L 3 AS 88/12 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 28 AS 6076/11 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 88/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz gegen einen Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II und der in einem Änderungsbescheid bzw. einem Bewilligungsbescheid betreffend Arbeitslosengeld II berücksichtigt worden ist, ist mit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches oder der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Kombination mit einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu gewähren.

2. Zum Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes, mit dem unter anderem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches begehrt wird, wenn während des gerichtlichen Verfahrens der Widerspruchsbescheid erlassen wird.

3. Zur Rechtsmäßigkeit einer Regelung in einer Eingliederungsvereinbarung, mit der ein erwerbsfähiger Leistungsberechtiger verpflichtet wird, bestimmte Informationen einzuholen.
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. Februar 2012 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 4. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Dezember 2011 angeordnet. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 121,33 EUR für die Zeit vom 22. Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2011, in Höhe von 410,53 EUR für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Januar 2012 und in Höhe von 725,00 EUR für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis 29. Februar 2012 zu zahlen.

II. Der Antragsgegner hat ¾ der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verhängung einer Sanktion.

Der 1964 geborene Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Mit Bescheid vom 29. Juni 2011 bewilligte ihm der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011 Leistungen in Höhe eines monatlichen Regelbedarfs von 364,00 EUR sowie Kosten der Unterkunft und Heizung von 351,00 EUR, insgesamt 715,00 EUR.

Die Beteiligten schlossen am 9. August 2011 eine Eingliederungsvereinbarung mit einer Laufzeit bis zum 7. März 2012 und dem Ziel der Integration des Antragstellers in den ersten Arbeitsmarkt. Unter Nummer 2 vereinbarten sie Bemühungen des Antragstellers zur Eingliederung in Arbeit. Eine der Bemühungen lautete: "Info zu Wegweiser 2012 wird bei Berufsförderungswerk Network e. V. eingeholt bis spätestens 31. August 2011". Des Weiteren erfolgte eine Belehrung über die Folgen eines Verstoßes gegen die vereinbarten Eingliederungsbemühungen, insbesondere die Verhängung von Sanktionen. Bereits zuvor hatte der Antragsgegner mit Bescheiden vom 16. Dezember 2010, 5. Januar 2011 und 10. Januar 2011 wegen verschiedener Verstöße, jeweils im Zusammenhang mit der Vereitelung der Aufnahme einer angebotenen Arbeit, die Leistungen gemindert.

Aus der Zeit danach finden sich in der Verwaltungsakte verschiedene Computervermerke, die das ESF-Projekt "Wegweise 2012" betreffen.

Mit Schreiben vom 16. September 2011 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Minderung des Regelbedarfs an. Er warf ihm vor, keine Informationen beim Berufsförderungswerk "Network e. V." eingeholt zu haben, worauf hin der Antragsteller mitteilte, dass er Informationen über "Network e. V." aus dem Internet bezogen habe. Auf Nachfrage des Antragsgegners teilte das Berufsförderungswerk mit, dass es zu der betreffenden Maßnahme keinen Internetauftritt gebe.

Daraufhin stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. November 2011 für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis zum 29. Februar 2012 einen vollständigen Wegfall der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts fest, da der Antragsteller aufgrund einer vorangegangenen Pflichtverletzung am 15. November 2010 seinen Pflichten wiederholt nicht nachgekommen sei.

In Folge dieses Sanktionsbescheides erließ der Antragsgegner unter dem 15. Dezember 2011 drei Bescheide. Mit dem ersten änderte er die mit Bescheid vom 29. Juni 2011 gewährten Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2011 dahingehend, dass dem Antragsteller nur Leistungen in Höhe von 364,00 EUR für die Regelleistung gewährt wurden. Die Kosten der Unterkunft und Heizung wurden mit einem ausgezahlten Betriebskostenguthaben verrechnet. Wegen der Minderung aufgrund der Sanktion setzte der Antragsgegner den monatlichen Gesamtbetrag auf 0,00 EUR fest. Mit dem zweiten Bescheid bewilligte der Antragsgegner auf Antrag vom 21. November 2011 unter Berücksichtigung der Verrechnung des Betriebskostenguthabens Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Januar 2012 in Höhe des Regelbedarfs von 374,00 EUR sowie 36,53 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung, insgesamt 410,53 EUR. Aufgrund der Sanktion wurde der monatliche Gesamtbetrag auf 0,00 EUR festgesetzt. Schließlich bewilligte der Antragsgegner mit dem dritten Bescheid vom 15. Dezember 2011 dem Antragsteller Leistungen für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis zum 31. Juli 2012 in Höhe einer Regelleistung von 374,00 EUR und Kosten der Unterkunft von 351,00 EUR, insgesamt 725,00 EUR. Wegen der Sanktion setzte er den monatlichen Gesamtbetrag für die Zeit vom 1. Februar 2012 bis zum 29. Februar 2012 ebenfalls mit 0,00 EUR fest.

