L 2 U 46/01

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 357/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 46/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29.03.2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Folgen eines Arbeitsunfalles vom 15.06.1998.

Ausweislich einer Unfallanzeige der Fa. O ...- und G ... R. S ... vom 12.10.1989 stolperte die Klägerin am 15.06.1998 beim Verlassen des Ladensgeschäftes, in dem sie beschäftigt war und stürzte, wobei sie sich das linke Knie aufschlug. Im Rahmen ihrer daraufhin eingeleiteten medizinischen Ermittlungen zog die Beklagte Befundebericht und Arztbriefe der Ärzte bei, die Klägerin behandelt nach dem 15.06.1998 behandelt hatten und aus denen sich ergibt, dass anlässlich der Erstbehandlung ein Hämatom und am 30.06.1998 eine haselnussgroße Vorwölbung gefunden worden waren. Diese - ein freier Gelenkkörper - wurde am 16.09.1998 entfernt. Im weiteren Verlauf entwickelte sich ein Kniegelenksempyem; am 10.05.1999 wurde der Klägerin ein künstliches Kniegelenk eingesetzt.

Mit Bescheid vom 13.04.1999 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 15.06.1998 als Arbeitsunfall an, lehnte jedoch die Gewährung von Leistungen über den 30.06.1998 hinaus wegen der bei dem Arbeitsunfall erlittenen Gesundheitsstörungen ab.

Der gegen den Bescheid eingelegte Widerspruch wurde nach Einholung eines Gutachtens und Durchführung weiterer Ermittlungen auf medizinischem Gebiet mit Widerspruchsbescheid nebst ausführlicher Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. insoweit Bl. 83 der Verwaltungsakte) vom 01.10.1999 zurückgewiesen.

Der Widerspruchsbescheid vom 01.10.1999 wurde der Klägerin mit Einschreiben zugestellt und ausweislich eines Postvermerkes am 07.10.1999 zur Post gegeben. Mit Schreiben vom 28.10.1999 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und führte unter Angabe von Gründen aus, sie sei mit der Entscheidung vom 01.10.1999 nicht einverstanden. Das Schreiben endet mit "In der Hoffnung auf einen nun endlich positiven Bescheid verbleibe ich ...".

Am 04.11.1999 wandte sich die Beklagte erneut an die Klägerin, wies auf die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides hin und bat um Mitteilung, ob das Schreiben vom 28.10.1999 als Klage gewertet werden solle. Mit bei der Beklagten am 26.11.1999 eingegangenen Schreiben vom 24.11.1999 teilte die Klägerin mit, dass ihr Schreiben vom 28.10.1999 als Klage gewertet werden solle.

Die Beklagte leitete daraufhin das Schreiben vom 28.10.1999 an das Sozialgericht Chemnitz (SG) weiter, das insbesondere in medizinischer Hinsicht ermittelt hat und insoweit ein Gutachten bei Dr. P1 ... vom 30.12.2000 eingeholt hat, in dem der Gutachter abschließend ausgeführt hat, dass das Ereignis vom 15.06.1998 als Gelegenheitsursache für die Gesundheitsstörungen am linken Knie der Klägerin anzusehen sei.

Das SG hat mit Urteil vom 29.03.2001 den Bescheid vom 13.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1999 insoweit aufgehoben, als die Herausbildung des freien Gelenkkörpers mit nachfolgendem Kniegelenksempyem als Unfallfolge verneint worden war und die Beklagte zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. verurteilt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 21.05.2001 zugestellte Urteil am 23.05.2001 Berufung eingelegt und zur Begründung insbesondere darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des Unfallherganges und der primären Unfallfolgen noch Unklarheiten bestünden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. Juni 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat in der als Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin anberaumten Sitzung vom 12.03.2004 zunächst ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin erklärt. Nach Herstellung der Öffentlichkeit ist die Sitzung als Termin zur mündlichen Verhandlung fortgeführt worden. In diesem Termin hat die Klägerin ausgeführt, sie habe, als sie sich mit dem Schreiben vom 28.10.1999 an die Beklagte gewandt habe, noch nicht an ein Klageverfahren gedacht. Sie habe nicht gewusst, wie in derartigen Dingen vorgegangen werde. Nachdem sie von der Beklagten mit dem Schreiben vom 04.11.1999 auf die Rechtsbehelfsbelehrung und die Möglichkeit der Klage hingewiesen worden sei, habe sie sich noch einmal mit ihrem Mann besprochen. Sie seien dann zu dem Ergebnis gekommen, dass sie Klage erheben solle. Auf Nachfrage hat die Klägerin bestätigt, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt an die Erhebung einer Klage nicht gedacht habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 12.03.2004 verwiesen.

Die Klägerin hat sich im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.03.2004 und Beklagte mit Schreiben vom 22.05.2001 mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin und mit Schreiben vom 22.03.2004 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die hierfür gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 4, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderlichen Einverständniserklärungen vorliegen.

Die zulässige Berufung ist begründet, da der Bescheid der Beklagten vom 13.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1999 bestandskräftig geworden ist. Die Klage ist erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelegt worden.

