Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 5 SB 196/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 13/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 11. Januar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) wegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Der am ... geborene Kläger beantragte am 26.08.1993 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem SchwbG zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab er dabei "Epilepsie" an. Der Beklagte zog Befundberichte von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet bei und stellte mit bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 03.03.1994 eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 unter Berücksichtigung eines "Anfallsleidens" als Funktionsstörung fest (dort und auch im Folgenden als "Behinderungen" bezeichnet).
Im Mai 1994 beantragte der Kläger unter Vorlegung eines Attestes von Dipl.-Med. Sch ... die Zuerkennung des Merkzeichens "G", da sich sein Krankheitsbild verschlimmert habe. Nachdem der Beklagte erneut einen Befundbericht von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet beigezogen hatte, stellte er mit Änderungsbescheid vom 27.09.1994 eine Behinderung mit einem GdB von 60 unter Berücksichtigung eines "Anfallsleidens" als Funktionsstörung fest. Demgegenüber wurde die Zuerkennung des Merkzeichens "G" abgelehnt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 17.10.1994 Widerspruch ein, mit dem er sich gegen die Nichtzuerkennung des Merkzeichens "G" wandte. Sein Anfallsleiden ziehe die verschiedensten nachteiligen Beeinträchtigungen im gesamten Leben nach sich. So dürfe er z. B. keinen Führerschein erwerben und einen Pkw fahren. Jede Strecke müsse er deshalb mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurücklegen, was heutzutage teurer als die Benutzung eines Pkw sei. Mit bestandskräftig gewordenen Widerspruchsbescheid vom 08.08.1995 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger stellte am 22.10.1996 erneut einen Antrag bei dem Beklagten auf Erhöhung des GdB und Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "RF". Die Begleiterscheinungen seiner Epilepsie hätten sich verschlimmert. Hinzugekommen seien Kniegelenksbeschwerden. Nach Beiziehung eines Befundberichts von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. R ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet wies der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 23.01.1997 zurück. Weder hätten sich seine festgestellten Gesundheitsstörungen verschlimmert noch lägen weiteren Gesundheitsstörungen vor, die eine Funktionsbeeinträchtigung bewirkten. Auch erfülle der Kläger nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe der Merkzeichen "RF" und "G". Mit seinem Widerspruch vom 18.02.1997 führte der Kläger aus, dass bei ihm Kniegelenksbeschwerden neu aufgetreten seien und sich sein psychischer Zustand als sekundäre Folge der Epilepsie verschlechtert habe. Auch war der Kläger der Ansicht, die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" zu erfüllen.
Der Beklagte zog einen Befundbericht von Dipl. Med. B ... auf orthopädischem Fachgebeit und von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet bei und stellte mit Änderungsbescheid vom 14.07.1997 eine Behinderung mit einem GdB von 70 unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen fest: "Anfallsleiden, seelische Störung, Funktionsbe hinderung im Kniegelenk rechts". Die Zuerkennung von Merkzeichen wurde abgelehnt. Im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.1997 (Bl. 68 VA) den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens "G" zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 29.08.1997 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben, mit der er sein Begehren hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens "G" weiterverfolgt hat. Sein Anfallsleiden ziehe eine seelische Störung nach sich; die Möglichkeit, dass es zu einem Anfall komme, bestehe immer. Bei ihm lägen Anfälle mittlerer Häufigkeit vor, welche nach den "Anhaltspunkten" die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigten.
Das SG hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dipl.-Med. Schuster auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet, von Dipl.-Med. R ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. B ... auf orthopädischem Fachgebiet beigezogen. Ferner hat das SG schriftliche Zeugenaussagen von Herrn Josef K., von Frau Hanna K. und Herrn Andreas E. beigezogen. Darin ist ausgeführt, der gegenwärtige Kontakt zu dem Kläger sei äußerst sporadisch; das gelegentliche Auftreten von epileptischen Anfällen bei dem Kläger sei aus Berichten von damaligen Arbeitskollegen bekannt. Im Schreiben des Andreas E. wird mitgeteilt, er verbringe keine Zeit mit dem Kläger mehr; die letzten Anfälle habe er einmal 1972 oder 1973 bemerkt; ihm sei bekannt, dass der Kläger zur damaligen Zeit einen Schwerbehindertenausweis wegen epileptischer Anfälle gehabt habe.
Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Gutachtens von Privatdozenten Dr. B ...; der Sachverständige hat zusammenfassend festgestellt, dass dem Kläger eine Strecke von etwa 10 km zugemutet werden könne, was einer Wanderdauer von etwa 2 1/2 Std. entspreche. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens sei auf keinen Fall zu erkennen. Die Kniegelenksbefunde rechtfertigten keinesfalls einen GdB von 50. Der Kläger habe seit 3 1/2 Jahren keine größeren Anfälle mehr gehabt (der letzte Krampfanfall datiere vom Mai 1995 und der vorletzte Krampfanfall vom September 1986; auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 94 ff. SG-Akte) wird Bezug genommen.
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 11.01.2000 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach § 60 Abs. 1 Satz 1 und § 59 Abs. 1 SchwbG. Danach hätten Anspruch auf Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr Schwerbehinderte, wenn sie infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder für andere im Ortsverkehr Wegstrecken zurücklegen könnten, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Hierunter verstehe man 2 km in 30 Gehminuten. Bei hirnorganischen Anfällen sei die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen sei auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage aufträten. Nach den maßgeblichen "Anhaltspunkten" könne von einer mittleren Häufigkeit epileptischer Anfälle mit einem GdB von 60 bis 80 gesprochen werden, wenn generalisiert (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen bzw. kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen aufträten. Der Einzel-GdB für die epileptischen Anfälle betrage nach wie vor 60. Die Erhöhung des Gesamt-GdB auf 70 beruhe auf einer Anerkennung weiterer Behinderungen, nämlich der Funktionsbehinderung im Kniegelenk mit einem Einzel-GdB von 10 und einer Dysthymie mit einem Einzel-GdB von 20. Der Kläger sei in der Lage, Wanderungen bis zu 10 km zu unternehmen. Schon hierdurch sei er nicht erheblich gehbehindert. Er sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch nicht erheblich beeinträchtigt, denn die bei ihm auftretenden kurzfristigen Absencen führten selbst dann nicht zu einer Verkehrsgefährdung, wenn sie, wie der Kläger vortrage, bis zu 15mal am Tage aufträten. Für die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung aufgrund eines Anfallsleidens genüge es nicht einmal, dass jederzeit mit der Möglichkeit eines Anfalls gerechnet werden müsse; das Gesetz verlange vielmehr die tatsächliche Feststellung einer dauerhaften Einschränkung und nicht nur die theoretische und ggf. sogar wenig wahrscheinliche Möglichkeit ihres jederzeitigen Eintretens in Form eines Notfalls.