Gegen den Bescheid vom 4. November 2011 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 14. November 2011 Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. Dezember 2011 als unbegründet zurückwies. Die Klage hiergegen wird unter dem Aktenzeichen S 5 AS 57/12 geführt.

Mit dem am 22. Dezember 2012 eingegangen Antrag hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten einstweiligen Rechtsschutz beantragt und begehrt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 15. November 2011 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. November 2011 sowie den Bescheid vom 15. Dezember 2011 anzuordnen und dem Antragsgegner aufzugeben, für Dezember 2011 einen Betrag von 217,44 EUR sowie für die Monate Januar 2012 und Februar 2012 jeweils 725,00 EUR auszuzahlen. Die erfolgte vollständige Absenkung sei unverhältnismäßig.

Auf Hinweis des Gerichts, dass nach Erlass des Widerspruchsbescheids keine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs mehr angeordnet werden könne, hat der Antragsteller auf die eingereichte Klage verwiesen und mitgeteilt, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz aufrecht erhalten werde. In der Sache hat er vorgetragen, dass er sich um Informationen bemüht habe und bei der für ihn zuständigen Sachbearbeiterin Informationsmaterial in Form einer Broschüre/Flyer abgeholt hätte. Beim Aufsuchen der Räume von Network e. V. sei niemand dort gewesen. Da er sich das Informationsmaterial angesehen habe, habe er seine Vorgaben in der Eingliederungsvereinbarung erfüllt.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2012 hat das Sozialgericht "den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung" abgelehnt, da nach Erlass des Widerspruchsbescheids die "Anordnung der aufschiebenden Wirkung" des Widerspruchs nicht mehr möglich sei. Im Übrigen sei die verhängte Sanktion auch gerechtfertigt gewesen.

Gegen den am 7. Februar 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten am 10. Februar 2012 Beschwerde eingelegt und auf seine erstinstanzlichen Ausführungen Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt,

ihm unter Aufhebung des Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. Februar 2012 seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 1 SGG (in der hier maßgebenden, vom 11. August 2010 bis zum 24. Oktober 2013 geltenden Fassung von Artikel 6 des Gesetzes vom 5. August 2010 [BGBl. I S. 1127]) i. V. m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Der maßgebende Wert des Beschwerdegegenstandes überschreitet 750,00 EUR. Denn die Leistungen des Antragstellers wurden für den Monat Dezember 2011 um 364,00 EUR, für den Monat Januar 2012 um 410,53 EUR sowie den Monat Februar 2012 um 725,00 EUR gemindert.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Richtiges Antragsbegehren ist der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Kombination mit dem Antrag, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG die mit Bescheiden vom 15. Dezember 2011 einbehaltenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit ab Antragstellung bis zum 28. Februar 2012 auszuzahlen, wie er es ursprünglich im erstinstanzlichen Verfahren begehrte. Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren lediglich beantragt hat, unter Aufhebung des Beschluss des Sozialgerichts seinem Antrag auf einstweilige Anordnung stattzugeben, war das Begehren dahingehend sachdienlich auszulegen (vgl. § 123 SGG), dass entsprechend seinem ursprünglichen Rechtsschutzziel weiterhin auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt wird.

Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Der Antragsteller wendet sich in erster Linie gegen den auf Grundlage von § 31 ff. SGB II erlassenen Sanktionsbescheid vom 4. November 2011. Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren ist die Anfechtungsklage. Im Recht des vorläufigen Rechtsschutzes wird die Anfechtungsklage, wenn sie, wie hier, keine aufschiebende Wirkung hat, von der Anordnung einer aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG flankiert. Damit ist nach dem Wortlaut von § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG aber grundsätzlich der Erlass einer einstweiligen Anordnung ausgeschlossen (vgl. Sächs. LSG, Beschluss, Beschluss vom 28. April 2008 – L 3 AS 110/08 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 3). Dies ist im Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Sanktionsbescheid gerichteten Widerspruchs in der Regel auch dann nicht erforderlich, wenn die Verpflichtung des Antragsgegners wieder auflebt, die ursprünglich bewilligten und vom Sanktionsbescheid betroffenen Leistungen wieder ungemindert zu erbringen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zur Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes allerdings dann erforderlich, wenn die begehrte Leistung von der Verwaltung nicht oder nicht im beantragten Umfang bewilligt worden ist (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 16. Juli 2007 – L 3 B 414/06 AS-ER – JURIS-Dokument Rdnr. 17; Sächs. LSG, Beschluss vom 28. April 2008, a. a. O.; Sächs. LSG, Beschluss vom 3. September 2009 – L 3 AY 1/09 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 20).

