L 3 AL 141/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AL 357/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 141/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das Bestehen eigener Leistungsfähigkeit kann die Ablehnung eines Gründungszuschusses im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen.

2. Der Aufbau einer Liquiditätsreserve mag sinnvoll sein, kann im Rahmen eines Gründungszuschusses aber nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft erfolgen. Denn der Gründungszuschuss dient nach dem Willen des Gesetzgebers der Sicherung des Lebensunterhaltes und der sozialen Sicherung, nicht aber der wirtschaftlichen Förderung oder Sicherung des Unternehmens.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 14. November 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihr einen Gründungszuschuss zu bewilligen.

Die damals in einem Arbeitsverhältnis als Verkaufsstellenleiterin bei der Firma "S " stehende Klägerin nahm am 5. Januar 2011 telefonisch Kontakt zur Beklagten auf. Nach dem Inhalt des über das Gespräch gefertigten Telefonvermerks meldete sie sich arbeitssuchend und gab als Grund an, dass sie ihre Selbstständigkeit plane und Beratung wünsche. Am 20. Januar 2011 sprach sie bei der Beklagten persönlich vor. Nach dem Inhalt des Gesprächsvermerkes gab die Klägerin an, sie rechne mit dem Ende ihrer Beschäftigung. Der Arbeitgeber habe bereits Entlassungen beziehungsweise Arbeitszeitverkürzungen vorgenommen. Die Klägerin ließ sich zur Sperrzeitproblematik bei Aufhebungsvertrag oder eigener Kündigung sowie über die Förderungsvoraussetzungen für einen Gründungszuschuss beraten. Die Arbeitssuchendmeldung erhielt sie nicht aufrecht. Am 12. Oktober 2011 meldete sich die Klägerin erneut telefonisch bei der Beklagten wegen Fragen zu leistungsrechtlichen Konsequenzen eines Aufhebungsvertrages. Nach dem Inhalt des Gesprächsvermerks gab sie an, sich weiter in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei "S " in C zu befinden. Sie solle aber von ihrem Arbeitgeber nach P versetzt werden, sei damit aber wegen des Fahrweges und aus persönlichen Gründen nicht einverstanden. Sie erwäge, einen Aufhebungsvertrag einzugehen. Auch habe sie vor, sich selbstständig zu machen. Am 24. Oktober 2011 sprach die Klägerin erneut persönlich vor und ließ sich unter anderem zu den gesetzlichen Voraussetzungen der Bewilligung eines Gründungszuschusses beraten. Am 1. November 2011 hatte die Klägerin wiederrum telefonischen Kontakt zur Beklagten. Nach dem Inhalt des darüber gefertigten Gesprächsvermerkes war eine Arbeitslosmeldung der Klägerin bekannt, die aber derzeit keine Vermittlung in Anspruch nehmen wolle.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Firma "S " endete am 31. Dezember 2011. Am 9. Februar 2012 sprach die Klägerin persönlich bei der Beklagten vor und beantragte die Bewilligung eines Gründungszuschusses. Nach den Angaben im Gesprächsvermerk wurde der Klägerin mitgeteilt, dass sie ohne Förderung als Verkäuferin/Filialleiterin vermittelbar sei und daher ein Gründungszuschuss nicht bewilligt werden könne. Die Klägerin habe dennoch auf Stellung eines Antrages auf Gründungszuschuss bestanden, die entsprechenden Unterlagen seien ihr ausgehändigt worden.

Am 22. Februar 2012 reichte die Klägerin das Formular "Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III" zurück. Als Tätigkeit war "Schuhhändlerin im Einzelhandel" angegeben. Neben weiteren Unterlagen waren eine Rentabilitätsvorschau für die ersten sechs Monate sowie eine Rentabilitätsvorschau für die ersten drei Jahre beigefügt.

Mit Bescheid vom 9. März 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung eines Gründungszuschusses ab. Seit der ersten Vorsprache am 9. Februar 2012 seien der Klägerin bereits fünf Vermittlungsvorschläge als Verkäuferin, davon zwei als Filialleiterin, gemacht worden. Es sei davon auszugehen, dass eine Vermittlung aufgrund der Berufserfahrung beziehungsweise Qualifikation ohne Förderung möglich sei. Ein Gründungszuschuss könne daher nicht gewährt werden.

