L 4 RA 486/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 RA 497/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 486/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, den Zeitraum vom 11.03.1974 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) festzustellen.

Die am ... geborene Klägerin studierte von September 1970 bis Februar 1974 an der Ingenieurschule K ... und erwarb mit Bestehen der Abschlussprüfungen in der Fach-richtung Systemverfahrenstechnik das Recht, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu füh-ren. Von März 1974 bis Juni 1974 arbeitete die Klägerin als Ingenieurin beim VEB Ma-schinenfabrik S ... und sodann im Anschluss hieran bis Juli 1976 als Ingenieurin für Technologie und Abteilungsleiterin für Gundfondsreproduktion beim VEB P ...D ... Von August 1976 bis Dezember 1982 arbeitete die Klägerin als Ingeni-eurin für Investition und Vorbereitung beim VEB MLW Z ... E ... Von Januar 1983 bis Dezember 1984 war die Klägerin am gleichen Betrieb als Ingenieurin für Techno-logie tätig und im Anschluss hieran bis 31.05.1990 beim VEB MLW M ... L ... als Ingenieurin für Technologie, Technologin sowie als Investingenieurin. Zum 01.06.1990 wurde die Klägerin zur Bürgermeisterin der Gemeinde B ... gewählt; dem Senat liegt der Überleitungsvertrag vom 31.05.1990 zwischen dem VEB M ... L ..., der Gemeindevertretung B ... sowie der Klägerin vor. Die Klägerin ist der freiwilligen Zu-satzrentenversicherung (FZR) nicht beigetreten; eine Versorgungszusage ist ihr zu DDR-Zeiten nicht erteilt worden.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens beantragte die Klägerin am 20.06.2002 bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Der Beklagten la-gen Arbeitsverträge der Klägerin, deren Reifezeugnis sowie eine Urkunde des Ministeri-ums für Wissenschaft und Forschung des Landes Sachsen Anhalt vom 02.07.1993 vor, mit der der Klägerin die Berechtigung verliehen worden ist, den Grad "Diplom-Ingenieur (FH)" zu führen, sowie die Sozialversicherungsausweise der Klägerin. Mit Bescheid vom 07.10.2002 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 19.03.2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne vom § 1 Abs. 1 AAÜG sei nicht entstanden. Weder habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am 30.06.1990 (Schließung der Zusatzversor-gungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt worden, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Das AAÜG sei nicht anwendbar. Die Klägerin sei am 30.06.1990 nicht als Ingenieurin, sondern als Bürgermeisterin beschäftigt gewesen. Bei dieser Beschäftigung habe es sich nicht um eine ingenieur-technische Beschäftigung im Sinne der Versorgungsordnung gehandelt.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.04.2003 Klage zum Sozialgerichts Leipzig erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Sie sei von März 1974 bis Mai 1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb als Ingenieurin beschäftigt gewesen. Für diese Zeiten gelten die Bestimmungen des AAÜG. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Stichtag 30.06.1990 erscheine ihr nicht schlüssig.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 24.10.2003 die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber nicht begründet. Der ange-fochtene Bescheid sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin werde hierdurch nicht in eigenen Rechten verletzt. Denn sie habe keinen Rechtsanspruch auf Anwendung des AAÜG und Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung der techni-schen Intelligenz. Das AAÜG sei nur anzuwenden für Ansprüche und Anwartschaften, welche auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem nach Anlage 1 erworben worden seien. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gelte das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungs-systemen im Beitrittsgebiet erworben worden seien und beim In-Kraft-Treten dieses Ge-setzes am 01.08.1991 bestanden hätten. Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorgesehen hätten, gelte dieser Verlust als nicht eingetreten. Das AAÜG gelte nach der Rechtsprechung des BSG ferner auch in den Fällen, in denen aus der am 01.08.1991 allein maßgeblichen Sicht des Bundesrechts am 30.06.1990 weitere persönli-che, sachliche und betriebliche Voraussetzungen vorgelegen hätten, und zwar im Hinblick auf das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz die Berechtigung eine be-stimmte Berufsbezeichnung zu führen, die tatsächliche Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit und die Ausübung der Tätigkeit in einem volkseigenen oder gleichgestellten Pro-duktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens. Daran fehle es hier. Das AAÜG sei auf die Klägerin nicht anwendbar. Gemäß der Verordnung über die zusätzliche Altersversor-gung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17.08.1950 und der hierzu erlassenen Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24.05.1951 sei eine Versorgungsversicherung für die Angehörigen der technischen Intelli-genz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben eingeführt worden. Die Klägerin habe nach Besuch der Ingenieurschule in K ...den Titel eines Ingenieurs er-worben. Dieser entspreche den formalen Kriterien der zuvor genannten Versorgungsbe-stimmungen. Für den Stichtag 30.06.1990 bzw. 01.07.1990 fehle es hier jedoch an einer Beschäftigung in einem produzierenden VEB, da die Klägerin ab 01.06.1990 nicht mehr in einem VEB gearbeitet habe, sondern als Bürgermeisterin tätig geworden sei.