So ist die Sachlage hier. Zwar waren ursprünglich mit Bescheid vom 29. Juni 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 31. Dezember 2011 ohne Minderung bewilligt worden. Da der Antragsgegner jedoch mit Bescheid vom 15. Dezember 2011 die für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2011 zu gewährenden Leistungen abänderte, lebt die Pflicht zur Auszahlung der geminderten Leistung allein mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Sanktionsbescheid nicht auf. Entsprechendes gilt für die Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 29. Februar 2012, über die erstmals aufgrund des Fortzahlungsantrages mit Bescheid vom 15. Dezember 2012 entschieden wurde. Wegen des mitberücksichtigten Sanktionsbescheides wurde dem Antragsteller keine Zahlung bewilligt.

b) Dem Antragsteller fehlte nach dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 28. Dezember 2011 nicht das Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes.

Soweit das Sozialgericht darauf hinwies, dass nach dem Erlass eines Widerspruchsbescheids nicht mehr die aufschiebende Wirkung des Widerspruches, sondern allenfalls der Anfechtungsklage angeordnet werden könne, entspricht dies einer verbreiteten Tenorierungspraxis. Ob dies allerdings auch dogmatisch korrekt ist, ist umstritten (vgl. hierzu z. B. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, [3. Aufl., 2011], Rdnr. 87; Külpmann, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [6. Aufl., 2011], Rdnr. 1012; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung [25. Erg.-Lfg., April 2013], § 80 Rdnr. 119 [zur Fortdauer der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches] und 536 f. [zur zeitlichen Schutzwirkung des Aussetzungsanordnung in die Zukunft]). Dies muss vorliegend nicht weiter vertieft werden. Denn das Sozialgericht durfte sich vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Anspruches auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz) auch bei der von ihm vertretenen Rechtsauffassung nicht darauf beschränken, den Antrag abzulehnen.

Zum einen hätte es nahe gelegen, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches sachdienlich als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage auszulegen. Eine solche Antragsänderung wird als entsprechend § 99 Abs. 1 SGG ohne weiteres zulässig und sachdienlich angesehen, wenn der Widerspruchsbescheid inzwischen erlassen und Anfechtungsklage erhoben worden ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. September 2002 – L 4 KR 138/02 ER – JURIS-Dokument Rdnr. 10, LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Januar 2005 – L 2 B 9/03 KR ER – JURIS-Dokument Rdnr. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2006 – L 3 B 1138/05 U ER – JURIS-Dokument Rdnr. 10; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, [10. Aufl., 2012], § 86b Rdnr. 9b). In diesem Sinne versteht der erkennende Senat den Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 10. Januar 2012, worin er auf die Erhebung der Klage hinwies und erklärte, dass er an seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz festhalte.

Soweit sich das Sozialgericht diesem Ansatz nicht hätte anzuschließen vermögen, hätte sich ihm jedenfalls zum zweiten die Frage aufdrängen müssen, ob in der Erklärung im Schriftsatz vom 10. Januar 2012, am Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz festzuhalten, nicht zumindest hilfsweise ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage enthalten sein könnte. In diesem Falle hätte ein neues, weiteres Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angelegt werden müssen. Wenn das Sozialgericht sich auch hierzu als nicht befugt angesehen hätte, wäre es vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung und Kommentarliteratur sowie auf Grund seiner Hinweispflicht aus § 106 Abs. 1 SGG verpflichtet gewesen, den Antragsteller über seine eigene Rechtsauffassung über die Antragsauslegung und eine etwaige Antragsänderung zu unterrichten und ihm einen Weg aufzuzeigen, wie er aus Sicht des Sozialgerichtes sein Rechtsschutzziel erreichen kann.

Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass bei einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis der Antrag nicht erst, wie vom Sozialgericht angenommen, unbegründet, sondern bereits unzulässig gewesen wäre. Denn das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung, die bei jeder Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegeben sein muss (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 27. März 2014 – L 3 AS 187/14 B ER – info also 2014, 125 = JURIS-Dokument Rdnr. 15). Wenn aber eine Sachurteilsvoraussetzung fehlt, ist das Rechtsschutzbegehren unzulässig (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, [10. Aufl., 2012], Vor § 51 Rdnr. 13).

c) Der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist auch begründet

(1) Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates Aussetzungsinteresse), gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. Dies ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarisch zu prüfen und dabei der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten zu ermitteln, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist. Die danach nötige Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht, während bei einem rechtmäßigen Bescheid das öffentliche Interesse angesichts der gesetzlich angeordneten, sofortigen Vollziehbarkeit in der Regel vorrangig ist. Daneben sind aber auch alle sonstigen Umstände des Einzelfalles, die für und gegen die sofortige Vollziehbarkeit sprechen, gegeneinander abzuwägen, insbesondere das besondere Vollzugsinteresse im Einzelfall, der Umfang der drohenden Rechtsbeeinträchtigung und die Folgen, die der Sofortvollzug eines rechtswidrigen Bescheides einerseits und das Aussetzen des Sofortvollzugs eines rechtmäßigen Bescheides andererseits mit sich bringen würde. Je geringer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, ums so gewichtiger müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände sein. Bei einem gänzlich offenen Ausgang in der Hauptsache müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände in jedem Fall höher zu bewerten sein, als die für ihn sprechenden, sonstigen Umstände, da es andernfalls bei der bereits gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit bleibt (vgl. hierzu: Sächs. LSG, Beschluss vom 3. November 2011 – L 3 AS 268/11 B ER – JURIS-Dokument Rndr. 26; Krodel, a. a. O., Rdnr. 186 ff.; Keller, a. a. O., § 86b Rdnr. 12a bis 12e).

Hieran gemessen war dem Antrag stattzugeben. Denn der Sanktionsbescheid vom 4. November 2011 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II verletzten erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihrer Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festgelegten Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Nach § 31a Abs. 1 SGB II ist das Vorliegen einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II Voraussetzung für eine Minderung des Arbeitslosengeld II.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II soll die Eingliederungsvereinbarung insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind, 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben.

Die Eingliederungsvereinbarung muss festlegen, welche der in § 16 SGB II aufgeführten Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung erhält sowie welche Eigenbemühungen in welcher Intensität und Quantität dem Hilfebedürftigen obliegen und in welcher Form er die Eigenbemühungen nachweisen muss (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Januar 2007 – L 13 AS 4160/06 ER-B – JURIS-Dokument Rdnr. 6). Vor dem Hintergrund, dass eine in der Eingliederungsvereinbarung festgehaltene Gegenleistung des Erwerbsfähigen im Fall der Nichteinhaltung durch die Leistungsabsenkung des § 31 Abs. 1 SGB II einschneidend und massiv sanktioniert wird, muss diese jedenfalls hinreichend konkret bestimmt sein und darf nicht allgemein gehalten sein. Es muss dem Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung seines Empfängerhorizonts auch klar erkennbar und nachvollziehbar sein, was von ihm gefordert wird (vgl. Hess. LSG, Beschluss vom 16. Januar 2014 – L 9 AS 846/13 B ER – JURIS-Dokument Rdnr. 21; Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, [3. Aufl., 2013], § 31 Rdnr. 22 f.; Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [3. Aufl., 2012], § 15 Rdnr. 53).

Vor diesem Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel, ob dem Antragsteller eine Verletzung seiner Pflicht aus Nummer 2 der Eingliederungsvereinbarung, "Info zu Wegweiser 2012 wird bei Berufsförderungswerk Network e. V. eingeholt bis spätestens 31. August 2011", vorgehalten werden kann.

Es ist bereits fraglich, ob dieser Regelungsteil der Eingliederungsvereinbarung in der vereinbarten Textfassung rechtmäßig ist.

Denn ausweislich des Computervermerks vom 9. August 2011, dem Tag des Abschlusses der Eingliederungsvereinbarung, wurde dem Antragsteller von seiner Fallmanagerin "Infomaterial zum ESF-Projekt Wegweiser 2012 ausgehändigt". Wenn dies vor dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung geschehen sein sollte, wäre der Antragsteller – zumindest nach dem Wortlaut der Eingliederungsvereinbarung – zur Beschaffung von Informationen verpflichtet worden, die ihm der Antragsgegner selbst bereits zur Verfügung gestellt hätte. Eine sachliche Rechtfertigung zur Vereinbarung einer solchen Pflicht ist nicht zu erkennen.

