Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 14 RJ 603/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 96/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 08. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am ... geborene Klägerin erlernte nach Abschluss der zehnten Klasse in der Zeit von 1968 bis 1970 den Beruf einer Fachverkäuferin Textil und erwarb am 14. Juli 1970 das entsprechende Facharbeiterzeugnis. Anschließend war sie bis 1971 als Schreibkraft, bis 1974 in einer Baumwollspinnerei als Maschinenarbeiterin, bis 1984 als Näherin, bis 1987 als Küchenkraft und erneut bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 01. August 1997 - unterbrochen durch eine Tätigkeit als Reinigungskraft von 1993 bis 1996 - als Näherin beschäftigt. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bzw. Krankengeld.
Den am 15. September 1997 gestellten Rentenantrag begründete sie mit Rücken- und Nierenbeschwerden, Diabetes und Blasenbeschwerden.
Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten vor:
- der Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H ... vom 05. Dezember 1997 sowie - das Gutachten des Dr. F ... - Sozialmedizinischer Dienst - vom 02. Februar 1998, in welchem der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte, zweistündig bis unter halbschichtig auch für mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, ohne häufiges Bücken, ohne Nachtschicht und besonderen Zeitdruck und mit Gewährleistung von Pausen zur Insulininjektion und Nahrungsaufnahme attestiert wurde.
Mit Bescheid vom 11. Februar 1998 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Verweis auf ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab. Den Widerspruch vom 11. März 1998 wies sie nach Beiziehung des Berichtes des Facharztes für Orthopädie Dr. G ... vom 24. Juni 1998, des Facharztes für Urologie Dr. H ... vom 25. März 1998, des Facharztes für Diagnostische Radiologie Dr. Sch ... vom 10. Juli 1998, des Dr. L ..., Städtisches Klinikum "St. G ..." Leipzig vom 25. Juni 1998 und der Dr. H ... vom 03. Juli 1998 sowie des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 10. Dezember 1997 mit Bescheid vom 30. September 1998 zurück. Mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen könne die Klägerin nach den sozialmedizinischen Feststellungen zwar nur noch zweistündig bis unter halbschichtig in ihrem Beruf als Maschinennäherin, welcher der Berufsgruppe der angelernten Arbeiter im oberen Bereich zuzuordnen sei, tätig sein. Sie könne jedoch vollschichtig leichte Arbeiten mit wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck (z.B. Fließband, Akkord), ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Absturzgefahr, unter Gewährleistung von Pausen zur Insulinierung und Nahrungsaufnahme sowie ohne Gefährdung durch Kälte und Nässe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, beispielsweise als Mitarbeiterin in einer Poststelle, verrichten.
Auf die am 15. Oktober 1998 erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig einen Befundbericht der Dr. H ... vom 18. Dezember 1998, der Dr. H ... vom 22. Dezember 1998, des Dr. G ... vom 06. Januar 1999, des Facharztes für Urologie Dipl.-Med. S ... vom 10. Juni 1999 sowie das Gutachten des MDK vom 31. Juli 1998 und den Bericht der Rehabilitationsklinik D ... vom 12. Oktober 1999 über eine stationäre Rehabilitation vom 18. August bis zum 08. September 1999, aus welcher die Klägerin noch arbeitsunfähig zur weiteren ambulanten Betreuung mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen als Näherin und für mittelschwere körperliche Tätigkeiten, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen schwerer Lasten sowie vorgebeugte Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten, ohne erhöhtem Zeitdruck und Nacht- sowie Wechselschicht entlassen wurde, eingeholt.
Mit Urteil vom 08. Februar 2000 hat das Sozialgericht Leipzig die Klage abgewiesen. Es hat ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung von Funktionseinschränkungen festgestellt und die Klägerin auf eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle verwiesen.
Die Klägerin macht mit der am 07. April 2000 bei dem Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung geltend, ihr Leistungsvermögen habe sich nach der Klageerhebung erheblich verschlechtert; sie könne allenfalls stundenweise noch leichte Tätigkeiten ausüben. In einem von der Klägerin eingereichten Befundbericht der Dr. H ... vom 26. Juni 2000 wird seit Dezember 1998 ein Fortschreiten der Schmerzsymptomatik angegeben.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 08. Februar 2000 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1998 zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Nach den im Berufungsverfahren eingeholten Unterlagen sei eine Gesundheitsverschlechterung nicht entsprechend dokumentiert.