Gegen den am 07.11.2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 03.12.2003 noch beim Sozialgericht eingelegte Berufung, mit der die Klägerin ihr Begehren weiterver-folgt. Sie habe die Berechtigung die Berufsbezeichnung als Ingenieur zu führen; die tat-sächlich ausgeführte Tätigkeit habe auch der Qualifikation eines Ingenieurs entsprochen und zwar in einem VEB. Sowohl die Maschinenfabrik S ..., als auch der VEB P ... D ... und der VEB Z ... E ... seien unstreitig als VEB anzusehen. Es bestän-den im Hinblick auf die am 30.06.1990 ausgeübte Wahlfunktion verfassungsrechtliche Bedenken am Stichtag 30.06.1990. Die Übernahme des Wahlamtes unter Berücksichtigung der Demokratisierungsbewegung in der ehemaligen DDR dürfe nicht zu Lasten der Kläge-rin gehen. Es sei jedenfalls eine Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Mitar-beiter Staatsapparat anzuerkennen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24.10.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.10.2002 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 19.03.2003 zu verpflichten, den Zeitraum vom 11.03.1974 bis 30.06.1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der techni-schen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat lagen der Überleitungsvertrag gem. § 51 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) vom 31.05.1990 zwischen der Klägerin, dem VEB M ... L ... sowie der Gemeindevertretung B ... vor, wonach die Klägerin zum 01.06.1990 ihre Tätigkeit als Bürgermeisterin im Gemeindeamt B ... aufgenommen hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorla-gen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Mit Recht und zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 07.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, den streitigen Zeitraum als Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der technischen Intelligenz festgestellt zu erhalten. In dem Feststellungsverfahren des Versorgungsträgers nach § 8 AAÜG, welches einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähn-lich und auch außerhalb des Rentenfeststellungsverfahrens des Rentenversicherungsträgers durchzuführen ist (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.1996 - 4 RA 7/95 in: SozR 3-8570 § 8 Nr. 2) konnte die Klägerin schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie vom Anwen-dungsbereich des AAÜG nicht erfasst wird. Im Hinblick auf das Begehren der Klägerin, den streitigen Zeitraum gem. den §§ 5 ff. des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) als Zeiten der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erziel-ten Arbeitsentgelte festzustellen, ist vorrangig zu prüfen, ob die Vorschriften des AAÜG überhaupt auf die Klägerin Anwendung finden (§ 1 AAÜG). Dies ist vorliegend zu vernei-nen.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für "Ansprüche und Anwartschaften", die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsge-biet erworben worden sind. "Erworben worden sind" in diesem Sinne aus der Perspektive des am 01.08.1991 in Kraft getretenen AAÜG (Art. 3 RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl. I S. 1606) Versorgungsanwartschaften auch, wenn Nichteinbezogene rückschauend nach den Regeln der Versorgungssysteme, soweit sie auf Grund des Einigungsvertrages vom 31.08.1990 (BGBl. II S. 889) Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 am 03.10.1990 zu sekundärem Bundesrecht geworden waren, praktisch und rechtsgrundsätz-lich im Regelfall am 30.06.1990 (vgl. Anl. II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt II Nr. 8, § 22 Rentenangleichungsgesetz vom 28.6.1990, GBl. I S. 495) hätten einbezogen werden müssen. Dies wäre der Fall, wenn sie - ohne erfolgte Einzelfallregelung (Versorgungszu-sage, Einzelentscheidung, Einzelvertrag) - auf Grund der am 30.06.1990 gegebenen Sach-lage nach der am 31.07.1991 gebotenen bundesrechtlichen Sicht einen Rechtsanspruch auf eine Versorgungszusage nach den Regelungen der Versorgungssysteme unter Beachtung des Gleichheitsgebotes gehabt hätten (BSG , Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 21/02 R -; Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 56/01 R -; Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R). Schließlich wird nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG eine Versorgungsanwartschaft fingiert, wenn in der DDR zu irgend einem Zeitpunkt einmal eine durch Einzelfallregelung konkre-te Aussicht bestand, im Versorgungsfall Leistungen zu erhalten, diese Aussicht (Anwart-schaft) aber auf Grund der Regelungen der Versorgungssysteme vor dem 01.07.1990 wie-der entfallen war (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 34/01 R - m.w.N).

Da die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in der DDR eine Versorgungszusage (Art. 19 Satz 1 Einigungsvertrag) und auch keinen Einzelvertrag mit der konkreten Aussicht hatte, bei Eintritt des Versorgungsfalls Leistungen zu erhalten und auch insoweit keine Rehabilitie-rungsentscheidung vorliegt, und schließlich auch nicht der Leistungsfall (Alter, Invalidität) eingetreten ist und bereits deshalb kein Anspruch "erworben" worden ist, können die Vor-schriften des AAÜG mithin auf sie nur Anwendung finden, wenn sie aus bundesrechtlicher Sicht nach den Gegebenheiten der DDR, d.h. nach den insoweit vom Einigungsvertrag noch partiell übernommenen Regelungen der Versorgungssysteme, wären diese unter Be-achtung des Gleichheitsgebotes umgesetzt worden, eine Anwartschaft auf eine Versorgung am 30.06.1990 hätte eingeräumt werden müssen, sie also, wäre der Versorgungsfall zu diesem Zeitpunkt eingetreten, zum 01.07.1990 im (jetzt) rechtstaatlichen Umfeld ("kraft Gesetzes") Leistungen aus dem Versorgungssystem hätte beanspruchen können. Dies wäre der Fall gewesen, wenn die Klägerin nach den Regelungen des Versorgungssystems "obli-gatorisch" im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" - ohne Ermessensspielraum des Ver-sorgungsträgers - in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätten einbezogen werden müssen, weil die abstrakt-generellen Voraussetzungen hierfür insoweit am 30.06.1990 er-füllt waren (vgl. BSG, Urteil vom 31.7.2002 - B 4 RA 21/02 R -). Demgegenüber waren auch aus bundesrechtlicher Sicht diejenigen nicht einbezogen, die nach den einschlägigen Versorgungsordnungen oder Durchführungsbestimmungen oder sonstigen Regelungen der ehemaligen DDR lediglich durch Einzelvertrag oder Einzelentscheid oder Ermessensent-scheidung hätten einbezogen werden können; denn eine derartige (Ermessens-) Entschei-dung, die auch der Erzeugung politischen und gesellschaftlichen Wohlverhaltens diente, könnte allein aus der Sicht der DDR und nach deren Maßstäben getroffen werden. Mangels sachlich objektivierbarer, bundesrechtlich nachvollziehbarer Grundlage kann eine solche Ermessensentscheidung nicht rückschauend ersetzt werden (vgl. BSG, a.a.O.; Urteil vom 10.04.2002 - B 4 RA 10/02 R -).

