Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 214/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 22/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 24.11.1999 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Innenohrschwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit und um die Gewährung einer Verletztenrente.
Der am ... geborene Kläger war von Dezember 1962 bis 1971 als Reparaturschlosser tätig, von 1972 bis 1987 als Stahlbauschlosser und von 1988 bis 20.07.1990 als Hausmeister und Pförtner. Ab 23.07.1990 war er im sog. Vorruhestand, seit 01.11.1993 ist er Altersrentner.
Aufgrund einer Berufskrankheitenanzeige seines früheren Arbeitgebers vom 11.04.1995, bei der Bau-BG S ...-B ... am 21.04.1995 und bei der Beklagten am 06.06.1995 eingegangen, leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein. In der Berufskrankheitenanzeige ist vermerkt, dass der Verdacht auf eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit bestehe. Ferner leide der Kläger seit ca. 1985 unter Pfeifgeräuschen in den Ohren. Am 25.10.1995 wurde durch die Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. S ... eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet, in der als Diagnose eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit bds. vermerkt ist. Nach Angaben des Klägers bestehen seit ca. 1980 Ohrgeräusche; er sei wegen der Schwerhörigkeit und der Ohrgeräusche seit 1985 in ärztlicher Behandlung. (12R, 75R VerwAkte, 2 SG-Akte).
Die Beklagte ließ durch ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) eine Arbeitsplatzlärmanalyse erstellen (Bl. 40 ff. VwAkte), in der für die Zeit von Dezember 1962 bis Ende 1987 von einem Beurteilungspegel im Bereich 86 bis 89 db(A) ausgegangen wird. Für die Zeit ab 1988 liege der Beurteilungspegel unter 85 dB(A).
Im Rahmen ihrer medizinischen Ermittlungen zog die Beklagte auch einen Arztbrief nebst Audiogramm vom 09.04.1986 und ein Audiogramm vom 20.04.1977 bei (Bl. 95 f. VwAkte). In dem Arztbrief ist u. a. vermerkt "BK 50 unter 20 % ...Meldung nicht erforderlich.".
Ferner gab die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten bei Herrn Dr. G ... in Auftrag. Dr. G ... schätzte im Gutachten vom 21.05.1996 (113 ff. VwAkte) die beruflich bedingte MdE mit 20 v. H. Er legte dabei Sprach- und Tonaudiogramme vom 14.05.1995 zugrunde. In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 25.06.1996 wies der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. F ... darauf hin, dass die MdE aufgrund der von Dr. G ... erhobenen Werte nicht auf 20 %, sondern auf 15 % zu schätzen sei. (Bl. 117 ff. VwAkte)
Mit Bescheid vom 02.10.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskranheit ab. Anzuwenden sei das Recht der DDR; hiernach müsse aufgrund der beruflich bedingten Schwerhörigkeit eine MdE von mindestens 20 v. H. vorliegen. Eine Entschädigung nach der Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) kommt nicht in Betracht, da die Lärmgefährdung 1987 geendet habe.
Nachdem der Kläger Widerspruch eingelegt hatte gegen den Bescheid, zog die Beklagte weitere Audiogramme von 1994 bei (Bl. 138 ff. VwAkte). In einer zweiten gutachterlichen Stellungnahme vom 20.01.1997 schätzte Dr. F ... die MdE (auch) aufgrund dieser Audiogramme wiederum mit 15 % (Bl. 144 ff. VwAkte). In einem Gutachten vom 29.06.1997, nach Aktenlage erstellt von Dr. E ..., HNO-Arzt, führte dieser aus, dass nach den Tonaudiogrammen von 1986 und von 1994 die MdE mit 15 % zu schätzen sei. Da die Hörverluste aus den Tonschwellenaudiogrammen in aller Regel zu hoch ausfielen, sei jedoch eher eine MdE von 10 % zu schätzen. Die Lärmschwerhörigkeit sei beruflich bedingt. Insgesamt schätzte er die MdE mit 10 - 15 % und empfahl eine erneute Begutachtung. Hierauf wurde nach einer Untersuchung am 22.08.1997 ein weiteres Gutachten von Prof. Dr. B ... erstellt, der ebenfalls eine MdE von 15 % für gegeben hielt. Mit Bescheid vom 16.09.1998 wies die Beklagte daraufhin des Widerspruch des Klägers zurück.
Am 01.10.1998 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Das SG hat im Rahmen seiner medizinischen Ermittlungen ein Gutachten bei Prof. Dr. M ... eingeholt (Bl. 67 ff. SG-Akte). Im Gutachten vom 23.07.1999 hat Dr. M ... die MdE für 1986 aufgrund des Tonaudiogrammes aus diesem Jahr auf 10 - 15 % geschätzt. Dem Gutachten von Dr. G ... könne nicht gefolgt werden, da z.T. Werte falsch übernommen worden seien und z.T. Schallleitungsanteile nicht berücksichtigt worden seien. Richtigerweise sei eine MdE von 15 - 20 % für das Sprachaudiogramm 1994 zu veranschlagen. Unter Einbezug der Lärmpause seit 1987 und der Berücksichtigung des Tonaudiogrammes 1986 sei allerdings 1994 eine MdE-Schätzung von 15 % angemessen gewesen. Er selbst habe - 12 Jahre nach dem Ende der Lärmexposition - eine MdE von 20 % ermittelt. Zusammenfassend werde auch heute in Auswertung der vorliegenden Befunde und der eigenen Untersuchungen eine MdE von 15 % für 1987 vorgeschlagen. Die "20 %-Grenze" werde sicher unterschritten. Da Ohrgeräusche nach dem Recht der DDR erst dann in die Ermittlung des Körperschadens erhöhend hätten einbezogen werden können, wenn die MdE aus dem Hörverlust allein 20 % betragen habe, könnten die Ohrgeräusche des Klägers nicht erhöhend einbezogen werden.
Das SG hat mit Urteil vom 24.11.1999, der Beklagten zugestellt am 18.01.2000, die Beklagte verpflichtet, die Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht einschlägig sei. Die Vorschrift formuliere einen Bestandsschutz für all jene Unfälle und Krankheiten, die bereits durch die Sozialversicherung der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten anerkannt worden seien. Nur eine solche Auslegung sei nach Ansicht der Kammer mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO sei nicht einschlägig. Somit verbleibe es bei der Anwendung des Rechts der RVO mit der Folge, dass der Klage stattgegeben werden müsse. Hinsichtlich der Urteilsbegründung im Einzelnen wird auf das Urteil des SG verwiesen.
Die Beklagte hat zur Begründung der von ihr am 04.02.2000 eingelegten Berufung ausgeführt, dass ihrer Ansicht nach entgegen der vom SG vertretenen Rechtsauffassung § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO anzuwenden sei (Bl. 1 ff. der Akte des Sächs.LSG). Somit müssten sowohl die Kriterien aus dem Recht der DDR als auch nach dem Recht der BRD für die Anerkennung der Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" gegeben sein. Die Auswertung des Tonaudiogrammes von 1986 ergebe vorliegend eine MdE von 10 bis 15 %. Der als beruflich bedingt zu beurteilende Tinnitus führe nicht zu einer MdE von 20 v. H.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 24.11.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und ihm im Wege der Anschlussbe rufung eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. ab 01.01.1992 zu gewähren.
Er hat mitgeteilt, dass er auf ein gerechtes Urteil hoffe.
Der Senat hat mit Beschluss vom 08.01.2001 die AOK Sachsen zum Verfahren beigeladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.02.2001 hat sich der Kläger mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 10.05.2001, die Beigeladene mit Schriftsatz vom 07.05.2001 erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben, da der Bescheid der Beklagten vom 02.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1998 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1150 Reichsversicherungsodnung (RVO), da der Versicherungsfall nur vor dem 31.12.1991 eingetreten sein kann.
Gemäß § 1150 Abs. 1 RVO gelten die §§ 548 ff., die leistungsrechtlichen Vorschriften der RVO, im Beitrittsgebiet grundsätzlich nur für Arbeitsunfälle (einschließlich der Berufskrankheiten; § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO), die nach dem 31.12.1991 eingetreten sind. Dagegen gelten gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, nur dann als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO, wenn sie nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren.
§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO regelt weiter, dass dies nicht für Unfälle und Krankheiten gilt, die einem ab 01.01.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären. Der Antrag des Klägers ist der Beklagten frühestens am 21.04.1995 in diesem Sinne bekannt geworden. Wegen der Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 RVO stehen dem Kläger Ansprüche aufgrund einer bei ihm vorliegenden Lärmschwerhörigkeit nach Ansicht des Senates nur dann zu, wenn seine Erkrankung eine Berufskrankheit (BK) sowohl nach dem insoweit maßgeblichen DDR-Recht als auch nach dem Dritten Buches der RVO ist. Nach dem auch den Überleitungsvorschriften zugrunde liegenden Versicherungsfallprinzip ist maßgeblich für die Anwendung des jeweiligen Rechts der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles. Vor dem 01.01.1992 galten für den Kläger noch die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der ehemaligen DDR: § 221 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) i.V.m. § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26.12.1981 (GBl. I Nr. 12 S. 137 - BKV-DDR -) i.V.m. Nr. 50 der Anl. 1 zur 1. Durchführungsbestimmung der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (Liste der Berufskrankheiten) vom 21.04.1981 (GBl. I Nr 12 S. 139; ber. Nr. 25 S. 312 - 1. DB BKV-DDR -).
Entscheidend für den Eintritt einer Berufskrankheit im Sinne des § 1150 RVO ist der Zeitpunkt des Versicherungsfalles (Ricke in: Kasseler Kommentar § 1150 RVO Rdnr. 2). Darunter ist der Zeitpunkt zu verstehen, zu dem sich die Gefährdungen realisiert haben, vor denen die gesetzliche Unfallversicherung Schutz gewähren soll, somit der Eintritt jedes Gesundheitsschadens, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale einer Berufskrankheit erfüllt (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 SGB VII Rn. 42 S. 97 m. w. N.). Auf die nur den sogenannten Leistungsfall betreffende Regelung des § 551 Abs. 3 Satz 2 RVO kommt es dagegen nicht an (BSG, SozR 2200 § 551 Nr. 35).
Im vorliegenden Fall besteht darüber hinaus die Besonderheit, dass § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR i. V. m. der - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden - Nr. 50 der hierzu ergangenen Liste der Berufskrankheiten vom 21. April 1981 das Bestehen einer durch Lärm verursachten Schwerhörigkeit "mit sozialer Bedeutung" voraussetzte. In der genannten Liste wurde der Begriff der sozialen Bedeutung dahingehend näher definiert, dass es sich um eine Hörschädigung handeln müsse, die zu Verständnisschwierigkeiten mit anderen Personen führe. In der Begutachtungspraxis der DDR wurde das Vorliegen einer Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung - abgesehen von besonderen, hier nicht vorliegenden Fallkonstellationen wie z. B. Unverträglichkeit von Gehörschutz - nur anerkannt, wenn nach den Ergebnissen der audiometrischen Untersuchung ein Körperschaden von mindestens 20 % aus ihr resultierte (siehe Abschnitt V der Richtlinie zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden [BK-Nr. 50], in: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Gesundheitswesen, 1989, Nr. 6, Seite 57, abgedruckt in: Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer [1945 bis 1990], Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, Anhang B 2.4.3 Seite 271; ebenso bereits die am 1. Oktober 1985 in Kraft getretene Empfehlung der Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie und cervikofaziale Chirurgie der DDR für die Begutachtung von Hörschäden - speziell der BK 50, aaO. Anhang B 2.4.2 Seite 264 unten).
Aus sozialmedizinischer Sicht ist darüber hinaus weiterhin zu berücksichtigen, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der beruflichen Lärmeinwirkung nur noch altersentsprechend fortschreiten kann mit der Folge, dass eine nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit eingetretene Hörverschlechterung nicht mehr auf diese zurückgeführt werden kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998, S. 389; Mehrtens/Perlebach, aaO., Anmerkung 2 zu Abschn. M 2301 S. 32).
Da der Kläger seit 1988 als Pförtner und Hausmeister mit einer Lärmbelastung von weniger als 85 dB(A) tätig war und sich seit dem 23.07.1990 im Vorruhestand befand, war er nach 1987 keiner relevanten beruflichen Lärmbelastung mehr ausgesetzt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO., S. 388). Somit kann sich bei ihm eine durch beruflichen Lärm verursachte Schwerhörigkeit nur bis zum 31.12.1987 entwickelt haben. Eine mögliche spätere Verschlechterung seines Hörvermögens kann nach dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand nicht mehr mit der beruflichen Lärmeinwirkung zusammenhängen. Deshalb ist vorliegend eine Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" jedenfalls vor dem 01.01.1992 eingetreten.
Daraus folgt jedoch gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO, dass eine Anerkennung und Entschädigung dieser Erkrankung nur dann möglich ist, wenn sie (auch) nach den im Beitrittsgebiet geltenden Recht eine Berufskrankheit im Sinne der Sozialversicherung dargestellt hat. Dem steht auch nicht § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO entgegen, wonach es bei Unfällen und Krankheiten, die einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden, darüber hinaus darauf ankommt, ob diese auch nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen wären. In diesen Fällen muss zusätzlich eine Prüfung nach dem Recht der RVO stattfinden. Stellt eine nach dem genannten Stichtag bekannt gewordene Erkrankung eine Berufskrankheit nach dem Dritten Buch der RVO dar, nicht aber nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht, so scheitert demnach eine Anerkennung und Entschädigung bereits an § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO.
Der Kläger leidet, wie sich aus allen vorhandenen medizinischen Unterlagen ergibt, an einer Innenohrschwerhörigkeit. Eine Anerkennung und Entschädigung dieser Schwerhörigkeit als Berufskrankheit kommt, wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, nur dann in Betracht, wenn beim Kläger spätestens am 31.12.1987 eine lärmbedingte Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung vorgelegen hat. Voraussetzung insoweit ist, wie oben ausgeführt, das Bestehen eines berufsbedingten Körperschadens von mindestens 20 %. Ein solcher steht für den hier maßgeblichen Zeitpunkt 31.12.1987 jedoch nicht zur Überzeugung des Senates fest.
Da die Lärmschwerhörigkeit ihre volle Ausprägung bei Beendigung der beruflichen Lärmeinwirkung erreicht hat, ist bei der Beurteilung ihres Ausmaßes grundsätzlich auf den Befund abzustellen, der dem Ende der Lärmarbeit zeitlich am nächsten liegt (Mehrtens/Perlebach, aaO.). Dies ist vorliegend das Tonaudiogramm vom 09.04.1986 (Bl. 95 VwAkte), dessen Werte in der Einschätzung vom 09.04.1986 eine lärmbedingte MdE unter 20 % ergaben (Bl. 96 VwAkte).
Auch der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, dass das Hörvermögen des Klägers bereits im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Berufsleben in dem Ausmaß geschädigt war, d.h.: der berufsbedingte Lärm einen Hörverlust in der Größe verursachte, dass sich daraus ein Körperschaden von 20 % ableiten ließe. Dies beruht im Wesentlichen darauf, daß die Hörschädigung zu jener Zeit nur unzureichend dokumentiert ist. Es liegen im Wesentlichen nur zwei Tonaudiogramme vor. Es war aber auch nach der gutachterlichen Praxis der DDR für die Bestimmung des Hörverlustes und damit für die Entscheidung darüber, ob ein Körperschaden von 20 % erreicht wird, regelmäßig die Erstellung eines Sprachaudiogrammes erforderlich (s. Joachim Steps, Die Begutachtenspraxis der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit, Berlin 1982, S. 80). Eine mathematische Umrechnung der Werte des Tonaudiogramms auf das Sprachaudiogramm ist nicht möglich, weil die Entstehungsweise zu unterschiedlich ist und sich eine Messung dann ohnehin erübrigte. Es hat der Kläger selbst zu dieser Situation dadurch beigetragen, daß er sich seinerzeit mit einer Ablehnung zufrieden gab. Die damals versäumten Untersuchungen können heute nicht mehr nachgeholt werden. Hinzu kommt, daß die exakte Hörprüfung mit einer Vielzahl von Fehlerquellen verbunden ist, so daß auch diesem Grunde ein einzelnes Tonaudiogramm nicht ausreicht für die Entscheidung darüber, ob eine Lärmschwerhörigkeit bereits die erforderliche Grenze von 20 % erreicht hat.
Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Ohrgeräusche ist eine andere Entscheidung nicht möglich, da nach dem Recht der DDR zwar der Grad eines berufsbedingten Körperschadens bei Vorliegen entsprechender Ohrgeräusche um 5 - 10 % erhöht werden konnte, jedoch nicht, um einen Körperschaden von 20 % zu erreichen (Steps, aaO., S. 133).
Dass, soweit in den später erstellten Gutachten und gutachterlichen Stellungnahmen das Tonaudiogramm von 1986 erneut interpretiert worden ist, die Einschätzung einer unter 20 v.H. liegenden MdE geteilt wird (gutachterliche Stellungnahme Dr. F ... vom 20.01.1997, Bl. 146 VwAkte; Gutachten Dr. E ... vom 29.06.1997,Bl. 164 VwAkte; Gutachten Prof. M ... vom 23.07.1999, Bl. 74 SG-Akte), ist hingegen ohne weitere Bedeutung, da diese Gutachter bei der Ermittlung des prozentualen Hörvergen nicht von den in der DDR verwendeten Tabellen ausgegangen sind.
