L 1 KA 30/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 11 KA 178/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KA 30/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 15.05.2002 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat der Beklagten auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit von Sprechstundenbedarfsregressen we-gen der Verordnung von Arzneimitteln streitig.

Der Kläger nimmt als Facharzt für Chirurgie mit Praxissitz in L ... an der vertragsärztli-chen Versorgung teil.

Wegen der im Quartal IV/97 verordneten 30 Ampullen Lipotalon zu 1 ml, 10 mal Lipota-lon Ampullen (3 Stück) und 2 x 5 x 10 ml Supertendin Depot N und Fagusansaft setzte die Beklagte auf Antrag der Beigeladenen vom 03.12.1998 mit Bescheid vom 19.01.1999 ei-nen Regress in Höhe von 1.243,82 DM (abzüglich Apothekenrabatt) fest. Den Regress wegen des Hustensaftes hat der Kläger anerkannt.

Mit Bescheid vom 03.05.1999 erfolgte wegen der Verordnung von Traumeel S (5 x 5 Ampullen), Supertendin Depot N (5 x 10 x 1 ml) und Lipotalon (15 x 3 Ampullen) im Quartal I/98 als Sprechstundenbedarf auf Antrag der Beigeladenen vom 22.02.1999 die Festsetzung eines Regresses in Höhe von 2.170,76 DM (abzüglich Apothekenrabatt).

Gemäß § 3 Abs. 1 der Vereinbarungen über die ärztliche Verordnung von Sprechstunden-bedarf vom 01.04.1995 und vom 01.01.1998 (Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung) gelten als Sprechstundenbedarf nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berech-tigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung in der Sprechstunde angewendet werden oder bei Notfällen für mehr als einen Berechtigten zur Verfügung stehen müssen. Bei der Anforderung von Sprechstundenbedarf ist die Anlage 1 zu der Vereinbarung bin-dend (Satz 2).

Nach Nr. 6 der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung sind für die sofortige Anwendung oder für die Anwendung im unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff in geringen Mengen als Sprechstundenbedarf zulässig:

"a) schmerzstillende, krampflösende und beruhigende Mittel. Bei den schmerzstil-lenden Arzneimitteln ist zusätzlich vermerkt: "keine Depot- oder Retardpräparate sowie Rheuma-Basistherapeutika". ( ...) f) Arzneimittel oder andere Substanzen zur Anwendung bei mehreren Patienten, Verordnungsfähigkeit in Notfällen: Antibiotika (parenteral), Antiemetika (parenteral, rektal), Antihistaminika (parente-ral), Antihypertonika, Antihypotonika, Antikoagulantien, Calcitonin-Präparate, Di-uretika, H2-Blocker, Thiamazol.

Arzneimittel, die mehr als einmal an demselben Patienten angewendet werden (Se-rienbehandlung) – auch wenn sie direkt oder im ursächlichen Zusammenhang mit einem ärztlichen Eingriff angewendet werden – gelten nicht als Sprechstundenbe-darf."

Die vom Kläger eingelegten Widersprüche hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2000 zurückgewiesen. Nach Nr. 6a der Anlage 1 zu § 3 der Sprechstundenbe-darfs-Vereinbarung dürften nur schmerzstillende Arzneimitteln, die keine Depot-Präparate seien, verordnet werden. Die Verordnung von Lipotalon und Supertendin Depot N als Sprechstundenbedarf sei daher unzulässig. Traumeel S sei auch nicht nach Nr. 6f der An-lage 1 verordnungsfähig.

Hiergegen hat sich die am 20.03.2000 beim Sozialgericht erhobene Klage gerichtet. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, bei einer Auslegung der Nr. 6a der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung seien nach dem Wortlaut lediglich Depot-Präparate, nicht aber solche Mittel ausgeschlossen, welche auch eine Depotwirkung hätten. Mit der Regelung in Nr. 6a der Anlage 1 zur Sprechstundenbedarf-Vereinbarung zum Ausschluss von Depot-Präparaten solle sichergestellt werden, dass nicht solche schmerzstillenden Mitteln eingesetzt würden, die für den Einsatz von Notfällen und zur Sofortanwendung ungeeignet seien. Dies treffe auf Supertendin Depot N und Lipotalon nicht zu. Bei Super-tendin Depot N handele es sich entgegen der Bezeichnung und entgegen der Fachinforma-tion des Herstellers nicht um ein "Depot"-Präparat im herkömmlichen Sinne. Für die Be-wertung müsse auf die tatsächliche Wirkungsweise abgestellt werden. Danach sei Super-tendin Depot N ein klassisches Notfallpräparat. Es handele sich um ein ideales Präparat für notfallmäßige therapeutische Gelenkpunktionen. Es enthalte Dexamethason, das eine mik-rokristalline Struktur habe. Die Kristallsuspension trage auch zur anhaltenden Wirksamkeit bei. Durch den Zusatz von Lidocainhydrochlorid werde die intraartikuläre Therapie im Bereich kleiner Gelenke vollkommen schmerzlos. Auch die Injektionen im Bereich von mittelgroßen Gelenken seien deutlich schmerzgelindert. Die Wirkung trete sofort ein und halte bis maximal drei Stunden im Gelenk an. Eine vorhandene Depotwirkung stelle die Tauglichkeit als Notfallmittel nicht in Frage.

Zur weiteren Begründung hat sich der Kläger auf das von ihm vorgelegte Gutachten von Dr. H1 ..., Fachklinik für Innere Medizin, Krankenhaus N., M ..., vom 28.02.1999 sowie auf das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 30.08.2000 (S 1 KA 81/99) bezogen. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Lipotalon sei wie Supertendin Depot N zu beurteilen. Der Wirkstoff dieses Arzneimittels sei Dexamethason. Auch hier halte die Wirkung über eine Weile an, ohne dass jedoch von einem Depot-Präparat ausgegangen werden könne. Bei Traumeel S handele es sich eben-falls um ein schmerzstillendes Notfallpräparat. Ausweislich der Beschreibungen werde es bei Verletzungen wie Verstauchungen und Verrenkungen, Prellungen, Blut- und Gelenker-güssen, Knochenbrüchen, postoperativen und posttraumatischen Ödemen und Weichteil-schwellungen angewandt. Auch wenn es sich um ein homöopathisches Medikament hande-le, bei dem als Gegenanzeige eine Empfindlichkeit gegen Korbblütler genannt werde, könnten bei der Anwendung keine höheren Maßstäbe angelegt werden als bei anderen Me-dikamenten.

Die Beklagte hat erwidert, bei Supertendin Depot N handele es sich, wie bereits aus dem Namen ersichtlich, um ein Depot-Präparat. Auch in der Fachinformation des Herstellers zur Stoff- und Indikationsgruppe sei dies ausdrücklich vermerkt. Eine Anwendung bei aku-ten entzündlichen Schüben sei in der Fachinformation des Herstellers nicht vermerkt. Die-se Indikation gelte nur für das Mittel Supertendin 2000 N, welches kein Depot-Präparat sei. In dem vom Kläger vorgelegten Gutachten von Dr. H1 sei auch gerade ausgeführt, dass die Kristallsuspension durch die langsame Auflösung der Kristalle zur anhaltenden Wirksamkeit und zur Depotwirkung beitrage. Auch Lipotalon sei ein Medikament mit De-potcharakter. Es werde in der "Roten Liste" unter Depot-Präparate aufgeführt. Traumeel S gehöre zur Indikationsgruppe der Antiphlogistika. Diese Gruppe sei nicht in der abschlie-ßenden Aufzählung der Nr. 6f der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung er-fasst. Wegen der für einen therapeutischen Erfolg erforderlichem mehrmaligen Anwen-dung könne es auch nicht als Notfallmedikament bewertet werden.

Die Beigeladene hat ausgeführt, auf die Frage, ob Lipotalon und Supertendin Depot N De-pot-Präparate seien, komme es nicht an, weil es sich schon nicht um schmerzstillende Mit-tel (Analgetika) handele. Nach den Zulassungen gehörten die Mittel zu den Antiphlogisti-ka/Antirheumatika. Aus der Wirkungsweise - Beseitigung des Entzündungsprozesses und der damit indirekt verbundenen Analgesie - könne nicht auf ein Analgetikum geschlossen werden.

Zudem seien die Verordnung von Sprechstundenbedarf und die Einzelverordnung auf-grund ihrer unterschiedlichen Zielrichtungen auch nicht beliebig austauschbar. Der Sprech-stundenbedarf stelle eine Ausnahme vom Grundsatz der Einzelverordnung dar. In der Re-gel seien Arzneien auf den von den Krankenkassen zu liefernden Vordrucken auf den Na-men des Versicherten zu verordnen. Die Verordnung auf den Patienten realisiere dessen gesetzlichen Anspruch gegen seine Krankenkasse. Die Regelungen über das Institut des Sprechstundenbedarfs gründeten sich demgegenüber auf der Notwendigkeit, dass der Arzt im Notfall mehrere Patienten mit Arzneimitteln zu versorgen habe. Eine Einzelverordnung sei in diesen Fällen nicht zweckmäßig, weil in aller Regel nur geringe Mengen zum sofor-tigen Verbrauch anfielen. Mit diesen Erwägungen sei eine enge Auslegung der Vereinba-rung angezeigt. Auch werde mit dem Zweck des Sprechstundenbedarfes deutlich, dass eine Therapie eines Patienten zu Lasten aller beteiligten Krankenkassen nicht Sinn und Zweck der Regelungen sei. Arzneimittel, denen jedenfalls auch eine Depotwirkung zukomme, seien nach Nr. 6a der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung ausgeschlossen, auch wenn ihnen eine sofortige schmerzstillende Wirkung zukomme. Eine Therapie ein-zelner Patienten zu Lasten aller beteiligten Krankenkassen solle nach dem dargestellten Sinn und Zweck der Vereinbarung gerade nicht erreicht werden. Wegen des weiteren Vor-bringens der Beigeladenen wird auf den Schriftsatz vom 31.01.2002 verwiesen.

Das Sozialgericht hat zu Traumeel S eine Auskunft des Herstellers (Biologische Heilmittel H ... GmbH) eingeholt. Hierin ist ausgeführt, Traumeel S sei ein homöopathisches Arz-neimittel und unter die Indikationsgruppe Antiphlogistika gemäß der "Roten Liste" zu sub-sumieren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme vom 24.10.2001 einschließlich Anlagen wird auf Bl. 107 bis 135 der Akte des Sozialgerichts verwiesen.

Die Firma M ... GmbH hat auf Anfrage des Sozialgerichts in der Stellungnahme vom 30.10.2001 ausgeführt, gemäß der Meldung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Me-dizinprodukte sei Lipotalon in die Stoff- bzw. Indikationsgruppe fluoriertes Glucocorti-coid/Antirheumatikum einzuordnen und komme bei stark entzündlichen Schüben von Er-krankungen des rheumatischen Formenkreises zur Anwendung. Im Sinne einer streng pharmazeutischen Definition sei Lipotalon definitiv kein Depot-Präparat. Lipotalon werde durch die Lipidmikrosphären-Galenik schnell und effizient in die Entzündungszellen auf-genommen, was entscheidend für die Wirkung sei. Da Makrophagen über längere Zeit am Ort der Entzündung verblieben, werde ebenfalls eine lange Aufenthaltsdauer von Lipotalon im Gelenk gewährleistet. Für die Definition als Depot-Präparat seien a) eine verzögerte Freisetzung des Wirkstoffs, b) ein hierdurch bedingter langsamer Wirkungseintritt und c) eine lange Wirkdauer als wesentliche Eigenschaften anzusehen. Diese Eigenschaften wür-den auf Lipotalon nicht zutreffen, weil eine rasche Aufnahme des Wirkstoffs und eine ra-sche Wirkung eintreten würden. Das Medikament erscheine in der "Roten Liste" unter Glucocorticoide mit zum Teil langanhaltender Wirkung. Wegen der Fachinformation wird auf Bl. 140, 141 der Akte des Sozialgerichts Bezug genommen.