Gemessen an diesen Vorgaben steht der Klägerin der streitbefangene Anspruch nicht zu. Im Hinblick auf den streitigen Zeitraum kommt eine Anspruchsberechtigung nur nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in Betracht. Aus bundesrechtlicher Sicht hatte die Klägerin indes am 30.06.1990 keine Versorgungsanwartschaften im oben genannten Sinn "erworben", sodass sie auch nicht unter den Anwendungsbereich des AAÜG fällt. Die Klägerin hätte am 30.06.1990 aus bundesrechtlicher Sicht keinen "fiktiven" Anspruch auf die Erteilung einer Versorgungszusage nach den insoweit maßgeblichen Vorschriften der AVItech gehabt. Die relevanten Vorschriften der AVItech ergeben sich aus den Texten der "Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben" vom 17.08.1950 (GBl. Nr. 93 S. 844 - VO-AVItech -) und aus der "Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersver-sorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrie-ben" vom 24.05.1951 (GBl. Nr. 62 S. 487 - 2. DB); demgegenüber hat die 1. DB nur his-torisch-heuristische Bedeutung für die Auslegung (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R), zumal sie mit Wirkung zum 01.05.1951 durch die 2. DB außer Kraft gesetzt worden ist (§ 10 Abs. 2 der 2. DB). Gem. § 1 VO-AVItech in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB hängt ein Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech in persönlicher, sachlicher und betrieblicher Hinsicht im Wesentlichen von drei Voraussetzungen ab: die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz war generell eingerichtet für Per-sonen, die (1) berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, (2) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben, und zwar (3) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -; Urteil vom 18.06.2003 - B 4 RA 1/03 R -).

Der streitige Beschäftigungszeitraum vom 11.03.1974 bis 30.06.1990 könnte jedoch nur dann als Zugehörigkeitszeit im Sinne des § 5 Abs. 1 AAÜG nach der hier in Betracht kommenden AVItech sein, wenn am Stichtag 30.06.1990 eine ingenieurtechnische Tätig-keit bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder bei einem der nach § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betriebe verrichtet worden wäre. Dies ist vorliegend zu verneinen. Die von der Klägerin am 30.06.1990 ausgeübte Tätigkeit als Bürgermeisterin beim Rat der Gemeinde B ... war bereits keine ingenieurtechnische Tätigkeit im Sinne der Versor-gungsordnung; entscheidend kommt weiterhin hinzu, dass die Klägerin am Stichtag 30.06.1990 auch nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Sinne des § 1 der VO-AVItech in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB beschäftigt gewesen ist.

Der Ausdruck "Betrieb" lässt erkennen, dass es sich um eine Organisationsform handeln musste, die im Wirtschaftsrecht der DDR unter den Oberbegriff "Wirtschaftseinheit" fiel. Als Wirtschaftseinheiten verstand man in der DDR solche "Organisationsformen der sozia-listischen Volkswirtschaften, die geschaffen wurden, um als warenproduzierende Glieder der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Kollektive sozialistischer Werktätiger wirtschaft-liche Leistungen zu erbringen, und die zu diesem Zweck auch über entsprechende Lei-tungsbefugnisse verfügen" (vgl. Autorenkollektiv unter Leitung von Heuer, Wirtschafts-recht, Staatsverlag der DDR, Berlin 1985, S. 65 und 75; BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -). Soweit von "warenproduzierenden" Gliedern gesprochen wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Ausdruck "Ware" nicht nur im Sinne von Sachgütern zu verstehen ist, sondern sowohl materielle als auch immaterielle Güter umschreibt, da an-sonsten Dienstleistungsbetriebe keine Betriebe im Sinne des DDR-Rechts gewesen wären. Bezogen auf den Betrieb erfasste der Ausdruck "Warenproduktion" in der DDR letztlich jede Form von wirtschaftlicher Tätigkeit (BSG, a.a.O.). Trotz systembedingter Abwei-chungen entspricht diese Bedeutung des Ausdrucks "Betrieb" weitgehend dem marktwirt-schaftlichen Verständnis; danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von persönli-chen, sächlichen und materiellen Mitteln zur fortgesetzten Verfolgung eines "technischen" Zwecks. Ausgehend vom staatlichen Sprachgebrauch der DDR hat der Ausdruck "Betrieb" im Rahmen des Versorgungsrechts nur die Bedeutung, dass er wirtschaftsleitende Organe ausschließt (deswegen deren Gleichstellung in § 1 Abs. 2 der 2. DB; vgl. BSG, a.a.O.).