Wenn hingegen die Fallmanagerin das Informationsmaterial dem Antragsteller erst nach dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung ausgehändigt haben sollte, wäre die Regelung unter Nummer 2 der Eingliederungsvereinbarung nicht zu beanstanden. Allerdings hätte sich in diesem Fall die Verpflichtung des Antragstellers faktisch dadurch erledigt, dass nicht er sich die Unterlagen beschafft hätte, sondern sie ihm vom Antragsgegner zur Verfügung gestellt worden wären. In der Sache wäre aber das mit Nummer 2 der Eingliederungsvereinbarung verfolgte Ziel erreicht worden. Für eine Sanktion wäre die Grundlage entzogen gewesen.

Auf Grund dessen wäre es in beiden Varianten unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich Informationen beim Berufsförderungswerk Network e. V. einholte oder ob sein Vortrag als Schutzbehauptung zu werten wäre. Denn der Sanktionsbescheid wäre bereits aus anderen Gründen rechtswidrig.

Möglicherweise verfolgte der Antragsgegner mit der Regelung unter Nummer 2 der Eingliederungsvereinbarung ein anderes Ziel als die bloße Beschaffung von Informationsmaterial. So ergibt sich aus dem bereits erwähnten Vermerk vom 9. August 2011, dass das Informationsmaterial zum ESF-Projekt "Wegweiser 2012" nicht nur ausgehändigt, sondern auch besprochen wurde. Obwohl der Antragsteller, so die Fallmanagerin, von dem Projekt nicht überzeugt gewesen zu sein schien, sollte er rein informativ beim Berufsbildungswerk vorsprechen und sich zu dem Projekt erkundigen. Aus dem Text der Eingliederungsvereinbarung ergibt sich jedoch nicht, dass sich der Antragsteller, wie offenbar vom Antragsgegner erwartet, persönlich in einem Beratungsgespräch beim Berufsförderwerk über das Projekt hätte erkundigen müssen. Wenn diese Form der Informationsbeschaffung hätte geordert werden sollen, hätte sie in dieser Konkretheit auch vereinbart werden müssen.

(2) Da auf Grund der vorstehenden Ausführungen die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 4. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Dezember 2011 anzuordnen war, war in Folge dessen auch dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG stattzugeben.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung so dringlich ist, dass dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden muss (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

Ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Denn dadurch, dass der Sanktionsbescheid außer Vollzug gesetzt wurde, ist der Rechtsgrund für die Nichtzahlung der dem Antragsteller ansonsten zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II entfallen. Eine Rechtsgrundlage, die im Übrigen den Antragsteller berechtigen würde, die Leistungen nicht an den Antragsteller zu erbringen, ist nicht gegeben.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er befindet sich seit längerem im Leistungsbezug. Die Regelung erscheint zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich. Durch die Sanktionierung wurden ihm existenzsichernde Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis zum 28. Februar 2012 in vollem Umfang verwehrt. Der Antragsteller verfügt nach den eigenen Angaben zwar über ein Vermögen von ca. 7.000 EUR. Dieses fällt aber zum einen unter den geschützten Vermögensfreibetrag und ist zum anderen als Investmentfonds angelegt, dessen Auflösung mit Kosten und sonstigen Nachteilen verbunden wäre. Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ist ihm nicht zuzumuten.

(3) Der Ausspruch der einstweiligen Anordnung erfolgte für Dezember 2011 auf die Zeit ab Antragstellung beim Sozialgericht, das heißt ab 22. Dezember 2011, begrenzt. In diesem Sinne versteht der erkennende Senat auch den ursprünglichen Antrag der Antragstellerbevollmächtigten aus dem Antragsschriftsatz vom 22. Dezember 2011. Ausgehend von dem im Änderungsbescheid vom 15. November 2011 unter Anrechnung des Betriebskostenguthabens ermittelten Bedarf in Höhe von 364,00 EUR und der Leistungsberechnung mit Tagen je Monat (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II) ergibt dies einen Betrag in Höhe von 121,33 EUR.

Für Januar 2012 besteht nicht, wie vom Antragsteller geltend gemacht, ein Anspruch in Höhe von 725,00 EUR, sondern wegen der Anrechnung des Betriebskostenguthabens nur in Höhe von 410,53 EUR.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Hierbei wurde berücksichtigt, dass der Antragsteller Leistungen in Höhe von 1.667,44 EUR geltend machte, ihm aber nur Leistungen in Höhe von 1.256,86 EUR zugesprochen wurden. Dies entspricht einer Erfolgsquote von ca. ¾.

4. Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Scheer Höhl Krewer
Rechtskraft
Aus
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