L 2 U 36/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 46/01
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 36/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.01.2002 und der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2000 sowie der Widerspruchsbescheid vom 12.07.2000 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass beim Kläger seit 05.10.1998 eine Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger deswegen ab 12.07.2004 eine Ver-letztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei dem Wirbelsäulenleiden des Klägers um eine Berufskrankheit (BK) handelt.

Der am ...1961 geborene Kläger erlernte vom 01.09.1977 bis 15.07.1979 den Beruf des Maurers und arbeitete nachfolgend bis März 1997 als Maurer bzw. Baufacharbeiter und von April 1997 bis 31.12.1998 als Maurer und Tiefbauer. Zudem fuhr er vom 01.06.1995 bis 15.03.1997 ab und an Radlader. Am 20.05.1997 trat beim Anheben von Rasengitter-steinen ein Schmerz im Rücken auf. Ab 05.10.1998 bezog er Krankengeld. Seit Januar 1999 erhält er Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Nach der Expositionsanalyse des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten (TAD) vom 14.09.1999 habe der Kläger im Zeitraum von August 1979 bis Mai 1995 in ca. 50 % der täglichen Arbeitszeit, von Juni 1995 bis März 1997 in ca. 40 % der Arbeitszeit und von April 1997 bis Oktober 1998 ca. 45 % der täglichen Arbeitszeit gefährdende Tätigkeiten im Sinne einer BK 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (im Folgenden: BK-Nr. 2108 BKV) ausgeführt. Arbeiten im Sinne einer BK-Nr. 2109 BKV seien in unter 5 % der Arbeitszeit verrichtet worden.

Der Kläger gibt an, er leide seit 1995 unter belastungsabhängigen Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS). Bei der am 10.07.1979 durchgeführten Reihenuntersu-chung wurde kein pathologischer Befund der Wirbelsäule festgestellt. Ärztliche Behand-lungen erfolgten deswegen ausweislich seiner Sozialausweise bis 1990 nicht. Nach den Unterlagen des Kreiskrankenhauses/Poliklinik K .../Land bestand am 25.03.1986 trotz radikulärer Beschwerden noch ein altersgemäßer Befund.

Ausweislich des Erkrankungsverzeichnisses der AOK Sachsen war der Kläger vom 07.02.1994 bis 04.03.1994 unter anderem wegen Veränderungen der Brustwirbelsäule (BWS) und vom 06.03.1995 bis 24.03.1995 wegen akuter Lumbalgie arbeitsunfähig ge-schrieben. Die am 05.07.1996 durchgeführte Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule (HWS) erbrachte eine Spondylarthrose mit Baastrup-Syndrom. Vom 21.05.1997 bis 03.06.1997 war der Kläger wegen Lumboischialgie und vom 09.02.1998 bis 31.03.1998 wegen Schwindel bei HWS-Syndrom arbeitsunfähig geschrieben. Ab 05.10.1998 bestand Arbeitsunfähigkeit wegen Wurzelreizsyndrom und Prolaps der LWS. In Auswertung der Magnetresonanztomografieuntersuchung (MRT-Untersuchung) der LWS vom 26.10.1998 berichtete der Radiologe Dr. P1 ... über eine flache linkskonvexe Skoliose, unauffällige Bandscheiben bis L4, eine leicht höhengeminderte Bandscheibe L4/5 mit sehr flachem Prolaps und einen kleinen Prolaps bei L5/S1. Der Orthopäde Dr. S1 ... diagnostizierte am 04.06.1998 einen Morbus Scheuermann und eine leichte, statisch nicht relevante Thora-kalskoliose. Im Rahmen der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Kranken-kasse (MDK) wurde am 03.12.1998 erstmals ein positives Laségue-Zeichen festgestellt. Die Allgemeinmedizinerin Z1 ... berichtete im Befundbericht vom 09.09.1999 ebenso wie der Neurochirurg Doz. Dr. S2 ... im Bericht vom 14.09.1999 über ein positives Lasé-gue-Zeichen. Am 07.01.2000 erfolgte eine Nukleotomie am Segment L5/S1. Der Radiolo-ge DM W1 ... erkannte auf dem am 20.06.2000 gefertigten MRT eine Osteochondrose der Bandscheibe Th11/12 mit diskreter Protrusion sowie eine Protrusion der Bandscheibe L4/5. An der Bandscheibe L5/S1 habe sich offenbar Granulationsgewebe als Ausdruck einer möglicherweise beginnenden Narbenbildung herausgebildet. Es könne sich jedoch auch um einen kleinen Rezidivprolaps mit Umbauvorgängen handeln.

Am 12.05.1999 äußerte die Allgemeinmedizinerin Z1 ... den Verdacht der beruflichen Verursachung des Wirbelsäulenleidens. Auf Veranlassung der Beklagten fertigte der Or-thopäde Dr. S3 ... am 06.12.1999 ein Gutachten nach Aktenlage. Beim Kläger bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in Form einer chronisch rezidivierenden Lumboischialgie bei Bandscheibenprotrusion der LWS. Der Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung sei jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich. Als konkurrie-rende Ursachen bestünden eine Torsionsskoliose der unteren BWS auf dem Boden eines abgelaufenen Morbus Scheuermann. Zudem stelle der langjährige Tabakkonsum ebenfalls eine konkurrierende Ursache dar, weil Raucher im Vergleich zur Normalbevölkerung eine wesentlich erhöhte Quote von bandscheibenbedingten Erkrankungen aufwiesen. Zur Be-antwortung der Frage, ob das Krankheitsbild nicht mehr voll kompensiert werden könne und zur vollständigen Aufgabe der schädigenden Tätigkeit gezwungen habe, hielt er weite-re Ermittlungen für erforderlich.