Eine weitere Eingrenzung erfolgt durch das Merkmal "volkseigen". Dadurch beschränkt sich der Anwendungsbereich der AVItech auf Betriebe, die auf der Basis des gesamtgesell-schaftlichen Volkseigentums gearbeitet haben, der wichtigsten Erscheinungsform des sozi-alistischen Eigentums (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 3/02 R -). Ausgeschlos-sen waren damit nicht nur Betriebe, die auf der Grundlage von Privateigentum wirtschafte-ten, sondern auch solche, für die die beiden anderen Formen des sozialistischen Eigentums kennzeichnend waren, nämlich das genossenschaftliche Gemeineigentum und das Eigen-tum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 41/01 R -).

Schließlich erfolgte eine weitere Begrenzung auf (volkseigene) "Produktionsbetriebe" (der Industrie und des Bauwesens). Die Maßgeblichkeit des Merkmals "Produktionsbetrieb" folgt unmittelbar aus § 1 Abs. 2 der 2. DB. Dass es dabei auf Produktionsbetriebe nur der "Industrie" und des "Bauwesens" ankommt, ergibt sich mit Blick auf die Produktionsbe-triebe der Industrie u. a. schon aus der Einbeziehung des Ministeriums für Industrie in § 5 der VO-AVItech und für die Produktionsbetriebe des Bauwesens aus der sprachlichen und sachlichen Gegenüberstellung von "Produktionsbetrieben der Industrie und des Bauwe-sens" einerseits und allen anderen "volkseigenen Betrieben" andererseits, welche die DDR spätestens ab den 60er-Jahren und jedenfalls am 30.06.1990 in ihren einschlägigen Geset-zestexten vorgenommen hatte (vgl. BSG, a.a.O.).

Aus § 5 der VO-AVItech wie auch aus § 1 der 1. DB ergeben sich zwei Forderungen für die Bedeutung des Wortes "volkseigener Produktionsbetrieb" in § 1 Abs. 2 der 2. DB: es muss sich bei dem betroffenen Betrieb erstens um einen VEB handeln, der organisatorisch dem industriellen Produktionssektor der DDR-Planwirtschaft zugeordnet war; ferner muss zweitens der verfolgte Hauptzweck des VEB auf die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung bzw. Produktion von Sachgütern ausgerichtet gewesen sein. Dem betrieblichen Anwendungsbereich der AVItech unterlagen als "Produktionsbetriebe" somit nur VEB der Industrie, d. h. solche VEB, die als Hauptzweck industrielle Fertigung von Sachgütern be-trieben (vgl. BSG, a. a. O.). Gleiches gilt für einen volkseigenen Produktionsbetrieb im Bauwesen. Industrie und Bauwesen waren in der DDR die "führenden" Produktionsberei-che (vgl. BSG, a. a. O., m. w. N.). Auf ihre Unterscheidung von den "anderen Bereichen der Volkswirtschaft" wurde auch in den Regelungen zu den VEB, Kombinaten und VVB Wert gelegt (z. B. § 16 der "Verordnung über die Bildung und Rechtsstellung von Kombi-naten" vom 18.10.1968, GBl. II Nr. 121 S. 963; § 2 der Kombinatsverordnung 1973 und § 41 Abs. 1 der Kombinatsverordnung 1979). Dort werden ausdrücklich die VEB in den Sektoren Industrie und Bauwesen den Sektoren Handel, Dienstleistungen, Landwirtschaft sowie allen anderen Bereichen der Volkswirtschaft gegenüberbestellt. Auch nach dem Sprachgebrauch der DDR waren daher volkseigene Produktionsbetriebe nur solche dieser beiden Wirtschaftsbranchen Industrie und Bauwesen. Hieraus folgt somit, dass es auch für die Bejahung eines volkseigenen Produktionsbetriebes des Bauwesens im Sinne der 2. DB erforderlich ist, dass der Betrieb als seinen Hauptzweck Bautätigkeiten ausführte.

Dies zu Grunde gelegt, erfolgte die Tätigkeit der Klägerin als Bürgermeisterin beim Rat der Gemeinde B ... gerade nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens im vorgenannten Sinne. Es handelt sich vielmehr um eine verwal-tungsleitende Tätigkeit bei einer Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung. Da ihr bis zur Schließung des Zusatzversorgungssystems zum 30.06.1990 eine Versorgungszusage zur Einbeziehung in die AVItech nicht erteilt worden war, und sie zum genannten Stichtag auch nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis zu einem vom Wortlaut der VO-AVItech in Verbindung mit der 2. DB geforderten volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens stand, konnte ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech auch nicht mehr entstehen.

Für die Klägerin streitet auch nicht § 2 Abs. 4 der 2. DB. Danach erlosch zwar der An-spruch auf Rente (d.h. der Leistung aus dem Zusatzversorgungssystem) für die Dauer von Berufungen in "öffentliche Ämter" oder in "demokratische Institutionen (Parteien, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund usw.)" nicht. Da die Klägerin jedoch vor dem 01.07.1990 keinen Versicherungsschein erhalten hat und damit nicht einbezogen war, hatte sie auch zuvor keinen "Anspruch" auf Rente, der wegen ihrer Tätigkeit und Berufung als Bürger-meisterin hätte erlöschen können (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R -).

Mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit als Bürgermeisterin am 01.06.1990 hätte die Klägerin möglicherweise der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staats-apparates (Anlage 1 Nr. 19 zum AAÜG) beitreten können. Die insoweit relevanten Vor-schriften ergeben sich aus der "Ordnung über die freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates" gem. dem Beschluss des Ministerrates vom 29.01.1971. Nach § 1 der vorgenannten Ordnung wurde danach für Leiter und Mitarbeiter des Staatsapparates eine freiwillige zusätzliche Altersversorgung eingeführt. Gem. § 2 Abs. 1 der Ordnung konnten der Versorgung alle Mitarbeiter des Staatsapparates bei-treten, die (a) ab Aufnahme der Tätigkeit im Staatsapparat bis zum Rentenalter mindestens 15 Jahre ununterbrochen im Staatsapparat tätig sein konnten, (b) ab Aufnahme der Tätig-keit im Staatsapparat bis zum Rentenalter mindestens fünf Jahre ununterbrochen im Staats-apparat tätig sein konnten, wenn sie bei Einführung der Versorgung bereits im Staatsappa-rat tätig waren. Gem. § 2 Abs. 2 der Ordnung erfolgte der Beitritt zur Versorgung durch Abgabe einer schriftlichen Beitrittserklärung des Mitarbeiters gegenüber dem Staatsorgan. Der Mitarbeiter erhielt vom Staatsorgan einen Nachweis über den Beitritt. Wie sich somit bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Ordnung ergibt, erfolge der Beitritt zur Versor-gung durch Abgabe einer schriftlichen Beitrittserklärung. Ohne schriftliche Beitrittserklä-rung konnte daher eine Versorgungsberechtigung bereits nach den Bestimmungen der Ver-sorgungsordnung der ehemaligen DDR nicht eintreten, sodass eine einer Versorgungsan-wartschaft gleichstehende Rechtsposition ohne Beitrittserklärung auch nicht entstanden ist, vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1998 - B 4 RA 11/98 R -; Sächsisches LSG, Urteil vom 21.05.2001 - L 4 RA 182/00 - ). Da eine entsprechende Beitrittserklärung durch die Kläge-rin nicht erfolgt ist, scheidet aus diesem Grund auch die Anerkennung von Zurechnungs-zeiten zur zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved