L 1 SB 33/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 10 SB 37/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 33/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 15. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu einem Viertel zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Die am ... geborene Klägerin beantragte am 27.04.1995 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem SchwbG zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab sie dabei eine Impfschädigung nach Immunprophylaxe 1978 infolge Hepatitis-C, Brillenträger an. Der Beklagte bezog Befundberichte von der praktischen Ärztin Dipl. Med. R ..., von Dipl.-Med. K ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet sowie von Dr. W ... auf augenärztlichem Fachgebiet bei, der die korrigierte Sehschärfe der Klägerin mit 1,0 zu 1,3 mitgeteilt hat. Ferner lagen Krankenunterlagen des Klinikums St. Georg in Leipzig vor (Bl. 4 ff. VA). Mit Bescheid vom 08.03.1993 hatte der Beklagte bei der Klägerin als Impfschaden eine "chronisch-persistierende Hepatitis" nach dem Bundesseuchengesetz mit einer MdE von Oktober 1990 bis Dezember 1992 von 25 und ab Januar 1993 mit 30 v. H. anerkannt.

Mit Bescheid vom 23.11.1995 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Behinderung mit einem GdB von 30 unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen (dort wie auch im Folgenden als "Behinderung" bezeichnet) fest: "chronisch-persistierende Hepatitis". Die von der Klägerin geltend gemachte Sehminderung, Struma und Hypotonie seien nicht als Behinderung anzuerkennen, da sie für sich keinen Grad der Behinderung von wenigstens 10 bedingten.

Auf den Widerspruch hat der Beklagte nochmals Laborparameter von Dr. W ... vom Städtischen Klinikum St. Georg in Leipzig beigezogen und den Widerspruch hierauf mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.1996 zurückgewiesen. Nach den maßgeblichen "Anhaltspunkten" seien die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 30 richtig bewertet worden.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.04.1996 Klage beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben mit dem Hinweis, ihre Lebererkrankungen seien nicht hinreichend berücksichtigt worden; insoweit liege auch eine starke psychische Belastung vor.

Das SG hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte von Dr. W ...auf internistischem Fachgebiet mit weiteren Unterlagen beigezogen; Dr. W ... schätzt dort den GdB mit 30 ein. Ferner lagen im Befundbericht von Dr. R ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet und Dr. K ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet mit weiteren Unterlagen vor; Dr. K ... schätzt den GdB mit 25 ein. Im urologischen Befundbericht von Dr. W ... wird der GdB zwischen 10 bis 20 beziffert, im internistischem Befundbericht von Prof. Dr. B ...auf einen Wert zwischen 30 bis 40. Ferner lagen Krankenunterlagen des Krankenhauses St. Georg, des Park-Krankenhauses L ... sowie ein virologischer Befund von Prof. Dr. L ... vor. Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens von Dr. Sch ...; die Sachverständige kommt dort auf der Grundlage der von ihr erhobenen Befunde zu dem Ergebnis, dass die chronische Virushepatitis C mit einem Teil-GdB von 30, die psychische Störung ebenfalls mit einem Teil-GdB von 30 und die Harnstauung rechts mit einem Teil-GdB von 10 einzuschätzen sei. Insgesamt betrage der Gesamt-GdB 50; auf das Gutachten im Übrigen und die ergänzende Stellungnahme wird Bezug genommen (Bl. 115 ff.; 133 f. SG-Akte). Ferner hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. Sch ...; der Sachverständige kommt auf dem Ergebnis der von ihm erhobenen Befunde zu dem Ergebnis, dass ein Teil-GdB von 20 für eine durchgängig behandelungsbedürftige psychopathologische Auffälligkeit gerechtfertigt sei. Auf das Gutachten (Bl. 382 ff. SG-Akte) wird ebenfalls Bezug genommen.

