L 5 RJ 95/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 4 RJ 380/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 95/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Berufsschutz eines Tischlereiarbeiters
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Dezember 2002 abgeändert: die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am ...1955 geborene Kläger verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war als Druckerlehrling, Produktions- und Anlagenfahrer sowie von Januar 1992 bis zum 28. Februar 1998 als Tischlerei-/Kunststoffbearbeiter beschäftigt. Seit dem 03. Juni 1998 ist er arbeitsunfähig und bezieht Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bzw. Krankengeld. Er ist im Besitz einer Fahrerlaubnis und eines eigenen PKW.

Den am 04. Oktober 1999 gestellten Rentenantrag begründete der Kläger mit einem Bandscheibenschaden seit Juni 1998.

Im Verwaltungsverfahren lagen der Beklagten - neben den Unterlagen aus den medizinischen Rehabilitationen von Oktober/November 1998 und Oktober/November 1999 - vor:

- der Bericht der Klinik und Poliklinik für Orthopädie D ... vom 18. Juni 1998 (mit Fremdbefunden), - der Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin B1 ... vom 28. August 1998, - der Befund des Facharztes für Orthopädie Dr. C1 ... vom 19. April 1999, - die Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 26. März 1999 und vom 25. März 1999 sowie - das Gutachten der Dipl.-Med. M1 ... - Sozialmedizinischer Dienst - vom 28. Februar 2000.

Mit Bescheid vom 29. März 2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab und wies den am 25. April 2000 erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 2000 zurück. Der Kläger könne mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen nach den sozialmedizinischen Feststellungen zwar nicht mehr in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Arbeiter in einer Tischlerei, welcher der Gruppe der angelernten Arbeiter im unteren Bereich zuzuordnen sei, tätig sein. Er sei jedoch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung bzw. mittelschwere Arbeiten im Sitzen (mit Unterbrechungen) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten sei entbehrlich.

Auf die am 24. Juli 2000 erhobene Klage, in welcher der Kläger bekundete, er sei auf Grund seiner orthopädischen und internistischen Leiden außer Stande, über drei Stunden täglich tätig zu werden, maximal 400 Meter gehen zu können und er genieße Facharbeiterschutz als Tischler, hat das Sozialgericht Dresden (SG) die Arbeitgeberauskunft der S ... Tischlerei vom 27. Oktober 2000 sowie einen Befundbericht des Dr. C1 ... vom 03. November 2000 und des Arztes B1 ... vom 04. Dezember 2000 eingeholt. Des Weiteren hat es auf Antrag des Klägers ein orthopädisches Gutachten von Dr. T1 ... - mit neurologisch-neuroelektrodiagnostischem Zusatzgutachten von Dr. S1 ... - erstellen lassen. Dr. T1 ... gelangte in seinem Gutachten vom 17. Mai 2002, nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 05. Februar 2002, mit Ergänzungen vom 26. August 2002 und 14. Oktober 2002, zu folgenden Feststellungen/ Diagnosen:

Postnukleotomiesyndrom im Sinne eines rezidivierenden vertebragenen lumbalen pseudoradikulären Schmerzsyndroms links mit radikulären Residuen vorwiegend L 5 links, partiell auch L 4/S 1 links mit kompletter Nervus-peroneus-communis-Parese links und partieller Nervus-tibialis-Parese links bei Osteochondrosis vertebrae und beginnender Spondylosis deformans L 5/S 1 und beginnend L 4/5, bei Irritationen der Nervenwurzel L 5 links durch Narbengewebe (postoperativ nach Nukleotomie L 4/5 links 06/98) sowie bei dorsomedianer kräftiger Bandscheibenprotrusion L 5/S 1.

Die Beschwerden des Klägers seien glaubhaft, würden durch die erhobenen klinischen Befunde belegt und das Ausmaß des Schmerzempfindens stehe in adäquatem Verhältnis zur gestellten Diagnose. Leichte körperliche Tätigkeiten mit häufigem Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Umhergehen sowie ohne Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, ohne Treppensteigen und häufiges Bücken, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Überkopfarbeiten, ohne Arbeiten mit besonderem Zeitdruck, ohne Schicht- und Nachtarbeit, ohne Arbeiten in Kälte, Nässe und Zugluft sowie ohne Arbeiten, die zur Erschütterung, Vibrationen und Stauchung der Wirbelsäule führen könnten, seien zweistündig bis unter halbschichtig (2 - 3,5 Stunden) möglich. Auf Grund des Krankheitsbildes sei es dem Kläger nicht möglich, viermal täglich zu Fuß eine Wegstrecke von über 500 Meter in nicht mehr als 20 Minuten zurückzulegen.