Somit scheitert eine Anerkennung der beim Kläger bestehenden Innenohrschwerhörigkeit als Berufskrankheit schon daran, dass diese keine Berufskrankheit nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht darstellt (§ 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO) mit der Folge, dass die (Ausnahme)Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht zu prüfen ist.
Der Senat folgt nicht der Argumentation im Urteil des SG, soweit dieses ausführt, dass sich § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO nur auf bereits von der Sozialversicherung der DDR anerkannte Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beziehe und dass § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO so zu verstehen sei, dass nur dann, wenn ein Anspruch nach dem Recht der RVO nicht bestehe, eine Prüfung nach dem Recht der DDR vorzunehmen sei. Nach Ansicht des Senates steht der Wortlaut der Vorschriften der von ihm - dem Senat - vorgenommenen Auslegung der Vorschrift nicht entgegen; ferner entspricht seine Auslegung den Anforderungen des Versicherungsfallsprinzips. Auch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vermag der Senat bei seiner Auslegung der Vorschriften nicht zu sehen.
Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), soweit dieses in seiner Entscheidung vom 18.04.2000 (Az.: B 2 U 30/99 R) in Übereinstimmung und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschriften der §§ 1150 ff. RVO Stellung genommen hat.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere Gruppe von Normadressaten behandelt wird, obwohl zwischen der einen und der anderen Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st. RS des BVerfG, z. B. BVerfGE 55, 72, 88 m. w. N; 91, 346, 363). Ein Verstoß hiergegen wäre nur dann anzunehmen, wenn es der Gesetzgeber versäumt hätte, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam wären, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müßten. Derartige Versäumnisse sind jedoch nicht ersichtlich.
Der Gesetzgeber hielt sich bei der Art und Weise, wie er die Verhältnisse im Einigungsvertrag (EinigVtr) regelte (z. B. mit Stichtagsregelungen), in den Grenzen der ihm zukommenden weiten Gestaltungsfreiheit (vgl. BSGE 79, 23). Deren Einhaltung kann gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland das Ziel "klar verfehlt haben" (BVerfGE 94, 297, 312; BSGE 79, 23, 25 = SozR 3 aaO). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Gesetzgeber beabsichtigte, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um das Unfallversicherungsrecht der ehemaligen DDR an das der Bundesrepublik Deutschland anzugleichen (Art. 30 Abs. 5 Satz 3 EinigVtr). Diesem Ziel sollten die §§ 1148 ff. RVO durch Übernahme aller vor dem 01.01.1992 eingetretenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten aus der Sozialversicherung des Beitrittsgebietes dienen, wobei bestimmte Grundsätze (Versicherungsfallprinzip, Gleichbehandlung, Vertrauensschutz, Verwaltungspraktikabilität) beachtet werden sollten (vgl. BT-Drucks. 12/405, S. III und S. 116). Diesen Zielen hat der Gesetzgeber nach Ansicht des Senates in angemessener Weise berücksichtigt. Die Vorschriften führten zur Übernahme aller bis zum 31.12.1991 im Beitrittsgebiet eingetretenen Versicherungsfälle (Vertrauensschutz) mittels praktikabler Stichtagsregelungen (Verwaltungspraktikabilität) und unter Berücksichtigung des Versicherungsfallprinzips, d. h des im Zeitpunkt des Versicherungsfalles maßgeblichen Rechts. Soweit es durch Stichtagsregelungen wie die des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO in Einzelfällen zu Härten für den von der Stichtagsregelung Betroffenen kommt, sind dieser bei einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und grundsätzlich hinzunehmen (BVerfGE 13, 21, 29; BVerfG SozR 5050 § 22 Nr 16).
Eine sachwidrige Ungleichbehandlung besteht auch nach Ansicht des Senates nicht gegenüber Versicherten mit nach dem 31.12.1991 eingetretenen Arbeitsunfällen (§ 1150 Abs. 1 RVO), auf welche die Regelungen der RVO direkt anwendbar sind, da es sich hier um eine Stichtagsregelung im Interesse einer Vereinheitlichung handelt. Wie bereits dargelegt müssen durch solche Stichtagsregelungen zwangsläufig entstehende Härten regelmäßig hingenommen werden. Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen. Die Wahl des Zeitpunkts muss sich allerdings am gegebenen Sachverhalt orientieren, darf also nicht willkürlich sein (vgl BVerfGE 87, 1, 43 mwN; BVerfG SozR 3-5070 § 12a Nr. 1). Dies ist hier jedoch der Fall, denn ab dem 01.01.1992 sollte die RVO im gesamten Bundesgebiet uneingeschränkt auf alle nach diesem Zeitpunkt eintretenden unfallversicherungsrechtlich relevanten Ereignisse Anwendung finden (§ 1148 RVO; BT-Drucks 12/405, S. III); es ist nicht ersichtlich, dass dies sachwidrig wäre oder dass ein anderer Zeitpunkt für diese zur Schaffung der Rechtseinheit notwendige Maßnahme allein in Betracht gekommen wäre. Auch sieht der Senat keine sachwidrige Ungleichbehandlung darin, dass vor dem 01.01.1992 eingetretene Versicherungsfälle, die den jetzigen Unfallversicherungsträgern jedoch erst nach dem 01.01.1993 bekannt werden, von im Beitrittsgebiet lebenden Versicherten (auch) nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Innenohrschwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit und um die Gewährung einer Verletztenrente.
Der am ... geborene Kläger war von Dezember 1962 bis 1971 als Reparaturschlosser tätig, von 1972 bis 1987 als Stahlbauschlosser und von 1988 bis 20.07.1990 als Hausmeister und Pförtner. Ab 23.07.1990 war er im sog. Vorruhestand, seit 01.11.1993 ist er Altersrentner.