Nach § 87 Abs. 1, 2 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Gemäß § 90 Abs. 1 SGG ist die Klagefrist auch gewahrt, wenn die Klage innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit (u. a.) bei einem Versicherungsträger eingegangen ist. Diese Monatsfrist ist nicht eingehalten worden, da die Klägerin erst mit dem am 26.11.1999 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 24.11.1999 Klage erhoben hat.

Bei dem Schreiben vom 28.10.1999, das bei der Beklagten am 01.11.19999 einging, handelt es sich nicht um eine Klage. Zwar will ein rechtsunkundiger Empfänger eines Widerspruchsbescheides, der dessen Unrichtigkeit geltend macht, im Zweifel Klage und keine Gegenvorstellung erheben (BSG SozR § 91 SGG Nr. 2). Jedoch ist nicht ausreichend, wenn in einem Schriftsatz an die Verwaltungsbehörde lediglich die Unzufriedenheit mit dem Inhalt eines Verwaltungsaktes ausgedrückt wird und nicht deutlich gemacht gemacht wird, dass die Überprüfung durch ein Gericht begehrt wird (Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand März 2003, § 92 II/29 ff.); es muss vielmehr der Wille erkennbar werden, durch Ingangsetzung des gerichtlichen Verfahrens eine Änderung derjenigen Verwaltungsentscheidung herbeizuführen, durch die der Beteiligte sich beschwert fühlt (BSG SozR § 91 SGG Nr. 1).

Vorliegend bestehen keine Zweifel daran, dass die Klägerin innerhalb der Klagerhebungsfrist eine Überprüfung der angefochtenen Bescheide durch eine weisungsfreie Instanz bzw. ein Gericht nicht in Betracht zog. Sie hat zum einen nach Erhalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.1999, der lediglich zwei Seiten umfasst und mit einer umfassenden und vollständigen Rechtsmittelbelehrung versehen ist, die auch die Anschrift des zuständigen Sozialgerichts enthält, sich entgegen dieser Rechtsmittelbelehrung nicht an das SG gewandt, sondern gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht, sie begehre den Erlass eines nunmehr positiven Bescheides.

Entsprechend dem Inhalt dieses Schreibens hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.03.2003 ausdrücklich bestätigt, dass sie die Erhebung einer Klage erst nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 04.11.1999 in Betracht gezogen hat. Eine Auslegung des Schreibens vom 28.10.1999 dahin, dass die rechtsunkundige Klägerin eine (auch) gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Bescheide wünschte, ist angesichts des innerhalb der Klagefrist nicht auf eine Überprüfung im Klagewege bzw. durch eine übergeordnete Instanz gerichteten Willens der Klägerin nicht möglich.

Da die Klägerin die Erhebung einer Klage erstmals nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 04.11.1999 in Betracht zog und dies erst mit dem Schreiben vom 24.11.1999 der Beklagten mitteilte, ist die Klage zu spät erhoben worden.

Der Widerspruchsbescheid vom 01.10.1999 ist am 07.10.1999 per Einschreiben der Klägerin zugestellt worden. Gemäß § 4 Abs. 1 1. Hlbs. Verwaltungszustellungsgesetz gilt bei der Zustellung durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes dieser mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt; es sei denn, dass das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Gemäß § 64 Abs. 1 SGG beginnt der Lauf einer Frist mit dem Tage nach der Zustellung, nach § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG endet die Monatsfrist mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, der nach seiner Zahl dem Tag der Zustellung entspricht. § 64 Abs. 3 SGG regelt weiter, dass dann, wenn das Ende der Frist zum Beispiel auf einen Sonntag fällt, die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages endet. Der am 07.10.1999 zur Post gegebene Widerspruchsbescheid vom 01.10.1999 gilt, da Anhaltspunkte für einen späteren Zugang nicht vorhanden sind, als am 10.10.1999 zugestellt. Die Klagefrist begann somit am 11.10.1999 zu laufen und endete am Donnerstag, dem 10.11.1999. Die Klägerin hat jedoch, wie bereits dargelegt, erst am 26.11.1999 und damit verspätet die Klage eingereicht.

Da die Klagefrist eine gesetzliche Frist ist, die nicht verlängert werden kann (vgl. § 65 SGG) und auf die auch nicht verzichtet werden kann, ist eine nicht fristgerecht eingelegte Klage unzulässig mit der Folge, dass die ihr zugrunde liegenden Bescheide bindend werden (§ 77 SGG) und eine materiellrechtliche Überprüfung nicht möglich ist, wenn nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3, 4 SGG kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, sofern die versäumte Rechtshandlung - hier: das Einlegen der Berufung - binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt wird. Der Klägerin kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Zum einen ist angesichts des innerhalb der Klagefrist bei der Beklagten eingegangenen Schreibens der Klägerin vom 28.10.1999 nicht ersichtlich, dass die Klägerin durch äußere Umstände gehindert gewesen wäre, die Klage fristgerecht zu erheben. Zum anderen hätte die Klägerin noch nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 04.11.1999 die Möglichkeit gehabt, vor Ablauf der Klagefrist zu reagieren. Sie hat aber erst mit Schreiben vom 28.11.1999 mitgeteilt, dass sie im Klagewege gegen die Bescheide der Beklagten vorgehen wolle.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved