L 2 U 120/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 9 U 11/02
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 120/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Leizig vom 12. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochenen Rücknahme eines einen Arbeitsunfall anerkennenden und Entschädigungsleistungen gewährenden Bescheides.

Der am ...1961 geborene Kläger war als Asphaltbauer bei der D ... A ... GmbH beschäftigt. Am 18.02.1998 gegen 18.05 Uhr sprang er beim Verlassen des Betriebsgeländes - das Tor zum P ... Weg war bereits abgeschlossen - über den Zaun und brach sich hierbei beide Fersen. Er fuhr mit dem Auto nach Hause. Dort angekommen war er nicht mehr in der Lage, aus dem Auto zu steigen. Der herbeigerufene Arzt wies den Kläger stationär ins Krankenhaus G ... ein.

Der Durchgangsarzt vermerkte, es bestünden Bedenken gegen die Richtigkeit der Angaben des Versicherten, weil er mehrfach die Unfallschilderung geändert habe. Er gab den vom Kläger geschilderten Unfallhergang wie folgt wieder: "Nach Beendigung der Arbeit wollte Pat. das Betriebsgelände verlassen. Haupttor bereits abgeschlossen. Pat. stieg auf Müllcontainer und sprang über den Zaun. Nach Hause gefahren. Beim Aussteigen kam Pat. nicht mehr aus dem Auto wegen starker Schmerzen in beiden Fersen." Er diagnostizierte am Unfalltag eine Calcaneusfraktur beidseitig. Im Arztbrief vom 30.03.1998 wurde diese Diagnose bestätigt. Es erfolgte eine konservative Behandlung. Am 27.03.1998 wurde der Kläger aus der stationären Behandlung entlassen. Vom 22.06. bis 26.06.1998 befand sich der Kläger nochmals - zur Gangschule - in stationärer Behandlung.

Am 05.03.1998 ging die Unfallanzeige des Arbeitgebers bei der Beklagten ein. Darin war der Unfallhergang wie folgt beschrieben: "Der Verletzte war auf dem Weg nach Hause, als er feststellte, daß er seine Papiere in der Firma vergessen hatte. Daraufhin fuhr er zurück in die Firma. Beim Eintreffen dort war das Zugangstor noch offen. Er holte die Papiere aus dem Spind und wollte die Firma wieder verlassen, jedoch war das Eingangstor geschlossen. Daraufhin kletterte er über das Tor und brach beim Herunterspringen beide Fersen. Er bemerkte den Schmerz zunächst nicht und fuhr mit dem Auto bis zu seinem Heimatort. Dort angekommen, konnte er vor Schmerzen nicht mehr aus dem Auto steigen und wurde mit dem durch seine Frau herbeigerufe nen Krankenwagen ins Krankenhaus G ... gebracht."

Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 06.10.1998 Folgendes mit: "Herr G ... hatte seine Arbeitspapiere in seinem Spind vergessen. Es ist üblich, dass die in unserer Firma beschäftigten Leute mit einem Mannschaftstransporter zur Baustelle und wieder zur Firma zurück transportiert werden. Nach Arbeitsschluß duschen die Leute hier in der Firma und ziehen sich wieder um. Dabei kann es schon vorkommen, dass man seine Papiere während des Duschens im Spind einschließt und dann mal vergißt."

Auf Nachfrage der Beklagten, welche Papiere er vergessen habe und aus welchen Gründen er diese Papiere am gleichen Tag benötigt habe, gab der Kläger Folgendes an: "Ich hatte meine Brieftasche mit Führerschein, Geld und dem Personalausweis vergessen. Ich bemerkte es am Auto, das auf dem Parkplatz vor der Firma stand, und ging zurück, um die Papiere zu holen."

Der Beklagten wurde telefonisch mitgeteilt, die übliche Arbeitszeit der Asphaltbauer bei der D ... A ... GmbH dauere von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch Privatdozent Dr. S1 ... Dieser beschrieb in seinem Gutachten vom 11.03.1999 als Unfallfolgen einen Zustand nach Calcaneustrümmerfraktur beidseitig, knöchern konsolidiert mit Abflachung des Fußgewölbes und Verbreiterung des Calcaneus, besonders rechts, Abflachung des Tuber-Gelenkwinkels, Einschränkung der Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk auf rechts 1/4 und links 1/2 sowie endgradige Einschränkung der Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage vom 01.03.1999 bis 01.03.2000 30 v.H. und danach voraussichtlich ebenfalls 30 v.H.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 24.03.1999 das Unfallereignis vom 18.02.1998 als Arbeitsunfall an und gewährte dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles eine vorläufige Entschädigung i.H.v. 940,22 DM monatlich sowie eine Nachzahlung i.H.v. 1.880,44 DM. Die Rente als vorläufige Entschädigung beginne am 01.03.1999. Ihr werde eine MdE von 30 v.H. zugrunde gelegt.