Aufgrund einer Berufskrankheitenanzeige seines früheren Arbeitgebers vom 11.04.1995, bei der Bau-BG S ...-B ... am 21.04.1995 und bei der Beklagten am 06.06.1995 eingegangen, leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein. In der Berufskrankheitenanzeige ist vermerkt, dass der Verdacht auf eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit bestehe. Ferner leide der Kläger seit ca. 1985 unter Pfeifgeräuschen in den Ohren. Am 25.10.1995 wurde durch die Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. S ... eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet, in der als Diagnose eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit bds. vermerkt ist. Nach Angaben des Klägers bestehen seit ca. 1980 Ohrgeräusche; er sei wegen der Schwerhörigkeit und der Ohrgeräusche seit 1985 in ärztlicher Behandlung. (12R, 75R VerwAkte, 2 SG-Akte).
Die Beklagte ließ durch ihren Technischen Aufsichtsdienst (TAD) eine Arbeitsplatzlärmanalyse erstellen (Bl. 40 ff. VwAkte), in der für die Zeit von Dezember 1962 bis Ende 1987 von einem Beurteilungspegel im Bereich 86 bis 89 db(A) ausgegangen wird. Für die Zeit ab 1988 liege der Beurteilungspegel unter 85 dB(A).
Im Rahmen ihrer medizinischen Ermittlungen zog die Beklagte auch einen Arztbrief nebst Audiogramm vom 09.04.1986 und ein Audiogramm vom 20.04.1977 bei (Bl. 95 f. VwAkte). In dem Arztbrief ist u. a. vermerkt "BK 50 unter 20 % ...Meldung nicht erforderlich.".
Ferner gab die Beklagte ein HNO-ärztliches Gutachten bei Herrn Dr. G ... in Auftrag. Dr. G ... schätzte im Gutachten vom 21.05.1996 (113 ff. VwAkte) die beruflich bedingte MdE mit 20 v. H. Er legte dabei Sprach- und Tonaudiogramme vom 14.05.1995 zugrunde. In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 25.06.1996 wies der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. F ... darauf hin, dass die MdE aufgrund der von Dr. G ... erhobenen Werte nicht auf 20 %, sondern auf 15 % zu schätzen sei. (Bl. 117 ff. VwAkte)
Mit Bescheid vom 02.10.1996 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit als Berufskranheit ab. Anzuwenden sei das Recht der DDR; hiernach müsse aufgrund der beruflich bedingten Schwerhörigkeit eine MdE von mindestens 20 v. H. vorliegen. Eine Entschädigung nach der Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) kommt nicht in Betracht, da die Lärmgefährdung 1987 geendet habe.
Nachdem der Kläger Widerspruch eingelegt hatte gegen den Bescheid, zog die Beklagte weitere Audiogramme von 1994 bei (Bl. 138 ff. VwAkte). In einer zweiten gutachterlichen Stellungnahme vom 20.01.1997 schätzte Dr. F ... die MdE (auch) aufgrund dieser Audiogramme wiederum mit 15 % (Bl. 144 ff. VwAkte). In einem Gutachten vom 29.06.1997, nach Aktenlage erstellt von Dr. E ..., HNO-Arzt, führte dieser aus, dass nach den Tonaudiogrammen von 1986 und von 1994 die MdE mit 15 % zu schätzen sei. Da die Hörverluste aus den Tonschwellenaudiogrammen in aller Regel zu hoch ausfielen, sei jedoch eher eine MdE von 10 % zu schätzen. Die Lärmschwerhörigkeit sei beruflich bedingt. Insgesamt schätzte er die MdE mit 10 - 15 % und empfahl eine erneute Begutachtung. Hierauf wurde nach einer Untersuchung am 22.08.1997 ein weiteres Gutachten von Prof. Dr. B ... erstellt, der ebenfalls eine MdE von 15 % für gegeben hielt. Mit Bescheid vom 16.09.1998 wies die Beklagte daraufhin des Widerspruch des Klägers zurück.
Am 01.10.1998 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Das SG hat im Rahmen seiner medizinischen Ermittlungen ein Gutachten bei Prof. Dr. M ... eingeholt (Bl. 67 ff. SG-Akte). Im Gutachten vom 23.07.1999 hat Dr. M ... die MdE für 1986 aufgrund des Tonaudiogrammes aus diesem Jahr auf 10 - 15 % geschätzt. Dem Gutachten von Dr. G ... könne nicht gefolgt werden, da z.T. Werte falsch übernommen worden seien und z.T. Schallleitungsanteile nicht berücksichtigt worden seien. Richtigerweise sei eine MdE von 15 - 20 % für das Sprachaudiogramm 1994 zu veranschlagen. Unter Einbezug der Lärmpause seit 1987 und der Berücksichtigung des Tonaudiogrammes 1986 sei allerdings 1994 eine MdE-Schätzung von 15 % angemessen gewesen. Er selbst habe - 12 Jahre nach dem Ende der Lärmexposition - eine MdE von 20 % ermittelt. Zusammenfassend werde auch heute in Auswertung der vorliegenden Befunde und der eigenen Untersuchungen eine MdE von 15 % für 1987 vorgeschlagen. Die "20 %-Grenze" werde sicher unterschritten. Da Ohrgeräusche nach dem Recht der DDR erst dann in die Ermittlung des Körperschadens erhöhend hätten einbezogen werden können, wenn die MdE aus dem Hörverlust allein 20 % betragen habe, könnten die Ohrgeräusche des Klägers nicht erhöhend einbezogen werden.
Das SG hat mit Urteil vom 24.11.1999, der Beklagten zugestellt am 18.01.2000, die Beklagte verpflichtet, die Schwerhörigkeit des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht einschlägig sei. Die Vorschrift formuliere einen Bestandsschutz für all jene Unfälle und Krankheiten, die bereits durch die Sozialversicherung der ehemaligen DDR als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten anerkannt worden seien. Nur eine solche Auslegung sei nach Ansicht der Kammer mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO sei nicht einschlägig. Somit verbleibe es bei der Anwendung des Rechts der RVO mit der Folge, dass der Klage stattgegeben werden müsse. Hinsichtlich der Urteilsbegründung im Einzelnen wird auf das Urteil des SG verwiesen.
Die Beklagte hat zur Begründung der von ihr am 04.02.2000 eingelegten Berufung ausgeführt, dass ihrer Ansicht nach entgegen der vom SG vertretenen Rechtsauffassung § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO anzuwenden sei (Bl. 1 ff. der Akte des Sächs.LSG). Somit müssten sowohl die Kriterien aus dem Recht der DDR als auch nach dem Recht der BRD für die Anerkennung der Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" gegeben sein. Die Auswertung des Tonaudiogrammes von 1986 ergebe vorliegend eine MdE von 10 bis 15 %. Der als beruflich bedingt zu beurteilende Tinnitus führe nicht zu einer MdE von 20 v. H.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 24.11.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und ihm im Wege der Anschlussbe rufung eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. ab 01.01.1992 zu gewähren.
Er hat mitgeteilt, dass er auf ein gerechtes Urteil hoffe.
Der Senat hat mit Beschluss vom 08.01.2001 die AOK Sachsen zum Verfahren beigeladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 07.02.2001 hat sich der Kläger mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 10.05.2001, die Beigeladene mit Schriftsatz vom 07.05.2001 erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des SG war aufzuheben, da der Bescheid der Beklagten vom 02.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1998 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1150 Reichsversicherungsodnung (RVO), da der Versicherungsfall nur vor dem 31.12.1991 eingetreten sein kann.
Gemäß § 1150 Abs. 1 RVO gelten die §§ 548 ff., die leistungsrechtlichen Vorschriften der RVO, im Beitrittsgebiet grundsätzlich nur für Arbeitsunfälle (einschließlich der Berufskrankheiten; § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO), die nach dem 31.12.1991 eingetreten sind. Dagegen gelten gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO Unfälle und Krankheiten, die vor dem 01.01.1992 eingetreten sind, nur dann als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buches der RVO, wenn sie nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten der Sozialversicherung waren.
§ 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO regelt weiter, dass dies nicht für Unfälle und Krankheiten gilt, die einem ab 01.01.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären. Der Antrag des Klägers ist der Beklagten frühestens am 21.04.1995 in diesem Sinne bekannt geworden. Wegen der Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 RVO stehen dem Kläger Ansprüche aufgrund einer bei ihm vorliegenden Lärmschwerhörigkeit nach Ansicht des Senates nur dann zu, wenn seine Erkrankung eine Berufskrankheit (BK) sowohl nach dem insoweit maßgeblichen DDR-Recht als auch nach dem Dritten Buches der RVO ist. Nach dem auch den Überleitungsvorschriften zugrunde liegenden Versicherungsfallprinzip ist maßgeblich für die Anwendung des jeweiligen Rechts der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles. Vor dem 01.01.1992 galten für den Kläger noch die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der ehemaligen DDR: § 221 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) i.V.m. § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten vom 26.12.1981 (GBl. I Nr. 12 S. 137 - BKV-DDR -) i.V.m. Nr. 50 der Anl. 1 zur 1. Durchführungsbestimmung der Verordnung über die Verhütung, Meldung und Begutachtung von Berufskrankheiten (Liste der Berufskrankheiten) vom 21.04.1981 (GBl. I Nr 12 S. 139; ber. Nr. 25 S. 312 - 1. DB BKV-DDR -).
Entscheidend für den Eintritt einer Berufskrankheit im Sinne des § 1150 RVO ist der Zeitpunkt des Versicherungsfalles (Ricke in: Kasseler Kommentar § 1150 RVO Rdnr. 2). Darunter ist der Zeitpunkt zu verstehen, zu dem sich die Gefährdungen realisiert haben, vor denen die gesetzliche Unfallversicherung Schutz gewähren soll, somit der Eintritt jedes Gesundheitsschadens, der die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale einer Berufskrankheit erfüllt (vgl. Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 SGB VII Rn. 42 S. 97 m. w. N.). Auf die nur den sogenannten Leistungsfall betreffende Regelung des § 551 Abs. 3 Satz 2 RVO kommt es dagegen nicht an (BSG, SozR 2200 § 551 Nr. 35).
Im vorliegenden Fall besteht darüber hinaus die Besonderheit, dass § 221 des Arbeitsgesetzbuches der DDR i. V. m. der - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden - Nr. 50 der hierzu ergangenen Liste der Berufskrankheiten vom 21. April 1981 das Bestehen einer durch Lärm verursachten Schwerhörigkeit "mit sozialer Bedeutung" voraussetzte. In der genannten Liste wurde der Begriff der sozialen Bedeutung dahingehend näher definiert, dass es sich um eine Hörschädigung handeln müsse, die zu Verständnisschwierigkeiten mit anderen Personen führe. In der Begutachtungspraxis der DDR wurde das Vorliegen einer Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung - abgesehen von besonderen, hier nicht vorliegenden Fallkonstellationen wie z. B. Unverträglichkeit von Gehörschutz - nur anerkannt, wenn nach den Ergebnissen der audiometrischen Untersuchung ein Körperschaden von mindestens 20 % aus ihr resultierte (siehe Abschnitt V der Richtlinie zur Begutachtung von arbeitsbedingten Hörschäden [BK-Nr. 50], in: Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Gesundheitswesen, 1989, Nr. 6, Seite 57, abgedruckt in: Berufskrankheiten im Gebiet der neuen Bundesländer [1945 bis 1990], Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsmedizin, Sonderschrift 4, Anhang B 2.4.3 Seite 271; ebenso bereits die am 1. Oktober 1985 in Kraft getretene Empfehlung der Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie und cervikofaziale Chirurgie der DDR für die Begutachtung von Hörschäden - speziell der BK 50, aaO. Anhang B 2.4.2 Seite 264 unten).
