L 1 V 14/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 V 55/96
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 V 14/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 09. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer seelischen Störung und weiterer Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und in Abhängigkeit hiervon um die Feststellung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

Die am ...1940 geborene Klägerin ist schwerbehindert mit einem zuerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 100. Als Behinderungen wurden zuletzt festgestellt: - Schilddrüsenerkrankung (Heilungsbewährung), - seelische Störung, - Sehminderung beidseits, - Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, - Osteoporose sowie ein Nierensteinleiden.

Am 27.12.1993 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Sie gab zunächst an, dass es bei ihr durch militärische Besetzung, Vertreibung und Umsiedlung und damit verbunden durch Hungersnot, Armut und Krankheit ihrer Mutter zu Entwicklungsstörungen körperlicher und seelischer Art gekommen sei. Infolgedessen leide sie unter einer seelischen Störung, einer Durchblutungsstörung des Herzens, einer Sehminderung, einer Lungentuberkulose, einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, einem Verlust der Schilddrüse sowie unter Bewegungseinschränkungen im Hüft- und Kniegelenk beidseitig sowie unter Osteoporose. Die Klägerin konkretisierte ihre Angaben zum schädigenden Ereignis dahingehend, dass sie im August 1945 innerhalb von 20 Minuten mit ihrer Mutter, Schwes- ter, Großmutter und Großvater ihr Haus habe verlassen müssen, ohne etwas mitzunehmen. Sie seien zu Hunderten in einer Schule gesammelt worden und mit einem Güterzug von Schlesien in ein Aufnahmelager in P ..., Kreis L ..., gebracht worden. Ihre Großmutter sei auf der Flucht vor Hunger gestorben, da sie vierzehn Tage mit dem Güterzug ohne Essen und Trinken transportiert worden seien. Seit 1947 sei sie in P ... zur Schule gegangen. Während ihrer Schulzeit habe sie Herz-Kreislauf- und Entwicklungsstörungen gehabt. Wegen dieser sei sie seit ihrer Schulzeit ständig in Behandlung.

Der Beklagte zog die Sozialversicherungsausweise der Klägerin, den Versicherungsausweis für Familienangehörige des ehemaligen Ehemannes der Klägerin sowie die Schwerbehinderten-Akte (Az.:96/40/330181) bei. Weiterhin lag dem Beklagten eine Erklärung der Schwester der Klägerin, Frau E ... D ... vor. Sodann holte er eine nach Aktenlage getroffene medizinische Stellungnahme von Dr. habil. S ..., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrie, ein. Dieser stellte als schädigungsbedingte Gesundheitsstörung eine seelische Störung infolge von Kriegs- und Nachkriegsereignissen fest. Die hierdurch erlittene MdE bewertete er mit 40 v.H ... Nach Ansicht des Gutachters werde aus den umfangreichen medizinischen Unterlagen in der Schwerbehinderten-Akte deutlich, dass wesentliche Wurzeln der primär-neurotischen Fehlentwicklung in der frühen Kindheit (der Klägerin) lägen und somit ursächlich mit den von der Klägerin angeschuldeten Umständen in Verbindung zu bringen seien. Diese primäre psychische Fehlentwicklung habe dann in den Folgejahren zu weiteren psychosozialen und auch zu konversionsneurotischen Symptomen geführt.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11.09.1995 den Antrag der Klägerin ab. Die bei der Klägerin bestehende seelische Störung sei keine Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung und somit keine Schädigung im Sinne des § 1 BVG. Zustände, denen alle Bevölkerungskreise für längere Zeit ausgesetzt gewesen seien, wie Mangelzustände hinsichtlich der Ernährung und Versorgung mit Arzneimitteln oder ungenügende Unterkunftsverhältnisse und dadurch erhöhte Ansteckungsgefahr, fielen bereits nicht nur unter den Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung. Die besonderen Fluchtumstände, soweit und solange sie als eine unmittelbare Kriegseinwirkung angesehen werden könnten, hätten die psychischen Störungen nicht verursacht. Das bestehende Krankheitsbild resultiere wahrscheinlich aus anderen versorgungsfremden Umständen und Ereignissen wie z.B. materielles und emotionelles Mangelleiden in der Kindheit, Benachteiligung gegenüber der älteren Schwester, Verlassen der Familie mit fünfzehn Jahren, Ehekonflikt und Ehescheidung, Erziehungsprobleme mit dem Sohn und dem Tod der Mutter. Die außerdem geltend gemachte "körperliche Unterentwicklung" sei jedenfalls keine Schädigungsfolge. Hiergegen legte die Klägerin am 02.10.1995 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.1996 zurückwies. Ergänzend zum ablehnenden Bescheid führte der Beklagte aus, dass auch die geltend gemachten Herz- und Kreislaufstörungen eine schädigungsfremde Ursachen hätten und daher nicht als Schädigungsfolge im Sinne des BVG anerkannt werden könnten.