Der Senat hat einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. B ... vom 02. Dezember 2000, der Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dipl.-Med. Sch ... vom 11. Dezember 2000, des Dr. W ..., Städtisches Klinikum "St. G ..." Leipzig vom 14. Dezember 2000, des Facharztes für Orthopädie Dr. G ... vom 30. November 2000 und der Dr. H ... vom 05. Februar 2001 eingeholt. Des Weiteren hat der Senat auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet ein Gutachten von Frau Dr. H ... erstellen lassen. Nach ambulanter Untersuchung am 30. Mai 2001 erhob die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 11. Juni 2001 folgende Diagnosen:
auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet:
- lokales Wirbelsäulensyndrom,
- lokales Lendenwirbelsäulensyndrom,
- diskretes Polyneuropathiesyndrom,
- Borrelieninfektion
- insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit diskreter diabetischer Polyneuropathie
- Chlamydieninfektion,
- Nephrolithiasis,
- Hyperuricämie, Hypercholesterinämie,
- Übergewicht BMI 39,
- Zustand nach Entfernung der Gebärmutter 1996 wegen Myom
Die festgestellten Diagnosen bedingten qualitative, aber keine quantitativen Funktionseinschränkungen. Zwangshaltungen für die Wirbelsäule und Nachtarbeit seien zu meiden, fortgesetztes schweres und sehr schweres Heben und Tragen von Lasten seien nicht zumutbar. Auf Grund der diskreten diabetischen Polyneuropathie sei die Einwirkung von Nässe und Kälte ungünstig. Die Borrelieninfektion und die Chlamydieninfektion seien prinzipiell behandelbare Erkrankungen und bedingten nach Abschluss der entsprechenden Antibiotikatherapie keine Funktionseinschränkungen. Mit den bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen könne die Klägerin leichte und zeitweise mittelschwere Tätigkeiten in wechselvoller Körperhaltung verrichten. Fortgesetzte schwere und sehr schwere Arbeit sollte wegen der nachgewiesenen degenerativen Veränderungen vermieden werden. Eine wechselvolle Körperhaltung sei vorteilhaft. Die fortgesetzte Einwirkung von Kälte und Nässe sollte wegen der beginnenden diskreten Neuropathie vermieden werden. Ein bedeutsamer psychischer und psychopathologischer Befund habe nicht erhoben werden können. Die kognitiven Leistungen seien altersentsprechend unauffällig und die höheren Intelligenzfunktionen gut erhalten. Die Klägerin sei gut konzentrations- und ausdauerfähig sowie gut überschau- und umstellungsfähig. Unter Berücksichtigung aller festgestellten Gesundheitseinschränkungen könne die Klägerin acht Stunden täglich tätig sein. Andere als die arbeitsmarktüblichen Pausen seien dabei aus nervenärztlicher Sicht nicht erforderlich und die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Die zuletzt von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Näherin sei wegen der ausschließlich mittelschweren und schweren körperlichen Arbeit mit häufigen Zwangshaltungen für die Wirbelsäule nicht mehr zumutbar. Die Tätigkeit einer Pförtnerin und die Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle seien ihr dagegen vollschichtig zumutbar. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nicht anders einzuschätzen als in den bisher erstatteten Gutachten.
Der Senat hat zur Tätigkeit einer Pförtnerin die berufskundliche Auskunft des Landesarbeitsamtes Sachsen vom 13. August 1996 und zur Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle das berufskundliche Gutachten der Diplom-Verwaltungswirtin S ... H ... vom 31. Mai 1996, erstellt für das Sozialgericht Chemnitz vom 28. März 1996, beigezogen und den Beteiligten zur Kenntnisnahme übermittelt.
Zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Leistungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen. Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen und verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Zwar hat das Sozialgericht Leipzig (SG) die Klage zu Recht abgewiesen, in der Urteilsbegründung fehlen jedoch jegliche Ausführungen zum Leistungsvermögen der Klägerin sowie zu ihrer beruflichen Einordnung.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu. Sie ist weder berufs- noch erwerbsunfähig (§§ 43 Abs. 2 Satz 1, 44 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung [a.F.]).
Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. liegt nicht vor, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen Krankheit oder Behinderung noch nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich, geistig oder seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.
Die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gesunken ist, wird danach getroffen, welchen Verdienst sie in einer Tätigkeit erzielen kann, auf die sie nach ihrem Gesundheitszustand und nach ihrem bisherigen Beruf zumutbar verwiesen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1963 - 12 RJ 24/58 - SozR Nr. 24 zu § 1246 RVO -). Für die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gesunken ist, kommt es auf den bisherigen Beruf an (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 107 und 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit oder Beschäftigung, die vollwertig und nachhaltig verrichtet worden ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).