Das SG hat auf mündliche Verhandlung mit Urteil vom 15.07.1999 den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, bei der Klägerin "ab Antragstellung psychische Störungen als weitere Behinderung mit einem Gesamt-GdB von 40 festzustellen", und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe Anspruch auf die Feststellung der weiteren Behinderung und Erhöhung des Gesamt-GdB auf 40. Der von der Klägerin beantragten Höherbewertung des GdB als 40 sei jedoch der Erfolg zu versagen. Das SG hat sich insoweit auf die vorliegenden medizinischen Unterlagen gestützt, insbesondere auf das neuropsychiatrische Gutachten von Dr. Sch ... Eine primär neurotische Entwicklung, die in die Kindheit der Klägerin zurückreicht und zur Ausbildung einer zwanghaft-depressiven neurotischen Persönlichkeitsstruktur geführt hat, sei danach zwar festzustellen. Unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte habe die Kammer für die unter Nr. 26.3 (S. 60) erfassten "leichteren psychischen Störungen" eine durchschnittliche GdB-Relevanz von 20 angenommen. Hingegen lasse sich das vom Gutachter aufgezeigte Krankheitsbild nicht als "stärker behinderte psychische Störung" einordnen, da sich eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht feststellen lasse. Auch im Hinblick auf die zurückliegende und auch künftige Interferon-Therapien, die als symptomverstärkende Faktoren anzusehen seien, lasse sich eine "stärker behinderte psychische Störung" nicht annehmen. Zutreffend habe der Beklagte nach den krankheitsspezifischen Beschwerdesymptomen hinsichtlich der Hepatitis-C einen Teil-GdB von 30 angenommen. Nach den Anhaltspunkten Nr. 26.10 (S. 100) sei für eine chronische Hepatitis mit Progression mit geringer entzündlicher Aktivität ein GdB von 30 vorgegeben. In Auswertung der fachspezifischen Unterlagen, insbesondere des Ergebnisses der durchgeführten Leberfunktion vom 05.05.1997, aber auch der weiteren klinischen, laborchemischen Befunderhebungen und im Einklang mit der mehrfachen von Prof. B ... der Universität Leipzig beschriebenen krankheitsspezifischen Beschwerdesymptomatik, sei bei der Klägerin von einer chronisch-aktiven Hepatitis mit gering entzündlicher Aktivität auszugehen. Nicht hingegen konnte als Behinderung die "Harnstauung rechts" Berücksichtigung bei der Feststellung finden. Unter Berücksichtigung von Nr. 19 Abs. 2 der Anhaltspunkte sei der Gesamt-GdB mit 40 zu bemessen.

Gegen das am 09.09.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 28.09.1999 Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren hinsichtlich der Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 weiterverfolgt. Ergänzend und vertiefend trägt sie vor, dass die Lebererkrankung nicht zutreffend bemessen worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2000 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben, wonach bei der Klägerin von einer "chronisch-aktiven Hepatitis" auszugehen sei. Das Teilanerkenntnis hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten angenommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 15.07.1999 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.11.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.1996 und des Teilanerkenntnisses vom 20.10.2000 zu verurteilen, bei der Klägerin eine Behinderung mit einem GdB von wenigstens 50 anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zur Klärung des medizinischen Sachverhalts einen Befundbericht von Prof. Dr. B ... beigezogen, der auf Nachfrage ausgeführt hat, dass bei der Klägerin eine chronisch-aktive Hepatitis vorliege. Die Transaminasen seien knapp oberhalb des Normbereichs. Ferner hat der Senat Krankenunterlagen des Universitätsklinikums Leipzig mit Laborparametern beigezogen sowie einen Befundbericht von Dr. K ... auf allgemeinmedizinischem Fachgebiet. Auf die Unterlagen (Bl. 49 ff. LSG-Akte) wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit zutreffender Begründung den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, unter Berücksichtigung einer "psychischen Störung" als weitere Funktionsstörung eine Behinderung mit einem GdB von 40 festzustellen und die weitergehende Klage abgewiesen. Nur in diesem Umfang war der Bescheid vom 23.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.1996 rechtswidrig und hat die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat demgegenüber keinen Anspruch auf Feststellung einer Behinderung mit einem GdB von mehr als 40, und zwar gerade auch unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Teilanerkenntnisses.