In der Auskunft vom 12.11.2001 hat die Firma T ... Arzneimittel GmbH mitgeteilt, Su-pertendin-Depot N gehöre zur Stoff- oder Indikationsgruppe der Glucocorticoide/Depot-Präparate. Es besitze eine akut schmerzlindernde Wirkung (Lidocain), eine akut membran-stabilisierende und entzündungshemmende Wirkung (Sofortwirkung des Cortison) und eine entzündungshemmende Langzeitwirkung und einen Depoteffekt (Kristallsuspension). Wegen der beigefügten Anlagen wird auf Bl. 144 bis 168 der Akte des Sozialgerichts verwiesen.

Mit Urteil vom 15.05.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die von der Be-klagten festgesetzten Regresse wegen der Verordnung von Traumeel S, Lipotalon und Su-pertendin Depot N als Sprechstundenbedarf seien rechtmäßig. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt:

"Der Sache nach handelt es sich somit bei den streitigen Bescheiden um eine nachträg-liche sachliche Richtigstellung der Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 1V/97 und 1/98, verbunden mit der teilweisen Aufhebung der für diese Quartale erteil-ten Honorarbescheide und der Rückforderung der an den Kläger überzahlten Vergü-tungen durch Verrechnung mit den Quartalen 1V/98 und 1/99. Die Zuständigkeit der Beklagten zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung ergibt sich aus § 45 des Bun-desmantelvertrages Ärzte (BMV-Ä) i.V.m. § 6 der Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf vom 01.04.1995 (Quartal 1V/97) bzw. vom 01.01.1998 (Quartal 1/98). Nach der zwischenzeitlich gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 21; Nr. 22; SozR 3-2500 § 76 Nr. 2) unterlag die Beklagte dabei nicht den Einschränkungen des § 45 Sozialgesetz-buch, 10. Buch (SGB X), insbesondere nicht der Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X oder der Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X. Die Vorschriften sind auf die nachträgliche rechnerische und gebührenordnungsmäßige Berichtigung der Honoraranforderungen eines Arztes nicht anwendbar und werden von den Vorschriften des BMV-Ä als besondere Regelungen im Sinne des § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch, 1. Buch (SGB I) verdrängt. Die Vorschriften der §§ 45 ff. BMV-Ä stellen eigene, ab-schließende Regelungen der Rechtsmaterie dar, die es der kassenärztlichen Vereini-gung erlauben, fehlerhafte Honorarabrechnungen auch nachträglich, d.h. nach erfolgter Auszahlung der Honorare, zu überprüfen und richtig zu stellen bzw. den Krankenkas-sen das Recht einräumen, die Honorarabrechnung zu beanstanden und eine Überprü-fung und Richtigstellung durchzuführen.

§ 6 der sächsischen "Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstunden-bedarf" bestimmt hierbei (sowohl in der bis 31.12.1997 geltenden Fassung, als auch in der ab 01.01.1998 geltenden Fassung):

"Werden andere als die nach der Sprechstundenbedarfsregelung zulässigen Mittel ver-ordnet, so sind die dafür entstandenen Kosten von der kassenärztlichen Vereinigung im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung festzusetzen und vom Vertragsarzt zu erstatten" (§ 6 Abs. 1 Satz 1). "Anträge auf Erstattung können innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Ausstellungsquartals der Verordnung gestellt werden" (§ 6 Abs. 1 Satz 2). "Die Bearbeitungsfrist für Erstattungsanträge durch die kassenärztliche Verei-nigung soll sechs Monate, gerechnet vom Eingangstag des Antrages betragen" (§ 6 Abs. 2).

Die der Beigeladenen durch die Sprechstundenbedarfsvereinbarung auferlegte Bean-standungsfrist ist ebenso wie die Frist der Beklagten zur Festsetzung der sachlich-rechnerischen Richtigstellung eingehalten. Sowohl die Anträge auf Erstattung der Bei-geladenen vom 03.12.1998 und 22.02.1999 als auch die angefochtenen Rückforde-rungsbescheide vom 19.01.1999 und 03.05.1999 wahren die Antrags- bzw. Bearbei-tungsfrist des § 6 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung.

Die sachlich-rechnerische Richtigstellung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Nach § 3 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung gelten als Sprechstundenbedarf nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten im Rahmen der ver-tragsärztlichen Behandlung in der Sprechstunde angewendet werden oder bei Notfällen für mehr als einen Berechtigten zur Verfügung stehen müssen. Dabei ist § 43 des Arz-neimittelgesetzes zu beachten. Bei der Anforderung von Sprechstundenbedarf ist die Anlage zur Sprechstundenbedarfsvereinbarung bindend (§ 3 Abs. 1 Satz 3 der Sprech-stundenbedarfsvereinbarung). Die Anlage zur Sprechstundenbedarfsvereinbarung defi-niert die Arzneimittel für Notfälle und zur Sofortanwendung. Nach Nr. 6a) sind in ge-ringen Mengen als Sprechstundenbedarf zulässig:

"Schmerzstillende, krampflösende und beruhigende Mittel (BTM im Rahmen der BTM-Verordnung und auf besonderem Verordnungsblatt)".

Zu der Rubrik "schmerzstillende Arzneimittel" ist unter den "Bemerkungen" ausge-führt: "keine Depot- oder Retardpräparate sowie Rheuma-Basistherapeutika".

Unter Nr. 6b) der Anlage der Sprechstundenbedarfsvereinbarung werden "Mittel zur Überwindung eines lebensbedrohlichen Zustandes" aufgeführt. Darunter sind auch "Glucocorticoide, systemische Anwendung" genannt.

Schließlich bestimmt Nr. 6f) der Anlage "Arzneimittel oder andere Substanzen zur Anwendung bei mehreren Patienten Verordnungsfähigkeit in Notfällen (Antibiotika [parenteral], Antiemetika [parenteral, rektal], Antihistaminika [parenteral], Antihypertonika, Antihypotonika, Antikoagulantien, Calcitoenin-Präparate [hypercalcämische Krise], Diuretika, H2-Blocker, Thiamazol) ".