Letzte Beschäftigung in diesem Sinne ist die Tätigkeit als Näherin. Diese hat die Klägerin vollwertig, bewusst und gewollt von 1996 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 01. August 1997 zur dauerhaften Einkommenserzielung ausgeübt.
Den Beruf als Näherin kann die Klägerin nicht mehr vollwertig verrichten. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen mindestens mittelschweren körperlichen Tätigkeiten mit häufigen Zwangshaltungen der Wirbelsäule sind mit ihrem Gesundheitszustand nicht mehr vereinbar. Hiervon geht auch die Beklagte aus.
Dennoch liegt Berufsunfähigkeit bei der Klägerin nicht vor. Sie ist zumutbar auf andere Tätigkeiten verweisbar, bei welchen sie mehr als die Hälfte des Verdienstes einer gesunden Vergleichsperson erzielen kann.
Zur Bestimmung, auf welche Tätigkeiten eine leistungsgeminderte Versicherte zumutbar verwiesen werden kann, hat das Bundessozialgericht ein Mehr-Stufen-Schema entwickelt und die Arbeiterberufe in Gruppen eingeteilt. Es gibt die Gruppe der Facharbeiterberufe, der Anlerntätigkeiten und der ungelernten Tätigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1972 - 5 RJ 105/72 - SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Später hat das Bundessozialgericht zu diesen drei Gruppen noch eine weitere Gruppe der "Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion" hinzugefügt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 - BSGE 43, 243), zu welcher auch "besonders hoch qualifizierte Facharbeiter" gehören (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 - BSGE 45, 276). Die vielschichtige und inhomogene Gruppe der angelernten Arbeiter gliedert sich in einen oberen und in einen unteren Bereich (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 109, 132, 143). Dem unteren Bereich unterfallen alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf Monaten bis zu vierundzwanzig Monaten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45). Jeder Versicherte kann auf Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht. Ein Facharbeiter kann daher auf Anlerntätigkeiten, ein angelernter Arbeiter im oberen Bereich auf angelernte und ein solcher im unteren Bereich auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 143 m. w. N.).
Ausgehend von der letzten ausgeübten Tätigkeit als Näherin kann es dahinstehen, ob die Klägerin der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im oberen Bereich oder im unteren Bereich zuzuordnen ist. Sie hat zwar in der Anamnese zum Gutachten der Dr. F ... angegeben, nach zehnjähriger Tätigkeit in diesem Berufsbereich das Facharbeiterzeugnis zuerkannt bekommen zu haben. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Klägerin ein Berufsschutz als Facharbeiter zukommt. Zum einen hat die Klägerin nach eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren eine entsprechende Facharbeiterprüfung nicht abgelegt. Zum anderen entsprach es der Praxis der ehemaligen DDR, nach zehnjähriger Tätigkeit in einem Beruf zur Erlangung der Facharbeiterlohngruppe ein "Facharbeiterzeugnis" zuzuerkennen. Darüber hinaus ist ein Berufsschutz als Facharbeiter erst anzuerkennen, wenn eine Lehre als Damen-/Herren-Maßschneider erfolgreich absolviert worden ist. Als maximal angelernte Arbeitnehmer im oberen Bereich ist die Klägerin auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, mit Ausnahme solcher, die nur einen ganz geringen qualitativen Wert besitzen und sich durch das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 143, Seite 473 m. w. N.), verweisbar.
Die Klägerin verfügt seit der Rentenantragstellung über ein noch mindestens vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, ohne Nacht- und Wechselschicht, ohne fortgesetztes, schweres und sehr schweres Heben und Tragen von Lasten, ohne erhöhten Zeitdruck sowie ohne Kälte- und Nässeexposition. Dies ergibt sich aus den vorliegenden, medizinischen Unterlagen, insbesondere nach dem Gutachten des Dr. F ... vom 02. Februar 1998, dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 12. Oktober 1999 und dem Gutachten der Dr. H ... vom 11. Juni 2001, auf welche inhaltlich Bezug genommen und verwiesen wird.