Gemäß § 4 Abs. 1 des "Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG -)" in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.08.1986 (BGBl. I S. 1421, ber. S. 1550) stellt die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständige Behörde und damit der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Nach § 3 Abs. 1 SchwbG sind als Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, zu verstehen. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Der Beklagte hat dabei - entgegen der bisherigen Praxis - im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs. 1 S. 1 SchwbG nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den Grad der Behinderung festzustellen. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind demgegenüber lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (vgl. Urteile des BSG vom 24. Juni 1998, Az.: B 9 SB 18/97 R; B 9 SB 20/97 R; B 9 SB 1/98 R; B 9 SB 17/97 R).

Nach § 3 Abs. 2 SchwbG ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als Grad der Behinderung, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG normierten Maßstäbe entsprechend. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehenden Beeinträchtigungen den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit Berücksichtigung. Denn das SchwbG gilt gleichermaßen für Berufstätige wie für Nichtberufstätige. Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), die der Bundesminister für Arbeit und Soziales herausgegeben hat. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte erkennt die Anhaltspunkte umfassend als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung an; denn in den Anhaltspunkten ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben und ermöglicht auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den Anhaltspunkten kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Funktionsstörung mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Richtlinien der Anhaltspunkte steht.

Dabei umschreibt der Begriff des GdB indes nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff; seine Festlegung ist daher nicht Aufgabe von Sachverständigen. Sie beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, welche allerdings mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der danach auf den zunächst festzustellenden medizinischen Tatsachen erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bilden zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht mehr um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (vgl. BSG, Urteil vom 26.08.1955 - 4 RJ 120/54; Urteil vom 29.08.1990 - 9 A/9 RVS 7/89 - SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 1).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund waren bei der Klägerin für die Feststellungen nach dem SchwbG sowohl eine chronisch-persistierende Hepatitis wie auch eine psychische Störung zu berücksichtigen.

Bei der Klägerin liegt - was zwischen den Beteiligten im Übrigen unstreitig ist - eine Lebererkrankung in Form einer chronischen Hepatitis C vor. Dies ergibt sich aus den sowohl im Verwaltungsverfahren wie auch in den Gerichtsverfahren beigezogenen medizinischen Unterlagen und Gutachten, zuletzt aus dem vom Senat beigezogenen Befundbericht von Prof. Dr. Berr; dieser bestätigt dort eine Infektion der Klägerin mit Hepatitis C und daraus resultierend eine chronisch-aktive Hepatitis. Der Beklagte hat daher nunmehr zutreffend in dem Teilanerkenntnis vom 20.10.2000 diese Funktionsstörung berücksichtigt. Dies entspricht auch dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht des Universitätsklinikums Leipzig.

Ebenfalls zutreffend hat das SG den Beklagten verurteilt, als weitere Funktionsstörung eine psychische Störung zu berücksichtigen. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis des Gutachtens von Dr. Sch ... auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet fest. Der Sachverständige führt dort auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde aus, dass bei der Klägerin eine primär neurotische Entwicklung, die in die Kindheit zurückreicht und zur Ausbildung einer zwanghaft-depressiven neurotischen Persönlichkeitsstruktur geführt hat, vorliegt. Im Zeitverlauf hätten die psychopathologischen Auffälligkeiten einen unterschiedlichen Ausprägungsgrad gehabt ohne permanente Behandlungsbedürftigkeit und ohne durchgängige GdB-Relevanz. Nur bei einer wohlwollenden Beurteilung käme man auf eine durchschnittliche GdB-Relevanz von 30, wie dies im Vorgutachten nach Aktenlage von Dr. Schmidt angenommen worden sei, hier allerdings offensichtlich unter der Vorstellung gehäufter depressiver Phasen bzw. einer Zyklothymie. Aus den Gesamtunterlagen und den aktuellen anamnestischen Erhebungen ergebe sich auch kein ausreichender Anhalt für eine "zunehmende Depression", die in direkten kausalen Zusammenhang mit der chronischen, virusreplizierenden Hepatitis C stehe. Unter Berücksichtigung der keineswegs durchgängigen behandlungsbedürftigen psychopathologischen Auffälligkeiten sei ein durchschnittlicher GdB von allenfalls 20 seit der tagesklinischen psychotherapeutischen Behandlung 1989 festzustellen.