Das Medikament "Supertendin Depot N" unterfällt nach Auffassung der Kammer nicht der Sprechstundenbedarfsvereinbarung. Supertendin Depot N gehört nach der Darstel-lung des Herstellers, der T ... Arzneimittel GmbH, zur Stoff- oder Indikationsgruppe der "Glucocorticoide/Depotpräparate". Arzneilich wirksame Bestandteile sind "Dexa-methason-21-acetat, mikronisiert" 5 mg/10 mg und "Lidocainhydrochlorid" 30 mg/60 mg. Ein Anwendungsfall der Nr. 6b) der Anlage 1 der Vereinbarung liegt gleichwohl nicht vor. Zwar sind dort die Glucocorticoide aufgeführt, der Anwendungsbereich ist jedoch auf die systemische Anwendung beschränkt. Ferner soll die Anwendung dort nur zur Überwindung eines lebensbedrohlichen Zustandes dienen. Beides liegt bei der hier vorgenommenen Anwendung zur Behandlung entzündlicher Schübe (z.B. bei Arthrosen, Arthritiden) nicht vor. Die Anwendung unterfällt auch nicht Nr. 6f) der An-lage. Die dort vorgenommene Aufzählung (Antibiotika, Antiemetika etc.) ist abschlie-ßend und beinhaltet nicht die Glucocorticoide.

Es liegt auch kein Anwendungsfall von Nr. 6a) der Anlage zur Sprechstundenbedarfs-vereinbarung vor. Schon fraglich ist, ob es sich bei Supertendin Depot N um ein "schmerzstillendes Arzneimittel" im Sinne von Nr. 6a) handelt. Dagegen spricht, dass das Mittel nicht der Gruppe der "Analgetika" zugeordnet wird. Dafür spricht jedoch die schmerzstillende Wirkung des Arzneimittels. Nach den Feststellungen des Dr. H1 ... in seinem Gutachten vom 28.02.1999 und den Angaben des Gutachtens Prof. Dr. M1, das von der T ... GmbH vorgelegt wurde, geht auch die Kammer von einer schmerzstillenden Wirkung des Arzneimittels Supertendin Depot N aus. Zwar habe, so die Ausführungen der Gutachter, das instillierende Corticoid selber keine analgetische Wirkung (außer die sekundäre Schmerzstillung, die durch Rückgang des Ergusses er-reicht wird, vgl. S. 15 des Gutachtens des Dr. H1 ...). Durch die zusätzliche Gabe des Lokalanästhetikums "Lidocain" werde jedoch nicht nur die Injektion in das schmerz-haft geschwollene Gewebe besser vertragen, sondern führe auch nachfolgend zur so-fortigen Schmerzlinderung und erlaube den Verzicht auf nebenwirkungsträchtigere Analgetika. Nach Auffassung der Kammer erfolgt die schmerzstillende Wirkung je-doch vornehmlich durch die gleichzeitige Beimischung des Lokalanästhetikums "Li-docain", welches bei lokaler Applikation in den meisten Fällen zur umgehenden Schmerzstillung beiträgt (vgl. Gutachten des Prof. Dr. M1 ..., S. 5).

Selbst wenn es sich aufgrund der Wirkstoffkombination des Glucocorticoids und des Lidocains um ein "schmerzstillendes Arzneimittel" im Sinne der Vereinbarung han-delt, scheidet eine Verordnung im Sprechstundenbedarf gleichwohl aus, da es sich bei Supertendin Depot N um ein "Depotpräparat" im Sinne der Verordnung handelt. Schon nach den Angaben des Herstellers handelt es sich aufgrund der zusätzlich erwünschten Langzeitwirkung durch die Kristallsuspension um ein "Depotpräparat". Die Angaben des Herstellers und die Fachinformationen sind - entgegen der Auffassung des Klägers - auch maßgeblich für die Beurteilung des Arzneimittels als "Depotpräparat". Nach §§ 11, 11a Arzneimittelgesetz (AMG) muss die Fachinformation des Herstellers u.a. die Stoff- und Indikationsgruppe, die wirksamen Bestandteile nach Art und Menge sowie die pharmakologischen Eigenschaften beinhalten. Die Fachinformationen dürfen des-halb für die Beurteilung herangezogen werden.

Als "Depotpräparate" definieren sich, nach Auffassung der Kammer, alle Arzneifor-men, deren gesteuerte (verzögerte) Arzneistofffreisetzung über einen längeren Zeitab-schnitt möglichst konstant sowie in therapeutisch brauchbarer Menge geschieht (vgl. Pschyrembel, 258. Aufl., S. 331). Dieser Effekt liegt bei dem Präparat Supertendin Depot N vor. Nach dem Gutachten des Dr. H1 ... sind die Effekte des Corticoids mit einem Maximum an Effekt nach zwei bis drei Tagen sichtbar (S. 15 des Gutachtens). Durch die langsame Auflösung der Kristalle im Gelenk und die anschließende not-wendige Spaltung des Esthers zur aktiven Wirksubstanz wird über einen ausreichend langen Zeitraum ein effektiver Wirkstoffspiegel im Gelenk aufrechterhalten (vgl. S. 16 des Gutachtens). Auch das Gutachten des Prof. Dr. M1 ... bescheinigt dem Medika-ment Supertendin Depot N neben dem "mehr oder weniger rasch einsetzenden und un-terschiedlich stark ausgeprägtem entzündungshemmenden Soforteffekt (Stunden)" ei-nen "Tage bis Wochen anhaltenden antiphlogistischen und analgetischen Langzeitef-fekt" (S. 5 des Gutachtens). Danach handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine über längere Zeiträume laufende Arzneistofffreisetzung und damit um ein Depot-präparat im Sinne der Vereinbarung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass neben dem Depoteffekt auch noch ein sofortiger schmerzstillender Effekt auftritt. Zum einen ergibt sich dieser aus dem Wirkstoff des Lidocain, wie die Herstellermitteilung angibt. Das Corticoid selbst (Wirkstoff Dexamethason) wirkt nach Auffassung der Kammer für sich genommen nicht sofort schmerzlindernd, sondern nur durch die Kombination mit Lidocain bzw. indirekt, durch den Rückgang des Ergusses im Ge-lenk.

Die Kammer geht auch aufgrund der Fachinformationen der T ... Arzneimittel GmbH davon aus, dass Supertendin Depot N nicht dem Sinn und Zweck der Sprechstunden-bedarfsvereinbarung unterfällt. Im Rahmen des Sprechstundenbedarfs darf ein Medi-kament nur dann eingesetzt werden, wenn der Patient an so akuten Schmerzen leidet, dass ihm ein Wiederaufsuchen der Praxis nach Aufstellung einer Arzneimittelverord-nung und Aufsuchen einer Apotheke nicht zumutbar ist. In allen anderen Fällen ist auch bei Erstanwendung von den Vertragsärzten eine Verordnung auszustellen und die Anwendung des Medikaments nach Wiederaufsuchen der Praxis vorzunehmen. Unter den Anwendungsgebieten ist in der Fachinformation von Supertendin Depot N aufge-führt: "Intraartikulär, entzündliche Schübe bei Arthrosen, Arthritiden, nach Traumen". Anders als bei dem ebenfalls von der T ... GmbH vertriebenen Medikament Superten-din 2000 N ist der "akute entzündliche Schub" nicht unter den Anwendungsgebieten aufgeführt. Schon die vom Hersteller benannten Anwendungsgebiete sprechen deshalb gegen eine notfallmäßige Anwendung des Präparats.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Sozialgerichts Mainz vom 30.08.2000 (Az. S 1 KA 81/99), die mit Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.09.2001 (Az. L 5 KA 55/00) bestätigt wurde. Nach den schriftlichen Urteilsausfüh-rungen sind in der dortigen Sprechstundenbedarfsvereinbarung der Kassenärztlichen Vereinigung Pfalz "Depot- oder Retardpräparate" nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Anders verhält es sich bei der durch die Kammer zu entscheidenden Frage der Sprech-stundenbedarfsvereinbarung, wie sie im Bereich der Beklagten maßgeblich ist. Danach haben sich die Beklagte und die beteiligten Krankenkassen darauf geeinigt, den Kreis der schmerzstillenden Arzneimittel weiter zu beschränken und Depot- oder Retardprä-parate sowie Rheuma-Basistherapeutika von der Vereinbarung auszunehmen. Rechtli-che Bedenken an der Ausnahmeregelung hat die Kammer nicht. Sofern die sächsischen Vertragsärzte eine Erweiterung bzw. Klarstellung der Sprechstundenbedarfs-vereinbarung anstreben, steht es ihnen frei, durch die Beklagte im Vereinbarungswege eine Änderung zu erreichen.

Das Medikament "Lipotalon" unterfällt nach Auffassung der Kammer ebenfalls nicht der Sprechstundenbedarfsvereinbarung. Es handelt sich laut der Fachinformation des Herstellers um ein fluoriertes Glucocorticoid/Antirheumatikum mit dem Wirkstoff "Dexamethason-21-Palmitat" (4,0 mg). Die Anwendungsgebiete sind "stark entzündli-che Schübe von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises". Nach Auffassung der Kammer handelt es sich ebenfalls um ein Glucocorticoid mit langanhaltender Wir-kung. Auch wenn der Hersteller, die M ... GmbH, angibt, es handele nicht um ein De-potpräparat, ergibt sich für die Kammer nichts anderes als für das Medikament Super-tendin Depot N. Zwar ist Lipotalon nicht, wie die Beklagte behauptet, in der "Roten Liste" unter den Depotpräparaten der Glucocorticoiden aufgeführt (Abschnitt 31 B.3.). Gleichwohl entfaltet auch bei Lipotalon das Glucocorticoid seine Wirkung über einen längeren Zeitraum. Dementsprechend ist Lipotalon in der "Roten Liste" unter den Glu-cocorticoiden "mit z.T. langanhaltender Wirkung" (Abschnitt 31 B.2.) aufgelistet. Ferner handelt es sich nach Auffassung der Kammer nicht um ein "schmerzstillendes Arzneimittel" im Sinne der Anlage Nr. 6a) der Sprechstundenbedarfs-vereinbarung. Nach der Fachinformation wirkt das Mittel stark entzündungshemmend, antiallergisch (antiödematös) und antipoliferativ. Eine analgetische Wirkungsweise wird nicht be-schrieben. Danach handelt es sich auch unter Berücksichtigung des Anwendungsgebie-tes, das nicht auf akute Fälle verweist, um ein Antirheumatikum, das sich als "Ba-sistherapeutikum" qualifizieren lässt und deshalb nach dem Wortlaut der von Nr. 6a) der Anlage der Sprechstundenbedarfsvereinbarung ausgeschlossen ist.

Das Medikament "Traumeel S." ist ebenfalls nicht im Wege des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig. Nach den Angaben des Herstellers handelt es sich um ein homöopa-thisches Arzneimittel der Indikationsgruppe "Antiphlogistika". Die Anwendung unter-fällt nicht Nr. 6f) der Anlage, da die "Antiphlogistika" in der abschließenden Aufzäh-lung nicht aufgeführt ist. Es liegt auch kein Anwendungsfall von Nr. 6a) der Anlage zur Sprechstundenbedarfsvereinbarung vor. Schon fraglich ist, ob es sich um ein "schmerzstillendes Mittel" im Sinne der Sprechstundenbedarfsvereinbarung handelt. Nach den Anwendungsgebieten dient Traumeel S., wenn es im Wege der Injektion verabreicht wird, der Behandlung von Verletzungen wie Verstauchungen und Verren-kungen, Prellungen, Blut- und Gelenkergüssen etc. Hinsichtlich der Dosierungsanlei-tung soll Traumeel S., soweit nicht anders verordnet, bei akuten Beschwerden täglich, sonst sollen ein- bis dreimal wöchentlich ein bis zwei Ampullen injiziert werden. Schon die Verabreichungsform, wonach bei akuten Beschwerden eine tägliche Injekti-on erforderlich ist, lässt Zweifel an der Geeignetheit des Mittels als Notfallpräparat aufkommen. Die Kammer bestreitet nicht die klinische Wirksamkeit des Präparates für den angegebenen Anwendungsbereich. Als Nofallpräparat im Sinne der Sprechstun-denbedarfsvereinbarung ist das Medikament jedoch nicht zu qualifizieren. Darauf hat der Kläger zunächst auch selbst in seiner Widerspruchsbegründung vom 27.05.1999 hingewiesen. Zu Recht verweist die Beigeladene in ihrer Stellungnahme vom 21.07.1999 darauf, dass es sich um ein homöopathisches Arzneimittel, bestehend aus 15 Inhaltsstoffen handelt, das allergenes Potential besitzt und insbesondere für Perso-nen mit Überempfindlichkeit gegen Korbblütler kontraindiziert ist. Eine homöopathi-sche Anamnese erscheint jedoch, wenn es sich um echte Notfälle handelt, nicht mög-lich. Darüber hinaus handelt es sich nach den vom Hersteller zur Verfügung gestellten Unterlagen um ein Arzneimittel, dessen volle Wirksamkeit erst bei Verabreichung ü-ber einen längeren Zeitraum sich entfalten kann. Gute bis sehr gute Therapieresultate wurden danach bei mehrwöchiger Injektion verzeichnet (vgl. Sonderdruck der Biologi-schen Medizin Heft 3 Seite 9). Eine akute, schmerzstillende Wirkung wird bei dem Medikament, wie üblicherweise bei homöopathischen Arzneimitteln, nicht vermerkt. Über die Wirkungsweise und der fehlenden Einsatzmöglichkeiten von Traumeel S. als Notfallpräparat konnte die mit zwei Vertragsärzten besetzte Kammer auch aufgrund eigener Sachkunde feststellen. Danach dient Traumeel S., wenn es entsprechend der Fachinformation angewandt wird, (ausschließlich) der langfristigen Therapie. Diese soll jedoch in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf Kosten der Beigelade-nen, die für den Sprechstundenbedarf aufzukommen hat, vorgenommen werden. Viel-mehr ist die Einzelverordnung zu Lasten der jeweiligen Krankenkasse des Patienten erforderlich und den Betreffenden auch zumutbar. Die von dem Kläger vorgetragenen kostengünstigen Effekte fallen bei Verordnung über Sprechstundenbedarf schon man-gels Zuzahlung der Versicherten insoweit nicht an.

Da der Kläger auf die Problematik der Verordnung über Sprechstundenbedarf auch in vorangegangenen Quartalen hingewiesen wurde, war wie festgestellt zu entscheiden."

Gegen das 01.07.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 01.08.2002 eingelegte Beru-fung des Klägers. Es sei nicht einzusehen, warum ein akut schmerzstillendes Medikament, welches auch eine Depotwirkung zeige, von der Verordnung als Sprechstundenbedarf aus-geschlossen sein solle. Entsprechend dem Wortlaut der Nr. 6a der Anlage 1 zur Sprech-stundenbedarfs-Vereinbarung seien auch nur Depot-Präparate, nicht aber auch solche Prä-parate ausgeschlossen, welche neben einer Sofortwirkung auch eine längere Wirkungsdau-er hätten. Supertendin Depot N werde nunmehr auch unter dem Namen Supertendin 10 mit gleicher Zusammensetzung vertrieben. Die Namensänderung und Streichung des Zusatzes "Depot" seien mit zu reflektieren. Zu Lipotalon habe bereits der Hersteller zutreffend aus-geführt, dass es sich nicht um eine Depot-Präparat handele. Eine länger anhaltende Wir-kung könne aus einem zum Akuteinsatz geeigneten Medikament kein Depot-Präparat im Sinne der arzneimittelspezifischen Definition machen. Lipotalon komme auch eine schmerzstillende Wirkung zu. Soweit eine analgetische Wirkungsweise in der Fachinfor-mation nicht explizit umschrieben werde, folge diese schon zwingend aus der stark ent-zündungshemmenden Wirkungsweise. Hiermit gehe eine Bekämpfung des Schmerzzu-standes logischerweise einher.

Der in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende und nicht vertretene Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 15.05.2002 und die Bescheide der Be-klagten vom 19.01.1999 und vom 03.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 23.02.2000 betreffend die Arzneimittel Supertendin Depot N, Lipota-lon und Traumeel S aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie hat ausgeführt, Präparate mit einer länge-ren Wirkungsdauer seien der Einzelverordnung vorbehalten. Eine Arzneimitteltherapie über den Sprechstundenbedarf sei nicht vorgesehen. Die vom Kläger vorgenommene Aus-legung der Nr. 6a der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung sei unzutreffend. Wären mit der Bezeichnung "Depot-Präparate" tatsächlich nur solche Mittel gemeint, die außer der Langzeitwirkung keine Sofortwirkung hätten, liefe der Ausschluss in der Verein-barung vollkommen leer, da Arzneimittel ohne Sofortwirkung schon nach dem Zweck - für Notfälle und zur Sofortwirkung - nicht geeignet seien. Der aufgenommene Ausschluss wäre daher nicht notwendig gewesen. Daraus folge, dass sich der Ausschluss gerade auch auf geeignete und ideale Notfallpräparate beziehe, sofern ihnen auf Grund der Langzeit-wirkung auch ein therapeutischer Charakter zukomme. Danach seien die fraglichen Arz-neimittel im Rahmen des Sprechstundenbedarfs nicht verordnungsfähig. Supertendin De-pot N habe nach den Gutachten von Dr. H1 ... und Prof. Dr. M1 ... eine Tage bis Wochen anhaltenden entzündungshemmenden und schmerzstillenden Langzeiteffekt. Bei Lipotalon betrage die maximale Plasmakonzentration des Wirkstoffs max. 7,5 Stunden und die Eli-minationszeit 55,2 Stunden. Darüber hinaus werde es nach der Einteilung der "Roten Lis-te" und des ATC-Codes nicht als schmerzstillendes Mittel geführt. Diese Wirkung werde lediglich über die entzündungshemmende Wirkung erreicht. Nach der ATC-Klassifizierung 2001 gehöre es zu den Corticosteroiden zur systemischen Anwendung. Diese seien nach der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung ausdrücklich nur zur Überwin-dung eines lebensbedrohlichen Zustandes verordnungsfähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, der In-halt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers verhandeln und entscheiden (§§ 153 Abs. 1, 110 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Obwohl für den Kläger in der mündlichen Verhandlung die Rechtsanwältin M ... erschienen ist, war damit eine prozessrechtlich wirksame Vertretung (§§ 71 Abs. 1 und 2 SGG) des Klägers nicht gege-ben. Die zu den Akten gereichte Prozessvollmacht ist auf namentlich benannte Rechtsan-wälte der Sozietät ausgestellt, in der die für den Kläger erschienene Rechtsanwältin indes nicht genannt ist. Eine von den in der schriftlichen Vollmacht genannten Rechtsanwälten erteilte Untervollmacht (§ 71 Abs. 4 SGG i.V.m. § 81 Zivilprozeßordnung – ZPO) lag ebenfalls nicht vor.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die ange-fochtene Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Die gegenüber dem Kläger festgesetzten Regresse sind rechtmäßig.

Das Sozialgericht hat die für die Zuständigkeit der Beklagten maßgeblichen rechtlichen Grundlagen und Regelungen zur Beurteilung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln als Sprechstundenbedarf sowie die Voraussetzungen zur Festsetzung eines Regresses nach § 45 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) i.V.m. §§ 6, 3 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung i.V.m. mit Nr. 6 der Anlage 1 zutreffend dargelegt. Danach durfte der Kläger in den Quartalen IV/97 und I/98 Supertendin Depot N, Lipotalon und Traumeel S nicht als Sprechstundenbedarf zu Lasten der Krankenkassen verordnen.

Eine Zuständigkeit der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung besteht nicht. Diese sind berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise, z.B. bei Überschreiten der Durchschnittswerte, festzusetzen (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes – GSG – vom 21.12.1992, BGBl. I. S. 2266). In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass sie befugt sind, Regresse wegen unzulässi-ger Verordnung von Arzneimitteln festzusetzen. Die Ermächtigung für die Normierung einer entsprechenden Rechtsgrundlage findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V i.d.F. des GSG. Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Er-satzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prü-fungsarten vereinbaren. Das Bundessozialgericht (BSG) hat es auch bereits vor Einfügung von § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V als zulässig angesehen, dass den Prüfungseinrichtungen durch gesamtvertragliche Regelung auch andere als in § 106 SGB V angesprochene Auf-gaben zugewiesen werden. Dabei ist die Übertragung solcher Entscheidungskompetenzen, die zwar nicht der eigentlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung zuzurechnen sind, sich aber im weitesten Sinne noch innerhalb des Rechtszwecks der Gewährleistung einer wirtschaftli-chen Versorgung der Kranken halten, gebilligt worden. Dies betrifft insbesondere den Arzneikostenregress bei Verstoß gegen Sprechstundenbedarfs-Richtlinien (vgl. BSG, Ur-teil vom 20.09.1995 - 6 RKa 56/94 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 29; Urteil vom 06.09.1998 - B 6 KA 85/97 R = SozR 3-5533 Allg Nr. 2). Im Bereich der Beklagten ist indes eine Zu-ständigkeit der Prüfungseinrichtungen durch gesamtvertragliche Regelungen nicht begrün-det worden. § 48 Abs. 1 BMV-Ä in der ab 01.01.1995 geltenden Fassung sieht die Zu-ständigkeit der Prüfungseinrichtungen zur Feststellung von Schäden, die einer Kranken-kasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind oder aus der fehlerhaften Ausstel-lung von Bescheinigungen entsteht, vor (zum Arzneikostenregress bei Einzelverordnungen s.a.: BSG, Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R = SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Dem entsprechend bestimmt auch § 12 der Prüfungsvereinbarung vom 07.12.1993, ergänzt durch die Protokollnotizen vom 21.08.1996 und vom 30.12.1998, dass der Prüfungsaus-schuss auch prüft, ob der Vertragsarzt durch veranlasste oder verordnete Leistungen "im Einzelfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot" verstoßen hat. Für die Festsetzung von Re-gressen wegen der Verordnung anderer als nach der Vereinbarung zulässiger Mittel ist demgegenüber in § 6 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung die Zuständigkeit der Kas-senärztlichen Vereinigung im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung normiert worden.

Die von der Beklagten festgesetzten Regresse sind auch materiell rechtmäßig. Dies hat das Sozialgericht zutreffend erkannt. Das Vorbringen der Berufung, dass sich im Übrigen nur auf Supertendin Depot N und Lipotalon bezieht, rechtfertigt eine abweichende Entschei-dung nicht.

Nach Nr. 6a der Anlage 1 zur Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung erfasst der Ausschluss von Depot- und Retardpräparten bei schmerzstillenden Arzneimitteln auch das Arzneimit-tel Supertendin Depot N. Entgegen dem klägerseitigen Verständnis der genannten Rege-lung ist eine Verordnungsfähigkeit nicht schon und allein deswegen gegeben, weil Super-tendin Depot N nach den Gutachten von Dr. H1 ... und Prof. Dr. M1 ... zur Behandlung von Notfällen und akuten Krankheitszuständen geeignet ist. Nach dem Wortlaut der Nr. 6a der Anlage 1 der Sprechtstundenbedarfs-Vereinbarung, auf den der Kläger selbst mehrfach hingewiesen hat, sind bei schmerzstillenden Arzneimitteln Depot-Präparate ausgenommen. Zu letzteren gehört Supertendin Depot N. Dies ergibt sich bereits ohne Zweifel aus der Fachinformation des Herstellers. Danach gehört Supertendin Depot N zur Stoff- bzw. Indi-kationsgruppe der Glucocorticoide/Depot-Präparate.

Es ist auch sachgerecht, die Bewertung des Arzneimittels und seiner Wirkungen nach Maßgabe der Fachinformation des Herstellers zu treffen. Die Regelung in § 6a der Anlage 1 der Vereinbarung umfasst die Arzneimittel für Notfälle und zur Sofortanwendung, die im Rahmen des Sprechstundenbedarfs verordnungsfähig sind. Ein Notfall liegt insbesondere dann vor, wenn ohne eine sofortige medizinische Behandlung Gefahren für Leib oder Le-ben entstehen bzw. bestehen oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden (Hess in KassKomm. § 76 Rdnr. 12). Zu den für die Behandlung in solchen Fällen geeigneten Arzneimitteln nennt die Nr. 6a der Anlage 1 der Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung die schmerzstillenden Arzneimitteln. Von den Medikamenten, denen eine solche Wirkung zukommt, sind wiederum Depot-Präparate ausgenommen. Die Bewertung, welche Wirkung einem Arzneimittel zukommt und wie es einzuordnen ist, kann anhand der Fachinformation des Herstellers verlässlich getroffen werden.

Das Arzneimittelrecht schreibt für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vor, deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medika-ments abhängig ist (§ 21 Abs. 1 AMG). Die arzneimittelrechtliche Zulassung lässt Rück-schlüsse auf die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des geprüften Medikaments dabei nur zu, soweit ihre rechtliche Bedeutung reicht. Diese beschränkt sich auf die gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 6 AMG vom Hersteller im Zulassungsantrag genannten Anwendungsgebiete. Die Anwendungsbezogenheit ist der Arzneimittelzulassung immanent, weil das Arzneimittel definitionsgemäß dazu bestimmt ist, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG). Kriterium für die nationale Zulassung ist deshalb nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AMG neben der Qualität insbesondere die therapeutische Wirksamkeit des Medikaments (Nr. 4 a.a.O.), also seine Fähigkeit, einen bestimmten Krankheitszustand in Richtung auf das erwünschte Behandlungsziel zu beein-flussen. Dem Wirksamkeitsnachweis dient die klinische Prüfung am Menschen, die eine notwendige Voraussetzung der Zulassung ist (§ 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG). Nur für diejenigen Krankheiten, zu deren Beseitigung, Linderung, Verhütung oder Erkennung es sich in der klinischen Prüfung als wirksam erwiesen hat, wird die Zulassung erteilt (zur Bindungswir-kung der arzneimittelrechtlichen Zulassung vgl. auch BSG, Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R = SozR 3-2500 § 31 Nr. 8). Dieser entspricht die Fachinformation, die nach §§ 11, 11a AMG u.a. auch die Stoff- und Indikationsgruppe sowie die wirksamen Bestandteile nach Art und Menge sowie die pharmakologischen Eigenschaften enthalten muss. Danach ist Supertendin Depot N, gleichwohl diesem wegen des in der Fachinformation ausgewie-senen arzneilich wirksamen Bestandteils Lidocain eine analgetische Wirkung zukommt, als Depot-Präparat von der Verordnung im Rahmen des Sprechstundenbedarfs ausge-schlossen.

Das Sozialgericht hat auch zu Recht erkannt, dass das Arzneimittel Lipotalon nicht als Sprechstundenbedarf nach den Nrn. 6a und 6b der Anlage 1 zur Sprechtstundenbedarfs-Vereinbarung verordnungsfähig ist. Dieses ist zwar in der Fachinformation des Herstellers nicht als Depot-Präparat ausgewiesen. Indes kommt es auf die vom Kläger hervorgehobene Definition, wie sie in der Stellungnahme der Firma M GmbH angegeben wurde, sowie einer weiteren Differenzierung zwischen Depot-Präparaten und Präparaten, die eine Lang-zeitwirkung haben, nicht an. Das Arzneimittel Lipotalon ist von der Verordnungsfähigkeit nach der Nr. 6a der Anlage 1 zur Sprechstundenbedarfs-Vereinbarung ausgeschlossen, weil es sich nach der Fachinformation um ein Antirheumatikum handelt, das kein schmerzstil-lendes Arzneimittel ist. Es ist auch in den weiteren Regelungen der Anlage 1 zur Vereinba-rung nicht aufgeführt.

Im Gegensatz zu Supertendin Depot N kann bei Lipotalon schon nicht von einem schmerz-stillenden Arzneimittel im Sinne der Nr. 6a der Anlage 1 ausgegangen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers kann für die Bewertung als schmerzstillendes Arzneimittel auch nicht die über die entzündungshemmende Wirkung eintretende Schmerzlinderung als ausreichend angesehen werden. Nach den oben dargelegten Erwägungen ist die Art der Wirkung vielmehr nach Maßgabe der in der Fachinformation enthaltenen arzneilich wirk-samen Bestandteile bzw. der darin genannten pharmakologischen Eigenschaften zu beurteilen. Eine analgetische Wirkungsweise ist in der Fachinformation zu Lipotalon, wie bereits das Sozialgericht erkannt hat, nicht genannt. Zwar enthalten sowohl Supertendin Depot N als auch Lipotalon als Wirkstoff Dexamethason. Die schmerzlindernde Akutwirkung tritt bei Supertendin Depot N indes aufgrund der Beimischung von Lidocain ein. So ist im Gutachten von Dr. H1 ... ausgeführt, dass das Corticoid selbst keine analgetische Wirkung (außer die der sekundären Schmerzstillung durch Rückgang des Ergusses - Seite 15) hat. Auch in dem Gutachten von Prof. Dr. M1 ... (Seite 3) ist beschrieben, dass Supertendin Depot N aufgrund der Kombination von Dexamethason und Lidocain eine Sonderstellung für die lokale Akutbehandlung rheumatischer Erkrankungen einnehme. Dieser Wirkstoff ist in Lipotalon nicht enthalten. Danach kann Lipotalon weder nach den arzneilich wirksamen Bestandteilen noch nach den pharmakologischen Eigenschaften als schmerzstillendes Arzneimittel bewertet werden. Lipotalon ist auch nicht als Glucocorticoid nach der Nr. 6b verordnungsfähig gewesen. Der Kläger selbst hat angegeben, das Mittel nicht zur Überwindung eines lebensbedrohlichen Zustandes angewendet zu haben.

Im Übrigen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen und auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im an-gefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG in der bis zum 01.01.2002 geltenden und hier noch anzuwenden Fassung (vgl. BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24 S. 115 ff.).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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