In einem weiteren von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 28.08.2000 schätzte Privatdozent Dr. S1 ... ein, eine wesentliche Änderung des Zustandes gegenüber dem Vorgutachten sei nicht eingetreten. Die MdE betrage weiterhin 30 v.H.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 12.10.2000 zur beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 24.03.1999 und zur Ablehnung des Ereignisses vom 18.02.1998 als Arbeitsunfall an. Der Heimweg sei am Unfalltag nicht aus betrieblichen, sondern allein aus privaten Gründen unterbrochen worden. Bei Abwegen aus eigenwirtschaftlichen Gründen könne der Versicherungsschutz erst mit Erreichen des Ausgangspunktes wieder aufleben. Der Unfall habe sich vor Erreichen des Parkplatzes ereignet. Der Kläger entgegnete: "Eine Rückkehr aus alleinigen privaten Gründen liegt nicht vor, da die Einholung der im Spind vergessenen Papiere nur in zweiter Instanz eintrat. Die von Ihnen aufgeführten Privatpapiere befanden sich in einer Tasche, in welcher sich das nötige Werkzeug für die zu besetzende Baustelle befand. Durch den Umstand, dass ich selbst mit meinem Fahrzeug am nächsten Tag zur Baustelle fahren musste, war es notwendig geworden, mein Werkzeug aus dem Betriebsgelände zu holen, welches mir nur durch ein nochmaliges Betreten möglich war. Damit verbunden ist somit auch ein erneutes nochmaliges Verlassen des Betriebsgeländes."

Eine nochmalige Anfrage beim Arbeitgeber am 02.11.2000 ergab, ihm sei nicht bekannt, ob der Kläger am Unfalltag Werkzeug im Spind gelagert habe. Seitens des Unternehmens sei das nicht angeordnet oder erwünscht gewesen.

Der Kläger entgegnete am 01.12.2000, zum Unfallzeitpunkt sei das Unternehmen anders strukturiert gewesen. Seinerzeit habe eine andere Betriebsleitung existiert. Die damalige Leitung habe das Aufbewahren von Werkzeug im Spind gestattet. Er fügte eine Stellungnahme des damaligen Betriebsstellenleiters L ..., des Zeugen B ..., bei, in der dieser bestätigte, es sei im Zeitraum von 1998 bis 2000 üblich gewesen, dass gewerbliche Mitarbeiter ihr persönliches Werkzeug und ihre Arbeitsschutzkleidung nach Arbeitsende in Umkleidespinden im Verwaltungs- und Sozialgebäude des Unternehmens aufbewahrten.

Die Beklagte nahm den Verwaltungsakt vom 23.03.1999 über die Anerkennung des Arbeitsunfalls und die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit Bescheid vom 24.01.2001 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Das Holen der im Spind vergessenen Papiere sei eine rein privatwirtschaftliche Handlung, die nicht im Interesse des Unternehmens gelegen habe und somit nicht als versicherte Tätigkeit anzusehen sei. Der Bescheid vom 23.03.1999 sei folglich rechtswidrig gewesen. Da der Kläger keine Tatsache vorgebracht habe, die für einen Vertrauensschutz in den Bestand des Verwaltungsaktes spreche, werde die Verletztenrente mit Ablauf des Monats Januar 2001 eingestellt. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Motivation für das Betreten des Firmengeländes sei nicht vordergründig das Holen der privaten Papiere, sondern das des Werkzeugs gewesen, das er am nächsten Tag auf der Baustelle benötigt habe. Die Papiere hätten sich in der Werkzeugtasche befunden.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2001 zurück. Aus den zeitnahen Angaben zum Unfall in der Unfallanzeige, den Ausführungen des Beschäftigungsunternehmens vom 06.10.1998 sowie den Einlassungen vom 14.10.1998 ergebe sich, dass der Weg vom Auto zu dem im Unternehmensgelände befindlichen Spind einzig und allein dem Zweck gedient habe, die persönlichen Papiere (Führerschein, Brieftasche) zu holen. Die nunmehrigen, über zwei Jahre nach dem Ereignis nachgeschobenen zusätzlichen Angaben vermochten nicht zu überzeugen. Der Kläger habe sich zum Unfallzeitpunkt auf einem Abweg befunden. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides lägen vor. Das öffentliche Interesse an der Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes sei bei Verwaltungsakten, mit denen Dauerleistungen gewährt würden, höher einzuschätzen als bei einer einmaligen Leistung.