Gegen das mit eingeschriebenen Brief vom 25.01.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.02.2000 eingelegte Berufung des Kläger. Bei dem Kläger läge ein Anfallsleiden mittlerer Häufigkeit vor, welches die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertige. Es genüge, wenn der Kläger wegen seines Anfallsleidens sein Verhalten nicht mehr steuern könne, so dass seine Gefährdung bzw. die anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen werden könne. In Augenblicken der Absencen sei eine Unfallgefahr erheblich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 11.01.2000 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.01.1997 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 14.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.1997 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dipl.-Med. B ... auf orthopädischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet beigezogen. Dipl.-Med. B ... teilt mit, dass die bei dem Kläger vorliegenden orthopädischen Gesundheitsstörungen der unteren Gliedmaße und/oder der Lendenwirbelsäule hinsichtlich ihrer Funktionsbehinderung insgesamt eine Gleichstellung mit einer Hüft-, Knie- oder Fußgelenkversteifung in ungünstiger Stellung nicht rechtfertigten. Dipl.-Med. Sch ... bekundet, dass bei dem Kläger Grand-mal-Anfälle seltener Häufigkeit mit Pausen von Monaten vorlägen; hinsichtlich der Absencen lägen Anfälle mittlerer Häufigkeit mit Pausen von Tagen vor. Der Kläger traue sich wegen möglicher Anfallsrezidive nicht einen Weg von 2 km zu. Auf die Befundberichte im Übrigen (Bl. 32 ff. und 37 ff. LSG-Akte) wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Gemäß § 4 Abs. 1 des "Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG)" in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421, ber. 1550) stellt der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Nach § 3 Abs. 1 SchwbG sind als Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, zu verstehen. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funtionsbeeinträchtigungen, ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich.
Der Beklagte hat dabei - entgegen der bisherigen Praxis - im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Grad der Behinderung festzustellen. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkung sind demgegenüber lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (Urteile des BSG vom 24.06.1998, Az.: B 9 SB 18/97 R; B 9 SB 20/97 R; B 9 SB 1/98 R; B 9 SB 17/97 R).
Nach § 3 Abs. 2 SchwbG ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) normierten Maßstäbe entsprechend. Für die Beurteilung kommt es darauf an, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehenden Beeinträchtigungen den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits zwar berufliche Beeinträchtigungen, andererseits aber auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit zu berücksichtigen. Denn das SchwbG gilt gleichermaßen für Berufstätige wie auch für Nichtberufstätige. Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (Anhaltspunkte), die der Bundesminister für Arbeit und Soziales herausgegeben hat. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte erkennt die Anhaltspunkte umfassend als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung an; denn in den Anhaltspunkten ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben und ermöglicht auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den Anhaltspunkten kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Behinderung mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Richtlinien der Anhaltspunkte steht. Das Bundessozialgericht hat mehrfach die Bedeutung der Anhaltspunkte auch für das Gerichtsverfahren herausgestellt und den Anhaltspunkten den Charakter antizipierter Sachverständigengutachten beigemessen (vgl. insoweit BSG SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 1, 5 und 6). Der Senat hat keine Bedenken, die Anhaltspunkte seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Der Kläger erfüllt nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G". Der Kläger ist i. S. d. gesetzlichen Vorschriften nicht erheblich gehbehindert (§§ 4 Abs. 4, 59 Abs. 1, 60 Abs. 1 SchwbG; §§ 1 Abs. 4, 3 Abs. 2 der "4. VO zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes" i. V. m. Ziff. 30 der Anhaltspunkte).
Nach den o. g. Vorschriften ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere, Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden. Dies betrifft solche Entfernungen, für deren Überwindung normalerweise weder ein öffentliches noch ein privates Verkehrsmittel in Anspruch genommen wird. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, auf die sich der Senat bezieht, hat insoweit den unbestimmten Rechtsbegriff der "üblichen Wegstrecke" konkretisiert; danach beträgt bei den derzeitigen Verhältnissen die üblicherweise im Ortsverkehr zu Fuß zurückgelegte Strecke zwei Kilometer bei einer Fußwegdauer von 30 Minuten (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.1987, Az.: 9a RVs 11/87 m. w. N.; vgl. Urteil vom 12.12.1996, Az: 9 BVs 28/95). Dabei kommt es weder auf die Fähigkeit an, extreme Wegverhältnisse zu bewältigen, noch darauf, ob die Gehstrecke von 2.000 Meter in 30 Minuten schmerzfrei zurückgelegt werden kann. Zumutbar sind auch technischen Hilfsmittel wie ein Gehstock oder orthopädisches Schuhwerk. Die Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo der Behinderte diese Wegstrecke nur noch unter unzumutbaren starken Schmerzen zurücklegen könnte (vgl. Willrodt/Neumann, Schwerbehindertengesetz, 7. Aufl., § 60 Rd.-Ziff. 4).
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahmen und der beigezogenen medizinischen Unterlagen fest.
Hinsichtlich der Frage der zumutbaren Wegstrecke führt der Sachverständige aus, dass der Kläger - auch nach seinen eigenen Angaben - durchaus eine Strecke von etwa 10 km zurücklegen könne, was eine Wanderdauer von etwa 2 1/2 Stunden entspreche; diese Strecke mag kürzer werden, wenn der Kläger mit Beuteln und Taschen bepackt vom Einkauf oder einer anderen Besorgung nach Hause kommt. Aber eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens sei auf keinen Fall bei ihm zu erkennen. Der Kläger habe auch nirgends behauptet, die nächstgelegene Bus- oder Bahnstation nicht zu Fuß erreichen zu können.
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen des Sachverständigen an. Das Gutachten ist in der Erhebung der Befunde, in der würdigenden Bewertung der Vorgeschichte und der bereits erhobenen Befunde sowie in der Beantwortung der Beweisfragen sorgfältig und sachkundig erstellt und somit überzeugend. Danach ist der Kläger auch unter Berücksichtigung seines Anfallsleidens objektiv durchaus in der Lage, eine Wegstrecke von mehr als 2.000 Metern in 30 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Soweit demgegenüber Dipl.-Med. Sch ... in ihrem Befundbericht ausführt, dass der Kläger sich wegen eines möglichen Anfallsrezidivs einen Weg von 2 km nicht zutraue, rechtfertigt dies die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht. Denn wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, ist der Kläger objektiv durchaus in der Lage, die vorgenannte Wegstrecke zu Fuß in der vorgegebenen Zeit zurückzulegen. Dies ist aber allein für die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" vorliegen, maßgeblich. Demgegenüber treten subjektive Ängste, die im objektiven körperlichen Befund nicht bestätigt werden können, zurück.
