Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 SB 189/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 70/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 17. November 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte Feststellungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu treffen hat.
Der am ... geborene Kläger beantragte am 05.11.1998 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem SchwbG zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab er starke Rücken- und Knieschmerzen bei mittlerer und schwerer Arbeit an. Der Beklagte holte einen Befundbericht von MR Dr. habil. L ..., von Dr. W ..., Facharzt für HNO-Heilkunde und Allergologie, von Herrn Ku ..., Hautfacharzt, und von Dipl.-Med. Sch ..., Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie, ein. Mit Bescheid vom 29.03.1999 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da beim Kläger Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne des SchwbG nicht vorlägen.
Hiergegen legte der Kläger am 22.04.1999 Widerspruch ein. Er habe Tag und Nacht Schmerzen, die weder durch physiotherapeutische Behandlungen noch durch die Einnahme der vom Orthopäden verschriebenen Medikamente weggingen. Bei jeder schweren Arbeit oder zum Beispiel auch beim kurzzeitigen Tragen seines kleinen Sohnes mit einem Gewicht von derzeit ca. 9,5 kg würden die Schmerzen fast unerträglich. Außerdem habe er eine Sonnenallergie. Der Beklagte holte im Widerspruchsverfahren ein medizinisches Gutachten von Dipl.-Med. V ..., Fachärztin für Orthopädie, vom Versorgungsärztlichen Dienst ein. Ihr gegenüber gab der Kläger an, Rückenschmerzen ständig, Knie- und Genickschmerzen vereinzelt zu haben. Dipl.-Med. V ... konnte beim Kläger weder Funktionsstörungen der Wirbelsäule noch der Kniegelenke feststellen, die einen GdB von wenigstens 10 bedingten. Eine Sonnenallergie werde (durch den Hausarzt) nicht beschrieben. Die beschriebene Rosazea bedinge nach dem vorliegenden Befundbericht und dem Untersuchungsbefund keinen GdB von wenigstens 10. Gestützt hierauf wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.1999 den Widerspruch des Klägers zurück. Ein GdB könne nicht festgestellt werden, da die Auswirkung aller Funktionsbeeinträchtigungen nicht mindestens einen GdB von 20 erreiche.
Mit der am 27.09.1999 beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Seine ständigen Rückenschmerzen seien für einen 42-jährigen Mann keine typische Erscheinung. Die Schmerzen bestünden auch nicht nur vorübergehend, sondern bereits seit dem Frühjahr 1997. Die Behandlungen durch die orthopädischen Ärzte in Form von physiotherapeutischen Maßnahmen, Schmerzmitteln bis zu Spritzen hätten nicht angeschlagen.
Das SG hat Beweis erhoben und ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Prof. Dr. F ... vom 13.06.2000 eingeholt. Dieser stellte beim Kläger nach ambulanter Untersuchung am 09.06.2000 ein lokales Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei geringfügigen degenerativen Veränderungen sowie eine beginnende Patellofemoralarthrose beiderseits ohne Bewegungseinschränkungen fest. Ein GdB sei hierfür nicht anzusetzen.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. F ... mit Gerichtsbescheid vom 17.11.2000 abgewiesen. Funktionsbehinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes könnten nicht festgestellt werden und ein GdB von 20 werde nicht erreicht.
Gegen den am 29.11.2000 mit Einschreiben abgesandten Gerichtsbescheid richtet sich die am 28.12.2000 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers, mit der er das Gutachten von Prof. Dr. F ... anzweifelt. Dieser habe ihn seines Erachtens nicht genügend untersucht. Er habe sich weder Röntgenaufnahmen angesehen noch neue Aufnahmen machen lassen. Seine Bewegungsfreiheit sei weiterhin eingeschränkt und die Schmerzen im Rücken seien oft unerträglich. Bei vielen normalen täglichen Bewegungen trete außerdem ein starkes Stechen im Lendenbereich auf. Die Rückenschmerzen habe er ständig und er sei deswegen sogar bei der Arbeit im Haushalt teilweise überlastet. Aus diesen Gründen sei er nicht überzeugt, dass der GdB nicht die erforderlichen 20 erreiche.
Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene und nicht vertretene Kläger beantragt (sinngemäß),
den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 17.11.2000 und Aufhebung des Bescheides vom 29.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1999 zu verurteilen, bei ihm als Behinderungen "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bewegungseinschränkung der Knie sowie Hauterkrankung" und einen GdB in Höhe von mindestens 20 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers verhandeln und entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 29.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch, Feststellungen nach dem SGB IX zu treffen. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sind geringfügig und bedingen in ihrer Gesamtheit keinen GdB von wenigstens 20.
Der Anspruch des Klägers beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB IX, das gem. Art. 68 Abs. 1 des Gesetzes "Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" am 01.07.2001 in Kraft getreten ist, da für die vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (BSGE 43, 1, 5).
Menschen sind gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden und damit der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgestellten Maßstäbe gelten entsprechend. Für die Beurteilung der Auswirkung einer Behinderung ist demnach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehende Beeinträchtigung den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt und in der Freizeit Berücksichtigung. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ordnet § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB XI an, dass der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigung in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist.
Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichstellung aller Schwerbehinderten, die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP)" in ihrer jeweils geltenden Fassung, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuletzt 1996 herausgegeben hat. Zwar beruhen die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben, dennoch sind sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (vgl. BSGE 72, 285, 286 ff.). Die AHP stellen eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften zur Bemessung sowohl des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung dar. Denn in ihnen ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben. Sie ermöglichen auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung, die dem Gleichheitssatz genügt. Angesichts dessen hat der Senat keine Bedenken, die AHP seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Der Begriff des GdB umfasst im Übrigen nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff, so dass seine Festlegung nicht Aufgabe von Sachverständigen ist. Diese beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die jedoch mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bilden zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9 a/9 RVs 7/89 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten, Feststellungen nach dem SGB IX zu treffen, da die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und dermatologischem Fachgebiet gering sind und entgegen § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX nicht mindestens einen GdB von 20 bedingen.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, d. h. aus allen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, insbesondere aber aus den Gutachten von Dipl.-Med. V ... und Prof. Dr. F ... Danach besteht beim Kläger ein lokales Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei geringfügigen degenerativen Veränderungen, eine beginnende Patellofemoralarthrose beiderseits sowie eine Rosazea. Diese Gesundheitsstörungen bedingen in ihrer Gesamtheit keinen GdB von mindestens 20.
Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule hält der Senat allenfalls einen GdB von 10 für gerechtfertigt. Gemäß Ziff. 26.18 S. 139, 140 AHP ist für Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität ein GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20 und mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 anzusetzen. Aufgrund der beim Kläger vorliegenden Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule hält der Senat entgegen der Auffassung der gerichtlich bestellten Sachverständigen einen GdB von 10, indes nicht von 20 für gerechtfertigt. Die beim Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule vorliegende Bewegungseinschränkung ist geringgradig. Die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen gemessenen Werte betragen nach der Neutral-Null-Methode bei der Rumpflateralflexion und für die Rumpfrotation jeweils 20/0/20. Normalwerte für die Rumpflateralflexion sind 30 bis 40/0/30-40 und für die Rumpfrotation ebenso 30 bis 40/0/30-40 (vgl. Ziff. 8, S. 16 AHP). Das Schober-Zeichen der Lendenwirbelsäule mit 10/15 cm und das Ott sche Zeichen der Brustwirbelsäule mit 30/32 cm entsprechen hingegen den Normalwerten. Die Gegenüberstellung der Werte zeigt, dass beim Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule allenfalls geringe, aber keine mittelgradigen funktionellen Auswirkungen vorliegen, zumal beim Kläger auch keine Zeichen der Instabilität der Lendenwirbelsäule festgestellt werden konnten.
Im Bereich der Kniegelenke liegen entsprechend den Feststellungen von Dipl.-Med. V ... und denen des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine Bewegungseinschränkungen vor, die im Sinne der AHP beachtenswert sind. Die AHP sehen in Ziff. 26.18, S. 151 für eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0/0/90) einen GdB von 0 bis 10 (einseitig) bzw. 10 bis 20 (beidseitig) vor. Die von Prof. Dr. F ... festgestellte Beweglichkeit der Kniegelenke des Klägers beträgt bei Flexion (Beugung)/Extension (Streckung) rechts wie links 130/0/0. Dies entspricht den Werten eines gesunden Kniegelenkes, die 120 bis 150/0/0 betragen.
Die beim Kläger vorliegende Rosazea bedingt ebenso wenig einen GdB. Der Senat folgt insoweit der Bewertung von Frau Dipl.-Med. V ..., die in Übereinstimmung mit den AHP steht. Danach ist bei einer geringen Ausdehnung der Rosazea, die kosmetisch nur wenig störend ist, ein GdB von 0 bis 10 und bei stärkerer Ausdehnung und entstellender Wirkung ein GdB von 20 bis 30 anzusetzen (AHP Ziff. 26.17, S. 130). Bei der Untersuchung durch Frau Dipl.-Med. V ... zeigte die Haut des Gesichts und des gesamten Körpers des Klägers keine Rötung und kein Exanthem. Dementsprechend ist der Grad der Behinderung für die Rosazea mit 0 zu bewerten.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte Feststellungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu treffen hat.
Der am ... geborene Kläger beantragte am 05.11.1998 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem SchwbG zu treffen. Als Gesundheitsstörungen gab er starke Rücken- und Knieschmerzen bei mittlerer und schwerer Arbeit an. Der Beklagte holte einen Befundbericht von MR Dr. habil. L ..., von Dr. W ..., Facharzt für HNO-Heilkunde und Allergologie, von Herrn Ku ..., Hautfacharzt, und von Dipl.-Med. Sch ..., Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie, ein. Mit Bescheid vom 29.03.1999 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da beim Kläger Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne des SchwbG nicht vorlägen.
Hiergegen legte der Kläger am 22.04.1999 Widerspruch ein. Er habe Tag und Nacht Schmerzen, die weder durch physiotherapeutische Behandlungen noch durch die Einnahme der vom Orthopäden verschriebenen Medikamente weggingen. Bei jeder schweren Arbeit oder zum Beispiel auch beim kurzzeitigen Tragen seines kleinen Sohnes mit einem Gewicht von derzeit ca. 9,5 kg würden die Schmerzen fast unerträglich. Außerdem habe er eine Sonnenallergie. Der Beklagte holte im Widerspruchsverfahren ein medizinisches Gutachten von Dipl.-Med. V ..., Fachärztin für Orthopädie, vom Versorgungsärztlichen Dienst ein. Ihr gegenüber gab der Kläger an, Rückenschmerzen ständig, Knie- und Genickschmerzen vereinzelt zu haben. Dipl.-Med. V ... konnte beim Kläger weder Funktionsstörungen der Wirbelsäule noch der Kniegelenke feststellen, die einen GdB von wenigstens 10 bedingten. Eine Sonnenallergie werde (durch den Hausarzt) nicht beschrieben. Die beschriebene Rosazea bedinge nach dem vorliegenden Befundbericht und dem Untersuchungsbefund keinen GdB von wenigstens 10. Gestützt hierauf wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.1999 den Widerspruch des Klägers zurück. Ein GdB könne nicht festgestellt werden, da die Auswirkung aller Funktionsbeeinträchtigungen nicht mindestens einen GdB von 20 erreiche.
Mit der am 27.09.1999 beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Seine ständigen Rückenschmerzen seien für einen 42-jährigen Mann keine typische Erscheinung. Die Schmerzen bestünden auch nicht nur vorübergehend, sondern bereits seit dem Frühjahr 1997. Die Behandlungen durch die orthopädischen Ärzte in Form von physiotherapeutischen Maßnahmen, Schmerzmitteln bis zu Spritzen hätten nicht angeschlagen.
Das SG hat Beweis erhoben und ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Prof. Dr. F ... vom 13.06.2000 eingeholt. Dieser stellte beim Kläger nach ambulanter Untersuchung am 09.06.2000 ein lokales Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei geringfügigen degenerativen Veränderungen sowie eine beginnende Patellofemoralarthrose beiderseits ohne Bewegungseinschränkungen fest. Ein GdB sei hierfür nicht anzusetzen.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. F ... mit Gerichtsbescheid vom 17.11.2000 abgewiesen. Funktionsbehinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes könnten nicht festgestellt werden und ein GdB von 20 werde nicht erreicht.
Gegen den am 29.11.2000 mit Einschreiben abgesandten Gerichtsbescheid richtet sich die am 28.12.2000 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers, mit der er das Gutachten von Prof. Dr. F ... anzweifelt. Dieser habe ihn seines Erachtens nicht genügend untersucht. Er habe sich weder Röntgenaufnahmen angesehen noch neue Aufnahmen machen lassen. Seine Bewegungsfreiheit sei weiterhin eingeschränkt und die Schmerzen im Rücken seien oft unerträglich. Bei vielen normalen täglichen Bewegungen trete außerdem ein starkes Stechen im Lendenbereich auf. Die Rückenschmerzen habe er ständig und er sei deswegen sogar bei der Arbeit im Haushalt teilweise überlastet. Aus diesen Gründen sei er nicht überzeugt, dass der GdB nicht die erforderlichen 20 erreiche.
Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene und nicht vertretene Kläger beantragt (sinngemäß),
den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 17.11.2000 und Aufhebung des Bescheides vom 29.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1999 zu verurteilen, bei ihm als Behinderungen "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bewegungseinschränkung der Knie sowie Hauterkrankung" und einen GdB in Höhe von mindestens 20 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers verhandeln und entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 29.03.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1999 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch, Feststellungen nach dem SGB IX zu treffen. Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen sind geringfügig und bedingen in ihrer Gesamtheit keinen GdB von wenigstens 20.
Der Anspruch des Klägers beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB IX, das gem. Art. 68 Abs. 1 des Gesetzes "Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" am 01.07.2001 in Kraft getreten ist, da für die vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist (BSGE 43, 1, 5).
Menschen sind gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden und damit der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgestellten Maßstäbe gelten entsprechend. Für die Beurteilung der Auswirkung einer Behinderung ist demnach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehende Beeinträchtigung den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt und in der Freizeit Berücksichtigung. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ordnet § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB XI an, dass der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigung in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist.
Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichstellung aller Schwerbehinderten, die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP)" in ihrer jeweils geltenden Fassung, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuletzt 1996 herausgegeben hat. Zwar beruhen die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben, dennoch sind sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (vgl. BSGE 72, 285, 286 ff.). Die AHP stellen eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften zur Bemessung sowohl des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung dar. Denn in ihnen ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben. Sie ermöglichen auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung, die dem Gleichheitssatz genügt. Angesichts dessen hat der Senat keine Bedenken, die AHP seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Der Begriff des GdB umfasst im Übrigen nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff, so dass seine Festlegung nicht Aufgabe von Sachverständigen ist. Diese beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die jedoch mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bilden zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streitfall den Gerichten obliegt (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9 a/9 RVs 7/89 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 1).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten, Feststellungen nach dem SGB IX zu treffen, da die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und dermatologischem Fachgebiet gering sind und entgegen § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX nicht mindestens einen GdB von 20 bedingen.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, d. h. aus allen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, insbesondere aber aus den Gutachten von Dipl.-Med. V ... und Prof. Dr. F ... Danach besteht beim Kläger ein lokales Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei geringfügigen degenerativen Veränderungen, eine beginnende Patellofemoralarthrose beiderseits sowie eine Rosazea. Diese Gesundheitsstörungen bedingen in ihrer Gesamtheit keinen GdB von mindestens 20.
Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule hält der Senat allenfalls einen GdB von 10 für gerechtfertigt. Gemäß Ziff. 26.18 S. 139, 140 AHP ist für Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität ein GdB von 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20 und mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 anzusetzen. Aufgrund der beim Kläger vorliegenden Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule hält der Senat entgegen der Auffassung der gerichtlich bestellten Sachverständigen einen GdB von 10, indes nicht von 20 für gerechtfertigt. Die beim Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule vorliegende Bewegungseinschränkung ist geringgradig. Die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen gemessenen Werte betragen nach der Neutral-Null-Methode bei der Rumpflateralflexion und für die Rumpfrotation jeweils 20/0/20. Normalwerte für die Rumpflateralflexion sind 30 bis 40/0/30-40 und für die Rumpfrotation ebenso 30 bis 40/0/30-40 (vgl. Ziff. 8, S. 16 AHP). Das Schober-Zeichen der Lendenwirbelsäule mit 10/15 cm und das Ott sche Zeichen der Brustwirbelsäule mit 30/32 cm entsprechen hingegen den Normalwerten. Die Gegenüberstellung der Werte zeigt, dass beim Kläger im Bereich der Lendenwirbelsäule allenfalls geringe, aber keine mittelgradigen funktionellen Auswirkungen vorliegen, zumal beim Kläger auch keine Zeichen der Instabilität der Lendenwirbelsäule festgestellt werden konnten.
Im Bereich der Kniegelenke liegen entsprechend den Feststellungen von Dipl.-Med. V ... und denen des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine Bewegungseinschränkungen vor, die im Sinne der AHP beachtenswert sind. Die AHP sehen in Ziff. 26.18, S. 151 für eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0/0/90) einen GdB von 0 bis 10 (einseitig) bzw. 10 bis 20 (beidseitig) vor. Die von Prof. Dr. F ... festgestellte Beweglichkeit der Kniegelenke des Klägers beträgt bei Flexion (Beugung)/Extension (Streckung) rechts wie links 130/0/0. Dies entspricht den Werten eines gesunden Kniegelenkes, die 120 bis 150/0/0 betragen.
Die beim Kläger vorliegende Rosazea bedingt ebenso wenig einen GdB. Der Senat folgt insoweit der Bewertung von Frau Dipl.-Med. V ..., die in Übereinstimmung mit den AHP steht. Danach ist bei einer geringen Ausdehnung der Rosazea, die kosmetisch nur wenig störend ist, ein GdB von 0 bis 10 und bei stärkerer Ausdehnung und entstellender Wirkung ein GdB von 20 bis 30 anzusetzen (AHP Ziff. 26.17, S. 130). Bei der Untersuchung durch Frau Dipl.-Med. V ... zeigte die Haut des Gesichts und des gesamten Körpers des Klägers keine Rötung und kein Exanthem. Dementsprechend ist der Grad der Behinderung für die Rosazea mit 0 zu bewerten.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
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