Mit der am 15.03.1996 vor dem Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren mit der Begründung weiterverfolgt, dass ihre gesundheitlichen Schäden von dem Transport mit dem Güterzug von Schlesien nach Mecklenburg/Vorpommern herrührten und verwies im Übrigen auf die fachärztliche Stellungnahme von Herrn Dr. habil. S ...

Frau Dr. S ... vom versorgungsärztlichen Dienst der Beklagten führte aus, dass psychische Traumata auf der Flucht, die Bedrohung des eigenen Lebens oder des von anderen konkret nicht geschildert worden seien. Dies sei bei einem 5-jährigen Kind auch nicht anders zu erwarten. Eine lückenlose Erinnerung aus dieser Zeit sei als nicht wahrscheinlich zu erachten. Die Angaben der Klägerin beruhten also offensichtlich vorwiegend, wenn nicht gar ausschließlich auf Erzählungen von Angehörigen. Die Krankheitswertigkeit der seelischen Problematik der Klägerin falle erst 40 bis 50 Jahre nach der von ihr angeschuldeten Ereignisse auf. Es sei natürlich bekannt, dass Neurosen das Ereignis einer bis in die Kindheit zurückgehenden seelischen Fehlentwicklung seien, wobei der Schwerpunkt auf der Entstehung der prämorbiden neurotischen Struktur liege. Diese sei aber in diesem Fall nicht mit Wahrscheinlichkeit auf Kriegsereignisse im Sinne eines versorgungsrechtlich geschützten Tatbestandes zurückzuführen. Das geschilderte familiäre Milieu mit Vaterlosigkeit, Krankheit der Mutter (Asthma), mangelnder Liebe ihr gegenüber, Vorziehung anderer Geschwister seien als schadensfremde Einflüsse zu werten. Diese hätten nun unzweifelhaft eine ganz erhebliche Bedeutung an der Persönlichkeitsprägung gehabt. Im weiteren Lebensgang seien erhebliche, ebenfalls schadensunabhängige Belastungen hinzugekommen, die letztendlich zum Ausbruch der Krankheit geführt hätten. Eine Schadensfolge sei daher nicht wahrscheinlich zu machen. Schadensunabhängige Faktoren hätten eine ganz überwiegende Bedeutung. Es fänden sich keine schadensabhängigen Faktoren, die an der Ausprägung der Gesundheitsstörung eine annähernd gleichwertige Bedeutung erlangt hätten.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines nach Aktenlage erstellten Gutachtens durch Dr. habil. S ... Dieser stellte in seinem neuropsychiatrischem Gutachten vom 29.11.1998 fest, dass die Klägerin tatsächlich keine konkreten psychischen Traumata in unmittelbarem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen angegeben habe, bzw. diese auch nicht durch andere Personen überzeugend dargelegt worden seien. Seine Beurteilung vom 29.11.1994 müsse nach dem heutigen Kenntnisstand hinsichtlich des kausalen Zusammenhanges revidiert werden. Auch wenn die Wurzeln der primärneurotischen Fehlentwicklung teilweise in den frühen Lebensbedingungen zu suchen seien, sei es später in der Weiterentwicklung zu zahlreichen weiteren psychosozialen Belastungssituationen gekommen, die dann erst ab Mitte der 60-iger Jahre auch stärkere Auswirkungen auf das psycho-physische Befinden gehabt hätten, mit zunehmender Entwicklung neurotischer Symptome und Krankheitswertigkeit, die letzten Endes tatsächlich erst nach 40 bis 50 Jahren zu einer Behandlungsbedürftigkeit geführt hätten. Es müsse Frau Dr. S ... beigepflichtet werden, das schadensunabhängige Faktoren für die Entwicklung einer seelischen Störung von Krankheitswertigkeit eine ganz überwiegende Bedeutung gehabt hätten. Insofern sei die Beurteilung der seelischen Störung nicht nach dem BVG sondern nach dem Schwerbehindertengesetz vorzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens von Dr. habil. S ... wird auf Blatt 56 - 59 der SG-Akte Bezug genommen. Die Beteiligten haben zu dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Stellung genommen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid am 09. Dezember 1999 abgewiesen. Bei der von der Klägerin geschilderten Flucht habe es sich offensichtlich um das typische Schicksal einer Heimatvertriebenen gehandelt. Die Vertreibung lasse sich noch als unmittelbare Kriegseinwirkung ansehen. Die psychische Schädigung sei jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Flucht und Vertreibung zurückzuführen. Dies ergebe sich aus der überzeugenden versorgungsärztlich-nervenfachärztlichen Stellungnahme sowie aus dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen.

Gegen den ihr am 21.06.2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12.07.2000 beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist sie darauf, dass die versorgungsärztlich-nervenfachärztliche Stellungnahme von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehe und daher zwangsläufig zu einer Fehleinschätzung komme.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 09.12.1999 sowie den Bescheid vom 11.09.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1996 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr ab 01.01.1991 als Schädi- gungsfolge "seelische Störung, Durchblutungsstörung des Herzens, Sehminderung, Lungentuberkulose, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Verlust der Schilddrüse, Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes beidseitig, Bewegungseinschränkung im Kniegelenk beidseitig und Osteoporose" anzuerkennen und ihr eine Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 v. H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Die Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung gehört. Wegen des Inhalts ihrer Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die Verwaltungsakte und Schwerbehinderten-Akte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151, 105 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet. Das SG hat mit Recht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 11.09.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.1996 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung der eingeklagten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge nach dem BVG oder auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

Gemäß § 1 Abs. 1 BVG erhält derjenige, der durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, auf Antrag wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Versorgung. Einer Schädigung im Sinne dieses Absatzes stehen Schädigungen gleich, die durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung herbeiführt worden sind, § 1 Abs. 2 Buchstabe a BVG. Als unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne des § 1 Abs. 2 Buchstabe a BVG gelten gem § 5 Abs. 1 BVG, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen, a) Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen, insbesondere die Einwirkung von Kampfmitteln, b) behördliche Maßnahmen in unmittelbarem Zusammenhang mit Kampfhandlungen oder ihrer Vorbereitung, mit Ausnahme der allgemeinen Verdunklungsmaßnahmen, c) Einwirkungen, denen der Beschädigte durch die besonderen Umstände der Flucht vor einer aus kriegerischen Vorgängen unmittelbar drohenden Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt war, d) schädigende Vorgänge, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes oder mit der zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten sind, e) nachträgliche Auswirkungen kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben.

Das schädigende Ereignis, die gesundheitliche Schädigung (Primärschaden) sowie die daraus nunmehr resultierenden Schädigungsfolgen müssen im Sinne des Strengbeweises nachgewiesen sein. Dieser Vollbeweis verlangt zwar nicht, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen mit absoluter, jeder andere denkbare Möglichkeit ausschließender Gewissheit festgestellt werden (BSGE 45, 285, 286 f.). Der Nachweis muss aber mit einer an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, die ernste, vernünftige Zweifel ausschließt, geführt werden (BSGE 60, 58, 59; 45, 285, 287).

Demgegenüber genügt es, wenn die Schädigung mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis und die Gesundheitsstörung wiederum mit Wahrscheinlichkeit auf die Schädigung (vgl. § 1 Abs. 3 BVG) zurückzuführen ist. Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinischen-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Die bloße Möglichkeit des Bestehens eines Ursachenzusammenhanges neben anderen, einen solchen Zusammenhang ausschließenden Möglichkeiten genügt nicht. Erforderlich ist zwar nicht der Vollbeweis im Sinne einer zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Gewißheit der Kausalität; umgekehrt müssen nach dem festgestellten Sachverhalt aber jedenfalls mehr Anhaltspunkte für als gegen den Ursachenzusammenhang sprechen.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben können die Gesundheitsstörungen der Klägerin nicht als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG festgestellt werden.

Die bei der Klägerin vorliegende seelische Störung besteht in Form eines neurasthenischen Syndroms sowie einer primär-neurotischen Entwicklung mit abnormer Persönlichkeit und zwanghaft-depressiver Neurosenstruktur mit paranoiden Zügen. Diese seelische Störung ist indes ebensowenig wie die weiteren Gesundheitstörungen durch eines der in § 5 Abs. 1 BVG genannten schädigenden Ereignisse verursacht worden.

Bei den von der Schwester der Klägerin beschriebenen Bombenangriffen, der sie und die Klägerin ausgesetzt waren, handelt es sich zwar um Kampfhandlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchstabe a BVG. Die Bombenangriffe haben jedoch weder nachweislich zu der seelischen Störung noch zu den weiteren Gesundheitstörungen geführt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind nur solche Kampfhandlungen als unmittelbare Kriegseinwirkung anzusehen, die unmittelbar auf den Beschädigten eingewirkt haben (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.1993 - Az: 9/9a RV/28/92). Die Kampfhandlung und deren Einwirkung müssen in engster Beziehung zueinander gestanden haben, d.h. dass Kampfhandlungen und Einwirkung ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder so eng verbunden sein müssen, dass sie örtlich und zeitlich nicht voneinander trennen lassen. Um Bombenangriffe als Kampfhandlungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchstabe a BVG ansehen zu können, ist erforderlich, dass die Bomben so in der Nähe des Beschädigten gefallen sind, dass deren Explosionen örtlich noch eine unmittelbare Einwirkung ausgeübt haben und dass die Einwirkung spontan erfolgt ist, um auch zeitlich von einer unmittelbaren Einwirkung sprechen zu können (vgl. BSGE 2, 29, 34, 35). Nicht ausreichend ist, dass die Bombenexplosionen sich für den Beschädigten nur als das Erleben eines allgemeinen Kampfgeschehens abzeichnen und bei ihm nur mehr die Vorstellung einer Einwirkung hervorgerufen wird, als tatsächlich eine unmittelbare Einwirkung stattgefunden hat. Dabei braucht die unmittelbare Einwirkung nicht physischer Art zu sein, sie kann auch psychischer Natur sei (vgl. BSGE a.a.O.; BSG, Urteil vom 29.09.1993 - Az: 9/9a RV 28/92). Hieraus folgt, dass auch Schockwirkungen, z.B. durch Kriegslärm als unmittelbare Einwirkungen anzusehen sind.

Die Klägerin selbst gibt indes keine konkreten psychischen Traumata noch sonstige Verletzungen an, die sie im Zusammenhang mit den Bombenabwürfen oder mit dem Beschuss, den sie nach Angaben ihrer Schwester ausgesetzt gewesen sein soll, erlitten haben könnte. Die Klägerin beschreibt auch keine Ereignisse, wie etwa den Tod unmittelbarer Angehöriger durch Kampfhandlungen (vgl. BSGE 49, 102), die ein traumatisches Erleben zur Folge gehabt haben könnten.

Soweit die Klägerin ihre seelische und die weiteren Gesundheitstörungen auf die besonderen Umstände ihres Transportes im August 1945 während ihrer "Flucht" mit einem Güterzug von Schlesien nach Mecklenburg/Vorpommern zurückführt, fehlt es im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Buchstabe c BVG fast drei Monaten nach Kriegsende und Einstellung der Kampfhandlungen bereits an dem erforderlichen Zusammenhang mit dem unmittelbaren Kriegsgeschehen. Als Schädigungstatbestand kommt aber der der zwangsweisen Umsiedlung (§ 5 Abs. 1 Buchstabe d 2. Alt.BVG) in Betracht. Für diesen Tatbestand ist nicht erforderlich, dass die Umsiedlung durch unmittelbaren administrativen Zwang angeordnet war. Ausreichend ist, wenn sie aufgrund inneren Zwangs in Erwartung erheblicher Nachteile erfolgt und staatlich organisiert war (BSG, Urteil vom 10.02.1993 - 9/9 a RV 14/91-), wofür vorliegend die Angaben der Klägerin sprechen.

Der Schädigungstatbestand des § 5 Abs. 1 Buchstabe d BVG setzt darüber hinaus einen Schaden voraus, der infolge einer mit der zwangsweisen Umsiedlung zusammenhängenden besonderen Gefahr eingetreten ist. Als besondere Gefahren der Umsiedlung kann nach Auffassung des Senats auch ungenügende Bekleidung und Ernährung zu sehen sein, wenn diese gerade auf den überstürzten Antritt einer Umsiedlung beruhen. Auch durch den Tod eines Angehörigen, der seinerseits infolge der besonderen Gefahren der Umsiedlung eingetreten ist, kann sich, wenn dieser eine Traumatsierung des Betroffenen zu Folge hatte, die besondere Gefahr realisieren. Die Gesundheitsstörung der Klägerin lassen sich indes weder auf die mangelnde Ernährung noch auf den Tod der Großmutter während des Transports zurückführen, selbst wenn dieser auf die von der Klägerin beschriebenen Verhältnisse zurückzuführen ist.

Für den Senat ist bereits nicht ersichtlich, dass der Tod der Großmutter für die Klägerin mit einem derartigen Schock verbunden war, der zu der bestehenden seelischen Störung führte. Die Klägerin hat weder im Klageverfahren angegeben noch ist aus den medizinischen Unterlagen ersichtlich, dass sie durch den Tod ihrer Großmutter einen psychischen Schock erlitten hat. So schildert die Klägerin auch gegenüber den behandelnden Ärzten im ehemaligen Ambulatorium Grünauer Allee zwar die Umstände des Transportes, nicht aber den Tod ihrer Großmutter. Dies steht in Übereinstimmung sowohl mit den Feststellungen von Dr. S ... vom Versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten als auch des gerichtlich bestellten Sachverständigen, wonach die Klägerin im unmittelbaren Zusammenhang mit den Kriegsereingnissen keine konkreten psychischen Traumata angegeben habe. Zwar können nach Angaben des gerichtlich bestellten Sachverständigen auch Ereignisse, die in der frühen Kindheit liegen, auch wenn sie nicht mehr bzw. klar erinnerlich sind, durchaus Auswirkungen auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes haben. Ob dies jedoch auch bei der Klägerin bedingt durch die Umstände des Transports und/oder durch den Tod der Großmutter der Fall war, lässt sich indes nicht feststellen. Soweit die Wurzeln der primär-neurotischen Fehlentwicklung nach Angaben des gerichtlich bestellten Sachverständigen teilweise in den früheren Lebensbedingungen der Klägerin zu suchen sind, lässt sich vielmehr nicht ausschließen, dass diese auf die allgemeinen Lebens- insbesondere Mangelzustände in den Nachkriegsjahren zurückzuführen sind. Derartige Zustände, denen alle Bevölkerungskreise, wie auch glaubhaft die Klägerin in P ... für längere Zeit ausgesetzt waren, fallen jedoch nicht unter den Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung, können daher nicht schädigungsbegründend berücksichtigt werden (vgl. Verwaltungsvorschriften zu § 5 BVG Ziffer 1). Darüber hinaus sind die Familienverhältnisse zu berücksichtigen, in denen die Klägerin aufwuchs und die nach den schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen von Frau Dr. S ... auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin nennenswerten Einfluss hatten. Der Senat ist daher davon überzeugt, dass die seelischen Störungen der Klägerin nicht wesentlich ursächlich auf die Umstände während der Umsiedlung zurückzuführen sind. Dies ergibt sich nunmehr auch aus den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, wonach schadensunabhängige Faktoren für die Entwicklung der seelischen Störung von Krankheitswertigkeit eine ganz überwiegende Bedeutung gehabt haben. Diese seien vor allem auch in den psychosozialen Belastungssituationen zu sehen, denen die Klägerin ab Mitte der 60-iger Jahre ausgesetzt gewesen sei und die zu einer zunehmenden Entwicklung neurotischer Symptome von Krankheitswertigkeit und letzten Endes erst Anfang 1990 zur Behandlungsbedürftigkeit geführt hätten.

Soweit die Klägerin weitere Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge angibt, sind diese ebenso wenig überwiegend wahrscheinlich auf die Umstände während der Umsiedlung zurückzuführen. Die Lungentuberkulose hat die Klägerin erst in den 80iger Jahren erlitten. Die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sowie die Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes und des Kniegelenkes sind auf degenerative Prozesse zurückzuführen. Die Osteoporose liegt erst seit Anfang der 90iger Jahre vor. Letztlich bestehen nach den medizinischen Unterlagen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die geltend gemachte Durchblutungsstörung des Herzens, die Sehminderung und der Verlust der Schilddrüse auf die Mangelernährung während des Transports oder im Aufnahmelager zurückzuführen sind.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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