Der Senat schließt sich den gutacherlichen Ausführungen des Sachverständigen an. Das Gutachten ist in der Erhebung der Befunde, in der würdigenden Bewertung der Vorgeschichte und der bereits erhobenen Befunde sowie in der Beantwortung der Beweisfragen sachkundig erstellt und auch hinsichtlich der Beantwortung der maßgeblichen Beweisfragen nachvollziehbar und schlüssig. Danach waren bei der Klägerin bei der Bemessung der Behinderung und dem GdB eine chronisch-persistierende Hepatitis und eine psychische Störung zwar zu berücksichtigen. Indessen ergibt sich daraus kein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Insbesondere ergibt sich - entgegen der Ansicht der Klägerin - ein höherer GdB-Wert nicht aufgrund der Lebererkrankung. Diese ist in den angefochtenen Bescheiden mit einem GdB von 30 zutreffend berücksichtigt.

Gemäß Ziff. 26.10 der Anhaltspunkte (S. 100) bestimmt sich der GdB bei einer chronischen Hepatitis danach, ob diese ohne Progression vorliegt; dann kann der GdB mit 20 eingeschätzt werden, oder ob eine chronische Hepatitis mit Progression zu bejahen ist (chronisch-aktive Hepatitis). In diesem Fall kann die MdE bei geringer entzündlicher Aktivität mit einem Teil-GdB von 30 eingeschätzt werden, bei mäßiger entzündlicher Aktivität mit einem Teil-GdB von 40 und bei starker entzündlicher Aktivität je nach Funktionsstörung mit einem GdB zwischen 50 bis 70. Nach den beigezogenen umfangreichen Krankenunterlagen und Gutachten liegt bei der Klägerin eine chronische Hepatitis vor die im Befundbericht von Prof. Dr. B ... als chronisch-aktive Hepatitis mit einer mäßig entzündlichen Aktivität beschrieben ist. Dies würde an sich einen Teil-GdB von 40 rechtfertigen. Allerdings sind andererseits bei dieser Beurteilung auch die so genannten ASAT- und ALAT-Werte (d. h. die Aspartataminotransferase bzw. Alaninamiontransferase, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage 1998) zu berücksichtigen. Der Senat nimmt insoweit ergänzend Bezug auf die Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigen Beirates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom November 1996. Danach bestimmt sich die Frage, ob eine entzündliche-chronische Hepatitis vorliegt, u. a. nach den so genannten Transaminasen-Werten nach ALAT und ASAT, auch wenn diese nur hilfsweise bei der GdB-Beurteilung der Hepatitis-C zu verwenden sind, wenn andere Befunde nicht zu beschaffen sind; dabei ist aber zu beachten, dass nach der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Anti-D-AG" und dem Beirat beim BMA jedenfalls gesteigerte ALAT-Werte nicht zu einem höheren GdB-Wert führen müssen (vgl. Protokoll des BMA vom 28./29.03.200, Bl. 113 LSG-Akte).

Bei ALAT von 0,5 bis 1 ist danach ein GdB von 30, bei ALAT 1 bis 3 ein GdB von 40 und bei ALAT über 3 ein GdB von 50 gerechtfertigt. In einer weiteren Tagung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates vom November 1997 wurde allerdings der GdB-Wert von 30 bei ALAT-Werten von 0,5 bis 1 geändert; der relevante ALAT-Wert beträgt danach 0,5 bis 1,5.

Dies zugrunde gelegt, ergibt sich bei der Klägerin folgendes Bild: Bereits bei der Laboruntersuchung im Städtischen Klinikum St. Georg in L ... vom Januar 1995 betrug der ALAT-Wert 0,9 und der ASAT-Wert 0,6 (vgl. Bl. 7 VA); die Laborparameter im Dezember 1995 des gleichen Institutes betrugen bei ALAT 0,77 und ASAT 0,53 (vgl. Bl. 29 VA). Das Klinikum St. Georg bestätigte im Jahre 1996 (Bl. 44 SG-Akte) ASAT-Werte von 0,73 und ALAT von 1,04 und im März 1996 (Bl. 47 SG-Akte) ALAT-Werte demgegenüber von 0,32 und ASAT-Werte von 0,3. In einer Beurteilung des Bezirkskrankenhauses St. Georg vom November 1991 wird eine chronisch-persistierende Hepatitis C angegeben mit mäßigen Aktivitätszeichen, nämlich ALAT 0,8 (Bl. 58 SG-Akte). Nach den von der Universitätsklinik L ... im Juli 1997 mitgeteilten Laborparametern betrug dort ALAT 0,7 und ASAT 0,5 bei einer "chronisch aggressiven Hepatitis C". Auch Dr. Sch ... bestätigt in ihrem vom SG eingeholten Gutachten ALAT-Werte zwischen 0,5 und 1. Das gleiche Ergebnis spiegelt sich letztendlich auch im Befundbericht von Prof. Dr. B ... wider. Dieser teilt in dem Befundbericht von Mai 2000 Laborparameter mit ALAT-Werten von 0,58 und ASAT-Werte von 0,53 mit. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die ALAT-Werte der Klägerin durchgängig in einem Bereich zwischen 0,5 bis allenfalls 1,0 liegen, so dass nach den obigen Ausführungen insoweit von einer chronischen Hepatitis geringer entzündlicher Aktivität auszugehen ist, die einen Teil-GdB von 30 rechtfertigt.

Hinsichtlich der Beurteilung des Teil-GdB-Wertes für die psychische Störung schließt sich der Senat den Ausführungen erstinstanzlichen Urteils an. Gemäß Ziff. 26.3 der Anhaltspunkte (S. 60) können leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Teil-GdB zwischen 0 bis 20 eingeschätzt werden, stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit einem Teil-GdB zwischen 30 bis 40. Der gerichtliche Sachverständige Dr. Sch ... führt insoweit aus, dass die psychopathologischen Auffälligkeiten einen unterschiedlichen Ausprägungsgrad ohne permanente Behandlungsbedürftigkeit und ohne durchgängige GdB-Relevanz hätten. Vor diesem Hintergrund ist lediglich von einer leichteren psychovegetativen oder psychischen Störung auszugehen, so dass die Einschätzung des Sachverständigen mit einem Teil-GdB von 20 im Einklang mit den Anhaltspunkten steht und rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Soweit die Sachverständige Dr. Sch ... in ihrem Gutachten eine Harnstauung rechts mit einem Teil-GdB von 10 berücksichtigt, handelt es sich im Ergebnis um eine Entleerungsstörung der Blase, welche gem. Ziff. 26.12 der Anhaltspunkte (S. 109) mit einem Teil-GdB von 10 berücksichtigt werden kann. Danach können Entleerungsstörungen der Blase (auch durch Harnröhrenverengung) leichten Grades (z. B. geringe Restharnbildung, längeres Nachträufeln) mit einem Teil-GdB von 10 versorgt werden. Der Senat sieht aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen und nach den obigen Ausführungen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein stärkerer Grad vorliegt.

Da jedoch diese Funktionsstörung somit für sich keinen GdB-Wert von wenigstens 20 erreicht und auch in der Zusammenschau mit den weiteren Funktionsstörungen zu keiner Erhöhung des Gesamt-GdB führt, durfte der Beklagte mit Recht insoweit Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden nicht treffen. Im Übrigen schließt sich der Senat auch der Beurteilung des versorgungsärztlichen Dienstes vom 17.12.1997 (Bl. 122 SG-Akte) an, wonach es sich hinsichtlich der beschriebenen Harnstauung um einen urologischen Befund aus dem Jahre 1990 handelt; die letzte Konsultation ist im Mai 1990 erfolgt und es ist völlig offen, ob die damals festgestellte Uretererweiterung jetzt überhaupt noch vorliegt. Aus den Unterlagen ist nämlich insoweit eine derartige Erkrankung nicht mehr ersichtlich, insbesondere liegen keine weitergehenden urologischen Berichte vor. Auch in dem vom Senat beigezogenen Befundbericht von Dr. K ... wird lediglich ausgeführt, dass im April 1993 eine Reizblase vorgelegen habe.

Unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Funktionsstörungen beträgt der von dem Beklagten festzustellende Gesamt-GdB nicht mehr als 40.

Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB ist gemäß Ziff. 19 der Anhaltspunkte bei Vorliegen mehrerer Funktionsstörungen zwar der jeweilige Einzel-GdB anzugeben. Maßgeblich ist jedoch der Gesamt-GdB, welcher nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt wird, nicht für einzelne Funktionsbeeinträchtigungen. Bei den Teil-GdB-Werten handelt es sich lediglich um Einsatzgrößen, mit denen die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der jeweiligen Einzel-GdB s, die als bloße Messgrößen für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos im Gesamt-GdB aufgehen und nicht in Rechtskraft erwachsen.

Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsstörungen zusammen dürfen nach Ziff. 19 der Anhaltspunkte die einzelnen Teil-GdB-Werte nicht einfach addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-Beeinträchtigung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte. Auch bei leichten Behinderungen mit einem Teil-GdB um 20 ist es regelmäßig nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bestimmung des Gesamt-GdB ist daher in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und damit im Hinblick auf alle weiteren Funktionsstörungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsstörungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Gesamtbehinderung gerecht zu werden.

Unter Berücksichtigung eines höchsten Teil-GdB-Wertes von 30 für die Lebererkrankung und des weiteren Teil-GdB-Wertes von 20 für die psychische Störung und auch unter - wohlwollender - Berücksichtigung einer Harnstauung mit einem Teil-GdB von 10 ist der höchste Teil-GdB-Wert von 30 allenfalls auf 40 zu erhöhen. Insoweit ist daher die erstinstanzliche Entscheidung des SG nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin in ihrem Schreiben vom 29.07.1998 vorgetragenen Schmerzen im Bauchbereich, in den Augen, im Knochenbereich und den Berührungsschmerzen sowie verstärkten Glieder- und Gelenkschmerzen. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf Ziff. 18 Abs. 8 der Anhaltspunkte (S. 32/33). Danach schließen die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte die überlicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände. Gleiches gilt auch für die von der Klägerin vorgetragene Verschlechterung ihres psychischen Zustandes. Auch insoweit nimmt der Senat Bezug auf Ziff. 18 Abs. 8 der Anhaltspunkte. Danach berücksichtigen nämlich die GdB-Werte in der Tabelle auch die üblichen seelischen Begleiterscheinungen; gehen demgegenüber seelische Begleiterscheinungen erheblich über die dem Ausmaß der organischen Veränderungen entsprechenden üblichen seelischen Begleiterscheinungen hinaus, ist eine höhere GdB-Bewertung berechtigt. Der Senat hält indes insoweit die Feststellungen in dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten für ausreichend und die darauf resultierende Berücksichtigung einer psychischen Störung mit einem Teil-GdB von 20 für genügend. Aber selbst bei einer Bemessung der Hepatitis als solche mit einer mäßig entzündlichen Aktivität und somit mit einem Teil-GdB von 40 führt dies nach den obigen Ausführungen nicht zu dem begehrten Gesamt-GdB von wenigstens 50. Insoweit vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass bei Hinzutreten der o. g. weiteren Teilwerte von 20 und 10 eine Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Gesamt-GdB von 50 begehrt werden kann.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved