L 2 B 212/03 U

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 92/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 B 212/03 U
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 11. November 2003 dahin abgeändert, dass die Beklagte sämtliche außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten hat.
II. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beschwerdegegnerin (Bg.)zur Tragung der im Verfahren über die vom Beschwerdeführer (Bf.) erhobene Untätigkeitsklage entstandenen außergerichtlichen Kosten des Bf.

Am 18. Juli 2001 beantragte der ...geborene Bf. bei der Bg. die Prüfung, ob die Verschleißerscheinungen an seiner Wirbelsäule als Berufskrankheit (BK) anerkannt werden könnten. Im eingeleiteten Feststellungsverfahren informierte die Bg. den Bf. mit Schreiben vom 06. August 2001 über den zu erwartenden Ablauf und bat ihn mitgesandte Fragebögen ausgefüllt zurückzuschicken. Dem kam der Bf. nach zweimaliger Erinnerung am 22. April 2002 nach und fügte den Versicherungsverlauf der Landesversicherungsanstalt Sachsen vom 09. Januar 1998 bei, der für die Zeit vom 01. Januar 1973 bis zum 30. Juni 1990 keine beitrittsgebietlichen Versicherungszeiten enthielt.

Mit Schreiben vom 02. Mai 2002 übersandte die Bg. Fragebögen an verschiedene Arbeitgeber des Bf. und bat die AOK Rheinland um Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Bf. für den gesamten Zeitraum seiner Mitgliedschaft. Zeitgleich zog die Bg. medizinische Unterlagen bei.

Am 07. August 2002 wurde der Bf. aufgefordert, Kopien seines Sozialversicherungsausweises vorzulegen. Mit Schreiben vom gleichen Tage forderte die Bg. ärztliche Unterlagen in der Gemeinschaftspraxis für Orthopädie in D ... und in einer Praxis für Radiologie in K ...an. Am 19. September 2002 teilte der Bf. mit, dass er keine Sozialversicherungsausweise besitze, da er aus den alten Bundesländern stamme.

Nachdem die AOK Sachsen auf Anforderung hin die Zeiten von Arbeitsunfähigkeit für den Bf. bescheinigt hatte, veranlasste die Bg. am 19. November 2002 die Erstellung von Expositionsanalysen bei den Technischen Aufsichtsdiensten (TAD) des Rheinischen Gemeinde-Unfallversicherungsverbandes, der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft und der Bau- Berufsgenossenschaft. Entsprechende Analysen gingen bei der Bg. im Zeitraum vom 03. Januar bis 05. Februar 2003 ein. Lediglich der Rheinische Gemeinde-Unfallversicherungsverband blieb die erbetene Expositionsanalyse zunächst schuldig und wurde von der Bg. am 25. Februar 2003 an die Erledigung erinnert.

Am 14. April 2003 erhob der Bf. Untätigkeitsklage zum Sozialgericht (SG) Dresden mit dem Bemerken, er habe seit dem 24. April 2002 nichts mehr von der Bg. gehört. Diese teilte am 26. August 2003 mit, das Feststellungsverfahren sei nunmehr soweit fortgeschritten, dass alle erforderlichen Angaben vorhanden seien. Es hänge jetzt von der Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes ab, ob weitere Bearbeitungsschritte notwendig seien.

Daraufhin erklärte der Bf. mit Schriftsatz vom 04. Oktober 2003, beim SG eingegangen am 06. Oktober 2003, die Untätigkeitsklage in der Hauptsache für erledigt und beantragte, der Bg. die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Die Bg. trat dem entgegen und führte aus, der Bf. habe selbst zu Beginn des Verfahrens verzögert mitgewirkt. Aus ihrer Sicht sei es unverständlich, weshalb sich der Bf. vor Erhebung der Untätigkeitsklage nicht nach dem Stand des Verfahrens erkundigt habe. Eine Untätigkeit sei ihr nicht vorzuwerfen.

Mit Beschluss vom 11. November 2003, dem Prozessbevollmächtigten des Bf. zugestellt am 19. November 2003, hat das SG der Bg. die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Bf. auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, sowohl dem Bf. wie auch der Bg. falle die verzögerte Bearbeitung des Antrages des Bf.s zur Last, weil dem Bf. zuzumuten sei, die von der Bg. unterlassene Zwischennachricht anzufordern. Da er sich nicht nach dem Stand des Verfahrens erkundigt habe, sei es angemessen, die außergerichtlichen Kosten des Bf. nur zur Hälfte der Bg. zu überbürden.

Dagegen hat der Bf. am 21. November 2003 beim SG Dresden Beschwerde eingelegt, der nicht abgeholfen wurde. Der Bf. sei nicht verpflichtet gewesen, sich nach dem Stand der Angelegenheit zu erkundigen. Da dem Bf. keine Zwischennachricht erteilt worden sei, habe er auch nicht erkennen können, worauf die Verzögerung beruhe.

Der Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 11. November 2003 dahin abzuändern, dass die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer die gesamten außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Zeitraum zwischen der Antragstellung am 23. Juli 2001 und dem Bescheid vom 08. Oktober 2003 sei überschaubar, indessen sei die Verfahrensdauer durch die verspätete Reaktion des Bf. auf das Schreiben vom 06. August 2001 um acht Monate verlängert worden. Auch wenn keine Rechtspflicht zur Nachfrage bestanden habe, sei es dem Bf. zumutbar gewesen, den Stand des Verfahrens schriftlich oder mündlich zu erfragen.

Dem Senat liegen die Akten des Ausgangsverfahrens, die Beschwerdeakte und die Verwaltungsakte der Bg., die Gegenstand der Entscheidung war, vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft, zulässig und begründet. Die Statthaftigkeit folgt aus § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Da die streitbefangene Kostengrundentscheidung nicht als Teil eines Urteils, sondern isoliert ergangen ist, ist ihre gesonderte Anfechtung nicht durch § 172 Abs. 1 SGG ausgeschlossen. Einen ausdrücklichen Ausschluss der Beschwerde enthält das Gesetz weder in § 172 Abs. 2 SGG noch an anderer Stelle. Die Beschwerde ist auch zulässig. Sie ist rechtzeitig erhoben.

Nach § 193 SGG ist auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Der Antragsteller hat die Hauptsache für erledigt erklärt, nicht jedoch die Bg. Auch wenn die einseitige Erledigungserklärung im SGG nicht ausdrücklich erwähnt ist, so ist sie jedoch einer Klagerücknahme nach § 102 SGG in ihrer Wirkung gleichzustellen. Anders als im Zivilprozeß hat die Klagerücknahme nach § 102 SGG keine andere kostenrechtliche Folge als die beidseitige Erledigungserklärung (§ 202 SGG i.V.m. § 91a Zivilprozeßordung - ZPO -). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BSG (BSG SozR SGG § 162 Nr. 193, wo eine einseitige Erledigungserklärung als eine mögliche prozessuale Erklärung, die zur Erledigung der Hauptsache führt, angesehen wird; BSG, Urteil vom 20.12.1995, Az.: 6 RKa 18/95).

Bei Erledigung des Rechtsstreits auf andere Weise als durch Urteil, hat das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Maßstäbe hierfür enthält das Gesetz nicht. Grundsätzlich sind keine weiteren Ermittlungen mehr nach Erledigung der Hauptsache anzustellen (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 07. Aufl., § 193 Rdnr. 13d). Die Beschwerde ist nach diesen Grundsätzen begründet, weil der vermutliche Verfahrensausgang zu beachten ist, wobei von dem im Zeitpunkt der Erledigung vorliegenden Sach- und Streitstand auszugehen ist. Die Untätigkeitsklage des Bf. war zulässig. Für ihre Zulässigkeit kam es nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG lediglich darauf an, dass die Bg. über den Antrag nicht in angemessener Frist, d.h. innerhalb von 6 Monaten seit dem Antrag auf Prüfung des Vorliegens einer BK entschieden hat.

Ist die Untätigkeitsklage zulässig, hat die Bg. dem Bf. in der Regel die Kosten zu erstatten, wenn dieser mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (vgl. LSG Sachsen Beschluss vom 08.09.2000 - L 2 B 16/00 U -). Entscheidet die Verwaltung nicht innerhalb der gesetzlichen Sperrfrist bzw. Wartezeit des § 88 SGG über einen Antrag des Bf., gibt sie grundsätzlich dem Antragsteller Veranlassung zur Erhebung einer Untätigkeitsklage. Keine Veranlassung gibt die Bg. nur dann, wenn der Bf. zum Zeitpunkt der Klageerhebung erkennen konnte, dass die Untätigkeitsklage unbegründet ist, weil ein zureichender Grund für die Untätigkeit der Verwaltung bestanden hat. Dieses ist dann anzunehmen, wenn die Behörde die sachlichen Gründe, die die Entscheidung verzögern, dem Bf. mitgeteilt hat oder dem Antragsteller diese Gründe bekannt gewesen sind (vgl. LSG Rheinland-Pfalz in Breithaupt 1995 S. 975/976; LSG Bremen in SGb 1983, 557).

Ein zureichender Grund dafür, dass die Bg. nicht innerhalb der vorgeschriebenen 6-Monatsfrist einen Bescheid erteilt hat, lag zwar vor, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen waren, indessen war dies für den Bf. nicht erkennbar. Eine Zwischennachricht hat die Bg. nicht erteilt, sondern lediglich unter dem 7. August 2002 formularmäßig mitgeteilt, die Ermittlungen seien nicht abgeschlossen. Auch solle der Bf. seine Sozialversicherungsausweise (SVA) vorlegen. Aus der Sicht des Bf. war die Aufforderung zur Vorlage der SVA nicht geeignet, das Verfahren zu beschleunigen, weil er bereits anlässlich seiner am 25. April 2002 bei der Bg. eingegangenen Erklärung über seine berufliche Entwicklung den Versicherungsverlauf und die Versicherungsnachweise vorgelegt hatte, aus denen unzweifelhaft hervorging, dass er nicht im Besitz von SVA sein konnte, weil er von der Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres bis zum 30. Juni 1990 nahezu lückenlos Versicherungszeiten in den alten Bundesländern zurückgelegt hatte.

Der Bf. hat am 19. September 2002 mitgeteilt, er besitze keine Sozialversicherungsausweise. Nach dieser Mitteilung ist bis zur Erhebung der Untätigkeitsklage am 14. April 2003 die Frist des § 88 SGG erneut verstrichen. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob der Auffassung des LSG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 17. April 1998; Breithaupt 1998 Seite 943), wonach im Falle einer formularmäßigen Mitteilung eine Pflicht zur Rückfrage nach dem Grund der Untätigkeit besteht, zu folgen ist, denn jedenfalls dann, wenn man dem folgen will, müsste in diesen Fällen zumindest jeweils vor Ablauf von (weiteren) 6 Monaten eine erneute (formularmäßige) Zwischennachricht erteilt werden. Dies ist hier nicht geschehen. Vielmehr war die Aufforderung zur Vorlage der SVA bei angemessener Sachbearbeitung überflüssig und die angemessene Reaktionszeit hierauf dementsprechend als Zeit der Untätigkeit der Bg. zuzurechnen. Der Umstand, dass der Bf. am Anfang des Verwaltungsverfahrens verzögert reagiert hat, tritt in diesem Zusammenhang zurück, denn von der verzögerten Mitwirkungshandlung des Bf. im April 2002 bis zur Erhebung der Untätigkeitsklage im April 2003 ist nahezu das Doppelte der Frist des § 88 SGG verstrichen.

Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses folgt aus § 177 SGG. Eine gesonderte Kostengrundentscheidung bezüglich der Kosten des Beschwerdeverfahrens ist unzulässig, weil das Beschwerdeverfahren kostenrechtlich Teil des bereits erledigten Hauptsacheverfahrens ist. Umfang und Schwierigkeit des Beschwerdeverfahrens sind im Zuge der Festsetzung der angemessenen Gebühr im Gebührenrahmen zu berücksichtigen (Peter/Sautter/Wolff Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit § 172 Randziffer 62 mit m. w. N.).
Rechtskraft
Aus
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