Der Kläger hat darüber hinaus aber auch aus anderen Gründen keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Denn zusätzlich zu der Frage, ob ortsübliche Wegstrecken im vorbenannten Sinne zurückgelegt werden können - was bei dem Kläger zu bejahen ist -, müssen neben dieser "Ortskomponente" weiterhin für die Vergabe des Merkzeichens "G" in medizinischer Hinsicht die speziellen Voraussetzungen erfüllt sein, wie sie in Ziff. 30 Abs. 3 bis 5 der Anhaltspunkte (S. 166) genannt sind.
Denn insoweit nennen die Anhaltspunkte Regelfälle, in denen die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" als erfüllt anzusehen sind. Die Anhaltspunkte bestimmen darüber hinaus auch den Maßstab, nach dem im Einzelfall zu beurteilen ist, ob dort nicht genannte Behinderungen die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigen (vgl. BSG, Urteil vom 13.08.1997, Az.: 9 RVs 1/96). Sinn der Anhaltspunkte als Vergleichsmaßstab ist, diejenigen Behinderungen herauszufiltern, aufgrund deren zwar auch nicht 2.000 Meter innerhalb von 30 Minuten zurückgelegt werden können, die aber die Bewegungsfähigkeit des Behinderten im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens beeinträchtigt. Insoweit geben die Anhaltspunkte als antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BSG, Urteil v. 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - in: BSGE 72, 285 [286]) auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommmen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist".
Diese Kriterien der Anhaltspunkte für die Vergabe des Merkzeichens "G" werden vom Kläger nicht erfüllt. Gemäß Ziff. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte (S. 166) ist für die Bejahung des Merkzeichens "G" nämlich erforderlich, dass bei dem Kläger sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. Lendenwirbelsäule vorliegen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Dies trifft auf den Kläger nicht zu.
Nach der von Dipl.-Med. B ... auf orthopädischem Fachgebiet mitgeteilten Diagnose leidet der Kläger an einer Gonarthrose des rechten Kniegelenks. Nach den ebenfalls von Dipl.-Med. B ... mitgeteilten Winkelmaßen nach der Neutral-Null-Methode beträgt die Kniegelenksbeweglichkeit im Bereich der Extension/Flexion bds. 0/0/140-Grad. Dies entspricht letztlich den Werten eines gesunden Kniegelenkes, welches insoweit Winkelmaße von 0/0/120-150 aufweist (vgl. Ziff. 8 der AHP, S. 15). Nach Ziff. 26.18 der AHP (S. 151) können Feststellungen für Funktionsbehinderungen der Kniegelenke jedoch erst bei einer Bewegungseinschränkung geringen Grades (z. B. Extension/Flexion bis zu 0/10/90 mit entsprechenden Einschränkungen der Dreh- und Spreizfähigkeit) erfolgen; diese Werte erreicht der Kläger noch nicht. Insoweit liegen somit bei dem Kläger keine pathologischen Werte der Kniegelenksbeweglichkeit vor, so dass hinsichtlich der unteren Extremitäten jedenfalls kein GdB von wenigsten 50 angemessen ist. Bestätigt wird dies im Ergebnis auch durch den Sachverständigen, der in seinem Gutachten insoweit ebenfalls ausführt, dass für sich allein genommen aus den Kniebefunden keinesfalls ein GdB von 50 und auch kein GdB von 40 resultiere.
Auch werden von dem Kläger die in Ziff. 30 Abs. 3 Satz 2 der AHP weiter dargelegten Vorgaben für die Vergabe des Merkzeichens "G" nicht erfüllt. Danach können bei einem niedrigeren GdB an den unteren Gliedmaßen als 50 die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" dann angenommen werden, wenn sich die Behinderung auf die Gehfähigkeit besonders auswirkt. Dies ist etwa möglich bei Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder bei einer arteriellen Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40. Auch diese Voraussetzungen werden von dem Kläger nicht erfüllt. Auf Nachfrage des Senats hat Dipl.-Med. B ... ausdrücklich ausgeführt, dass die bei dem Kläger vorliegenden orthopädischen Gesundheitsstörungen der unteren Gliedmaße oder Lendenwirbelsäule hinsichtlich ihrer Funktionsbehinderung insgesamt eine Gleichstellung einer Hüft-, Knie- oder Fußgelenksversteifung in ungünstiger Stellung nicht zu rechtfertigen vermögen.
Schließlich rechtfertigt auch das bei dem Kläger vorliegende epileptische Anfallsleiden nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Dies steht zur Überzeugung des Senats ebenfalls nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Der Sachverständige kommt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde zu der Diagnose, dass bei dem Kläger seit seiner Kindheit eine "primär generalisierte Epilepsie mit tonisch-klonischen Anfällen von Aufwachtyp, Absencen und Impulsivanfällen" bestehe. Dies heiße, dass bei dem Kläger ein anlagebedingtes erbliches epileptisches Leiden mit großen und kleinen Anfällen vorliege, wobei die Erblichkeit durch die Epilepsieerkrankung des Vaters gegeben sei. Der Kläger werde seit der Pubertät mit anfallsunterdrückenden Medikamenten behandelt. Diese Behandlung sei durchaus erfolgreich verlaufen, denn der Kläger habe eine normale berufliche Entwicklung nehmen können; seinen Arbeitsplatz habe erst verloren, als sein Betrieb 1994 in Konkurs gegangen sei. Hinsichtlich der Anfallshäufigkeit führt der Sachverständige aus, dass bei dem Kläger durch die Auswahl der richtigen Medikamente durch die behandelnden Nervenärzte und durch diese exakte und krankheitsgerechte Lebensführung des Patienten ein guter Therapieerfolg erreicht worden sei. Der Kläger habe seit 3 1/2 Jahren keine großen Anfälle mehr gehabt, der letzte Krampfanfall datiere vom 29.05.1995, der vorletzte vom 30.09.1986. Bei einer Epilepsiebehandlung sei entscheidend, dass der Patient bzw. der Betroffene keine Krampfanfälle mit Stürzen und Verletzungsfolgen sowie der Gefahr der Umdämmerung nach einem Anfall mehr habe; diese postiktale Umdämmerung könne zu einer Störung der Orientierungsfähigkeit führen, bei dem Kläger habe so etwas in den letzten Jahren nicht vorgelegen. Bei dem Kläger beständen aber noch kleinere Anfälle, einmal in Form von Absencen (kurze geistige Abwesenheiten) und zum andern in Form von Impulsionen (kurze Muskelzuckungen). Über die Absencenhäufigkeit werde in den gerichtlichen Aktenmaterial sehr unterschiedliche Angaben gemacht, die erwähnten Frequenzen schwankten zwischen 0 und 15 pro Tag; gegenüber dem Sachverständigen habe der Kläger eine Frequenz von etwa 5 Absencen/Tag angegeben. Dabei handelt es sich in seinem Fall um sehr kurze Zustände, die der Kläger oft nur selbst registriert und die vom Außenstehenden nahezu nicht zu bemerken sind. Diese kurzen Absencen hätten eine durchschnittliche Dauer von etwa 4 bis 10 Sekunden und behinderten den Kläger nur wenig. Insgesamt sei also die Absencenhäufigkeit als "mittlere Häufigkeit" richtig eingeschätzt. Es könne aber gesagt werden, dass der Kläger niemals Absence-Serien gehabt habe, die klinisch als Dämmerzustände imponierten und dann zu Orientierungsstörungen oder gar zu Krankenhausaufenthalten führten. Die kurzen Muskelzuckungen träten nur selten auf. Sie seien besonders nach Schlafentzugssituationen zu verzeichnen, also von einem Betroffenen etwas regelbar. Im Rahmen dieser Muskelzuckungen sei der Kläger in den letzten Jahren nicht zu Sturz gekommen.
Der Senat schließt sich aus den genannten Gründen auch insoweit dem Sachverständigen an. Die epileptische Erkrankung des Klägers rechtfertigt die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht.
Zwar vermögen nach den Anhaltspunkten auch hirnorganische Anfälle die Zuerkennung des Merkzeichens "G" - sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind - zu begründen. Insoweit ist nach Ziff. 30 Abs. 4 der AHP (S. 166) bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist danach auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit (siehe Nr. 26.3, S. 55 der AHP) zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Nach der vorgenannten Ziff. 26.3 der AHP liegen epileptische Anfälle mittlerer Häufigkeit, die mit einem Teil-GdB von 60 bis 80 eingeschätzt werden, vor bei generalisierten (großen) und komplex-fokalen Anfälle mit Pausen von Wochen oder bei kleinen und einfach-fokalen Anfällen mit Pausen von Tagen. Derartig große und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen werden von dem Sachverständigen nicht beschrieben; insoweit führt der Sachverständige vielmehr aus, dass der Kläger seit 3 1/2 Jahren keine großen Anfälle mehr gehabt habe. Damit liegt aber auch kein epileptisches Anfallsleiden mittlerer Häufigkeit hinsichtlich der großen Anfälle vor; im Ergebnis wird dies auch bestätigt durch die den Kläger behandelnden Ärztin Dipl.-Med. Schuster; diese führt in ihrem Befundbericht aus, dass hinsichtlich der Grand-mal-Anfälle eine seltene Häufigkeit mit Pausen von Monaten gegeben sei.
Demgegenüber liegen zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen hinsichtlich der kleinen und einfach-fokalen Anfälle mit Pausen von Tagen eine mittlere Anfallshäufigkeit vor, was auch in dem Befundbericht von Dipl.-Med. Sch ... bestätigt wird, die insoweit bezüglich der Absencen eine mittlere Häufigkeit mit Pausen von Tagen dokumentiert. Zwar mag dieses unter medizinischen Gesichtspunkten nach Ziff. 30 Abs. 4 der AHP die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung des Gehvermögens zu rechtfertigen; wie ausgeführt, muss jedoch zu dieser medizinischen Komponente zugleich auch die oben beschriebene Ortskomponente hinzutreten, wonach der Kläger aufgrund einer Erkrankung, welche nach den Anhaltspunkten die Vergabe des Merkzeichens "G" rechtfertigt, nicht in der Lage ist, 2.000 Meter innerhalb von 30 Minuten zurückzulegen. Dies ist - wie ebenfalls oben ausgeführt - im Falle des Klägers jedoch zu verneinen. Denn dem Klägerist eine weit darüber hinausgehende Wegstrecke zumutbar.
Schließlich liegen bei dem Kläger auch keine inneren Leiden, Anfälle oder Störungen der Orientierungsfähigkeit vor, die sich entscheidend auf eine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens auswirken (vgl. Ziff. 33 Abs. 3 und 5 der AHP). Zwar können auch innere Leiden die Vergabe des Merkzeichens "G" danach rechtfertigen. Dies trifft nach den AHP insbesondere bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens in der Gruppe 3 (Ziff. 26.9 der AHP, S. 87) und bei Atembehinderungen mit Dauereinschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (Ziff. 26.8 der AHP, S. 83) zu. Derartige Erkrankungen liegen beim Kläger aber nicht vor. Der Sachverständige führt in diesem Zusammenhang aus, dass schwerwiegende innere Leiden bei dem Kläger nicht vorlägen. In den medizinischen Unterlagen werde über leicht erhöhte Blutfettwerte berichtet, so dass dem Kläger zu einer gewissen Diät geraten worden sei. Schwerwiegende Veränderungen, die zu erheblichen Einschränkungen des Gehvermögens oder zu Orientierungsstörungen führten, seien beim Kläger aufgrund von inneren Leiden somit nicht vorhanden. Der Kläger habe auch keine schwerwiegenden seelischen Erkrankungen (z. B. Psychosen oder andere seelische Erkrankungen) durchgemacht, die langfristig psychiatrisch oder gar stationär psychiatrisch hätten behandelt werden müssen. Der Kläger habe also aufgrund von seelischen Erkrankungen niemals Störungen der Orientierungsfähigkeit hinnehmen müssen.
Der Senat schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an. Danach können auch innere Leiden oder Störungen der Orientierungsfähigkeit (Ziff. 30.5 der AHP) medizinisch die Vergabe des Merkzeichens "G" nicht rechtfertigen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) wegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.
Der am ... geborene Kläger beantragte am 26.08.1993 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem SchwbG zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab er dabei "Epilepsie" an. Der Beklagte zog Befundberichte von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet bei und stellte mit bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 03.03.1994 eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 unter Berücksichtigung eines "Anfallsleidens" als Funktionsstörung fest (dort und auch im Folgenden als "Behinderungen" bezeichnet).
