Wechsel zwischen Stehen und Gehen, überwiegend in geschlossenen Räumen zu verrichtend dargestellt werden, stellt eine Behauptung dar, welche nach der Auswertung der Verordnung zur Änderung der Tierpflege- Ausbildungsverordnung vom 17. Juni 1999 und den Stellungnahmen des Deutschen Tierhilfswerk e.V. vom 16. Oktober 2000 und vom 12. Dezember 2000 nicht nachvollziehbar ist. Denn die vorbezeichneten Unterlagen enthalten keine Aussagen zu den physischen und psychischen Anforderungen einer Tätigkeit als Mitarbeiterin in der Pensionstierpflege. Doch selbst unter Zugrundelegung des im Schreiben vom 27. Februar 2001 angeführten Arbeitsprofils entspricht dieses nach eigenem Vortrag der Beklagten nicht dem Leistungsvermögen der Klägerin. Bereits im Gutachten des Dr. S ..., Gutachterarzt, vom 01. Dezember 1994 wurde nur noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltungen bescheinigt. Damit ist eine Tätigkeit, die nur im Wechsel zwischen Stehen und Gehen ausgeübt werden kann, nicht mehr zumutbar. Zudem ist nicht dargelegt, ob diese Tätigkeit zu den sonstigen staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehört oder eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordert oder wegen ihrer Qualität wie ein sonstiger Ausbildungsberuf bewertet wird (vgl. BSGE 43, Seite 243, 245 f.), und der Klägerin als Facharbeiterin sozial zumutbar ist. Wenn sich weder aus dem Beteiligtenvorbringen, noch aus der Aktenlage oder aus der Gerichts- und Allgemeinkunde Anhaltspunkte dafür aufdrängen, ein bestimmter Vergleichsberuf könne der Versicherten sozial, fachlich und gesundheitlich zumutbar sein, sind die zur Neutralität verpflichteten Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht berechtigt, von Amts wegen Beweis zu erheben.

Weitere, der Klägerin medizinisch und sozial zumutbare Verweisungstätigkeiten sind nicht bekannt.

Entgegen der Auffassung des SG ist der Leistungsfall der Berufsunfähigkeit nicht erst am 22. Februar 1993, sondern mindestens schon im Dezember 1992 eingetreten. Denn die das Leistungsvermögen der Klägerin limitierenden Funktionseinschränkungen auf orthopädischem Gebiet haben nach dem Bericht der behandelnden Orthopädin Dr. C ... vom 26. Januar 1993 mindestens schon im Dezember 1992 bestanden.

Die gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI a.F. erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind zum Dezember 1992 erfüllt. Die Klägerin ist von September 1971 bis Dezember 1991 durchgängig versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Damit erfüllt sie die nach § 50 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 SGB VI erforderliche Wartezeit von fünf Jahren als auch die gemäß § 43 Abs. 1 Ziffer 2 SGB VI a.F. notwendige Belegung mit drei Jahren Pflichtbeiträgen für den maßgeblichen Zeitraum von November 1987 bis November 1992. Letztlich kann es dahinstehen, wann der Leistungsfall eingetreten ist. Denn selbst bei einem angenommenen Leistungsfall bereits im März 1988 liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor.

Da die Klägerin den Rentenantrag gemäß § 99 Abs. 1 SGB VI nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (spätestens Dezember 1992), gestellt hat, war wegen der verspäteten Antragstellung die Rente erst mit Beginn des Antragsmonats April 1993 auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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