Aus sozialmedizinischer Sicht ist darüber hinaus weiterhin zu berücksichtigen, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der beruflichen Lärmeinwirkung nur noch altersentsprechend fortschreiten kann mit der Folge, dass eine nach Beendigung der beruflichen Tätigkeit eingetretene Hörverschlechterung nicht mehr auf diese zurückgeführt werden kann (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998, S. 389; Mehrtens/Perlebach, aaO., Anmerkung 2 zu Abschn. M 2301 S. 32).
Da der Kläger seit 1988 als Pförtner und Hausmeister mit einer Lärmbelastung von weniger als 85 dB(A) tätig war und sich seit dem 23.07.1990 im Vorruhestand befand, war er nach 1987 keiner relevanten beruflichen Lärmbelastung mehr ausgesetzt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO., S. 388). Somit kann sich bei ihm eine durch beruflichen Lärm verursachte Schwerhörigkeit nur bis zum 31.12.1987 entwickelt haben. Eine mögliche spätere Verschlechterung seines Hörvermögens kann nach dem derzeitigen medizinischen Erkenntnisstand nicht mehr mit der beruflichen Lärmeinwirkung zusammenhängen. Deshalb ist vorliegend eine Berufskrankheit "Lärmschwerhörigkeit" jedenfalls vor dem 01.01.1992 eingetreten.
Daraus folgt jedoch gemäß § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO, dass eine Anerkennung und Entschädigung dieser Erkrankung nur dann möglich ist, wenn sie (auch) nach den im Beitrittsgebiet geltenden Recht eine Berufskrankheit im Sinne der Sozialversicherung dargestellt hat. Dem steht auch nicht § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO entgegen, wonach es bei Unfällen und Krankheiten, die einem ab dem 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden, darüber hinaus darauf ankommt, ob diese auch nach dem Dritten Buch der RVO zu entschädigen wären. In diesen Fällen muss zusätzlich eine Prüfung nach dem Recht der RVO stattfinden. Stellt eine nach dem genannten Stichtag bekannt gewordene Erkrankung eine Berufskrankheit nach dem Dritten Buch der RVO dar, nicht aber nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht, so scheitert demnach eine Anerkennung und Entschädigung bereits an § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO.
Der Kläger leidet, wie sich aus allen vorhandenen medizinischen Unterlagen ergibt, an einer Innenohrschwerhörigkeit. Eine Anerkennung und Entschädigung dieser Schwerhörigkeit als Berufskrankheit kommt, wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt, nur dann in Betracht, wenn beim Kläger spätestens am 31.12.1987 eine lärmbedingte Schwerhörigkeit mit sozialer Bedeutung vorgelegen hat. Voraussetzung insoweit ist, wie oben ausgeführt, das Bestehen eines berufsbedingten Körperschadens von mindestens 20 %. Ein solcher steht für den hier maßgeblichen Zeitpunkt 31.12.1987 jedoch nicht zur Überzeugung des Senates fest.
Da die Lärmschwerhörigkeit ihre volle Ausprägung bei Beendigung der beruflichen Lärmeinwirkung erreicht hat, ist bei der Beurteilung ihres Ausmaßes grundsätzlich auf den Befund abzustellen, der dem Ende der Lärmarbeit zeitlich am nächsten liegt (Mehrtens/Perlebach, aaO.). Dies ist vorliegend das Tonaudiogramm vom 09.04.1986 (Bl. 95 VwAkte), dessen Werte in der Einschätzung vom 09.04.1986 eine lärmbedingte MdE unter 20 % ergaben (Bl. 96 VwAkte).
Auch der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, dass das Hörvermögen des Klägers bereits im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Berufsleben in dem Ausmaß geschädigt war, d.h.: der berufsbedingte Lärm einen Hörverlust in der Größe verursachte, dass sich daraus ein Körperschaden von 20 % ableiten ließe. Dies beruht im Wesentlichen darauf, daß die Hörschädigung zu jener Zeit nur unzureichend dokumentiert ist. Es liegen im Wesentlichen nur zwei Tonaudiogramme vor. Es war aber auch nach der gutachterlichen Praxis der DDR für die Bestimmung des Hörverlustes und damit für die Entscheidung darüber, ob ein Körperschaden von 20 % erreicht wird, regelmäßig die Erstellung eines Sprachaudiogrammes erforderlich (s. Joachim Steps, Die Begutachtenspraxis der berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit, Berlin 1982, S. 80). Eine mathematische Umrechnung der Werte des Tonaudiogramms auf das Sprachaudiogramm ist nicht möglich, weil die Entstehungsweise zu unterschiedlich ist und sich eine Messung dann ohnehin erübrigte. Es hat der Kläger selbst zu dieser Situation dadurch beigetragen, daß er sich seinerzeit mit einer Ablehnung zufrieden gab. Die damals versäumten Untersuchungen können heute nicht mehr nachgeholt werden. Hinzu kommt, daß die exakte Hörprüfung mit einer Vielzahl von Fehlerquellen verbunden ist, so daß auch diesem Grunde ein einzelnes Tonaudiogramm nicht ausreicht für die Entscheidung darüber, ob eine Lärmschwerhörigkeit bereits die erforderliche Grenze von 20 % erreicht hat.
Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Ohrgeräusche ist eine andere Entscheidung nicht möglich, da nach dem Recht der DDR zwar der Grad eines berufsbedingten Körperschadens bei Vorliegen entsprechender Ohrgeräusche um 5 - 10 % erhöht werden konnte, jedoch nicht, um einen Körperschaden von 20 % zu erreichen (Steps, aaO., S. 133).