Der Klägerin ist mit dem vorbezeichneten Leistungsvermögen objektiv und subjektiv die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle zumutbar. Nach dem beigezogenen berufskundlichen Gutachten der Diplom-Verwaltungswirtin S ... H ... vom 31. Mai 1996 handelt es sich um eine körperlich leichte, geistig einfache und routinemäßige Bürohilfsarbeit, welche im Wechsel der Körperhaltungen zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt wird, so dass Zwangshaltungen vermieden werden können. Diese Arbeit bedingt kein schweres Heben oder Tragen von Lasten, denn die zu transportierenden Schriftstücke können mittels fahrbarer Wagen befördert werden. Die Arbeit erfordert Genauigkeit und Konzentration. Nach den Erhebungen der Dr. H ... ler konnte ein bedeutsamer psychischer und psychopathologischer Befund nicht festgestellt werden. Die kognitiven Leistungen waren altersentsprechend unauffällig und die höheren Intelligenzfunktionen gut erhalten. Des Weiteren verfügt die Klägerin über eine gute Konzentrations-, Ausdauer-, Überschau- und Umstellungsfähigkeit. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen für eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in der Poststelle ist der Klägerin auch von ihren behandelnden Ärzten B ..., W ... und G ... bescheinigt worden. Diesen Feststellungen steht der Befundbericht der Hausärztin Dr. H ... vom 05. Februar 2001 nicht entgegen. Die Ärztin konnte seit 1998 keine Veränderung des Gesundheitszustandes erkennen; die angegebene Zunahme der Schmerzen ist subjektiver Natur und wird durch die vorliegenden fachärztlichen Befunde und Gutachten nicht objektiviert. Der Diabestes ist gut eingestellt und bedingt gegenwärtig keine Folgeerscheinungen. Auf urologischem Gebiet sind wesentliche Einschränkungen, welche neben einer Vermeidung von Arbeiten mit Kälte- und Nässeeinflüssen weitere Funktionseinschränkungen bedingen, ebenfalls nicht objektivierbar. Für die vorbenannte Tätigkeit als Mitarbeiterin in der Poststelle wird grundsätzlich kein anerkannter Ausbildungsabschluss oder eine bestimmte Ausbildung vorausgesetzt. Eine Anlernung / Einarbeitungszeit ist üblich. Tätigkeiten dieser Art können auch von Berufsfremden innerhalb einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten erlernt und ausgeführt werden. Die Entlohnung erfolgt im öffentlichen Dienst nach den Vergütungsgruppen BAT VIII/X, in der privaten Wirtschaft in den Gehaltsgruppen 1 oder 2 des jeweiligen Tarifvertrages und ist der Klägerin nach ihrer beruflichen Qualifikation sozial zumutbar. Arbeitsplätze dieser Art stehen trotz rückläufiger Tendenzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch in genügender Anzahl zur Verfügung. Es handelt sich hierbei nicht ausschließlich um Schonarbeitsplätze.
Mit dem vollschichtigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in der Verweisungstätigkeit als Mitarbeiterin in der Poststelle ist die Klägerin nicht berufsunfähig. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine sonstige schwerwiegende Behinderung, die es der Klägerin auch bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit unmöglich macht eine geeignete Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sogenannte "Katalogfälle" (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 - 4 a RJ 55/84 - SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 137), liegen nicht vor. Insbesondere ist die Klägerin nicht am Zurücklegen des Arbeitsweges, also des Weges von ihrer Wohnung bis zu einer etwaigen Arbeitsstätte (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 43/90 - SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10), gehindert. Betriebsunübliche Pausen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Mai 1984 5a RKn 18/83 SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 43) muss sie während der Arbeitszeit nicht einhalten.
Der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen passenden Arbeitsplatz zu finden, und die Bundesanstalt für Arbeit zu einer derartigen Vermittlung nicht in der Lage ist, ist kein Grund zur Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit. Denn bei vollschichtiger Einsatzmöglichkeit ist der Arbeitsmarkt der gesamten Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen, und es kommt auf die Zahl der vorhandenen, nicht auf die Zahl der gerade freien Arbeitsplätze an (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - BSGE 80,24 -).
Nachdem die Klägerin nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI (a.F.) ist, hat sie erst recht keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach den strengeren Vorschriften des § 44 SGB VI (a.F.). Bei einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind auch die Voraussetzungen zur Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI (in der Fassung ab dem 01. Januar 2001 BGBl. 2000, Teil I, Seite 1827) nicht erfüllt.
Die Anwendung der §§ 43, 44 SGB VI a.F. resultiert aus der Rentenantragstellung vom 15. September 1997 (§ 300 Abs. 2 SGB VI).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am ... geborene Klägerin erlernte nach Abschluss der zehnten Klasse in der Zeit von 1968 bis 1970 den Beruf einer Fachverkäuferin Textil und erwarb am 14. Juli 1970 das entsprechende Facharbeiterzeugnis. Anschließend war sie bis 1971 als Schreibkraft, bis 1974 in einer Baumwollspinnerei als Maschinenarbeiterin, bis 1984 als Näherin, bis 1987 als Küchenkraft und erneut bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 01. August 1997 - unterbrochen durch eine Tätigkeit als Reinigungskraft von 1993 bis 1996 - als Näherin beschäftigt. Seitdem ist die Klägerin arbeitslos und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bzw. Krankengeld.
Den am 15. September 1997 gestellten Rentenantrag begründete sie mit Rücken- und Nierenbeschwerden, Diabetes und Blasenbeschwerden.
Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten vor:
- der Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin Dr. H ... vom 05. Dezember 1997 sowie - das Gutachten des Dr. F ... - Sozialmedizinischer Dienst - vom 02. Februar 1998, in welchem der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte, zweistündig bis unter halbschichtig auch für mittelschwere Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen, ohne häufiges Bücken, ohne Nachtschicht und besonderen Zeitdruck und mit Gewährleistung von Pausen zur Insulininjektion und Nahrungsaufnahme attestiert wurde.
Mit Bescheid vom 11. Februar 1998 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Verweis auf ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab. Den Widerspruch vom 11. März 1998 wies sie nach Beiziehung des Berichtes des Facharztes für Orthopädie Dr. G ... vom 24. Juni 1998, des Facharztes für Urologie Dr. H ... vom 25. März 1998, des Facharztes für Diagnostische Radiologie Dr. Sch ... vom 10. Juli 1998, des Dr. L ..., Städtisches Klinikum "St. G ..." Leipzig vom 25. Juni 1998 und der Dr. H ... vom 03. Juli 1998 sowie des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 10. Dezember 1997 mit Bescheid vom 30. September 1998 zurück. Mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen könne die Klägerin nach den sozialmedizinischen Feststellungen zwar nur noch zweistündig bis unter halbschichtig in ihrem Beruf als Maschinennäherin, welcher der Berufsgruppe der angelernten Arbeiter im oberen Bereich zuzuordnen sei, tätig sein. Sie könne jedoch vollschichtig leichte Arbeiten mit wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, ohne besonderen Zeitdruck (z.B. Fließband, Akkord), ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne Absturzgefahr, unter Gewährleistung von Pausen zur Insulinierung und Nahrungsaufnahme sowie ohne Gefährdung durch Kälte und Nässe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, beispielsweise als Mitarbeiterin in einer Poststelle, verrichten.
Auf die am 15. Oktober 1998 erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig einen Befundbericht der Dr. H ... vom 18. Dezember 1998, der Dr. H ... vom 22. Dezember 1998, des Dr. G ... vom 06. Januar 1999, des Facharztes für Urologie Dipl.-Med. S ... vom 10. Juni 1999 sowie das Gutachten des MDK vom 31. Juli 1998 und den Bericht der Rehabilitationsklinik D ... vom 12. Oktober 1999 über eine stationäre Rehabilitation vom 18. August bis zum 08. September 1999, aus welcher die Klägerin noch arbeitsunfähig zur weiteren ambulanten Betreuung mit einem vollschichtigen Leistungsvermögen als Näherin und für mittelschwere körperliche Tätigkeiten, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen schwerer Lasten sowie vorgebeugte Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten, ohne erhöhtem Zeitdruck und Nacht- sowie Wechselschicht entlassen wurde, eingeholt.
Mit Urteil vom 08. Februar 2000 hat das Sozialgericht Leipzig die Klage abgewiesen. Es hat ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung von Funktionseinschränkungen festgestellt und die Klägerin auf eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle verwiesen.
Die Klägerin macht mit der am 07. April 2000 bei dem Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung geltend, ihr Leistungsvermögen habe sich nach der Klageerhebung erheblich verschlechtert; sie könne allenfalls stundenweise noch leichte Tätigkeiten ausüben. In einem von der Klägerin eingereichten Befundbericht der Dr. H ... vom 26. Juni 2000 wird seit Dezember 1998 ein Fortschreiten der Schmerzsymptomatik angegeben.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 08. Februar 2000 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1998 zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Nach den im Berufungsverfahren eingeholten Unterlagen sei eine Gesundheitsverschlechterung nicht entsprechend dokumentiert.
Der Senat hat einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. B ... vom 02. Dezember 2000, der Fachärztin für Neurologie/Psychiatrie Dipl.-Med. Sch ... vom 11. Dezember 2000, des Dr. W ..., Städtisches Klinikum "St. G ..." Leipzig vom 14. Dezember 2000, des Facharztes für Orthopädie Dr. G ... vom 30. November 2000 und der Dr. H ... vom 05. Februar 2001 eingeholt. Des Weiteren hat der Senat auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet ein Gutachten von Frau Dr. H ... erstellen lassen. Nach ambulanter Untersuchung am 30. Mai 2001 erhob die Sachverständige in ihrem Gutachten vom 11. Juni 2001 folgende Diagnosen:
auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet:
- lokales Wirbelsäulensyndrom,
- lokales Lendenwirbelsäulensyndrom,
- diskretes Polyneuropathiesyndrom,
- Borrelieninfektion
- insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit diskreter diabetischer Polyneuropathie
- Chlamydieninfektion,
- Nephrolithiasis,
- Hyperuricämie, Hypercholesterinämie,
- Übergewicht BMI 39,
- Zustand nach Entfernung der Gebärmutter 1996 wegen Myom
Die festgestellten Diagnosen bedingten qualitative, aber keine quantitativen Funktionseinschränkungen. Zwangshaltungen für die Wirbelsäule und Nachtarbeit seien zu meiden, fortgesetztes schweres und sehr schweres Heben und Tragen von Lasten seien nicht zumutbar. Auf Grund der diskreten diabetischen Polyneuropathie sei die Einwirkung von Nässe und Kälte ungünstig. Die Borrelieninfektion und die Chlamydieninfektion seien prinzipiell behandelbare Erkrankungen und bedingten nach Abschluss der entsprechenden Antibiotikatherapie keine Funktionseinschränkungen. Mit den bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen könne die Klägerin leichte und zeitweise mittelschwere Tätigkeiten in wechselvoller Körperhaltung verrichten. Fortgesetzte schwere und sehr schwere Arbeit sollte wegen der nachgewiesenen degenerativen Veränderungen vermieden werden. Eine wechselvolle Körperhaltung sei vorteilhaft. Die fortgesetzte Einwirkung von Kälte und Nässe sollte wegen der beginnenden diskreten Neuropathie vermieden werden. Ein bedeutsamer psychischer und psychopathologischer Befund habe nicht erhoben werden können. Die kognitiven Leistungen seien altersentsprechend unauffällig und die höheren Intelligenzfunktionen gut erhalten. Die Klägerin sei gut konzentrations- und ausdauerfähig sowie gut überschau- und umstellungsfähig. Unter Berücksichtigung aller festgestellten Gesundheitseinschränkungen könne die Klägerin acht Stunden täglich tätig sein. Andere als die arbeitsmarktüblichen Pausen seien dabei aus nervenärztlicher Sicht nicht erforderlich und die Wegefähigkeit nicht eingeschränkt. Die zuletzt von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Näherin sei wegen der ausschließlich mittelschweren und schweren körperlichen Arbeit mit häufigen Zwangshaltungen für die Wirbelsäule nicht mehr zumutbar. Die Tätigkeit einer Pförtnerin und die Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle seien ihr dagegen vollschichtig zumutbar. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nicht anders einzuschätzen als in den bisher erstatteten Gutachten.
Der Senat hat zur Tätigkeit einer Pförtnerin die berufskundliche Auskunft des Landesarbeitsamtes Sachsen vom 13. August 1996 und zur Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle das berufskundliche Gutachten der Diplom-Verwaltungswirtin S ... H ... vom 31. Mai 1996, erstellt für das Sozialgericht Chemnitz vom 28. März 1996, beigezogen und den Beteiligten zur Kenntnisnahme übermittelt.
Zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Leistungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen. Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen und verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Zwar hat das Sozialgericht Leipzig (SG) die Klage zu Recht abgewiesen, in der Urteilsbegründung fehlen jedoch jegliche Ausführungen zum Leistungsvermögen der Klägerin sowie zu ihrer beruflichen Einordnung.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu. Sie ist weder berufs- noch erwerbsunfähig (§§ 43 Abs. 2 Satz 1, 44 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung [a.F.]).
Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. liegt nicht vor, da die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen Krankheit oder Behinderung noch nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich, geistig oder seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.
Die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gesunken ist, wird danach getroffen, welchen Verdienst sie in einer Tätigkeit erzielen kann, auf die sie nach ihrem Gesundheitszustand und nach ihrem bisherigen Beruf zumutbar verwiesen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 28. Februar 1963 - 12 RJ 24/58 - SozR Nr. 24 zu § 1246 RVO -). Für die Beurteilung, wie weit die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gesunken ist, kommt es auf den bisherigen Beruf an (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 107 und 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Tätigkeit oder Beschäftigung, die vollwertig und nachhaltig verrichtet worden ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164).
Letzte Beschäftigung in diesem Sinne ist die Tätigkeit als Näherin. Diese hat die Klägerin vollwertig, bewusst und gewollt von 1996 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 01. August 1997 zur dauerhaften Einkommenserzielung ausgeübt.
Den Beruf als Näherin kann die Klägerin nicht mehr vollwertig verrichten. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen mindestens mittelschweren körperlichen Tätigkeiten mit häufigen Zwangshaltungen der Wirbelsäule sind mit ihrem Gesundheitszustand nicht mehr vereinbar. Hiervon geht auch die Beklagte aus.
Dennoch liegt Berufsunfähigkeit bei der Klägerin nicht vor. Sie ist zumutbar auf andere Tätigkeiten verweisbar, bei welchen sie mehr als die Hälfte des Verdienstes einer gesunden Vergleichsperson erzielen kann.
Zur Bestimmung, auf welche Tätigkeiten eine leistungsgeminderte Versicherte zumutbar verwiesen werden kann, hat das Bundessozialgericht ein Mehr-Stufen-Schema entwickelt und die Arbeiterberufe in Gruppen eingeteilt. Es gibt die Gruppe der Facharbeiterberufe, der Anlerntätigkeiten und der ungelernten Tätigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1972 - 5 RJ 105/72 - SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Später hat das Bundessozialgericht zu diesen drei Gruppen noch eine weitere Gruppe der "Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion" hinzugefügt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 - BSGE 43, 243), zu welcher auch "besonders hoch qualifizierte Facharbeiter" gehören (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 - BSGE 45, 276). Die vielschichtige und inhomogene Gruppe der angelernten Arbeiter gliedert sich in einen oberen und in einen unteren Bereich (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 109, 132, 143). Dem unteren Bereich unterfallen alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf Monaten bis zu vierundzwanzig Monaten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45). Jeder Versicherte kann auf Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht. Ein Facharbeiter kann daher auf Anlerntätigkeiten, ein angelernter Arbeiter im oberen Bereich auf angelernte und ein solcher im unteren Bereich auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 143 m. w. N.).
Ausgehend von der letzten ausgeübten Tätigkeit als Näherin kann es dahinstehen, ob die Klägerin der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im oberen Bereich oder im unteren Bereich zuzuordnen ist. Sie hat zwar in der Anamnese zum Gutachten der Dr. F ... angegeben, nach zehnjähriger Tätigkeit in diesem Berufsbereich das Facharbeiterzeugnis zuerkannt bekommen zu haben. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Klägerin ein Berufsschutz als Facharbeiter zukommt. Zum einen hat die Klägerin nach eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren eine entsprechende Facharbeiterprüfung nicht abgelegt. Zum anderen entsprach es der Praxis der ehemaligen DDR, nach zehnjähriger Tätigkeit in einem Beruf zur Erlangung der Facharbeiterlohngruppe ein "Facharbeiterzeugnis" zuzuerkennen. Darüber hinaus ist ein Berufsschutz als Facharbeiter erst anzuerkennen, wenn eine Lehre als Damen-/Herren-Maßschneider erfolgreich absolviert worden ist. Als maximal angelernte Arbeitnehmer im oberen Bereich ist die Klägerin auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, mit Ausnahme solcher, die nur einen ganz geringen qualitativen Wert besitzen und sich durch das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse auszeichnen (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr. 143, Seite 473 m. w. N.), verweisbar.
Die Klägerin verfügt seit der Rentenantragstellung über ein noch mindestens vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, ohne Nacht- und Wechselschicht, ohne fortgesetztes, schweres und sehr schweres Heben und Tragen von Lasten, ohne erhöhten Zeitdruck sowie ohne Kälte- und Nässeexposition. Dies ergibt sich aus den vorliegenden, medizinischen Unterlagen, insbesondere nach dem Gutachten des Dr. F ... vom 02. Februar 1998, dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 12. Oktober 1999 und dem Gutachten der Dr. H ... vom 11. Juni 2001, auf welche inhaltlich Bezug genommen und verwiesen wird.
Der Klägerin ist mit dem vorbezeichneten Leistungsvermögen objektiv und subjektiv die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle zumutbar. Nach dem beigezogenen berufskundlichen Gutachten der Diplom-Verwaltungswirtin S ... H ... vom 31. Mai 1996 handelt es sich um eine körperlich leichte, geistig einfache und routinemäßige Bürohilfsarbeit, welche im Wechsel der Körperhaltungen zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt wird, so dass Zwangshaltungen vermieden werden können. Diese Arbeit bedingt kein schweres Heben oder Tragen von Lasten, denn die zu transportierenden Schriftstücke können mittels fahrbarer Wagen befördert werden. Die Arbeit erfordert Genauigkeit und Konzentration. Nach den Erhebungen der Dr. H ... ler konnte ein bedeutsamer psychischer und psychopathologischer Befund nicht festgestellt werden. Die kognitiven Leistungen waren altersentsprechend unauffällig und die höheren Intelligenzfunktionen gut erhalten. Des Weiteren verfügt die Klägerin über eine gute Konzentrations-, Ausdauer-, Überschau- und Umstellungsfähigkeit. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen für eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in der Poststelle ist der Klägerin auch von ihren behandelnden Ärzten B ..., W ... und G ... bescheinigt worden. Diesen Feststellungen steht der Befundbericht der Hausärztin Dr. H ... vom 05. Februar 2001 nicht entgegen. Die Ärztin konnte seit 1998 keine Veränderung des Gesundheitszustandes erkennen; die angegebene Zunahme der Schmerzen ist subjektiver Natur und wird durch die vorliegenden fachärztlichen Befunde und Gutachten nicht objektiviert. Der Diabestes ist gut eingestellt und bedingt gegenwärtig keine Folgeerscheinungen. Auf urologischem Gebiet sind wesentliche Einschränkungen, welche neben einer Vermeidung von Arbeiten mit Kälte- und Nässeeinflüssen weitere Funktionseinschränkungen bedingen, ebenfalls nicht objektivierbar. Für die vorbenannte Tätigkeit als Mitarbeiterin in der Poststelle wird grundsätzlich kein anerkannter Ausbildungsabschluss oder eine bestimmte Ausbildung vorausgesetzt. Eine Anlernung / Einarbeitungszeit ist üblich. Tätigkeiten dieser Art können auch von Berufsfremden innerhalb einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten erlernt und ausgeführt werden. Die Entlohnung erfolgt im öffentlichen Dienst nach den Vergütungsgruppen BAT VIII/X, in der privaten Wirtschaft in den Gehaltsgruppen 1 oder 2 des jeweiligen Tarifvertrages und ist der Klägerin nach ihrer beruflichen Qualifikation sozial zumutbar. Arbeitsplätze dieser Art stehen trotz rückläufiger Tendenzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch in genügender Anzahl zur Verfügung. Es handelt sich hierbei nicht ausschließlich um Schonarbeitsplätze.
Mit dem vollschichtigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in der Verweisungstätigkeit als Mitarbeiterin in der Poststelle ist die Klägerin nicht berufsunfähig. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine sonstige schwerwiegende Behinderung, die es der Klägerin auch bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit unmöglich macht eine geeignete Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sogenannte "Katalogfälle" (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 - 4 a RJ 55/84 - SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 137), liegen nicht vor. Insbesondere ist die Klägerin nicht am Zurücklegen des Arbeitsweges, also des Weges von ihrer Wohnung bis zu einer etwaigen Arbeitsstätte (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 43/90 - SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10), gehindert. Betriebsunübliche Pausen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Mai 1984 5a RKn 18/83 SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 43) muss sie während der Arbeitszeit nicht einhalten.
Der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen passenden Arbeitsplatz zu finden, und die Bundesanstalt für Arbeit zu einer derartigen Vermittlung nicht in der Lage ist, ist kein Grund zur Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit. Denn bei vollschichtiger Einsatzmöglichkeit ist der Arbeitsmarkt der gesamten Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen, und es kommt auf die Zahl der vorhandenen, nicht auf die Zahl der gerade freien Arbeitsplätze an (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - BSGE 80,24 -).
Nachdem die Klägerin nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI (a.F.) ist, hat sie erst recht keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach den strengeren Vorschriften des § 44 SGB VI (a.F.). Bei einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind auch die Voraussetzungen zur Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI (in der Fassung ab dem 01. Januar 2001 BGBl. 2000, Teil I, Seite 1827) nicht erfüllt.
Die Anwendung der §§ 43, 44 SGB VI a.F. resultiert aus der Rentenantragstellung vom 15. September 1997 (§ 300 Abs. 2 SGB VI).
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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