DM G1 ... empfahl in ihren gewerbeärztlichen Stellungnahmen vom 19.01.2000 eine BK-Nr. 2109 BKV ohne gutachterliche Untersuchung wegen Fehlens der haftungsbegründen-den Kausalität und eine BK-Nr. 2108 BKV aufgrund der nicht gegebenen haftungsausfül-lenden Kausalität abzulehnen. Der Kläger leide an einem cervicobrachialen Schmerzsyn-drom und einem lumbalen Wurzelreizsyndrom. Röntgenologisch sei ein Zustand nach Morbus Scheuermann im Bereich der BWS und eine Thorakolumbalskoliose nachweisbar. Zudem bestünden deutliche degenerative Veränderungen an der HWS.

Die Beklagte lehnte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversiche-rung wegen der Wirbelsäulenbeschwerden mit Bescheid vom 16.02.2000 ab. Eine BK-Nr. 2108 BKV liege nicht vor, weil kein belastungstypisches Schadensbild gegeben sei. Zu-dem bestünde an der LWS ein altersvorauseilender Verschleiß. Mit Bescheid vom 01.03.2000 lehnte sie die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 20.05.1997 als Arbeitsunfall ab. Die Wirbelsäule sei vor dem Ereignis bereits schicksals-mäßig so erheblich vorgeschädigt gewesen, dass das Anheben der Rasengittersteine ledig-lich den Anlass, nicht jedoch die Ursache der Rückenbeschwerden darstelle. Den gegen den Bescheid vom 16.02.2000 gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Wider-spruchsbescheid vom 12.07.2000 und den Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.03.2000 mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2000 zurück.

Sein Begehren auf Anerkennung einer BK der Wirbelsäule hat der Kläger mit der am 04.08.2000 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage (Az.: S 4 U 46/01) weiter verfolgt. Auch gegen den Bescheid vom 01.03.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 27.06.2000 hat der Kläger am 26.07.2000 Klage erhoben.

Auf Veranlassung des SG hat der Orthopäde Prof. Dr. D1 ... am 26.06.2001 nach Unter-suchung am 22.06.2001 ein Gutachten erstattet. Das Schober’sche Zeichen hat er mit 10/13 cm, das Ott’sche Zeichen mit 30/31,5 cm und den Finger-Boden-Abstand mit 48 cm angegeben. Das Lasègue-Zeichen sei negativ. Beim Kläger liege eine bandscheibenbeding-te Erkrankung der LWS mit degenerativen Veränderungen bei L4/5 und L5/S1 vor. Der Kläger habe bereits 1986 im Alter von 25 Jahren unter ersten relevanten radikulären lum-balen vertebragenen Beschwerden gelitten. Zu diesem Zeitpunkt sei er erst sieben Jahre im Hochbau beschäftigt gewesen. Zudem hätten die Beschwerden der HWS eine zeitlang so-gar im Vordergrund gestanden; auch sei er wegen BWS-Beschwerden in Behandlung ge-wesen. Bei ihm lägen weder eine statisch relevante Skoliose noch bedeutsame Residuen eines abgelaufenen Morbus Scheuermann vor. Es sei jedoch von einem schicksalshaften Charakter der Erkrankung auszugehen, da keine spezifische Manifestation im Bereich der beruflich exponierten LWS festzustellen sei. Röntgenologisch liege kein altersvorauseilen-der Schaden vor. Magnetresonanztomographisch fänden sich bei L4/5 und L5/S1 Ver-schleißprozesse im Sinne eines Bandscheibenprolapses bzw. einer Bandscheibenprotrusion ohne nennenswerte sekundäre degenerative Veränderungen im Sinne einer Spondylosis deformans. Der zweisegmentale degenerative Prozess an der unteren LWS sei nicht typisch für beruflich Exponierte. Die graduelle Ausprägung und die Beschränkung lediglich auf diese Segmente der LWS spreche gegen eine entscheidende Bedeutung beruflicher Fakto-ren. Der Kläger habe aufgrund des lumbalen Schmerzsyndroms die schädigende Tätigkeit aufgegeben. Er sei nicht mehr in der Lage, sie wieder aufzunehmen.

In der mündlichen Verhandlung vom 24.01.2002 haben die Beteiligten bezüglich der An-erkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 20.05.1997 einen Vergleich geschlos-sen, nach dem das Ereignis vom 20.05.1997 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Zerrung der paravertebralen Weichteile der LWS zu werten sei. Hieraus habe eine Arbeitsunfähig-keit von 14 Tagen resultiert. Diesbezüglich haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erle-digt erklärt.

Im Übrigen hat das SG die Klage mit Urteil vom 24.01.2002 abgewiesen. Zwar lägen die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK-Nr. 2108 BKV vor. Das medizinische Bild dieser BK sei jedoch nicht gegeben. Zwar sei beim Kläger eine bandscheibenbedingte Er-krankung der LWS mit degenerativen Veränderungen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 gegeben. Diese Schäden seien jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die schädigenden Einwirkungen des berufsbedingten schweren Hebens und Tragens von Las-ten verursacht. Es hat sich diesbezüglich auf das von Prof. Dr. D1 ... erstattete Gutach-ten gestützt.

Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 11.03.2002 zugestellte Urteil ha-ben diese am 09.04.2002 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Auf Veranlassung des Senats hat der Orthopäde Dr. F1 ... nach Untersuchung am 16.02.2004 ein weiteres Gutachten erstellt. Er hat ein Schober’sches Zeichen von 10/14 cm, ein Ott’sches Zeichen von 30/31,5 cm und einen Finger-Boden-Abstand von 40 cm angegeben. Das Laségue-Zeichen sei negativ. Der monosegmentale Bandscheibenschaden am Segment L5/S1 stelle eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule dar. Auch sei ein Zwang zur Unterlassung der die LWS gefährdenden Tätigkeiten gegeben. Vertebragene lumbale Beschwerden seien bereits im Alter von 25 Jahren aufgetreten. Von einer Erstmanifestation der LWS-Erkrankung zu diesem Zeitpunkt könne jedoch nicht si-cher ausgegangen werden, weil der Kläger in diesem Falle seinen Beruf als Baufacharbei-ter und Maurer nicht bis Oktober 1998 hätte ausüben können. Auch fehlten zu den 1994/1995 angegebenen Wirbelsäulenbeschwerden jegliche Brückensymptome. Die Erst-manifestation der Bandscheibenerkrankung sei anlässlich der außergewöhnlichen Kraftan-strengung beim Anheben der Rasengittersteine im Mai 1997 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger etwa 36 Jahre alt gewesen. Zu ihr sei es nach 17jähriger wirbelsäulenexpo-nierter Tätigkeit gekommen. Beim Kläger lägen auch belastungsferne Degenerationszei-chen im Bereich der unteren HWS und der oberen BWS, die mindestens ebenso stark aus-geprägt seien wie die Veränderungen an der unteren LWS, vor. Eine Zwischenwirbelraum-erniedrigung bestehe am Segment L5/S1. Belastungsadaptive Reaktionen seien beim Klä-ger – außer dem Segment L5/S1 – nicht vorhanden. Eine Scheuermann’sche Erkrankung bzw. eine statisch wesentlich beeinträchtigende Skoliose oder andere Anlagestörungen lägen nicht vor. Auch weitere konkurrierende Ursachen, wie z. B. Übergewicht oder Stoffwechselerkrankungen, seien nicht gegeben. Allenfalls das Rauchen sei erwähnens-wert. Es beeinträchtige den Knorpel-Knochenstoffwechsel negativ. Eine wesentliche Ver-ursachung der Schädigungen in den unteren LWS-Segmenten durch das Rauchen sei je-doch vorliegend nicht zu sichern. Zusammenfassend seien bei der Abwägung der Umstän-de die berufsbedingten schädigenden Einwirkungen nicht als rechtlich wesentliche (Mit-) Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS anzusehen. Vielmehr sei von einer schicksalhaften monosegmentalen Bandscheibenerkrankung im lumbosakralen Seg-ment auszugehen. Das monosegmentale Schadensbild spreche grundsätzlich nicht gegen die Anerkennung einer BK-Nr. 2108 BKV. Jedoch sei ein bedeutendes Argument gegen die Annahme der genannten BK, dass belastungsadaptive Veränderungen nicht vorhanden seien.

Bei der am 11.09.2003 durchgeführten MRT-Untersuchung der HWS ist eine diskrete Bandscheibenprotrusion C4/5 bei Chondrose festgestellt worden.