Mit Urteil vom 10. Dezember 2002 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 29. März 2000 und 27. Juni 2000 verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01. September 2002 bis zum 31. August 2005 und wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 01. März 2002 zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Ausgehend von der zuletzt ausgeübten Tätigkeit in einer Tischlerei könne es dahingestellt bleiben, ob der Kläger der Gruppe der oberen oder unteren Angestellten zuzuordnen sei. Nach dem Gutachten des Dr. T1 ... sei er seit dem 05. Februar 2002 nur noch zweistündig bis unter halbschichtig für leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit weiteren Einschränkungen leistungsfähig. Unabhängig davon, ob der Kläger in der Lage sei, zu Fuß eine Wegstrecke von über 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, bestehe keine Wegeunfähigkeit, denn er könne seinen privaten PKW nutzen. Dem stehe die Einnahme des Medikamentes 600 mg Ibu-ratiopharm täglich ein bis maximal zweimal nicht entgegen, da er das Zentralnervensystem betreffende Nebenwirkungen selbst nicht beschrieben habe.

Die Beklagte macht mit der am 29. April 2003 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung geltend, das Gutachten des Dr. T1 ... beinhalte erhebliche Unstimmigkeiten und vermöge sozialmedizinisch ein Absinken des Leistungsvermögens für leichte körperliche Tätigkeiten auf zweistündig bis unter halbschichtig nicht zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 10. Dezember 2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Berufung zurückzuweisen hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und sieht seine Auffassung durch das Gutachten des Dr. T1 ... bestätigt. Soweit Prof. Dr. D1 ... die Wegefähigkeit bejahe und sich auf den Befund, er habe den "Patienten zu ebener Strecke im Gang der Klinik Probe laufen lassen", berufe, sei diese Befunderhebung unverwertbar. Es sei möglich, die Wegefähigkeit objektiv zu ermitteln und eine entsprechende Beweiserhebung werde angeregt. Er könne kein Auto benutzen, weil er Schmerzmittel einnehme. Auch habe Prof. Dr. D1 ... das Schmerzempfinden völlig unberücksichtigt gelassen, so dass die Einholung eines algesiologischen Gutachtens angeregt werde. Nach dem beigezogenen berufskundlichen Gutachten in der Gerichtsakte beinhalte die Arbeit in der Poststelle leichte bis mittelschwere Tätigkeiten und es könnten Zwangshaltungen anfallen; zudem müsse die Post mittels Wagen transportiert werden, was Rumpffehlhaltungen und Bücken bedinge.

Der Senat hat zur Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle und als Pförtner die berufskundlichen Gutachten der Diplom- Verwaltungswirtin H1 ... vom 13. April 2000 - in der Ergänzung vom 16. Juni 2000 - sowie vom 07. Januar 2000, jeweils erstellt für das Sächsische Landessozialgericht in den Verfahren L 5 RJ 80/97 und 167/98, beigezogen sowie ein Gutachten auf orthopädischem Gebiet von Prof. Dr. D1 ... erstellen lassen.

Der Sachverständige erhob in seinem Gutachten vom 20. August 2003 - mit Ergänzung vom 13. Oktober 2003 -, nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 31. Juli 2003, folgende Feststellungen/Diagnosen:

- lumbales vertebragenes Postnukleotomiesyndrom mit radikulären Residuen L5 und S1 sowie - beginnende Varusgonarthrose rechts.

Der Kläger sei seit dem 16. November 1998 nur noch in der Lage, leichte Arbeiten, ohne Lasten über fünf Kilogramm, nicht in Rumpffehlhaltung, ohne gehäuftes Bücken, langzeitiges Sitzen bzw. Stehen am Ort, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Hocken und Knien auf ein Mindestmaß beschränkt, ohne Ganzkörpervibrationen, nicht mit Gehen im unebenen Gelände, ohne Zeitdruck, Akkord oder am Fließband sowie unter Vermeidung von Kälte- und Nässeeinflüssen acht Stunden täglich zu verrichten. Die Tätigkeit eines Tischlerei- oder Kunststoffmitarbeiters könne er nicht mehr ausüben, jedoch als Mitarbeiter einer Poststelle und als Pförtner in Verwaltungsgebäuden arbeiten. Die Gehgeschwindigkeit sei gegenüber der Norm etwas vermindert, bei der relativ guten Kompensation der Fibularisteilparese durch den Konfektionsschuh der Steppergang jedoch nur in leichter Ausprägung vorhanden. Von seiner Grunderkrankung her (dem lumbalen Postnukleotomiesyndrom) sei der Kläger in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen und könne durch seinen behandelnden Arzt mit einem Analgetikum versorgt werden, welches das Reaktionsvermögen im Straßenverkehr nicht beeinträchtige.

Zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Leistungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen. Im Übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, Bezug genommen und verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 29. März 2000 und 27. Juni 2000 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01. September 2002 bis zum 31. August 2005 und wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 01. März 2002 zu gewähren; ein derartiger Anspruch steht dem Kläger nicht zu.

Der Kläger ist weder berufs- noch erwerbsunfähig (§§ 43 Abs. 2 Satz 1, 44 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung [a.F.]) und auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung [n.F.]). Die Anwendung der §§ 43, 44 SGB VI a.F. resultiert aus der Rentenantragstellung vom 04. Oktober 1999 (§ 300 Abs. 2 SGB VI).

Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. liegt nicht vor, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen Krankheit oder Behinderung noch nicht auf weniger als die Hälfte desjenigen eines körperlich, geistig oder seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist.

Ausgangspunkt für die Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 107 und 169). In der Regel ist dies die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben gewesen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 130, 164; SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55 und 61).

Letzte Beschäftigung in diesem Sinne ist die Tätigkeit als Tischlerei-/Kunststoffbearbeiter. Diese hat der Kläger vollwertig von Januar 1992 bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 29. Oktober 1997 bewusst und gewollt zur dauerhaften Einkommenserzielung ausgeübt.

Den Beruf als Tischlerei-/Kunststoffbearbeiter kann der Kläger nicht mehr verrichten. Die mit dieser Tätigkeit verbundenen mittelschweren Arbeiten sind mit seinem Gesundheitszustand auf Grund der orthopädischen Erkrankungen nicht mehr vereinbar. Hiervon geht auch die Beklagte aus.

Dennoch liegt Berufsunfähigkeit nicht vor. Der Kläger ist zumutbar auf andere Tätigkeiten verweisbar, bei welchen er mehr als die Hälfte des Verdienstes einer gesunden Vergleichsperson erzielen kann.

Zur Bestimmung, auf welche Tätigkeiten ein leistungsgeminderter Versicherter zumutbar verwiesen werden kann, hat das BSG ein Mehr-Stufen-Schema entwickelt und die Arbeiterberufe in Gruppen eingeteilt. Es gibt die Gruppe der Facharbeiterberufe, der Anlerntätigkeiten und der ungelernten Tätigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juli 1972 - 5 RJ 105/72 - SozR Nr. 103 zu § 1246 RVO). Später hat das BSG noch die Gruppe der "Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion" hinzugefügt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1977 - 5 RJ 98/76 - BSGE 43, Seite 243), zu welcher auch "besonders hoch qualifizierte Facharbeiter" gehören (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 1978 - 4 RJ 81/77 - BSGE 45, Seite 276). Die vielschichtige und inhomogene Gruppe der angelernten Arbeiter gliedert sich in einen oberen und in einen unteren Bereich (vgl. BSG, SozR 2200 § 1246 Nr. 109, 132, 143). Dem unteren Bereich unterfallen alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von drei bis zwölf Monaten, dem oberen Bereich Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf Monaten bis zu vierundzwanzig Monaten (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45). Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 27 und 33). Jeder Versicherte kann auf Tätigkeiten zumutbar verwiesen werden, die eine Stufe tiefer einzuordnen sind, als es dem bisherigen Beruf entspricht (vgl. BSG, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 5 und 61).

Als Tischlerei-/Kunststoffbearbeiter ist der Kläger maximal der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im unteren Bereich zuzuordnen. Dies ergibt sich aus der Arbeitgeberauskunft der S ... Tischlerei vom 27. Oktober 2000, wonach die vom Kläger verrichtete Tätigkeit nach einer kurzen Anlernzeit von ca. drei Monaten ausgeübt werden konnte und nach dem Tarifvertrag der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie (Stand 1993) in der Lohngruppe II entlohnt worden ist. Diese Lohngruppe ist bestimmt für "einfache Tätigkeiten, die nach zweckgerichteter Einweisung von bis zu zwei Wochen von ungelernten ArbeiterInnen ausgeführt werden können". Ausweislich des Arbeitsvertrages vom 02. Januar 1992 ist der Kläger auch gerade nicht als Tischler, sondern als "Angelernter Arbeiter im Kunststoff- und Fensterbau u. Tischlerei" eingestellt worden. Insoweit vermag die verrichtete Arbeit qualitativ einer höheren Berufsgruppe nicht zugeordnet zu werden. Der Kläger ist daher sozial zumutbar auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, ohne dass diese konkret benannt werden müssten.