Dass, soweit in den später erstellten Gutachten und gutachterlichen Stellungnahmen das Tonaudiogramm von 1986 erneut interpretiert worden ist, die Einschätzung einer unter 20 v.H. liegenden MdE geteilt wird (gutachterliche Stellungnahme Dr. F ... vom 20.01.1997, Bl. 146 VwAkte; Gutachten Dr. E ... vom 29.06.1997,Bl. 164 VwAkte; Gutachten Prof. M ... vom 23.07.1999, Bl. 74 SG-Akte), ist hingegen ohne weitere Bedeutung, da diese Gutachter bei der Ermittlung des prozentualen Hörvergen nicht von den in der DDR verwendeten Tabellen ausgegangen sind.
Somit scheitert eine Anerkennung der beim Kläger bestehenden Innenohrschwerhörigkeit als Berufskrankheit schon daran, dass diese keine Berufskrankheit nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht darstellt (§ 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO) mit der Folge, dass die (Ausnahme)Regelung des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO nicht zu prüfen ist.
Der Senat folgt nicht der Argumentation im Urteil des SG, soweit dieses ausführt, dass sich § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO nur auf bereits von der Sozialversicherung der DDR anerkannte Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten beziehe und dass § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO so zu verstehen sei, dass nur dann, wenn ein Anspruch nach dem Recht der RVO nicht bestehe, eine Prüfung nach dem Recht der DDR vorzunehmen sei. Nach Ansicht des Senates steht der Wortlaut der Vorschriften der von ihm - dem Senat - vorgenommenen Auslegung der Vorschrift nicht entgegen; ferner entspricht seine Auslegung den Anforderungen des Versicherungsfallsprinzips. Auch eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vermag der Senat bei seiner Auslegung der Vorschriften nicht zu sehen.
Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), soweit dieses in seiner Entscheidung vom 18.04.2000 (Az.: B 2 U 30/99 R) in Übereinstimmung und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zur Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschriften der §§ 1150 ff. RVO Stellung genommen hat.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere Gruppe von Normadressaten behandelt wird, obwohl zwischen der einen und der anderen Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st. RS des BVerfG, z. B. BVerfGE 55, 72, 88 m. w. N; 91, 346, 363). Ein Verstoß hiergegen wäre nur dann anzunehmen, wenn es der Gesetzgeber versäumt hätte, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam wären, daß sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müßten. Derartige Versäumnisse sind jedoch nicht ersichtlich.
Der Gesetzgeber hielt sich bei der Art und Weise, wie er die Verhältnisse im Einigungsvertrag (EinigVtr) regelte (z. B. mit Stichtagsregelungen), in den Grenzen der ihm zukommenden weiten Gestaltungsfreiheit (vgl. BSGE 79, 23). Deren Einhaltung kann gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland das Ziel "klar verfehlt haben" (BVerfGE 94, 297, 312; BSGE 79, 23, 25 = SozR 3 aaO). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Gesetzgeber beabsichtigte, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um das Unfallversicherungsrecht der ehemaligen DDR an das der Bundesrepublik Deutschland anzugleichen (Art. 30 Abs. 5 Satz 3 EinigVtr). Diesem Ziel sollten die §§ 1148 ff. RVO durch Übernahme aller vor dem 01.01.1992 eingetretenen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten aus der Sozialversicherung des Beitrittsgebietes dienen, wobei bestimmte Grundsätze (Versicherungsfallprinzip, Gleichbehandlung, Vertrauensschutz, Verwaltungspraktikabilität) beachtet werden sollten (vgl. BT-Drucks. 12/405, S. III und S. 116). Diesen Zielen hat der Gesetzgeber nach Ansicht des Senates in angemessener Weise berücksichtigt. Die Vorschriften führten zur Übernahme aller bis zum 31.12.1991 im Beitrittsgebiet eingetretenen Versicherungsfälle (Vertrauensschutz) mittels praktikabler Stichtagsregelungen (Verwaltungspraktikabilität) und unter Berücksichtigung des Versicherungsfallprinzips, d. h des im Zeitpunkt des Versicherungsfalles maßgeblichen Rechts. Soweit es durch Stichtagsregelungen wie die des § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO in Einzelfällen zu Härten für den von der Stichtagsregelung Betroffenen kommt, sind dieser bei einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und grundsätzlich hinzunehmen (BVerfGE 13, 21, 29; BVerfG SozR 5050 § 22 Nr 16).
Eine sachwidrige Ungleichbehandlung besteht auch nach Ansicht des Senates nicht gegenüber Versicherten mit nach dem 31.12.1991 eingetretenen Arbeitsunfällen (§ 1150 Abs. 1 RVO), auf welche die Regelungen der RVO direkt anwendbar sind, da es sich hier um eine Stichtagsregelung im Interesse einer Vereinheitlichung handelt. Wie bereits dargelegt müssen durch solche Stichtagsregelungen zwangsläufig entstehende Härten regelmäßig hingenommen werden. Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen. Die Wahl des Zeitpunkts muss sich allerdings am gegebenen Sachverhalt orientieren, darf also nicht willkürlich sein (vgl BVerfGE 87, 1, 43 mwN; BVerfG SozR 3-5070 § 12a Nr. 1). Dies ist hier jedoch der Fall, denn ab dem 01.01.1992 sollte die RVO im gesamten Bundesgebiet uneingeschränkt auf alle nach diesem Zeitpunkt eintretenden unfallversicherungsrechtlich relevanten Ereignisse Anwendung finden (§ 1148 RVO; BT-Drucks 12/405, S. III); es ist nicht ersichtlich, dass dies sachwidrig wäre oder dass ein anderer Zeitpunkt für diese zur Schaffung der Rechtseinheit notwendige Maßnahme allein in Betracht gekommen wäre. Auch sieht der Senat keine sachwidrige Ungleichbehandlung darin, dass vor dem 01.01.1992 eingetretene Versicherungsfälle, die den jetzigen Unfallversicherungsträgern jedoch erst nach dem 01.01.1993 bekannt werden, von im Beitrittsgebiet lebenden Versicherten (auch) nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
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