Den Widerspruch der Klägerin vom 15. März 2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2012 zurück. Die Bewilligung des Gründungszuschusses sei in das Ermessen der Agentur für Arbeit gestellt. Das persönliche Interesse der Klägerin an der Förderung müsse hinter den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer zweckentsprechenden, bedarfsorientierten und sparsamen Verwendung der Beitragsmittel zurückstehen. Nach § 4 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) sei der Vermittlung in Arbeit grundsätzlich der Vorrang vor der Gewährung von Leistungen der aktiven Arbeitsförderung einzuräumen. Auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt bestünden ausreichende Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Aufgrund der Berufserfahrung und der Qualifikation der Klägerin sei eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt "in absehbarer Zeit" möglich gewesen. Die Arbeitslosigkeit hätte daher auch ohne die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit beendet werden können. Auch gehe aus den Antragsunterlagen der Klägerin hervor, dass sie aus ihrer selbstständigen Tätigkeit bereits im Jahre 2012 ein Jahresergebnis von 15.900,00 EUR (1.325,00 EUR/Monat) erwarte. Ein Gründungszuschuss hätte etwa 1.212,90 EUR betragen. Die Klägerin könne daher den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung selbst sicherstellen.

Die Klage vom 24. Mai 2012 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 14. November 2012 abgewiesen. Zwar greife der Vermittlungsvorrang nicht, weil auf Grund des "Zusammenbruchs des S -I " eine große Zahl von Verkäuferinnen arbeitslos geworden sei. Dennoch sei der angegriffene Verwaltungsakt rechtmäßig. Ermessensfehler seien nicht festzustellen. Insbesondere sei die Bewertung des Umstandes, dass die Klägerin für das Jahr 2012 ein Jahresergebnis in Höhe von 15.900,00 EUR prognostiziere, als Indiz dafür, dass sie ihren Lebensunterhalt und die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung sicherstellen könne, nicht zu beanstanden.

Mit der Berufung vom 19. Dezember 2012 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Entscheidung der Beklagten beruhe auf einem Ermessensfehlgebrauch. Zutreffend habe das Sozialgericht ausgeführt, dass der Vermittlungsvorrang bei ihr nicht greife. Rechtsfehlerhaft sei das Sozialgericht aber der Auffassung der Beklagten gefolgt, sie, die Klägerin, könne aus dem prognostizierten Betriebsergebnis ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die erwirtschafteten Mittel könnten nicht für die Sicherung des Lebensunterhaltes verwendet werden, weil sie zum Aufbau einer Liquiditätsreserve benötigt würden. Die Bildung von Rücklagen als Liquiditätsreserve empfehle auch die Bundesagentur für Arbeit in ihrer 2011 herausgegebenen Broschüre "Durchstarten". Sie, die Klägerin, habe auch nicht einen seit Jahren geführten Betrieb übernommen und fortgeführt. Zwar sei in denselben Räumlichkeiten vor der Gründung ein Schuhgeschäft betrieben worden. Gleichwohl habe sie die gesamten Geschäftsräume umfangreich renoviert und neue, moderne Regale und einen Verkaufstresen angeschafft. Weitere Modernisierungen und Ergänzungen seien vorgenommen worden. Die vorherige Inhaberin des Schuhgeschäftes habe über Jahre hinweg keine Investitionen getätigt. Ein Unterschied zu einem völlig neuen Schuhgeschäft an einer Stelle, an der vorher keines bestanden habe, sei bei derart umfangreichen Investitionen nicht erkennbar. Der Aufbau eines völlig neuen Warenbestandes sei unumgänglich gewesen. Dafür habe sie, wie auch in der Kapitalbedarfsplanung eingearbeitet, 15.000,00 EUR aufwenden müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 14. November 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 9. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2012 zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Bewilligung des Gründungszuschusses nach Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichtes für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil vom 14. November 2012 die Klage der Klägerin abgewiesen. Ihr steht der geltend gemachte Anspruch auf erneute Entscheidung der Beklagten über ihren Antrag auf Bewilligung eines Gründungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts nicht zu.

Nach § 57 Abs. 1 SGB III in der vom 28. Dezember 2011 bis 31. März 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]; im Folgenden: a. F.) konnten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendeten, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Der Gründungszuschuss konnte nach § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB III a. F. geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit a) einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hatte oder b) eine Beschäftigung ausgeübt hatte, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden war, 2. bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer nicht allein auf § 127 Abs. 3 SGB III [a. F.] beruhte, von mindestens 150 Tagen verfügte, 3. der Agentur für die Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachwies und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegte. Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung war die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III a. F.). Fachkundige Stellen waren insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III a. F.).

Nach § 93 Abs. 1 SGB III in der seit dem 1. April 2012 (und damit bei Erlass des Widerspruchsbescheides) geltenden Fassung (vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]) können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Ein Gründungszuschuss kann nach § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht, 2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 3. ihre oder seine Kenntnisse oder Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt. Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III ist zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung der Agentur für Arbeit einer fachkundigen Stelle vorzulegen. Fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB III).

Die das Ermessen der Bundesagentur für Arbeit eröffnenden tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften hat die Klägerin erfüllt. Sie hatte bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen mit Bescheid vom 8. März 2012 festgestellten Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 7. Februar 2012 mit einer Restanspruchsdauer von mehr als 150 Tagen. Die Tragfähigkeit der Existenzgründung wies sie durch Vorlage der durch die Sächsische Aufbaubank (SAB) erstellte "Rentabilitätsvorschau Existenzgründer" sowie die durch den Handelsverband Sachsen e. V. erstellte "Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung nach § 57 Abs. 2 Nr. 3 SGB III" vom 20. Februar 2012 nach. Dass die Klägerin über die zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, steht bereits nach ihrer Erwerbsbiografie außer Frage. Sie legte dazu verschiedene Zertifikate, Zeugnisse und Leistungsnachweise vor. Insoweit, das heißt hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung eines Gründungszuschusses, besteht auch zwischen den Beteiligten kein Streit.

Liegen damit die Tatbestandsvoraussetzungen für die Bewilligung des Gründungszuschusses vor, ist über das Begehren der Klägerin nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – [SGB I]) zu entscheiden. Bei Ermessensentscheidungen ist der Verwaltung ein Handlungsspielraum eingeräumt. Das Gericht darf bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung nicht seine Vorstellungen hinsichtlich einer zweckmäßigen Entscheidung an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Es findet mithin nur eine gerichtliche Rechtskontrolle, nicht aber eine Zweckmäßigkeitskontrolle statt. Bei einem Streit über die Gewährung von Ermessensleistungen hat das Gericht im Streitfall nach § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu prüfen, ob der Versicherungsträger die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, und ob dadurch der Kläger in seinen Rechten verletzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 12/12 R – SozR 4-2500 § 40 Nr. 7 = JURIS-Dokument, jeweils Rdnr. 12).

Fehler in der Ermessensausübung vermag der Senat nicht festzustellen. Vielmehr übte die Beklagte das Ermessen in rechtmäßiger Weise aus. Sie erkannte ihre Pflicht zur Ermessensbetätigung und übte Ermessen, wenngleich erst mit dem Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2012 (vgl. hierzu: Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X [8. Aufl., 2014], § 41 Rdnr. 11, m. w. N.), aus. Es liegt auch weder eine Ermessensüberschreitung, ein Ermessensmissbrauch noch ein Abwägungsdefizit vor. Die Beklagte hielt mit dem Widerspruchsbescheid dem Begehren der Klägerin entgegen, ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt wäre in absehbarer Zeit möglich gewesen, zudem könne sie auf der Grundlage ihrer eigenen Angaben den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung selbst sicherstellen. Beide Gesichtspunkte sind tragfähig und wurden von der Beklagten ermessensfehlerfrei erwogen.

Voranzustellen ist, dass Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung einzig auf die beantragte Bewilligung eines Gründungszuschusses ("Ermessensreduzierung auf null") nicht vorliegen. Weder band sich die Beklagte gegenüber der Klägerin, etwa durch eine Zusage oder eine dahingehende Eingliederungsvereinbarung, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit alternativlos war, es sich bei ihr also um die einzige Maßnahme gehandelt hat, mit der eine dauerhafte Eingliederung der Klägerin in den Arbeitsmarkt erreicht werden konnte.

Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch die Ermessenserwägungen der Beklagten zum Vorrang der Vermittlung nach § 4 Abs. 2 SGB III als tragfähig. Dass die Beklagte den Vorrang der Vermittlung in ihre Abwägungen einstellte, begegnet dem Grunde nach schon deshalb keinen Bedenken, weil es sich dabei um die Berücksichtigung einer gesetzlichen Vorgabe handelt. Nach § 4 Abs. 1 SGB III hat die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgeltes bei Arbeitslosigkeit. Der Vermittlungsvorrang gilt nach § 4 Abs. 2 SGB III auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, soweit nicht die Leistung für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist. Der Gründungszuschuss ist eine solche Leistung der aktiven Arbeitsförderung (vgl. § 3 Abs. 4 SGB III [in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung]; § 3 Abs. 3 SGB III [in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung]). Vorliegend meldete sich die Klägerin, die zuvor ausdrücklich eine Vermittlung nicht gewünscht hatte, am 9. Februar 2012 persönlich. Nach dem darüber gefertigten Gesprächsvermerk ergab bereits die sofort vorgenommene "Vorprüfung", dass die Klägerin auch ohne die begehrte Förderung durch Gründungszuschuss "als Verkäuferin/Filialleiterin vermittelbar ist". Die in der Behördenakte enthaltene Übersicht "Bewerbungen/ Vermittlungen – J S " zeigt auf, dass die Beklagte der Klägerin zwischen ihrer ersten Vorsprache am 9. Februar 2012 und dem 7. März 2012 fünf qualifizierte Vermittlungsvorschläge, zwei davon auf Stellen als Verkaufsstellenleiterin machen konnte. Es handelte sich dabei um Stellen im Tagespendelbereich. Auch eine von der Beklagten am 14. März 2012 vorgenommene "Umkreissuche nach Stellenangeboten" hatte nach dem in der Behördenakte befindlichen Ausdruck zum Ergebnis, dass Arbeitsstellen als Verkäuferin, die sofort oder zeitnah besetzt werden sollten, in großer Zahl vorhanden waren. Vor diesem Hintergrund erscheint die von der Beklagten angestellte Prognose, die Klägerin sei auch ohne Leistungen der aktiven Arbeitsförderung in den Arbeitsmarkt integrierbar, folgerichtig.

Auch der von der Beklagten im Widerspruchsbescheid herangezogene Ermessengesichtspunkt der eigenen Leistungsfähigkeit erweist sich als tragfähig. Das Bestehen eigener Leistungsfähigkeit kann die Ablehnung eines Gründungszuschusses im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014 – L 8 AL 1515/13 – JURIS-Dokument Rdnr. 35). Dieser Ermessensgesichtspunkt berücksichtigt den Zweck eines Gründungszuschusses, nämlich die Sicherung des Lebensunterhalts und der sozialen Sicherung (vgl. § 57 Abs. 1 SGB III a. F., § 93 Abs. 1 SGB III). Damit wird mit dem Ermessensgesichtspunkt der eigenen Leistungsfähigkeit in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, jedenfalls dann, wenn (ausnahmsweise) konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die geplante selbstständige Tätigkeit bereits in der Anlaufphase der ersten sechs Monate so erfolgreich sein wird, dass der Existenzgründer seinen Lebensunterhalt selbst erwirtschaften und damit auch seine soziale Absicherung vornehmen kann. In einem solchen Fall ist die Förderung mit dem Gründungszuschuss nicht gerechtfertigt, da der eigentliche Sicherungszweck des Gründungszuschusses verfehlt würde.

Eine solche Ausnahmesituation ist hier gegeben. Wenngleich die Klägerin geltend macht, von der Übernahme eines bereits bestehenden Unternehmens könne deshalb nicht ge-sprochen werden, weil der Warenbestand erneuert und Geschäftsräume renoviert werden mussten, handelt es sich dennoch bei natürlicher Betrachtungsweise um die Fortführung eines Unternehmens. Dies sah die Klägerin auch bei Beantragung des Gründungszuschusses nicht anders und bezeichnete ihr Vorhaben als "Übernahme des Geschäfts Schuhmoden Speziale". Bei der Einschätzung des zu erwartenden Betriebsergebnisses griff die Beklagte auf die von der Klägerin mit dem Antrag vorgelegte Rentabilitätsvorschau zurück und stellte fest, dass bereits für das Jahr 2012 ein Betriebsergebnis von 1.325,00 EUR je Monat zu erwarten ist, das hinter einem möglichen Gründungszuschuss (1.212,90 EUR) jedenfalls nicht zurückbleibt. Dass die Beklagte damit die soziale Sicherung und den Lebensunterhalt der Klägerin als gesichert ansah, begegnet keinen Bedenken. Ermessensfehlerfrei konnte damit die Beklagte davon ausgehen, dass das persönliche Interesse der Klägerin an einer Förderung hinter den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer zweckentsprechenden, bedarfsorientierten und sparsamen Verwendung der Beitragsmittel zurückzustehen hat.

Soweit sich die Klägerin gegen diese Sichtweise mit dem Argument wehrt, es sei betriebswirtschaftlich sinnvoll, eine Liquiditätsreserve aufzubauen, und dafür habe sie den Gewinn aus dem Betrieb verwenden wollen, bleibt dies ohne Einfluss auf den Ausgang dieses Verfahrens. Der Aufbau einer Liquiditätsreserve mag sinnvoll sein, kann aber nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft erfolgen. Dem steht schon der Zweck des Gesetzes entgegen. Der Gründungszuschuss dient nach dem Willen des Gesetzgebers, wie ausgeführt, der Sicherung des Lebensunterhaltes und der sozialen Sicherung, nicht aber der wirtschaftlichen Förderung oder Sicherung des Unternehmens.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

III. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Krewer
Rechtskraft
Aus
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