L 3 AL 125/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 18 AL 1263/01
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 125/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. Februar 2003 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Ar-beitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 01. Mai 1998 bis 30. Dezember 1998 und vom 01. Januar 1999 bis 31. Januar 2001 wegen fehlender Arbeitslosigkeit sowie ab 01. Februar 2001 wegen Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit aufgehoben und eine Erstattungs-forderung von 50.820,99 DM erhoben hat (drei Bescheide vom 06. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2001). Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Anhörung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhand-lung vom 24. Februar 2003 abgewiesen. Das Urteil wurde ausweislich des Rückscheines unter der Adresse des Klägers am 05. April 2003 von einer Frau C ... S ... in Empfang genommen.

Der Schriftsatz vom 16. Mai 2003, mit dem der Kläger hiergegen Berufung eingelegt hat, wurde am 19. Mai zur Post gegeben und ging am 20. Mai beim Sächsischen Landessozial-gericht (LSG) ein.

Der Kläger hat sich nach Hinweis des Senats auf die Versäumung der Berufungsfrist und die Glaubhaftmachung von Gründen für die Wiedereinsetzung dahin geäußert, dass Frau S ... ihm nach seinem Urlaub – dessen Ort und Dauer er auch nach Nachfrage des Senats nicht näher spezifiziert hat – dieses Urteil "sicherlich zu einem Datum übergeben habe, zu dem er der Annahme gewesen sei, dass er die Frist auch eindeutig eingehalten habe". Glaubhaft solle der 16. Mai sein, denn er sei sicherlich davon ausgegangen, dass dieses Schriftstück am gleichen Tag von Frau S ... in Empfang genommen worden sei. Auf Nachfrage des Senats, ob Frau S ... in seinem Haushalt gewohnt oder während der Urlaubsabwesenheit den Haushalt betreut habe, äußerte er sich dahin, dass diese nicht in seiner Wohnung wohne. Er fügte eine "eidesstattliche Erklärung" von Frau S ... bei, wonach diese in Abwesenheit des Klägers "scheinbar" die Post des Klägers in Empfang genommen habe. Zu welchem Zeitpunkt sie diese Post übergeben habe, könne sie derzeit nicht genau bestimmen. Auf Nachfrage, wann der Kläger im April/Mai 2003 aus dem Urlaub zurückgekommen sei, äußerte sich der Kläger dahin, dass er am folgenden Tag mit weiterer Post von Frau S ... das Urteil erhalten habe. Er könne nicht mehr genau sagen, ob er das Antwortschreiben einen oder max. zwei Tage später an das LSG verfasst habe. Auch nach nochmaliger Nach-frage, von wann bis wann der Kläger im Zeitraum vom 24. Februar 2003 bis 16. Mai 2003 wo in Urlaub gewesen sei, antwortete der Kläger nicht.

Der Kläger beantragt,

ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- frist zu gewähren, das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24. Februar 2003 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 06. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Berufung sei verfristet eingelegt worden. Im Übrigen seien die angefochtenen Entscheidungen rechtlich zutreffend. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Berufung wird gem. § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wegen Unzulässigkeit verwor-fen. Der Senat hat insoweit von dem durch § 158 SGG eingeräumten Ermessens, durch Beschluss zu entscheiden, Gebrauch gemacht.

Die Berufung ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wurde. Das Urteil wurde am 05. April 2003 durch Einschreiben mit Rückschein (§ 63 Abs. 2 i. V. m. § 174, 175 Zivilprozessordnung [ZPO]) in der klägerischen Wohnung Frau S ... übergeben. Der Zusteller bescheinigte, die Postsendung mit dem Urteil, welches an den Kläger unter Zustelladresse gerichtet war, an diesem Tage einem Ersatzempfänger übergeben zu haben. Eine Aushändigung an Ersatzempfänger ist zulässig (Ladewig, SGG, 7. Aufl., Rdnr. 17 zu § 63).

Mit der Übergabe an Frau S ... ist die Zustellung (§ 135 SGG) wirksam erfolgt. Die Tatsache, dass das Urteil nicht dem Kläger persönlich, sondern der in seiner Wohnung angetroffenen Frau S ... übergeben wurde, steht der Wirksamkeit der Zustellung nicht ent-gegen, da die in § 178 zur Ersatzzustellung getroffenen Regelungen nicht gelten, wenn durch Einschreiben mit Rückschein nach § 175 ZPO zugestellt wird (BSG, Beschluss vom 07. Oktober 2004 – W 3 Kr 14/04 R – Juris). Dabher kommt es nicht darauf an, ob Frau S ... zu dem dort genannten Personenkreis gehörte. Dem Kläger können allerdings nicht die allgemeinen Geschäftsbedingungen des mit der Zustellung beauftragten Unternehmens entgegen gehalten werden, da diese nur im Verhältnis zum Auftraggeber der Zustellungs-wirkung entfallen können (BSG, a. a. O.). Da es an einer Regelung in der ZPO und auch in § 63 SGG darüber fehlt, ob und wann gegenüber dem Adressaten eine Zustellung als wirk-sam gilt, wenn ein Schriftstück durch Einschreiben mit Rückschein an einen in den AGB des Postzustellunternehmens genannten Ersatzempfänger ausgehändigt worden ist, ist die eine vergleichbare rechtliche Situation betreffende Regelung des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB über das Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden heranzuziehen (BSG, a. a. O.). Danach wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in Abwesenheit des Erklä-rungsempfängers abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm zugeht. Zu-gegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BSG, a. a. O., m. w. N.). Eine Erklärung, die ein Empfangsbote entgegennimmt, geht dem Adressaten zu dem Zeit-punkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung an den Adressaten zu erwarten war (BGH NJW – RR 1989, 757). Empfangsbote ist eine Person, die vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt anzusehen ist (Palandt/Heinrichs, BGB 63. Aufl., 2004, § 130 Rdnr. 8 und 9). Dazu ist im vorliegenden Fall Frau S ... zu rechnen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Beschluss vom 03. März 2003 – IX B 206/02 –) auch im Bereich der Bekanntgabe/Zustellung die Grund-sätze der Anscheinsvollmacht anwendbar sind. Dabei wird von einer Anscheinsvollmacht gesprochen, wenn der Vertretene das Handeln eines angeblichen Vertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können, und wenn fer-ner der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln seines Vertreters. Nach dieser Auffassung, die der Senat nach eigener Prüfung teilt, ist von einer Anscheins-vollmacht der Frau S ... auszugehen. Der Zusteller durfte annehmen, dass die von ihm in der Wohnung des Klägers angetroffene Frau S ... zur Entgegennahme des Schriftstücks befugt war. Der Kläger ist dem auch nicht entgegengetreten. Er hat sich lediglich darauf berufen, Frau S ... habe ihm nach seinem Urlaub – der trotz ausdrücklicher Anfrage des Senats hinsichtlich des Zeitraums noch nicht einmal belegt wurde – das Poststück erst spä-ter überreicht. Dieser Vortrag reicht nicht aus, den Anschein der Vollmacht für Frau S ... als erschüttert anzusehen. Da der Kläger damit rechnen musste, dass nach der mündlichen Verhandlung im Februar 2003 innerhalb der nächsten drei Monate ihm das Urteil zugestellt würde, hätte er Frau S ..., der er seinen Wohnungsschlüssel anvertraut hatte, Anwei-sung geben können, ggf. entsprechende Schriftstücke des Gerichts nicht anzunehmen. Er konnte damit rechnen, dass während seiner Abwesenheit das Urteil des SG an ihn übermit-telt werde und dieses dann möglicherweise Frau S ... als in der Wohnung befindliche erwachsene Person dieses Urteil ausgehändigt würde.

Ist damit der 05. April 2003 maßgebliches Zustelldatum, so endete die Frist gem. § 64 Abs. 2 SGG am 05. Mai 2003. Die am 20. Mai 2003 eingegangene Berufung ist mithin verfristet.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 153 Abs. 1, 67 Abs. 1 SGG war dem Klä-ger nicht zu gewähren. Gründe dafür, dass der Kläger die Berufungsfrist ohne Verschul-den, also unter Anwendung derjenigen Sorgfalt, die einem gewissenhaften Prozessführen-den nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftiger-weise zuzumuten sind (BSGE 72, 158), versäumt hat, hat der Kläger auch nach Kenntnis-nahme der Schreiben des Senats zur Frage zur Zulässigkeit der Berufung und den weiteren Anfragen hierzu weder vorgetragen noch sind solche Gründe sonst ersichtlich geworden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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