Der Chirurg Prof. Dr. K1 ... hat auf Veranlassung des Senats nach Untersuchung am 12.07.2004 am 19.07.2004 ein weiteres Gutachten erstattet. Das Ott’ sche Zeichen habe 30/31,5 cm, das Schober’ sche Zeichen 10/13,5 cm und der Finger-Boden-Abstand 48 cm betragen. Beim Kläger bestehe ein lumbales radikuläres vertebrales Wurzelsyndrom links und ein Lumbalsyndrom rechts. Ferner liege eine Spondylose und degenerative Verände-rungen an den Deckplatten des 4. Lendenwirbelkörpers (LWK) vor. Die Bandscheibener-krankung bestehe in den Lendenwirbelkörpern L4/5 und L5/S1. Anlagebedingte oder kon-stitutionell bedinge Faktoren für die bandscheibenbedingte Erkrankung lägen nicht vor. Die Verschleißzeichen der mittleren HWS und BWS seien gering und altersnormgerecht. Der Kläger habe weder als Kleinkind, Schulkind, noch in der Jugendzeit oder junger Mann unter Rückenbeschwerden und/oder einer Erkrankung der Wirbelsäule gelitten. Er habe den Schulsport, den Berufsschulsport und den Armeesport ohne Einschränkungen durchge-führt. Wegen seines sportlichen Leistungsvermögens habe er aktiv an der zentralen Armee-sportveranstaltung 1976 teilgenommen. Bis 1989 sei er aktiver Fußballspieler gewesen. Er habe keinen wirbelsäulenbelastenden Sport – Turmspringen, Geräteturnen, Kraftsport oder Gewichtheben – ausgeübt. Außerberufliche Ursachen für die bandscheibenbedingte Er-krankung der LWS seien nicht aufdeckbar. Er habe weder an den freien Wochenenden noch nach Schichtende gearbeitet. Er habe kein Haus gebaut. Ein körperliches Überge-wicht habe bei dem 176 cm großen Mann bis 2000 nicht vorgelegen. Eine familiäre Dispo-sition zur Erkrankung am Stütz- und Bewegungsapparat sei nicht vorhanden. Sein 67-jähriger Vater, der seit früher Jugend starker Raucher sei, und seine 65-jährige Mutter lit-ten nicht unter Wirbelsäulen- bzw. Gelenkerkrankungen. Auch bei seinen fünf Geschwis-tern lägen derartige Erkrankungen nicht vor. Die bandscheibenbedingte Erkrankung habe ab 05.10.1998 zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit gezwungen. Eine BK-Nr. 2108 BKV liege vor. Ab 12.07.2004 sei eine durch die BK-bedingte Minderung der Erwerbsfä-higkeit (MdE) von 20 v. H. gegeben. Ab diesem Zeitpunkt sei die Seitneigung der LWS und nachfolgend der BWS um 2/3 gegenüber dem physiologischen Bewegungswinkel mit Provokation von radikulär bedingten Schmerzen in die linke Gesäßhälfte und Beugeseite des linken oberen Oberschenkels gegeben. Zudem bestehe eine Einschränkung der aktiven und passiven Drehung der LWS und BWS um die Hälfte mit Provokation von radikulären Beschwerden, die in die linke Gesäßhälfte ausstrahlten. Auch sei eine Einschränkung der Beugung und Streckung der LWS vorhanden. Die aktive und passive Beugung des Rump-fes sei nur bis zu einem Winkel von 20° ausführbar. Bei der Flexion träten ziehende Schmerzen in der unteren LWS, im Gesäß links und an der Beugeseite des linken Ober-schenkels auf. Auch sei am 12.07.2004 eine Muskeltonuserhöhung der paralumbalen Mus-kulatur links festzustellen gewesen. Ferner habe eine lendenwirbelsäulenschmerzbedingte Beugeeinschränkung beider Hüftgelenke und beider Kniegelenke, eine Fußheberschwäche links mit Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenks und eine Standunsi-cherheit des linken Beins bestanden.

Die Beklagte hat den Orthopäden Priv.-Doz. Dr. K2 ... zu seiner Stellungnahme vom 13.09.2004 veranlasst. Anhand der in allen drei Wirbelsäulenabschnitten vorliegenden Veränderungen, die nicht durch eine Exposition im Sinne einer BK-Nr. 2108 BKV verur-sacht werden könnten, sei von einer anlagebedingten vorzeitigen Degeneration der mittle-ren HWS, der oberen BWS und der unteren LWS auszugehen, dort unterstützt durch eine Segmentation des Kreuzbeines. Die von Prof. K1 ... in den Funktionsaufnahmen der LWS gemessenen Bewegungsamplituden der einzelnen Segmente seien im Zusammenhang mit der anhaltenden Funktionsstörung der unteren LWS als Folge der interlaminären Fenste-rung nach Prolapsoperation zu interpretieren und somit nicht Folge der Exposition. Eine beruflich bedingte Veränderung der LWS, insbesondere des Bandscheibenraumes L5/S1, liege nicht vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.01.2002 und den Bescheid der Be-klagten vom 16.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2000 aufzuheben, festzustellen, dass beim Kläger ab 05.10.1998 eine Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger deshalb ab 12.07.2004 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte stützt sich zur Begründung ihrer Auffassung auf die Gutachten von Dr. S3 ..., Prof. Dr. D1 ... und Dr. F1 ... sowie die gutachterliche Stellungnahme von Priv.-Doz. Dr. K2 ... Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Einzelrichterin des Senats liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Ver-waltungsakte der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin entscheiden gemäß § 155 Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG - , weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 SGG) ist zulässig und begründet. Daher waren das Urteil des SG vom 24.01.2002 und der Bescheid der Be-klagten vom 16.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2000 auf-zuheben. Ferner war festzustellen, dass der Kläger unter einer BK-Nr. 2108 BKV leidet. Die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger ab 12.07.2004 eine Verletztenrente nach ei-ner MdE von 20 v. H. zu gewähren.

Beim Kläger liegt der Versicherungsfall einer BK-Nr. 2108 BKV vor. Die Bandscheiben-erkrankung in den Segmenten L5/S1 und L4/5 mit Nervenwurzelkompressionssyndrom am Segment L5/S1 durch Bandscheibenprolaps, das nach der Bandscheibenoperation als Postdiskotomiesyndrom fortbesteht, sind Folgen dieser BK.

Vorliegend ist die BK-Nr. 2108 BKV i. V. m. § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) maßgeblich, weil der Versicherungsfall am 05.10.1998, mithin nach dem 01.01.1997, eingetreten ist.

Der Kläger hat die gefährdende Tätigkeit am 05.10.1998 völlig aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war er arbeitsunfähig erkrankt und hat hiernach auch nicht wieder eine wirbel-säulenbelastende Tätigkeit ausgeübt, so dass als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungs-falls nur der 05.10.1998 in Betracht kommt.