Mindestens seit der Rentenantragstellung verfügt der Kläger über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten, ohne Lasten über fünf Kilogramm, nicht in Rumpffehlhaltung, ohne gehäuftes Bücken, langzeitiges Sitzen bzw. Stehen am Ort, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Hocken und Knien auf ein Mindestmaß beschränkt, ohne Ganzkörpervibrationen, nicht mit Gehen im unebenen Gelände, ohne Zeitdruck, Akkord oder am Fließband sowie unter Vermeidung von Kälte- und Nässeeinflüssen. Dieses Leistungsvermögen ergibt sich nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Rehabilitationsentlassungsberichten vom 16. November 1998 und 22. November 1999 sowie den Gutachten der Dipl.-Med. M1 ... und des Prof. Dr. D1 ... Der Kläger leidet vordergründig an einem lumbalen vertebragenen Postnukleotomiesyndrom mit radikulären Residuen L5 und S1, einer beginnenden Varusgonarthrose rechts (Initialbefund) und einer Teilparese der Fußheber links Janda III bis IV sowie einer völligen Parese der Fußaußenrandheber links (Jand 0) nach der am 28. Juni 1998 erfolgten Fenestrotomie und Nukleotomie L4/5. Des Weiteren ist der ASR links deutlich abgeschwächt und es bestehen eine Hypästhesie an den Zehen 2 bis 5 links sowie schmerzhafte bzw. deutliche Einschränkungen der Beweglichkeit der Lenden- und Brustwirbelsäule. Diese haben sich im Vergleich zu den Entlassungsberichten der Rehabilitationen, nach welchen ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mindestens leichte körperliche Tätigkeiten bescheinigt wurde, nicht erheblich verschlechtert. Die Intensität des pseudoradikulären Schmerzsyndroms mit einem Pseudolasègue bei 60° vermag ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten nicht zu begründen. Wie bei pseudoradikulären vertebragenen Schmerzsyndromen auf chronisch-degenerativer Basis üblich, können die Bewegungsmaße und Schmerzparameter täglich wechseln, woraus sich die während der Begutachtung durch Dr. T1 ... teils besseren, teils schlechteren Messwerte erklären. Die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen bedingen - unter Berücksichtigung der Verlaufsdokumentationen seit der ersten Rehabilitation im November 1998 - daher (lediglich) qualitative Einschränkungen: es können keine Lasten über fünf Kilogramm getragen und keine Arbeiten in Rumpffehlhaltungen mit gehäuftem Bücken und Ganzkörpervibrationen ausgeübt werden, die Einnahme von fixierten Körperpositionen, langzeitiges Sitzen bzw. Stehen sowie Kälte- und Nässeeinflüsse sind zu vermeiden. Der Kläger ist auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrek-ke von über 500 Meter zu Fuß zurückzulegen und benötigt, trotz der Teilparese der Fußheber links, der völligen Parese der Fußaußenrandheber links, der Hypästhesie an den Zehen 2 bis 5 links und des pseudoradikulären Schmerzsyndroms für jeweils 500 Meter nicht mehr als 20 Minuten. Diese sozialmedizinisch ausreichende Wegefähigkeit ist überzeugend. Zu keinem Zeitpunkt hat ein voller Ausfall der Fußheber links - insbesondere auch nicht nach dem Gutachten des Dr. T1 ... - bestanden, die Fibularisteilparese ist durch den Konfektionsschuh relativ gut kompensiert und ein Steppergang nur in leichter Ausprägung vorhanden. Der Kläger kann zudem öffentliche Verkehrsmittel benutzen und ist mit dem lumbalen Postnukleotomiesyndrom in der Lage, seinen PKW ohne Zusatzeinrichtungen zu führen. Soweit er zur Erhaltung seiner Mobilität und Belastbarkeit auf ein Schmerzmedikament angewiesen sein sollte, kann er durch seinen behandelnden Arzt mit einem Analgetikum versorgt werden, das das Reaktionsvermögen im Straßenverkehr nicht beeinträchtigt. Der Einschätzung des quantitativ geminderten Leistungsvermögens und der eingeschränkten Wegefähigkeit im Gutachten des Dr. T1 ..., welche vorwiegend mit der vom Kläger bekundeten Schmerzintensität und -häufigkeit begründet wird, ist daher nicht nachvollziehbar.

Weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen zur Wegefähigkeit und zum Schmerzempfinden waren nicht veranlasst. Zum Einen kommt es bei der medizinisch möglichen Benutzung eines eigenen PKW bei vorhandener Fahrerlaubnis auf die mögliche Wegstrecke zu Fuß nicht an, zum Anderen ist das Leistungsvermögen anhand der objektiv erhobenen Befunde zu beurteilen und im Gutachten des Prof. Dr. D1 ... nachvollziehbar dargestellt worden. Einen konkreten Beweisantrag zur Einholung eines algesiologischen Gutachtens hat der Kläger - ausweislich der Sitzungsniederschrift - nicht gestellt.

Mit dem vollschichtigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist der Kläger nicht berufsunfähig. Bei einem auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren Versicherten bedarf es nach dem Urteil des BSG vom 01. März 1984 (Az. 4 RJ 43/83 - SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 117) nur dann der konkreten Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn der Versicherte selbst leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch mit vielfältigen und/oder erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen ausführen kann. Dies ist nach den medizinischen Feststellungen hier jedoch nicht der Fall. Die Einschränkung bezüglich des Wechsels der Körperhaltung stellt lediglich eine Beschreibung von leichten Tätigkeiten dar (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 1982 - 1 RJ 132/80 - SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 90 und Urteil vom 01. März 1984 a.a.O.). Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine sonstige schwerwiegende Behinderung, die es dem Kläger auch bei vollschichtiger Einsatzfähigkeit unmöglich macht, eine geeignete Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sogenannte "Katalogfälle" (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 - 4 a RJ 55/84 - SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 137) liegen nicht vor. Mit dem vorbezeichneten Leistungsvermögen ist der Kläger beispielsweise in der Lage, die Tätigkeit eines Mitarbeiters in einer Poststelle vollschichtig zu verrichten. Nach dem beigezogenen berufskundlichen Gutachten der Diplom- Verwaltungswirtin ... H1 ... vom 13. April 2000, in der Ergänzung vom 16. Juni 2000, handelt es sich bei der Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle generell um eine körperlich leichte, geistig einfache und routinemäßige Bürohilfsarbeit, welche im Wechsel der Körperhaltungen zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt wird, so dass Zwangshaltungen vermieden werden können. Diese Arbeit bedingt kein schweres Heben oder Tragen von Lasten, denn die zu transportierenden Schriftstücke können mittels Wagen befördert werden. Das Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, Arbeiten in Rumpffehlhaltung sowie gehäuftes Bücken, Ganzkörpervibrationen, die Einnahme von fixierten Körperpositionen und langzeitiges Sitzen bzw. Stehen fallen hierbei nicht an. Der Einwand des Klägers, im vorgenannten berufskundlichen Gutachten werde die Tätigkeit eines Mitarbeiter in der Poststelle als leicht bis mittelschwer bezeichnet, greift nicht durch. Wie sich aus den Ausführungen auf Seite 4 zu Ziffer 1 des Gutachtens vom 16. Juni 2000 ergibt, sind die Arbeitsanforderungen eines "Durchschnittsarbeitsplatzes" in der Poststelle, insbesondere in Etagenpoststellen bzw. Poststellen für einzelne Betriebsabteilungen, als körperlich leicht zu bezeichnen. Des Weiteren ist der Kläger nicht am Zurücklegen des Arbeitsweges zu Fuß, also des Weges von seiner Wohnung bis zu einer etwaigen Arbeitsstätte (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 43/90 - SozR 3-2200 § 1247 RVO Nr. 10), gehindert. Überdies ist er in der Lage, seinen privaten PKW zu führen. Sind Arbeitsplätze auf andere Art erreichbar, z.B. mit dem eigenen Kraftfahrzeug, gilt der Arbeitsmarkt (in Bezug auf eine fehlende Wegefähigkeit) nicht als verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1978, Az. 4 RJ 117/77). Betriebsunübliche Pausen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 5a RKn 18/83 - SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 43) muss er während der Arbeitszeit nicht einhalten.

Der Umstand, dass es in einer Zeit angespannter Arbeitsmarktlage schwierig ist, einen passenden Arbeitsplatz zu finden, und die Bundesagentur für Arbeit zu einer derartigen Vermittlung nicht in der Lage ist, ist kein Grund zur Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit. Denn bei vollschichtiger Einsatzmöglichkeit ist der Arbeitsmarkt der gesamten Bundesrepublik Deutschland zu berücksichtigen; es kommt auf die Zahl der vorhandenen, nicht auf die Zahl der gerade freien Arbeitsplätze an (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - BSGE 80,24).

Nachdem der Kläger nicht berufsunfähig im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI (a.F.) ist, hat er erst recht keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach den strengeren Vorschriften des § 44 SGB VI (a.F.). Bei einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind auch die Voraussetzungen zur Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB und Abs. 2 Satz 2 VI n.F. nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen. -
Rechtskraft
Aus
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