Sein Begehren hat der Kläger mit der am 11.01.2002 zum Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Es habe für sein Werkzeug gar keine andere Aufbewahrungsmöglichkeit als in seinem Spind bestanden. Er sei lediglich dann mit dem Mannschaftstransporter zur Baustelle gefahren, wenn die Anfahrt zur Baustelle vom Sitz des Arbeitgebers aus günstiger zu erreichen gewesen sei als von seinem Wohnsitz mit dem privaten Pkw. Am 19.02.1998 habe er jedoch auf einer Baustelle arbeiten sollen, die von seinem Wohnsitz aus besser erreichbar gewesen sei. Zudem sei er gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen M. H ... über den Zaun gestiegen. Dieser habe ihm auch beim Einsteigen in sein Auto geholfen. Die Entfernung vom Unternehmenssitz nach Hause betrage mindestens 49 km, davon könnten 23,7 km auf der Autobahn zurückgelegt werden. Er habe für die Gesamtstrecke am Unfalltag ca. eine Stunde benötigt und sei folglich ca. 19.00 Uhr zu Hause eingetroffen. Seine Tochter habe am Fenster stehend seine Ankunft bemerkt. Als er versucht habe, das Auto zu verlassen, sei dies nicht möglich gewesen. Er sei im Auto sitzen geblieben, bis seine Frau erschienen sei. Den Vorgang habe auch der Nachbar W. K ... bemerkt. Seine Ehefrau habe dann zunächst ihren Vater geholt, der ca. 10 bis 15 min später eingetroffen sei. Danach sei der Arzt gerufen worden, der jedoch unterwegs gewesen sei und deshalb erst kurz nach 20.00 Uhr eingetroffen sei. Er habe die Einliefung ins Krankenhaus angeordnet. Der Krankentransport habe den Kläger gegen 21.20 Uhr in die Klinik gefahren. Dort sei er zunächst in der Notaufnahme behandelt und erst später auf die Unfallstation verlegt worden. Er habe 1999 unmittelbar nach der Bewilligung der Rente im Vertrauen auf den Bestand des Bewilligungsbescheides einen Autokredit aufgenommen, auf den er monatlich 421,00 EUR abzuzahlen habe.

Auf Nachfrage des SG hat der Arbeitgeber des Klägers am 11.06.2002 mitgeteilt, der Kläger habe am 19.02.1998 nicht mit seinem privaten PKW zur Baustelle fahren müssen. Üblich sei, dass sich die Mitarbeiter im Unternehmen träfen und dann gemeinsam einschließlich der benötigten Arbeitsmaterialien/Geräte zur Baustelle führen. Es habe kein Anlass für die Nutzung eines privaten Pkw bestanden. Üblicherweise dauere die Arbeitszeit von ca. 6.00 Uhr bis 17.00 Uhr.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung den Kläger zum Unfallhergang befragt und die Zeugen P1 ..., H ..., B ..., M ... und die Ehefrau des Klägers sowie die sachverständigen Zeugen Privatdozent Dr. S1 und Dr. G1 ... vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 93 bis 101 SG-Akte) verwiesen.

Das SG hat mit Urteil vom 12.06.2002 den Bescheid der Beklagten vom 24.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2001 aufgehoben. Die Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für eine Rücknahme eines Verwaltungsaktes lägen nicht vor. Der Bewilligungsbescheid vom 24.03.1999 sei nicht rechtswidrig gewesen, weil der Kläger am 18.02.1998 einen Arbeitsunfall erlitten habe, der zu entschädigen sei. Weil der Kläger am Unfalltag neben dem Werkzeug auch vergessene Papiere holen wollte, handele es sich um eine gemischte Tätigkeit, da der Weg, den der Kläger zum und vom Spind zurückgelegt habe, sowohl privaten als auch betrieblichen Zwecken gedient habe. Da hier eine Trennung nicht möglich sei, bestehe Versicherungsschutz, weil die Verrichtung betrieblichen Interessen wesentlich gedient habe, da der Kläger neben den privaten Papieren auch sein Werkzeug habe holen wollen. Er hätte diesen Weg auch dann zurücklegen müssen, wenn alle privaten Zwecke nicht vorgelegen hätten. Der Kläger habe glaubhaft bekundet, dass er sein Werkzeug für den Einsatz am nächsten Tag benötigt habe. Dass das Holen des Werkzeuges und das Aufsuchen der Baustelle am nächsten Tag mit dem Pkw nicht ungewöhnlich gewesen sei, habe der Zeuge B ... bestätigt.