Eine Berufskrankheit nach BK-Nr. 2108 BKV liegt vor, wenn der Versicherte an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet, die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehal-tung verursacht worden ist, und der Versicherte durch die Erkrankung gezwungen wird, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die ursächlich für die Entstehung oder die Verschlimme-rung dieser Erkrankung waren oder noch ursächlich sein können.

Für das Vorliegen des Tatbestandes der Berufskrankheit ist ein ursächlicher Zusammen-hang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Tätigkeit und der Erkrankung andererseits (so genannte haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädi-genden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreichen (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000, Az.: B 2 U 34/99 R).

Die Feststellungen des TAD haben ergeben, dass die Voraussetzung eines langjährigen Hebens und Tragens schwerer Lasten im Sinne der BK-Nr. 2108 BKV beim Kläger erfüllt ist. Aufgrund der Ermittlungen des TAD, der Angaben des Klägers und ergänzend auch der Einschätzungen von Dr. S3 ..., Prof. Dr. D1 ..., Dr. F1 ... und Prof. Dr. K1 ... in ihren Gutachten, ist die Einzelrichterin des Senats voll davon überzeugt, dass der Kläger langjäh-rig schwer gehoben und getragen hat und die Dosis im als gesundheitsschädigend anzusehenden Bereich liegt. Ernsthafte Gesichtspunkte, die hiergegen sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden. Daneben war der Kläger Ganzkörperschwingungen im Sitzen ausgesetzt. Der Kläger leidet an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Dies haben die Gutachter Dr. S3 ..., Prof. Dr. D1 ..., Dr. F1 und Prof. Dr. K1 ... übereinstimmend zur vollen Überzeugung der Einzelrichterin des Senats festgestellt. Hiernach leidet der Kläger unter einem lumbalen vertebragenen Syndrom bei Spondylosis deformans der Deckplatte am LWK 4 und gering verstärkter Sklerosierung der Grundplatte am LWK 4 und einem Bandscheibenprolaps L5/S1 und - nach der an diesem Segment erfolgten Operation fortbe-stehendem Postiskotomiesyndrom - sowie einem Bandscheibenvorfall L4/5. Diese Erkran-kung führte zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ab 05.10.1998. Die Sachverständigen Dr. S3 ..., Prof. Dr. D1 ..., Dr. F1 ... und Prof. Dr. K1 ... gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet.

Diese bandscheibenbedingte Erkrankung wurde auch mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit des Klägers als Maurer, Baufacharbeiter und Tiefbauer wesentlich (mit-) verursacht.

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS sind regelmäßig nicht monokausal erklär-bar, weil nicht nur berufliche Belastungen auf die LWS einwirken, sondern immer auch eine Disposition (Vulnerabilität) eine Rolle spielen kann. Dann, wenn schon unter "norma-len" Belastungen des täglichen Lebens bandscheibenbedingte Erkrankungen auftreten, ist immer damit zu rechnen, dass auch Versicherte, die langjährig den in BK-Nr. 2108 BKV genannten Belastungen ausgesetzt sind, zu jenem Personenkreis gehören, dessen Band-scheibengewebe allgemein weniger widerstandsfähig ist. Bei solch kausaler Konkurrenz ist nach der im Sozialrecht geltenden Kausalitätstheorie unter Abwägung des Werts der ein-zelnen Bedingungen festzustellen, ob das versicherte Risiko (mit Wahrscheinlichkeit) rechtlich wesentlich zum Erfolg beigetragen hat. Dabei schließt die Mitwirkung (einer oder mehrerer) rechtlich wesentlicher Ursachen aus dem unversicherten Bereich den Versiche-rungsschutz nicht aus. Das ist nur dann der Fall, wenn solche Umstände rechtlich allein wesentlich sind. Sie müssen die versicherten Umstände überragen oder - anders ausge-drückt - in den Hintergrund drängen. Rechtlich wesentlich sind die beruflichen Ursachen mithin nicht nur dann, wenn sie im Vergleich zu den übrigen Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig sind, sondern bereits auch dann, wenn sie zwar nicht gleich-wertig, aber auch nicht völlig zu vernachlässigen sind. Dabei muss die jeweilige Beziehung zum Erfolg nicht sicher feststehen, sondern nur wahrscheinlich sein. Diese Grundsätze sind auch auf die Kausalitätsbetrachtung von berufsbedingten Bandscheibenerkrankungen der LWS und deren weiteren Folgen anzuwenden (Urteil des Senats vom 25.10.2002, Az.: L 2 U 41/99). Die Einzelrichterin des Senats geht davon aus, dass der versicherten Tätigkeit eine solchermaßen umschriebene wesentliche Bedeutung zukommt, weil die anderen be-rufskrankheitsunabhängigen Ursachenbeiträge nicht von überragender Bedeutung sind.

Zwar liegen beim Kläger auch Verschleißerscheinungen an der HWS und BWS vor. So leidet der Kläger an geringen bis mäßiggradigen osteochondrotischen Veränderungen im Segment C4/5 mit geringgradiger dorsaler Deckplattenausziehung und geringer Verschmä-lerung des Zwischenwirbelraumes HWK 4/5 sowie einer leichten, allerdings altersgemäßen Erniedrigung der unkonvertebralen Gelenkspalten C4/5, C5/6 und C6/7, einer gering ver-stärkten Sklerosierung der Grund- und Deckplatten der BWK Th2 bis 5 sowie einer diskre-ten Bandscheibenprotrusion im Segment C4/5.

Daneben besteht beim Kläger entsprechend der übereinstimmenden Feststellungen durch die gehörten Sachverständigen eine geringe linkskonvexe Skoliose der BWS, die jedoch nach den übereinstimmenden Ausführungen Prof. Dr. D1 ..., Dr. F1 ... und Prof. Dr. K1 ... statisch nicht relevant ist.

Nach Auffassung der Einzelrichterin des Senats ist es nicht zulässig, zu fordern, dass der nicht berufsbedingt exponierte Abschnitt der Wirbelsäule nicht oder nur weniger degenera-tiv verändert ist als der belastete. Häufig wird sich dieser Argumentation bedient, wenn sowohl die LWS als auch die HWS und BWS bandscheibenbedingte Erkrankungen auf-weisen. Diese These ist, nach ständiger Rechtsprechung des 2. Senat des Sächsischen LSG (u. a. Urteil vom 25.10.2002 (Az.: L 2 U 175/99), jedoch nicht plausibel. Denn sie würde zum einen nur dann ein verlässliches Ausschlusskriterium darstellen, wenn bandscheiben-bedingte Erkrankungen der HWS und BWS auch ohne berufliche Exposition der LWS nahezu immer mit einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS einhergingen, also nicht isoliert aufträten. Dies ist nirgends belegt. Zudem geht die These, wonach schwer-wiegende Veränderungen im beruflich nicht exponierten HWS-Bereich einen Rückschluss auf die berufsunabhängige Entstehung im beruflich exponierten LWS-Bereich zuließen, von der stillschweigenden Voraussetzung aus, dass das gesamte Bandscheibengewebe im Einzelfall aus ansonsten nicht näher bekannten und vorab erkennbaren Gründen anlagebe-dingt minderwertig(er) sei. Es handelt sich also um ein indirektes Verfahren. Da aber jede Bandscheibe durch langjährige Einwirkung von schwerem Heben und Tragen von Lasten belastet wird, aber nicht bei jedem Exponierten eine entsprechende bandscheibenbedingte Erkrankung auftritt, setzt die Entstehung einer Berufskrankheit immer - individuell ver-schiedene - Vulnerabilität gegenüber beruflichen Einwirkungen voraus. Sind die Verände-rungen deutlich unterschiedlich und der nicht oder wesentlich geringer exponierte Wirbel-säulenbereich wesentlich stärker degenerativ verändert als der beruflich stark belastete Wirbelsäulenbereich, kann nicht plausibel auf eine generelle Minderbelastbarkeit des Bandscheibengewebes geschlossen werden. Denn dann müssten im exponierten Wirbelsäulenabschnitt erst recht degenerative Veränderungen nachweisbar sein. Bei in etwa gleichwertiger degenerativer Veränderung von HWS, BWS und LWS gilt nichts anderes. Geht man in derartigen Fällen von der These der generalisierten Minderwertigkeit des Bandscheibengewebes aus, müsste der exponierte Wirbelsäulenabschnitt einen stärkeren Befund aufweisen als der nicht exponierte. Sind aber die Bandscheiben der beruflich exponierten LWS noch stärker degenerativ verändert als die Bandscheiben der HWS und BWS, legt dies die Annahme im Einzelfall nahe, dass das Bandscheibengewebe zwar physiologisch minderwertig ist, jedoch die berufliche Exposition gleichwohl eine wesentliche Teilursache darstellt. Daraus folgt, dass ein Vergleich zwischen exponierten und nicht exponierten Wirbelsäulenabschnitt nur geeignet ist, einen Kausalzusammenhang unter bestimmten Voraussetzungen zu stützen, nicht jedoch ihn in Zweifel zu ziehen, ohne die eigenen gedanklichen Prämissen zu verletzen.

Die Wirbelsäulensegmente L5/S1 und L4/5 des Klägers, die nachweisbar erheblich beruf-lich exponiert waren, sind stärker degenerativ verändert als diejenigen der HWS und BWS. Zwar ist röntgenologisch lediglich eine verstärkte Sklerosierung der Grundplatte von LWK 3 und der Deckplatte von LWK 4 mit ventraler Spondylose dieser Deckplatte und einer geringen Sklerosierung der Grundplatte des LWK 4 festzustellen. Jedoch wurden in den MRT-Aufnahmen vom 26.10.1998 und 20.06.2000 ein Prolaps der Bandscheibe L4/5, der den Duralschlauch diskret deformiert, und ein Prolaps der Bandscheibe L5/S1, der die Ner-venwurzel bedrängte, festgestellt. Bezüglich der HWS wurde im MRT vom 20.06.2000 lediglich eine diskrete Protrusion gesehen. An der LWS bestand zumindest zeitweise eine erhebliche Wurzelreizsymptomatik. So wurden im Gutachten des MDK vom 03.12.1998 ein positives Laségue-Zeichen links, im Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Z1 ... vom 09.09.1999 ein positives Laségue-Zeichen links von 35° und im Bericht des Neuro-chirurgen Doz. Dr. S2 ... ein positives Laségue-Zeichen links von 70° angegeben. Es kann daher – wenn man das Differenzargument als gültig ansieht – gefolgert werden, dass gera-de die erheblichen beruflichen Belastungen maßgeblich zum vorzeitigen Verschleiß des exponierten Wirbelsäulenabschnitts geführt haben. Das Differenzargument stützt folglich im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs.

