L 6 KN 13/03 U

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 7 KN 351/00 U
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 6 KN 13/03 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Berufskrankheit nach Listen Nr. 2102 gilt, dass eine langjährige berufliche Belastung, auch wenn Sie eine wesentliche Teilursache bei der Entstehung eines Meniskusschadens darstellt, für dessen Anerkennung als Berufskrankheit nicht ausreicht, wenn der BK-typische Geschehensablauf bei der Pathogenese nicht vorlag.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemntiz vom 27.01.2003 wird zurückgewiesen. II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung eines Meniskusschadens als Berufskrankheit.

Der am ...1948 geborene Kläger arbeitete vom 12.05.1969 bis 31.12.1984 als Versatzwerker bzw. Zimmerling unter Tage und war hierbei teilweise kniebelastenden Tätigkeiten ausgesetzt. Das Ausheben von Fundamenten zur Erstellung eines Versatzdammes erfolgte hauptsächlich in kniender und hockender Stellung. Die Belastungszeit bestand in etwa 40 Minuten pro Schicht, wobei solche Arbeiten nicht in jeder Schicht ausgeführt wurden. Ausbau- und Transportarbeiten mussten teilweise auch in gebeugter oder hockender Haltung - in Extremfällen kriechend - ausgeführt werden.

Bereits anlässlich einer Tauglichkeitsuntersuchung im Jahre 1972 gab er Beschwerden im linken Knie an. Bei späteren Tauglichkeitsuntersuchungen wurden diese Beschwerden jedoch zunächst nicht wieder erwähnt. Im Krankenhaus E ... fand im Jahre 1977 dann eine Meniskusbehandlung des rechten Knies statt. In den weiteren Tauglichkeitsuntersuchungen wurde dann der Knieschaden als "Chondropathia patellae" bezeichnet. Wegen dieser Diagnose fand auch im Jahre 1982 noch einmal eine konservative Behandlung statt.

Am 18.03.1999 beantragte er bei der Beklagten die Entschädigung von "Schwierigkeiten in den Knie- und Hüftbereichen" als Berufskrankheit. Nachdem der technische Aufsichtsdienst der Beklagten zunächst die Auffassung vertreten hatte, es liege hinsichtlich einer BK 2102 - wie auch hinsichtlich einer BK 71 BKVO-DDR - überhaupt keine Exposition vor, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 14.10.1999 ab. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Auf den Widerspruch des Klägers wurde nach Beiziehung von Unterlagen der Wismut AG eine "grenzwertige" Exposition über die Zeit vom 12.05.1969 bis 31.12.1984 bejaht. Die Beklagte gab daraufhin bei Dr. O1 ... ein fachärztliches Gutachten zur Zusammenhangsfrage in Auftrag. Dr. O1 ... kam nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis, dass sich Hinweise auf eine Chondropathia patellae ergäben, aber nicht auf eine Meniskusläsion. Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2000 als unbegründet zurück.

Im August 2000 unterzog sich der Kläger einer Meniskusoperation, bei der sich ein Innenmeniskusschaden bei Gonarthrose herausstellte. Der operierende Arzt Dr. U1 ... stellte Knorpelschäden fest, die einem abgenutzten Kniegelenk durch erhebliche degenerative Vorschäden entsprächen. Dies habe auch das histologische Ergebnis bestätigt.

Die gegen den Bescheid vom 14.10.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2000 gerichtete Klage hat das SG Chemnitz mit Urteil vom 27.01.2003 abgewiesen: Eine primäre Meniskusläsion sei nicht feststellbar, da bereits bei der Behandlung am 05.05.1977 eine beginnende Gonarthrose gleichzeitig festgestellt worden sei. Es lasse sich infolgedessen nicht mehr sicher feststellen, dass zunächst der Meniskus aufgrund der beruflichen Belastung geschädigt wurde und sich daraus eine Arthrose des Kniegelenkes entwickelte.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher er geltend macht, dieser Ablauf sei sehr wohl möglich gewesen. Bei einer Gesamtbetrachtung sprächen viele Indizien dafür, dass die langjährige kniebelastende Tätigkeit des Klägers bereits im Jahre 1977 zu einer Meniskusschädigung geführt habe und diese im Laufe der Zeit dann auch die beginnende Gonarthrose mit verursacht habe.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 27.01.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.10.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, gegenüber dem Kläger Kniegelenksbeschwerden als Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 27.01.2003 zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung eines Menis- kusschadens als Berufskrankheit nach Listen-Nr. 2102 BKV.

Eine solche Berufskrankheit ist begrifflich ein Meniskusschaden nach mehrjährig andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten. Zu Recht hat die Beklagte die für diese Berufskrankheit erforderliche Exposition als gegeben unterstellt. Was die haftungsausfüllende Kausalität betrifft, so genügt nämlich schon der Beweis des ersten Anscheins. Bereits nach Nr. 26 der 5. BKVO vom 26.07.1952 (BGBl. I, 395) waren Meniskusschäden nach einer "mindestens dreijährigen regelmäßigen Untertagetätigkeit als Bergmann" als Berufskrankheiten bezeichnet; in dieser Tradition steht es, dass nach der herrschenden Meinung der Anscheinsbeweis für das Vorliegen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen versicherter Tätigkeit und schädigender Einwirkung geführt ist, wenn der Versicherte während seiner Untertagetätigkeit mindestens drei Jahre regelmäßig irgend eine Tätigkeit in hockender, kniender oder liegender Körperhaltung verrichtet oder in schräger Lage in niedrigen (so genannten geringmächtigen) Flözen gearbeitet hat (BSG, Urteil vom 21.11.1958, BSGE 8, 245, 247; Urteil vom 20.06.1995 - 8 RKNU 2/94 -; vgl. auch BSG NZS 1995, 556, 558 und SGb 1996, 430, 433 m. Anm. Brandenburg [Kompass 1997, 200 m. Anm. Bonnermann]). Allerdings ist es möglich, den Beweis des ersten Anscheins zu entkräften, und zwar wenn konkrete Tatsachen festgestellt werden, die belegen, dass die schädigenden Einwirkungen durch die Arbeit nicht zumindest eine wesentliche Mitursache der Meniskuserkrankung sind (vgl. Keller SGb 1999, 120, 121 m. w. N.). Wenngleich der Erfahrungssatz, der dieser Beweisregel zu Grunde liegt, medizinisch nicht unumstritten ist (vgl. Merthens/Perlebach, BKVO, M 2102 Rdn. 4), so wird - jedenfalls formell (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.1998 - B 8 KN 3/96 UR) - an ihr festgehalten. Dabei wird freilich eine Tendenz beobachtet, jenes Vorgehen zu "favorisieren" (vgl. Bonnermann, Kompass 1999, 159), welches eine Klärung ohne den Anscheinsbeweis herbeiführt.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die langjährige berufliche Belastung des Klägers bei der Entstehung des Meniskusschadens sicher die Rolle einer wesentlichen Teilursache einnimmt. Hiermit ist allerdings der Nachweis einer Berufskrankheit noch nicht gegeben. Liegt nicht ein primärer, sondern ein sekundärer Meniskusschaden vor, so ist der typische Kausalzusammenhang, wie er für die Berufskrankheit erforderlich ist, nicht mehr gegeben. Die BK 2102 geht von dem Pathomechanismus aus, dass es primär durch die andauernde Zugspannung des medialen Meniskus unter extremer Kniegelenksbelastung zur vorzeitigen Verschleißerscheinungen am Meniskus, möglicherweise mit der Folge seiner degenerativ bedingten Ruptur kommt. Wenn also Kniegelenksschäden, die "endogen" bedingt, durchaus aber auch von der Arbeit wesentlich mitverursacht sein können, ihrerseits zu Meniskusschäden führen, liegt nicht mehr der in der Berufskrankheit Nr. 2102 vorgesehene typische Geschehensablauf vor. Nicht alle durch berufliche Tätigkeit verursachten Meniskusschäden sind nämlich Berufskrankheit, sondern nur die, denen eine ganz spezifische Belastung nicht nur vorausging, sondern die auch gerade aufgrund dieser spezifischen Belastung entstanden sind. Durch das Zwischenglied einer Chondropathie oder Kniegelenksarthrose wird dieser Kausalzusammenhang unterbrochen (vgl. Senat, Urteil vom 09.11.2000 - L 6 KN 25/98 U -).

Bei dem Kläger wurde zwar im August 2000 eindeutig ein Meniskusschaden festgestellt, das Sozialgericht hat jedoch zu Recht ausgeführt, dass damit ein primärer Meniskusschaden nicht erwiesen ist. Der entsprechende Befundbericht des Chirurgen Dr. U1 ... erwähnt ausdrücklich Knorpelschäden, die einem abgenutzten Kniegelenk durch erhebliche degenerative Vorschäden entsprachen. Auch das histologische Ergebnis hat die degenerativen erheblichen Veränderungen bestätigt. Es ist damit also nicht nur der erforderliche Beweis eines primären Meniskusschadens nicht erbracht, vielmehr spricht nach überwiegender Wahrscheinlichkeit alles für einen sekundären Meniskusschaden. Zwar kann die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers ins Spiel gebrachte mögliche Kausalkette in dem Sinne, dass die Gonarthrose ihrerseits erst durch eine vorbestehende Meniskusläsion verursacht wurde, nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. hierzu: Eugen Fritze, Die ärztliche Begutachtung, 6. Auflage 2001, Seite 833) aber selbst dieser Ablauf könnte, seine Richtigkeit unterstellt, nicht zu einer Anerkennung der Berufskrankheit führen. Bereits 1972 hat der Kläger Beschwerden im linken Knie angegeben, deren genaue Ursache jetzt nicht mehr festgestellt werden kann. Unterstellt, es habe sich dabei um Meniskusschäden gehandelt, die dann langjährig die Arthrose im Knie verursachten, könnte es sich insoweit allerdings nicht um BK-typische Meniskusschäden handeln, zu jenem Zeitpunkt hatte nämlich eine ausreichende Exposition noch nicht vorgelegen. In den ersten drei Jahren haben kniebelastende Tätigkeiten nur bis zu 40 Minuten pro Schicht und das auch nicht in jeder Schicht stattgefunden.

Im Übrigen hätte der Kläger auch nach dem Berufskrankheitenrecht der DDR eine Entschädigung nicht verlangen können. Das Recht der DDR sah in diesen Fällen eine Entschädigung nur nach der Nr. 71 der Liste der Berufskrankheiten vom 21.04.1981 vor. Danach hätte ein Kniegelenksschaden - unabhängig von seiner spezifischen Ausprägung - als "Verschleißkrankheit von Gliedmaßengelenken einschließlich der Zwischengelenkscheiben durch langjährige mechanische Überbelastungen" entschädigt werden können. Bei dieser Berufskrankheit galt als zusätzliche Voraussetzung die erhebliche Funktionseinschränkung des Bewegungsapparates mit Aufgabe der schädigenden Tätigkeit. Eine solche erhebliche Funktionseinschränkung lag vor bei einem Grad des Körperschadens (GdK) von mindestens 20. Ein solcher Körperschaden lag bei Aufgabe der Tätigkeit im Jahre 1984 nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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