Gegen das der Beklagten laut Empfangsbekenntnis am 19.09.2002 zugestellte Urteil hat diese am 16.10.2002 Berufung eingelegt. Das SG habe keine hinreichende Beweiswürdigung vorgenommen. Erstangaben des Versicherten nach einem Unfall seien in der Regel unbefangener und daher glaubhafter. Dies habe im Urteil keine Berücksichtigung gefunden. In den Erstangaben sei weder vom Holen des Werkzeuges noch von einem Augenzeugen für das Klettern über den Zaun die Rede gewesen. Die späte Einführung des Zeugen sowie die offensichtliche Absprache zwischen Zeugen und Kläger sprächen gegen dessen Glaubwürdigkeit.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12.06.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat entgegnet, er habe die ersten Schreiben an die Beklagte ohne juristische Betreuung verfasst. Es wäre daher Aufgabe der Beklagten gewesen, an ihn als juristischen Laien Fragen zur Sachverhaltsaufklärung zu stellen. Da das Unfallereignis zunächst problemlos als Arbeitsunfall anerkannt worden sei, sei er nicht gehalten gewesen, Zeugen zu benennen. Er könne sich nicht mehr exakt erinnern, auf welchen Baustellen er am Unfalltag gearbeitet habe und am Folgetag habe arbeiten sollen. Wahrscheinlich sei er am Unfalltag in einem Mehrfamilienhaus im W ...straßenviertel von L ... beschäftigt gewesen. Der Zeuge H ... sei ebenfalls auf der Baustelle anwesend gewesen. Mit welchen Kollegen er am Unfalltag zusammengearbeitet habe und am Folgetag habe zusammenarbeiten sollen, könne er nicht mehr sagen. Die Kolonnen hätten manchmal mehrfach täglich gewechselt. Es habe keine bestimmte Schließzeit für das Tor des Betriebsgeländes gegeben. In der Regel sei es verschlossen worden, wenn die Verantwortlichen davon ausgegangen seien, dass alle Mitarbeiter das Gelände verlassen hätten. Die Entfernung zwischen seinem Wohnsitz und dem Kreiskrankenhaus G ... betrage ca. 17 bis 20 km. Zudem hat er den Autokreditvertrag vom 08.02.2000 übersandt.

Auf Nachfrage des Senats hat Dr. S1 ... mit Schreiben vom 13.05.2004 angegeben, der Kläger sei laut den vorliegenden Unterlagen am Unfalltag um 21.44 Uhr in der Notfallambulanz bei Dr. P1 ... eingetroffen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung nochmals den Kläger befragt, sowie den Zeugen H ... vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Beklagtenakte vor.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 12.06.2002 den Bescheid der Beklagten vom 24.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2001 aufgehoben.

Die Beklagte war nicht zur Rücknahme des Bescheides vom 24.03.1999 berechtigt. Rechtsgrundlage bildet § 45 Abs. 1 und 2 SGB X. Hiernach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Er darf nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Zwar erfolgte die Rücknahme vor dem Ablauf von zwei Jahren nach der Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X).

Der Bescheid der Beklagten über die Anerkennung des Unfallereignisses vom 18.02.1998 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Entschädigungsleistungen war jedoch rechtmäßig. Bei dem genannten Unfallereignis handelt es sich um einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall, auf den das Recht des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) anzuwenden ist, weil er sich nach dem 01.01.1997 ereignete (§ 212 SGB VII).

Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht darin, dass der Kläger zunächst den Weg von der Betriebsstätte zur Wohnung (bis zum Parkplatz) antrat, dort bemerkte, dass er Gegenstände (Papiere und/oder Werkzeug) im Unternehmen vergessen hatte, umkehrte, diese Gegenstände holte und danach nochmals den Weg zwischen Betriebsstätte und Wohnung antrat, wobei der Unfall vor Erreichen des Parkplatzes geschah.

Der versicherte Weg war daher zum Unfallzeitpunkt unterbrochen. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes während einer solchen Unterbrechung des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit ist zunächst zu unterscheiden, ob sie einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht (BSG, Urteil vom 25.10.1989, Az.: 2 RU 26/38, Breithaupt 1990, S. 798) oder ob sie aus privaten Gründen erfolgt ist. Im ersten Fall besteht Versicherungsschutz auch während der Unterbrechung (BSGE 43, 113, 114 = Breithaupt 1977, S. 878; BSG, Urteil vom 25.05.1977, Az.: 2 RU 97/75 m.w.N.). Dieser innere Zusammenhang ist gegeben, wenn der eingeschobene Weg und das anschließende Verhalten des Versicherten der versicherten Tätigkeit, d.h. dem Zurücklegen des Weges vom Betrieb zur Wohnung, wesentlich diente (BSG, Urteil vom 26.05.1977 a.a.O.). Bei der Feststellung dieses inneren Zusammenhangs zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der Betriebstätigkeit geht es um die Ermittlung der Grenze, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten Tätigkeit oder zum Zurücklegen des Arbeitsweges gehört. Daraus folgt, dass während Unterbrechungen kein Versicherungsschutz besteht, wenn sie wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnen sind, mithin eigenwirtschaftlichen Zwecken dienen (BSG, Urteil vom 27.03.1990, Az.: 2 RU 36/89, Breithaupt 1990 S. 904). Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Für die tatsächlichen Grundlagen des Vorliegens versicherter Tätigkeit muss der volle Beweis erbracht werden, das Vorhandensein versicherter Tätigkeit also sicher feststehen, während für die kausale Verknüpfung zwischen ihr und dem Unfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt.

Der eingeschobene Weg diente der versicherten Tätigkeit, dem Zurücklegen des Weges vom Betrieb zur Wohnung bereits deshalb, weil der Kläger mit den vergessenen Papieren auch seinen Führerschein holte. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.1990, Az.: 2 RU 57/89) besteht Versicherungsschutz während eines zum Zwecke des Holens vergessener Papiere (Reisepass, Personalausweis, Führerschein, Kraftfahrzeugpapiere) während eines anlässlich einer Dienstreise zurückgelegten Weges. Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, der Versicherte habe zum einen die Papiere benötigt, um sich während der Dienstreise gegenüber Geschäftspartnern und dem Hotel ausweisen und sich bei der Bank Bargeld besorgen zu können. Zum anderen stehe das Mitführen der Fahrzeugpapiere im inneren Zusammenhang mit der Dienstreise, weil der Pkw im betrieblichen Interesse benutzt wurde. Für den Senat ist kein Grund ersichtlich, weshalb das Mitführen des Führerscheins im Rahmen einer Dienstreise anders zu bewerten sein soll als auf dem Arbeitsweg. Der Kläger stand unstreitig während der Fahrt mit dem privaten Pkw zu seiner Wohnung unter Versicherungsschutz. Das Mitführen des Führerscheins ist zum ordnungsgemäßen Zurücklegen des Arbeitsweges erforderlich, andernfalls würde der Kläger eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 69a Nr. 5 a) i.V.m. § 4 Abs. 2 Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) begehen. Anders als in dem vom Hessischen Landessozialgericht (Urteil vom 05.04.1995, Az.: L 3 U 580/94) entschiedenen Fall bemerkte der Kläger vor Antritt der Fahrt das Fehlen der Papiere. Er beging sozusagen noch nicht wissentlich eine Ordnungswidrigkeit, um die vergessenen Papiere zu holen. In dem vom Hessischen LSG entschiedenen Fall legte der Kläger zunächst den Weg mit dem Pkw nach Hause zurück, bemerkte erst dort das Fehlen und fuhr dann in dem Wissen, die Papiere nicht dabei zu haben, wieder zur Arbeitsstätte zurück, um diese zu holen und sich damit auf einen ordnungsgemäßen Antritt der Fahrt am nächsten Tag zur Arbeitsstätte vorzubereiten. Dieser Fall lag somit anders als der hier zu entscheidende.

Vorliegend ist bereits aus diesem Grund ein unter Versicherungsschutz stehender Unfall gegeben. Der Rücknahmebescheid der Beklagten ist folglich schon allein deshalb rechtswidrig.

Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassungen des Klägers zum Unfallhergang einschließlich der Aussagen zum Holen der Papiere ergeben sich nicht aus dem Vermerk im Durchgangsarztbericht (Bl. 1 Verwaltungsakte), nach dem Bedenken gegen die Richtigkeit der Angaben des Versicherten bestünden, weil mehrfach die Unfallschilderung geändert worden sei. Die Beweisaufnahme des SG erbrachte das Ergebnis, dass der Unterzeichnende Dr. S1 ... am 18.02.1998 keinen Dienst hatte und lediglich den von ihm nicht verfassten Durchgangsarztbericht unterschrieben hatte. Der diensthabende Arzt Dr. P1 ... bestätigte, den Unfallhergang habe der Kläger ihm gegenüber nicht geändert. Zu der Formulierung im Durchgangsarztbericht sei es deshalb gekommen, weil ihm unklar gewesen sei, wie der Kläger mit den beiden Brüchen noch vom Zaun zum Auto gelangen konnte. Jedoch bestätigten Dr. S1 ... und Dr. G1 ... vor dem SG, es sei aus medizinischer Sicht möglich, mit einer doppelten Fersenbeinfraktur, wenn auch unter Schmerzen, zu gehen und Auto zu fahren.

Zweifel an der Glaubhaftigkeit der klägerischen Einlassung erwachsen auch nicht daraus, dass in der Unfallanzeige des Unternehmens beschrieben ist, dass sich der Kläger zunächst mit dem Auto auf dem Nachhauseweg befand, und später lediglich noch davon die Rede war, dass er auf dem Parkplatz das Fehlen der später geholten Gegenstände bemerkt habe. Zu berücksichtigen ist, dass der Arbeitgeber - wie sich aus der glaubhaften Aussage der Zeugin G ... in der Beweisaufnahme des SG ergab - lediglich von der Ehefrau des Klägers, die nicht Augenzeugin des Unfalls war, über das Unfallgeschehen informiert wurde. Naturgemäß verändert sich der Inhalt einer Aussage bei Weitergabe über mehrere Personen (hier: Zeugin G ..., Arbeitgeber). Zum anderen hat die Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG ausgesagt, die ersten beiden Sätze der Unfallschilderung in der Anzeige des Unternehmens (Bl. 3 Verwaltungsakte) stammten nicht von ihr.

Aus der Tatsache, dass zwischen dem Unfallgeschehen (ca. 18.05 Uhr) und der im Durchgangsarztbericht eingetragenen Uhrzeit des Eintreffens (21.44 Uhr) vier Stunden liegen, ergeben sich ebenfalls keine durchschlagenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassungen des Klägers. Bedenkt man, dass der Kläger nach 18.05 Uhr mit gebrochenen Fersen zum Auto gehen und dann eine Wegstrecke von knapp 50 km zurücklegen musste, erscheint es nach allgemeiner Lebenserfahrung nachvollziehbar, dass er gegen 19.00 Uhr zu Hause eintraf. Nachdem die Ehefrau den Kläger nicht allein aus dem Auto befördern konnte, wurde zwischen 19.00 Uhr und 20.00 Uhr zunächst der Schwiegervater des Klägers, der Zeuge M ..., der dies in der mündlichen Verhandlung vor dem SG bestätigte, gerufen. Danach erfolgte eine Benachrichtigung des Arztes, der gegen 20.00 Uhr beim Kläger eintraf. Dieser ordnete nach Untersuchung eine stationäre Einweisung an. Es erscheint nicht unrealistisch, dass der Krankenwagen nicht sofort eintraf und der Kläger nach der Beförderung ins ca. 17 bis 20 km entfernte Krankenhaus G ... dort erst gegen 21.45 Uhr eintraf.

Ungeachtet dessen sind die Bescheide der Beklagten vom 24.01.2001 und 13.12.2001 weiterhin deshalb aufzuheben, weil der Kläger neben den Papieren auch seinen "Werkzeugbeutel", in dem sich u.a. Knieschützer, Arbeitshandschuhe und Zollstock befanden, holte. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger am Unfalltag auch diesen Beutel bei sich trug als sich der Unfall ereignete. Der Senat hat diesbezüglich keinen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Klägers und der Aussagen des vom Senat vernommenen Zeugen H ... Letzterer schilderte plastisch und widerspruchsfrei, dass er beim Verlassen des Firmengebäudes den Kläger hinter dem geschlossenen Tor schmerzgekrümmt liegen sah und dieser den Beutel bei sich trug. Weil er mit dem Kläger gemeinsam arbeitete, kannte er diesen Beutel und wusste, dass sich darin die oben genannten Gegenstände befanden.

Soweit die Beklagte Zweifel hegt, ob der Kläger tatsächlich auch diesen Beutel geholt hat, teilt der Senat diese nicht.

Die Aussage, der Kläger sei in das Gebäude des Arbeitgebers zurückgekehrt, um lediglich seine Papiere zu holen, stammt aus der Unfallanzeige bzw. der Stellungnahme des Unternehmens vom 06.10.1998. Im Durchgangsarztbericht ist dies nicht angegeben. Auch hat die Beklagte versäumt, zeitnah nach dem Unfall den Kläger selbst zum Unfallhergang zu befragen. In der Anfrage der Beklagten vom 07.10.1998 wird der Kläger lediglich aufgefordert mitzuteilen, welche Papiere (nicht welche Gegenstände) er vergessen habe. Darauf antwortete er am 14.10.1998, es habe sich um seine Brieftasche mit Führerschein, Geld und Personalausweis gehandelt.

Nicht unbeachtet bleiben kann ferner, dass für den Kläger infolge der zunächst reibungslosen Anerkennung des Unfallereignisses als Arbeitsunfall durch Bescheid vom 25.03.1999 keine Veranlassung bestand, eine eigene detaillierte Unfallschilderung einzureichen. Erst als die Beklagte ihn zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides anhörte, schilderte er, die Papiere hätten sich in der Werkzeugtasche befunden, die er am nächsten Tag auf der Baustelle, auf die er mit dem eigenem Pkw fahren sollte, benötigte. Auch bestand für den Kläger erst nach der angekündigten Rücknahme des Bewilligungsbescheides die Notwendigkeit, den Unfallzeugen H ... zu benennen.

Der Beklagten ist nicht darin zuzustimmen, dass nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Erstangaben eines Versicherten nach einem Unfall in der Regel unbefangen und daher glaubhafter sind. Das BSG hat sich vielmehr zu dieser Frage bisher unterschiedlich geäußert: Einerseits maß es den zeitlich ersten Angaben in der von der Beklagten zitierten Entscheidung (Beschluss vom 22.05.1959, Az.: 5 RK 51/58 = HV-Info 11/1986, S. 802 ff.) besondere Bedeutung zu, andererseits lehnte es eine "Erfahrungstatsache", die ersten Angaben eines Unfallverletzten seien stets glaubhafter als eine spätere Behauptung, ausdrücklich ab (BSG, Urteil vom 11.11.2003, Az.: B 2 U 41/02 R; BSG, Urteil vom 29.01.1959, Az.: 2 RU 267/56). Erstangaben kommt nicht automatisch ein höherer Beweiswert gegenüber späteren Angaben zu; es gibt weder eine Regel noch einen Erfahrungssatz dieses Inhalts (vgl. auch Berger-Delhey, Die BG 1987, S. 460 ff.). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als eine Unfallschilderung des Klägers unmittelbar nach dem Unfall nicht eingeholt wurde.

Der Zeuge H ... hat die Einlassung des Klägers, er habe das Werkzeug benötigt, um es am nächsten Tag auf der mit dem privaten Pkw anzufahrenden Baustelle bei sich zu haben, bestätigt, als er ausgesagt hat, dass Baustellen in der Nähe des Wohnortes oft mit dem privaten Pkw angefahren worden seien.

Zur Überzeugung, dass der Kläger konkret am Folgetag des Unfalls mit dem eigenen Pkw zu einer in der Nähe des Wohnortes befindlichen Baustelle fahren wollte, vermag der Senat jedoch nicht zu gelangen. Der Senat erachtet diese Variante genauso für möglich wie die Variante, dass der Kläger den Beutel immer mit nach Hause nahm, unabhängig von einer Fahrt zur Baustelle mit dem privaten Pkw am Folgetag. Der Zeuge H ... hat glaubhaft - auch nach nochmaliger Nachfrage des Senats - versichert, dass der Kläger seinen "Werkzeugbeutel" immer unabhängig davon, ob er am nächsten Tag mit dem privaten Pkw zur Baustelle fuhr, mitnahm. Auch konnten weder der Kläger noch der Arbeitgeber angeben, auf welcher Baustelle der Kläger am Folgetag arbeiten sollte. Der Senat hält beide oben genannten Varianten für möglich. Da es sich vorliegend um einen Fall einer Rücknahme eines von der Beklagten für rechtswidrig gehaltenen Verwaltungsaktes handelt und die Beklagte die für sie günstigen Tatbestandsvoraussetzungen, mithin auch die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides, zu beweisen hat, hat sie die Folge der Nichterweislichkeit der Tatsache, dass der Kläger am Folgetag nicht mit dem privaten Pkw zu einer Baustelle fahren wollte, zu tragen. Auch aus diesen Gründen kann nicht von einer Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides ausgegangen werden.

Zudem leiden die angegriffenen Bescheide unter weiteren Mängeln. Der Senat ist unter Berücksichtigung der Aussage der Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der Pkw, für dessen Erwerb der Kreditvertrag vom 08.02.2000 abgeschlossen wurde, sei im Juni 1999 erworben worden, des genannten Kreditvertrages und in Anbetracht der geringen monatlichen Einkünfte des Klägers davon überzeugt, dass sein Vertrauen in den Bestand des Bewilligungsbescheides schutzwürdig ist.

Zwar besteht bei einer Aufhebung lediglich mit Wirkung für die Zukunft ein wesentlich geringerer Vertrauensschutz als bei einer Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit. Vorliegend hat der Kläger jedoch mit dem Abschluss des Autokreditvertrages eine Vermögensdisposition getroffen, die er nicht mehr rückgängig machen kann. Laut dem Kreditvertrag (Bl. 111 ff. LSG-Akte) hat der Kläger am 08.02.2000 einen Kredit über einen Gesamtbetrag von 69.310,08 DM mit einer Monatsrate von 825,12 DM geschlossen. Sein monatlicher Nettoverdienst beträgt ca. 1.200 EUR (Bl. 106, 115 ff. LSG-Akte). Mit dem Bewilligungsbescheid vom 24.03.1999 war ihm ab 01.03.1999 eine Rente als vorläufige Entschädigung in Höhe von 940,22 DM gewährt worden. Diese deckte folglich die Autokreditrate ab.

Angesichts der gravierenden Vermögensdisposition des Klägers, die er im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes getroffen hat, sowie der Tatsache, dass die aus der Sicht der Beklagten vermeintliche Fehlerhaftigkeit des Bescheides allein auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung ihrerseit basierte (vgl. BSG, Urteil vom 14.11. 1985, Az.: 7 RAr 123/84, BSGE 59, 157, 163 ff.), ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers zu bejahen. Der Kläger ist allerdings lediglich insoweit schutzwürdig, wie die Disposition reicht (Steinwedel, in: Kassler Kommentar, Stand 12/2003, Rn. 59 zu § 45 SGB X; Wiesner, in: Von Wulffen, SGB X, 4. Auflage, Rn. 20 zu § 45). Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens besteht folglich bis zur vollständigen Begleichung aller Kreditraten sowie der Zinsen und Kreditnebenkosten.

Ungeachtet der nicht vorliegenden Rechtswidrigkeit sowie der Schutzwürdigkeit des klägerischen Vertrauens sind die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten auch deshalb rechtswidrig, weil sie von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat. Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X ist eine Ermessensentscheidung. Die Bescheide der Beklagen hätten folglich nicht nur erkennen lassen müssen, dass die Beklagte eine Ermessensentscheidung treffen wollte, sondern auch, dass sie eine solche getroffen hat, sowie die Gesichtspunkte, von denen sie bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist (BSGE 59, 157, 170 m.w.N.).