Im Mai 1994 beantragte der Kläger unter Vorlegung eines Attestes von Dipl.-Med. Sch ... die Zuerkennung des Merkzeichens "G", da sich sein Krankheitsbild verschlimmert habe. Nachdem der Beklagte erneut einen Befundbericht von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet beigezogen hatte, stellte er mit Änderungsbescheid vom 27.09.1994 eine Behinderung mit einem GdB von 60 unter Berücksichtigung eines "Anfallsleidens" als Funktionsstörung fest. Demgegenüber wurde die Zuerkennung des Merkzeichens "G" abgelehnt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 17.10.1994 Widerspruch ein, mit dem er sich gegen die Nichtzuerkennung des Merkzeichens "G" wandte. Sein Anfallsleiden ziehe die verschiedensten nachteiligen Beeinträchtigungen im gesamten Leben nach sich. So dürfe er z. B. keinen Führerschein erwerben und einen Pkw fahren. Jede Strecke müsse er deshalb mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurücklegen, was heutzutage teurer als die Benutzung eines Pkw sei. Mit bestandskräftig gewordenen Widerspruchsbescheid vom 08.08.1995 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger stellte am 22.10.1996 erneut einen Antrag bei dem Beklagten auf Erhöhung des GdB und Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "RF". Die Begleiterscheinungen seiner Epilepsie hätten sich verschlimmert. Hinzugekommen seien Kniegelenksbeschwerden. Nach Beiziehung eines Befundberichts von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. R ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet wies der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 23.01.1997 zurück. Weder hätten sich seine festgestellten Gesundheitsstörungen verschlimmert noch lägen weiteren Gesundheitsstörungen vor, die eine Funktionsbeeinträchtigung bewirkten. Auch erfülle der Kläger nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe der Merkzeichen "RF" und "G". Mit seinem Widerspruch vom 18.02.1997 führte der Kläger aus, dass bei ihm Kniegelenksbeschwerden neu aufgetreten seien und sich sein psychischer Zustand als sekundäre Folge der Epilepsie verschlechtert habe. Auch war der Kläger der Ansicht, die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" zu erfüllen.
Der Beklagte zog einen Befundbericht von Dipl. Med. B ... auf orthopädischem Fachgebeit und von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet bei und stellte mit Änderungsbescheid vom 14.07.1997 eine Behinderung mit einem GdB von 70 unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen fest: "Anfallsleiden, seelische Störung, Funktionsbe hinderung im Kniegelenk rechts". Die Zuerkennung von Merkzeichen wurde abgelehnt. Im Übrigen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.08.1997 (Bl. 68 VA) den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens "G" zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 29.08.1997 Klage beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben, mit der er sein Begehren hinsichtlich der Zuerkennung des Merkzeichens "G" weiterverfolgt hat. Sein Anfallsleiden ziehe eine seelische Störung nach sich; die Möglichkeit, dass es zu einem Anfall komme, bestehe immer. Bei ihm lägen Anfälle mittlerer Häufigkeit vor, welche nach den "Anhaltspunkten" die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigten.
Das SG hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dipl.-Med. Schuster auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet, von Dipl.-Med. R ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. B ... auf orthopädischem Fachgebiet beigezogen. Ferner hat das SG schriftliche Zeugenaussagen von Herrn Josef K., von Frau Hanna K. und Herrn Andreas E. beigezogen. Darin ist ausgeführt, der gegenwärtige Kontakt zu dem Kläger sei äußerst sporadisch; das gelegentliche Auftreten von epileptischen Anfällen bei dem Kläger sei aus Berichten von damaligen Arbeitskollegen bekannt. Im Schreiben des Andreas E. wird mitgeteilt, er verbringe keine Zeit mit dem Kläger mehr; die letzten Anfälle habe er einmal 1972 oder 1973 bemerkt; ihm sei bekannt, dass der Kläger zur damaligen Zeit einen Schwerbehindertenausweis wegen epileptischer Anfälle gehabt habe.
Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Gutachtens von Privatdozenten Dr. B ...; der Sachverständige hat zusammenfassend festgestellt, dass dem Kläger eine Strecke von etwa 10 km zugemutet werden könne, was einer Wanderdauer von etwa 2 1/2 Std. entspreche. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens sei auf keinen Fall zu erkennen. Die Kniegelenksbefunde rechtfertigten keinesfalls einen GdB von 50. Der Kläger habe seit 3 1/2 Jahren keine größeren Anfälle mehr gehabt (der letzte Krampfanfall datiere vom Mai 1995 und der vorletzte Krampfanfall vom September 1986; auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 94 ff. SG-Akte) wird Bezug genommen.
Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 11.01.2000 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" nach § 60 Abs. 1 Satz 1 und § 59 Abs. 1 SchwbG. Danach hätten Anspruch auf Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr Schwerbehinderte, wenn sie infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder für andere im Ortsverkehr Wegstrecken zurücklegen könnten, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Hierunter verstehe man 2 km in 30 Gehminuten. Bei hirnorganischen Anfällen sei die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen sei auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage aufträten. Nach den maßgeblichen "Anhaltspunkten" könne von einer mittleren Häufigkeit epileptischer Anfälle mit einem GdB von 60 bis 80 gesprochen werden, wenn generalisiert (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen bzw. kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen aufträten. Der Einzel-GdB für die epileptischen Anfälle betrage nach wie vor 60. Die Erhöhung des Gesamt-GdB auf 70 beruhe auf einer Anerkennung weiterer Behinderungen, nämlich der Funktionsbehinderung im Kniegelenk mit einem Einzel-GdB von 10 und einer Dysthymie mit einem Einzel-GdB von 20. Der Kläger sei in der Lage, Wanderungen bis zu 10 km zu unternehmen. Schon hierdurch sei er nicht erheblich gehbehindert. Er sei in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch nicht erheblich beeinträchtigt, denn die bei ihm auftretenden kurzfristigen Absencen führten selbst dann nicht zu einer Verkehrsgefährdung, wenn sie, wie der Kläger vortrage, bis zu 15mal am Tage aufträten. Für die Annahme einer erheblichen Gehbehinderung aufgrund eines Anfallsleidens genüge es nicht einmal, dass jederzeit mit der Möglichkeit eines Anfalls gerechnet werden müsse; das Gesetz verlange vielmehr die tatsächliche Feststellung einer dauerhaften Einschränkung und nicht nur die theoretische und ggf. sogar wenig wahrscheinliche Möglichkeit ihres jederzeitigen Eintretens in Form eines Notfalls.
Gegen das mit eingeschriebenen Brief vom 25.01.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.02.2000 eingelegte Berufung des Kläger. Bei dem Kläger läge ein Anfallsleiden mittlerer Häufigkeit vor, welches die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertige. Es genüge, wenn der Kläger wegen seines Anfallsleidens sein Verhalten nicht mehr steuern könne, so dass seine Gefährdung bzw. die anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen werden könne. In Augenblicken der Absencen sei eine Unfallgefahr erheblich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 11.01.2000 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.01.1997 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 14.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.08.1997 zu verurteilen, bei ihm die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dipl.-Med. B ... auf orthopädischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. Sch ... auf neurologischem Fachgebiet beigezogen. Dipl.-Med. B ... teilt mit, dass die bei dem Kläger vorliegenden orthopädischen Gesundheitsstörungen der unteren Gliedmaße und/oder der Lendenwirbelsäule hinsichtlich ihrer Funktionsbehinderung insgesamt eine Gleichstellung mit einer Hüft-, Knie- oder Fußgelenkversteifung in ungünstiger Stellung nicht rechtfertigten. Dipl.-Med. Sch ... bekundet, dass bei dem Kläger Grand-mal-Anfälle seltener Häufigkeit mit Pausen von Monaten vorlägen; hinsichtlich der Absencen lägen Anfälle mittlerer Häufigkeit mit Pausen von Tagen vor. Der Kläger traue sich wegen möglicher Anfallsrezidive nicht einen Weg von 2 km zu. Auf die Befundberichte im Übrigen (Bl. 32 ff. und 37 ff. LSG-Akte) wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, in der Sache aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Gemäß § 4 Abs. 1 des "Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG)" in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421, ber. 1550) stellt der für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Nach § 3 Abs. 1 SchwbG sind als Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, zu verstehen. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funtionsbeeinträchtigungen, ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich.
Der Beklagte hat dabei - entgegen der bisherigen Praxis - im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Grad der Behinderung festzustellen. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkung sind demgegenüber lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (Urteile des BSG vom 24.06.1998, Az.: B 9 SB 18/97 R; B 9 SB 20/97 R; B 9 SB 1/98 R; B 9 SB 17/97 R).
Nach § 3 Abs. 2 SchwbG ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) normierten Maßstäbe entsprechend. Für die Beurteilung kommt es darauf an, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehenden Beeinträchtigungen den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits zwar berufliche Beeinträchtigungen, andererseits aber auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit zu berücksichtigen. Denn das SchwbG gilt gleichermaßen für Berufstätige wie auch für Nichtberufstätige. Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (Anhaltspunkte), die der Bundesminister für Arbeit und Soziales herausgegeben hat. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte erkennt die Anhaltspunkte umfassend als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung an; denn in den Anhaltspunkten ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben und ermöglicht auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den Anhaltspunkten kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Behinderung mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Richtlinien der Anhaltspunkte steht. Das Bundessozialgericht hat mehrfach die Bedeutung der Anhaltspunkte auch für das Gerichtsverfahren herausgestellt und den Anhaltspunkten den Charakter antizipierter Sachverständigengutachten beigemessen (vgl. insoweit BSG SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 1, 5 und 6). Der Senat hat keine Bedenken, die Anhaltspunkte seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Der Kläger erfüllt nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G". Der Kläger ist i. S. d. gesetzlichen Vorschriften nicht erheblich gehbehindert (§§ 4 Abs. 4, 59 Abs. 1, 60 Abs. 1 SchwbG; §§ 1 Abs. 4, 3 Abs. 2 der "4. VO zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes" i. V. m. Ziff. 30 der Anhaltspunkte).
Nach den o. g. Vorschriften ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere, Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise zu Fuß zurückgelegt werden. Dies betrifft solche Entfernungen, für deren Überwindung normalerweise weder ein öffentliches noch ein privates Verkehrsmittel in Anspruch genommen wird. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, auf die sich der Senat bezieht, hat insoweit den unbestimmten Rechtsbegriff der "üblichen Wegstrecke" konkretisiert; danach beträgt bei den derzeitigen Verhältnissen die üblicherweise im Ortsverkehr zu Fuß zurückgelegte Strecke zwei Kilometer bei einer Fußwegdauer von 30 Minuten (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.1987, Az.: 9a RVs 11/87 m. w. N.; vgl. Urteil vom 12.12.1996, Az: 9 BVs 28/95). Dabei kommt es weder auf die Fähigkeit an, extreme Wegverhältnisse zu bewältigen, noch darauf, ob die Gehstrecke von 2.000 Meter in 30 Minuten schmerzfrei zurückgelegt werden kann. Zumutbar sind auch technischen Hilfsmittel wie ein Gehstock oder orthopädisches Schuhwerk. Die Grenze ist jedoch dort zu ziehen, wo der Behinderte diese Wegstrecke nur noch unter unzumutbaren starken Schmerzen zurücklegen könnte (vgl. Willrodt/Neumann, Schwerbehindertengesetz, 7. Aufl., § 60 Rd.-Ziff. 4).
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahmen und der beigezogenen medizinischen Unterlagen fest.
Hinsichtlich der Frage der zumutbaren Wegstrecke führt der Sachverständige aus, dass der Kläger - auch nach seinen eigenen Angaben - durchaus eine Strecke von etwa 10 km zurücklegen könne, was eine Wanderdauer von etwa 2 1/2 Stunden entspreche; diese Strecke mag kürzer werden, wenn der Kläger mit Beuteln und Taschen bepackt vom Einkauf oder einer anderen Besorgung nach Hause kommt. Aber eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens sei auf keinen Fall bei ihm zu erkennen. Der Kläger habe auch nirgends behauptet, die nächstgelegene Bus- oder Bahnstation nicht zu Fuß erreichen zu können.
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen des Sachverständigen an. Das Gutachten ist in der Erhebung der Befunde, in der würdigenden Bewertung der Vorgeschichte und der bereits erhobenen Befunde sowie in der Beantwortung der Beweisfragen sorgfältig und sachkundig erstellt und somit überzeugend. Danach ist der Kläger auch unter Berücksichtigung seines Anfallsleidens objektiv durchaus in der Lage, eine Wegstrecke von mehr als 2.000 Metern in 30 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Soweit demgegenüber Dipl.-Med. Sch ... in ihrem Befundbericht ausführt, dass der Kläger sich wegen eines möglichen Anfallsrezidivs einen Weg von 2 km nicht zutraue, rechtfertigt dies die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht. Denn wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, ist der Kläger objektiv durchaus in der Lage, die vorgenannte Wegstrecke zu Fuß in der vorgegebenen Zeit zurückzulegen. Dies ist aber allein für die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" vorliegen, maßgeblich. Demgegenüber treten subjektive Ängste, die im objektiven körperlichen Befund nicht bestätigt werden können, zurück.
Der Kläger hat darüber hinaus aber auch aus anderen Gründen keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Denn zusätzlich zu der Frage, ob ortsübliche Wegstrecken im vorbenannten Sinne zurückgelegt werden können - was bei dem Kläger zu bejahen ist -, müssen neben dieser "Ortskomponente" weiterhin für die Vergabe des Merkzeichens "G" in medizinischer Hinsicht die speziellen Voraussetzungen erfüllt sein, wie sie in Ziff. 30 Abs. 3 bis 5 der Anhaltspunkte (S. 166) genannt sind.
Denn insoweit nennen die Anhaltspunkte Regelfälle, in denen die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" als erfüllt anzusehen sind. Die Anhaltspunkte bestimmen darüber hinaus auch den Maßstab, nach dem im Einzelfall zu beurteilen ist, ob dort nicht genannte Behinderungen die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigen (vgl. BSG, Urteil vom 13.08.1997, Az.: 9 RVs 1/96). Sinn der Anhaltspunkte als Vergleichsmaßstab ist, diejenigen Behinderungen herauszufiltern, aufgrund deren zwar auch nicht 2.000 Meter innerhalb von 30 Minuten zurückgelegt werden können, die aber die Bewegungsfähigkeit des Behinderten im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens beeinträchtigt. Insoweit geben die Anhaltspunkte als antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BSG, Urteil v. 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - in: BSGE 72, 285 [286]) auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommmen werden kann, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist".
Diese Kriterien der Anhaltspunkte für die Vergabe des Merkzeichens "G" werden vom Kläger nicht erfüllt. Gemäß Ziff. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte (S. 166) ist für die Bejahung des Merkzeichens "G" nämlich erforderlich, dass bei dem Kläger sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. Lendenwirbelsäule vorliegen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Dies trifft auf den Kläger nicht zu.
Nach der von Dipl.-Med. B ... auf orthopädischem Fachgebiet mitgeteilten Diagnose leidet der Kläger an einer Gonarthrose des rechten Kniegelenks. Nach den ebenfalls von Dipl.-Med. B ... mitgeteilten Winkelmaßen nach der Neutral-Null-Methode beträgt die Kniegelenksbeweglichkeit im Bereich der Extension/Flexion bds. 0/0/140-Grad. Dies entspricht letztlich den Werten eines gesunden Kniegelenkes, welches insoweit Winkelmaße von 0/0/120-150 aufweist (vgl. Ziff. 8 der AHP, S. 15). Nach Ziff. 26.18 der AHP (S. 151) können Feststellungen für Funktionsbehinderungen der Kniegelenke jedoch erst bei einer Bewegungseinschränkung geringen Grades (z. B. Extension/Flexion bis zu 0/10/90 mit entsprechenden Einschränkungen der Dreh- und Spreizfähigkeit) erfolgen; diese Werte erreicht der Kläger noch nicht. Insoweit liegen somit bei dem Kläger keine pathologischen Werte der Kniegelenksbeweglichkeit vor, so dass hinsichtlich der unteren Extremitäten jedenfalls kein GdB von wenigsten 50 angemessen ist. Bestätigt wird dies im Ergebnis auch durch den Sachverständigen, der in seinem Gutachten insoweit ebenfalls ausführt, dass für sich allein genommen aus den Kniebefunden keinesfalls ein GdB von 50 und auch kein GdB von 40 resultiere.
Auch werden von dem Kläger die in Ziff. 30 Abs. 3 Satz 2 der AHP weiter dargelegten Vorgaben für die Vergabe des Merkzeichens "G" nicht erfüllt. Danach können bei einem niedrigeren GdB an den unteren Gliedmaßen als 50 die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" dann angenommen werden, wenn sich die Behinderung auf die Gehfähigkeit besonders auswirkt. Dies ist etwa möglich bei Versteifung des Hüft-, Knie- oder Fußgelenkes in ungünstiger Stellung oder bei einer arteriellen Verschlusskrankheit mit einem GdB von 40. Auch diese Voraussetzungen werden von dem Kläger nicht erfüllt. Auf Nachfrage des Senats hat Dipl.-Med. B ... ausdrücklich ausgeführt, dass die bei dem Kläger vorliegenden orthopädischen Gesundheitsstörungen der unteren Gliedmaße oder Lendenwirbelsäule hinsichtlich ihrer Funktionsbehinderung insgesamt eine Gleichstellung einer Hüft-, Knie- oder Fußgelenksversteifung in ungünstiger Stellung nicht zu rechtfertigen vermögen.
Schließlich rechtfertigt auch das bei dem Kläger vorliegende epileptische Anfallsleiden nicht die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Dies steht zur Überzeugung des Senats ebenfalls nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Der Sachverständige kommt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde zu der Diagnose, dass bei dem Kläger seit seiner Kindheit eine "primär generalisierte Epilepsie mit tonisch-klonischen Anfällen von Aufwachtyp, Absencen und Impulsivanfällen" bestehe. Dies heiße, dass bei dem Kläger ein anlagebedingtes erbliches epileptisches Leiden mit großen und kleinen Anfällen vorliege, wobei die Erblichkeit durch die Epilepsieerkrankung des Vaters gegeben sei. Der Kläger werde seit der Pubertät mit anfallsunterdrückenden Medikamenten behandelt. Diese Behandlung sei durchaus erfolgreich verlaufen, denn der Kläger habe eine normale berufliche Entwicklung nehmen können; seinen Arbeitsplatz habe erst verloren, als sein Betrieb 1994 in Konkurs gegangen sei. Hinsichtlich der Anfallshäufigkeit führt der Sachverständige aus, dass bei dem Kläger durch die Auswahl der richtigen Medikamente durch die behandelnden Nervenärzte und durch diese exakte und krankheitsgerechte Lebensführung des Patienten ein guter Therapieerfolg erreicht worden sei. Der Kläger habe seit 3 1/2 Jahren keine großen Anfälle mehr gehabt, der letzte Krampfanfall datiere vom 29.05.1995, der vorletzte vom 30.09.1986. Bei einer Epilepsiebehandlung sei entscheidend, dass der Patient bzw. der Betroffene keine Krampfanfälle mit Stürzen und Verletzungsfolgen sowie der Gefahr der Umdämmerung nach einem Anfall mehr habe; diese postiktale Umdämmerung könne zu einer Störung der Orientierungsfähigkeit führen, bei dem Kläger habe so etwas in den letzten Jahren nicht vorgelegen. Bei dem Kläger beständen aber noch kleinere Anfälle, einmal in Form von Absencen (kurze geistige Abwesenheiten) und zum andern in Form von Impulsionen (kurze Muskelzuckungen). Über die Absencenhäufigkeit werde in den gerichtlichen Aktenmaterial sehr unterschiedliche Angaben gemacht, die erwähnten Frequenzen schwankten zwischen 0 und 15 pro Tag; gegenüber dem Sachverständigen habe der Kläger eine Frequenz von etwa 5 Absencen/Tag angegeben. Dabei handelt es sich in seinem Fall um sehr kurze Zustände, die der Kläger oft nur selbst registriert und die vom Außenstehenden nahezu nicht zu bemerken sind. Diese kurzen Absencen hätten eine durchschnittliche Dauer von etwa 4 bis 10 Sekunden und behinderten den Kläger nur wenig. Insgesamt sei also die Absencenhäufigkeit als "mittlere Häufigkeit" richtig eingeschätzt. Es könne aber gesagt werden, dass der Kläger niemals Absence-Serien gehabt habe, die klinisch als Dämmerzustände imponierten und dann zu Orientierungsstörungen oder gar zu Krankenhausaufenthalten führten. Die kurzen Muskelzuckungen träten nur selten auf. Sie seien besonders nach Schlafentzugssituationen zu verzeichnen, also von einem Betroffenen etwas regelbar. Im Rahmen dieser Muskelzuckungen sei der Kläger in den letzten Jahren nicht zu Sturz gekommen.
Der Senat schließt sich aus den genannten Gründen auch insoweit dem Sachverständigen an. Die epileptische Erkrankung des Klägers rechtfertigt die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht.
Zwar vermögen nach den Anhaltspunkten auch hirnorganische Anfälle die Zuerkennung des Merkzeichens "G" - sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind - zu begründen. Insoweit ist nach Ziff. 30 Abs. 4 der AHP (S. 166) bei hirnorganischen Anfällen die Beurteilung von der Art und Häufigkeit der Anfälle sowie von der Tageszeit des Auftretens abhängig. Im Allgemeinen ist danach auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit (siehe Nr. 26.3, S. 55 der AHP) zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten. Nach der vorgenannten Ziff. 26.3 der AHP liegen epileptische Anfälle mittlerer Häufigkeit, die mit einem Teil-GdB von 60 bis 80 eingeschätzt werden, vor bei generalisierten (großen) und komplex-fokalen Anfälle mit Pausen von Wochen oder bei kleinen und einfach-fokalen Anfällen mit Pausen von Tagen. Derartig große und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen werden von dem Sachverständigen nicht beschrieben; insoweit führt der Sachverständige vielmehr aus, dass der Kläger seit 3 1/2 Jahren keine großen Anfälle mehr gehabt habe. Damit liegt aber auch kein epileptisches Anfallsleiden mittlerer Häufigkeit hinsichtlich der großen Anfälle vor; im Ergebnis wird dies auch bestätigt durch die den Kläger behandelnden Ärztin Dipl.-Med. Schuster; diese führt in ihrem Befundbericht aus, dass hinsichtlich der Grand-mal-Anfälle eine seltene Häufigkeit mit Pausen von Monaten gegeben sei.
Demgegenüber liegen zwar nach den Feststellungen des Sachverständigen hinsichtlich der kleinen und einfach-fokalen Anfälle mit Pausen von Tagen eine mittlere Anfallshäufigkeit vor, was auch in dem Befundbericht von Dipl.-Med. Sch ... bestätigt wird, die insoweit bezüglich der Absencen eine mittlere Häufigkeit mit Pausen von Tagen dokumentiert. Zwar mag dieses unter medizinischen Gesichtspunkten nach Ziff. 30 Abs. 4 der AHP die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung des Gehvermögens zu rechtfertigen; wie ausgeführt, muss jedoch zu dieser medizinischen Komponente zugleich auch die oben beschriebene Ortskomponente hinzutreten, wonach der Kläger aufgrund einer Erkrankung, welche nach den Anhaltspunkten die Vergabe des Merkzeichens "G" rechtfertigt, nicht in der Lage ist, 2.000 Meter innerhalb von 30 Minuten zurückzulegen. Dies ist - wie ebenfalls oben ausgeführt - im Falle des Klägers jedoch zu verneinen. Denn dem Klägerist eine weit darüber hinausgehende Wegstrecke zumutbar.
Schließlich liegen bei dem Kläger auch keine inneren Leiden, Anfälle oder Störungen der Orientierungsfähigkeit vor, die sich entscheidend auf eine erhebliche Einschränkung des Gehvermögens auswirken (vgl. Ziff. 33 Abs. 3 und 5 der AHP). Zwar können auch innere Leiden die Vergabe des Merkzeichens "G" danach rechtfertigen. Dies trifft nach den AHP insbesondere bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens in der Gruppe 3 (Ziff. 26.9 der AHP, S. 87) und bei Atembehinderungen mit Dauereinschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades (Ziff. 26.8 der AHP, S. 83) zu. Derartige Erkrankungen liegen beim Kläger aber nicht vor. Der Sachverständige führt in diesem Zusammenhang aus, dass schwerwiegende innere Leiden bei dem Kläger nicht vorlägen. In den medizinischen Unterlagen werde über leicht erhöhte Blutfettwerte berichtet, so dass dem Kläger zu einer gewissen Diät geraten worden sei. Schwerwiegende Veränderungen, die zu erheblichen Einschränkungen des Gehvermögens oder zu Orientierungsstörungen führten, seien beim Kläger aufgrund von inneren Leiden somit nicht vorhanden. Der Kläger habe auch keine schwerwiegenden seelischen Erkrankungen (z. B. Psychosen oder andere seelische Erkrankungen) durchgemacht, die langfristig psychiatrisch oder gar stationär psychiatrisch hätten behandelt werden müssen. Der Kläger habe also aufgrund von seelischen Erkrankungen niemals Störungen der Orientierungsfähigkeit hinnehmen müssen.
Der Senat schließt sich auch insoweit den Ausführungen des Sachverständigen an. Danach können auch innere Leiden oder Störungen der Orientierungsfähigkeit (Ziff. 30.5 der AHP) medizinisch die Vergabe des Merkzeichens "G" nicht rechtfertigen.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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