Zudem besteht an der LWS ein belastungskonformes Schadensbild. Am schwersten ist das Bewegungssegment L5/S1 geschädigt. Das Segment L4/5 weist eine stärkere Veränderung als die darüber liegenden LWS-Segmente auf.

Beim Kläger liegt eine anlagebedingte Wirbelsäulenerkrankung in Form eines leichten Morbus Scheuermann der BWK 9 bis 11 vor. Die Gutachter Prof. Dr. D1 ..., Dr. F1 ... und Prof. Dr. K1 ... waren sich, für die Einzelrichterin des Senats nachvollziehbar, darin einig, dass die diesbezüglichen Veränderungen derartig gering waren, dass sie die Schäden an den unteren beiden LWS-Segmenten nicht wesentlich (mit) verursacht haben.

Dr. F1 ... hat als Voraussetzung für die Anerkennung eines Kausalzusammenhanges be-lastungsadaptive Reaktionen verlangt. Hierbei soll es sich um Anpassungsveränderungen handeln, wie sie überall im Körper dort zu finden seien, wo eine erhöhte Belastung statt-finde (analoges Phänomen: Beschwielung von Handflächen). Ebenso reagiere der Knochen auf eine erhöhte Druckbelastung. Er werde fester und an seiner Grenzzone entwickle er eine verstärkte Knochensubstanz, die sich röntgenologisch in einer stärkeren Sklerosierung darstelle. Bei überhöhten Belastungen komme es schon frühzeitig zu verstärkten Sklerosie-rungen als Anpassungsveränderungen.

Dem ist entgegen zu halten: Handelte es sich hierbei in jedem Einzelfall um einen zwin-genden Zusammenhang, müssten solche Anpassungsveränderungen beim Kläger anzutref-fen sein. Denn der Kläger hat nachweislich langjährig Lasten getragen und gehoben, die mit mittleren bis hohen Belastungen der LWS verbunden waren. Da beim Kläger solche Veränderungen nicht vorliegen, kann die von Dr. F1 ... vertretene Theorie entweder nicht in jedem Einzelfall richtig sein oder sie hat nur Bedeutung, dass sie für den Fall einer deut-lich verstärkten Sklerosierung in jungen und mittleren Jahren positiv die Annahme einer hinreichenden beruflichen Exposition stützt. Jedenfalls sind fehlende belastungsadaptive Reaktionen, wie sich hier erweist, nicht in jedem Einzelfall ein geeignetes Ausschlusskriterium (vgl. Urteil des Senats vom 25.10.2002, Az.: L 2 U 175/99).

Mit Prof. Dr. K1 ... geht die Einzelrichterin des Senats davon aus, dass es in der Natur der Sache liegt, dass sich zunächst primäre degenerative Veränderungen der Segmente L5/S1 und L4/5 entwickeln, bevor sich sekundäre degenerative Veränderungen an den angren-zenden Grund- und Deckplatten dieser Bewegungssegmente ausbilden können. Da der Kläger bereits aufgrund der primären Veränderungen die schädigende Tätigkeit aufgab, mithin eine starke Belastung der LWS nach Entstehung der primären Veränderungen nicht mehr vorlag, verlief der sekundäre Prozess langsamer. Bereits bei der Röntgenuntersu-chung am 01.03.2001 zeigte sich eine verstärkte Sklerosierung der Grundplatte von LWK 3 und der Deckplatte von LWK 4 sowie eine geringe Sklerosierung der Grundplatte von LWK 4. Am 16.02.2004 war auch eine beginnende Spondylose der Deckplatte von LWK 5 vorhanden.

Da – wie oben bereits dargestellt – der Kläger nicht nur grenzwertigen beruflichen Belas-tungen ausgesetzt war, sondern ca. 20 Jahre schwere Lasten gehoben und getragen hat, daneben zudem zeitweise gegenüber Ganzkörperschwingungen im Sitzen exponiert war und die LWS-Beschwerden erst nach langjähriger beruflicher Tätigkeit eintraten, spricht auch nach Auffassung der Einzelrichterin des Senats mehr für als gegen eine wesentliche Teilverursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung in den unteren LWS-Segmenten durch die berufliche Exposition. Andere konstitutionelle bzw. anlagebedingte Ursachen, die das Auftreten der Gesundheitsstörungen in den beiden unteren LWS-Segmenten plau-sibel erklären, liegen nicht vor. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus den von Dr. S3 ..., Prof. Dr. D1 ... und Dr. F1 ... gefertigten Gutachten. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger weder als Kleinkind, Schulkind, noch in der Jugendzeit oder als junger Mann unter Rückenbeschwerden bzw. einer Erkrankung der Wirbelsäule litt. Er hat am Schulsport, dem Berufsschulsport und dem Armeesport ohne Einschränkungen teilge-nommen. Bis 1989 war er aktiver Fußballspieler. Er hat keine wirbelsäulenbelastenden Sportarten – wie z. B. Turmspringen, Geräteturnen, Kraftsport oder Gewichtheben – aus-geübt. Außerberufliche Ursachen für die Schädigung sind nicht aufdeckbar. Eine familiäre Disposition zur Erkrankung am Stütz- und Bewegungsapparat besteht nicht. Der 67-jährige Vater des Klägers, der seit früher Jugend starker Raucher ist, und die 65-jährige Mutter des Klägers sowie seine fünf Geschwister leiden – wie von Prof. Dr. K1 ... erhoben – nicht unter Erkrankungen der Wirbelsäule bzw. der Gelenke.

Beim Kläger bestand auch ab Eintritt der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit – wie sich aus den Gutachten von Prof. Dr. D1 ..., Dr. F1 ... und Prof. Dr. K1 ... übereinstimmend ergibt – ein Zwang zur Unterlassung aller schädigenden Tätigkeiten.

Angesichts der erheblichen LWS-Beschwerden ist mit Prof. Dr. K1 ... die MdE ab 12.07.2004 mit 20 v. H. zu bewerten. Bei der Untersuchung der LWS wurden eine Ein-schränkung der Seitneigung der LWS und nachfolgend der BWS um 2/3 gegenüber dem physiologischen Bewegungswinkel mit Provokation von radikulär bedingten Schmerzen in die linke Gesäßhälfte und Beugeseite des linken oberen Oberschenkels, eine Einschrän-kung der aktiven und passiven Drehung der LWS und BWS um die Hälfte mit Provokation von radikulären Beschwerden, die in die linke Gesäßhälfte einstrahlen und eine Einschrän-kung der Beugung und Streckung der LWS gefunden. Die aktive und passive Beugung des Rumpfes waren nur bis zu einem Winkel von 20° ausführbar. Bei der Flexion traten zie-hende Schmerzen in der unteren LWS, im Gesäß links und an der Beugeseite des linken Oberschenkels auf. Zudem lagen eine Muskeltonuserhöhung der paralumbalen Muskulatur links, eine lendenwirbelsäulenschmerzbedingte Beugeeinschränkung beider Hüftgelenke und beider Kniegelenke vor. Bei der aktiven Beugung beider Hüftgelenke klagte der Klä-ger bei einem Beugewinkel links von 80° und rechts bis 100° über Schmerzen in der unte-ren LWS. Zudem bestand eine Fußheberschwäche links mit Bewegungseinschränkung des linken oberen Sprunggelenks und eine Standunsicherheit des linken Beins.

Entgegen der Auffassung der Beklagten durfte das Gutachten von Prof. Dr. K1 ... verwertet werden. Aus der Tatsache, dass Prof. Dr. K1 ... in der Beweisanordnung vom 11.05.2004 beauftragt wurde, ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet zu erstellen, folgt nicht die Unverwertbarkeit des Gutachtens. Die Beweisanordnung ist der Beklagten mit gericht-lichem Schreiben vom 11.05.2004, das Gutachten von Prof. Dr. K1 ..., aus dem sich ergibt, dass er Facharzt für Chirurgie ist, am 30.07.2004 übersandt worden. Eine Rüge seiner Kompetenz findet sich weder im von der Beklagten übersandten Schreiben vom 20.09.2004 noch in der eingereichten gutachterlichen Stellungnahme von Priv.-Doz. Dr. K2 ... vom 13.09.2004.

Sowohl Orthopäden als auch Chirurgen sind mit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungs-apparates vertraut. Es handelt sich insoweit um verwandte Fachgebiete. Ein Beleg hierfür ist, dass der von der Beklagten mit einer gutachterlichen Stellungnahme beauftragte Priv.-Doz. Dr. K2 ... zugleich Facharzt für Orthopädie, orthopädische Chirurgie und Handchirurgie ist.

Bei Prof. Dr. K1 ... handelt es sich um einen Sachverständigen, der der Einzelrichterin des Senats seit Jahren als Beratungsarzt der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen bekannt ist und gerade von dieser auch mit zahlreichen Gutachten zu den Wirbelsäulenbe-rufskrankheiten beauftragt wurde und wird. Zudem fertigt er ebenfalls seit vielen Jahren regelmäßig Gutachten für den 2. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts in Verfahren über die Feststellung von Wirbelsäulenberufskrankheiten. Es besteht daher nicht der ge-ringste Zweifel, dass er über jahrelange einschlägige Erfahrungen bei der Begutachtung von Wirbelsäulenberufskrankheiten verfügt.

Zudem ist der Einzelrichterin des Senats aus Parallelverfahren bekannt, dass auch seitens der Berufsgenossenschaften bei der Feststellung von Wirbelsäulenberufskrankheiten neben Orthopäden Chirurgen beauftragt werden.

Die Tatsache, dass bei der Erstellung der Beweisanordnung ein Fehler dergestalt unterlau-fen ist, dass Prof. K1 ... statt auf chirurgischem auf orthopädischem Gebiet zur Erstellung eines Gutachtens aufgefordert wurde, führt daher nicht zu einem anderen Ergebnis. Gerade wegen seiner jahrelangen Arbeit für den 2. Senat musste er aufgrund der Beweisanordnung nicht davon ausgehen, dass der Senat keine Kenntnis darüber haben könnte, dass er Fach-arzt für Chirurgie und nicht Orthopädie ist. Vielmehr musste er von der zutreffenden An-nahme ausgehen, dass es sich in der Beweisanordnung um eine offensichtliche Unrichtig-keit handelte.

Nach alledem waren das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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