Zwar hat die Beklagte im Bescheid vom 24.01.2001 den Wortlaut des § 45 Abs. 1 SGB X zitiert und angegeben, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden "darf". Jedoch wurde das Ermessen nicht ausgeübt, mithin keinerlei Gesichtspunkte für eine Ermessensabwägung benannt. Im letzten Absatz des Bescheides begründet die Beklagte lediglich, weshalb ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Bewilligungsbescheides nicht besteht. Auch im Widerspruchsbescheid vom 13.12.2001 stellt die Beklagte lediglich Erwägungen zur Schutzwürdigkeit des Vertrauens an. Eine Ermessensentscheidung wurde folglich nicht getroffen. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes und ein nicht bestehender Schutz des Vertrauens in den Bestand des Verwaltungsaktes sind jedoch lediglich Voraussetzungen, die zunächst vorliegen müssen, um zu einer Ermessensentscheidung zu gelangen. Im Rahmen dieser ist zu prüfen, ob von einem bestehenden Rücknahmerecht Gebrauch gemacht werden soll oder ganz oder teilweise davon abgesehen wird. Weil vorliegend die Beklagte jedoch lediglich die Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens bejaht und bereits aufgrund dessen eine Rücknahmeentscheidung getroffen hat, ist die Entscheidung auch aus diesem Grunde rechtswidrig. Die eintretenden wirtschaftlichen Folgen einer Rücknahme hätten, selbst wenn man aus diesem Grunde den Vertrauensschutz nicht bejaht, derartig sein können, dass sie bei sachgemäßer Ermessensausübung zu keiner oder einer differenzierten Rücknahmeentscheidung hätten führen können. Den für ihre Entscheidung benötigten Sachverhalt hätte die Beklagte gegebenenfalls von Amts wegen ermitteln (BSGE 59, 157, 171) und sich gegebenenfalls der Mitwirkung des Klägers bedienen müssen.

Ein Nachschieben von Gründen - wie möglicherweise von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geschehen - dergestalt, dass die Beklagte ihren Rücknahmebescheid soweit ergänzt, dass nunmehr Ermessen ausgeübt und Ermessensgesichtspunkte ausgeführt werden, ist nicht mehr möglich. Zwar gestattet § 41 Abs. 2 SGB X in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung ein Nachholen der Begründung bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens. Bei der Nachholung der Begründung im Sinne der Norm geht es um die Nachbesserung eines Verstoßes gegen § 35 Abs. 1 SGB X, mithin die Heilung des Verfahrensfehlers der Nichtmitteilung der aus der Sicht der Beklagten maßgeblichen Gründe für den Erlass des Verwaltungsaktes (formelles Erfordernis). Abzugrenzen hiervon ist das nicht § 41 Abs. 2 SGB X unterfallende materiell-rechtliche Nachschieben von Gründen. Hier soll der Verwaltungsakt nachträglich mit materiell richtigen Gründen ausgestattet werden (Steinwedel, in: Kassler Kommentar, Rn. 14 zu § 41 SGB X; Wiesner, in: von Wulffen, a.a.O., Rn. 5 ff. zu § 41 SGB X; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Auflage, Rn. 18, 19 zu § 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Auflage, Rn. 45 zu § 45). Ein solches ist lediglich dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt durch das Nachschieben von Gründen nicht in seinem Wesensgehalt geändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (Wiesner, a.a.O.). Letzteres wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (Rennert, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, 11. Auflage, Rn. 87 zu § 114). Zum Wesen des Verwaltungsaktes gehört nicht nur der Tenor, sondern gehören auch - und bei Ermessensentscheidungen besonders - die Motive. Darum liegt eine Wesensänderung auch vor, wenn eine zunächst gebundene Entscheidung nunmehr als Ermessensentscheidung aufrecht erhalten bleiben soll. Im Falle von Ermessensentscheidungen bedeutet die Neuregelung, dass eine Heilung im Falle der Nichtausübung von Ermessen im Ursprungsbescheid nicht möglich ist, weil in diesem Falle der Bescheid nicht nur verfahrensfehlerhaft ohne Begründung, sondern materiell rechtsfehlerhaft zustande gekommen ist und durch die nunmehr erstmals angestellten Ermessenserwägungen ein völlig neuer Verwaltungsakt geschaffen würde (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.04.2002, Az.: L 6 RA 82/00, Urteil vom 22.03.2001, Az.: L 1 Ar 247/98; vgl. auch Sächsisches OVG, Urteil vom 25.06.1997, SächsVBl. 1998 S. 32; VG München, Urteil vom 14.10.1997, NVwZ 1998 S. 1325; Wiesner, a.a.O., Rn. 6; Pickel, Kommentar zum SGB X, Rn. 21 bis 23 zu § 41; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Rn. 54a zu § 45; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, Rn. 69 f. zu § 113, Rn. 50 zu § 114; a.A. Steinwedel, a.a.O., Rn. 25).

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. -
Rechtskraft
Aus
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