Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 350/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 58/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gemäß Anl I Nr. 3102 nach Zeckenbiss - Neuroborreliose - anerkannter Stand der medizinischen Wissenschaft
Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie "Neuroborreliose" (AWMF- Registriernummer 030/071, gültig bis 29.09.2017) ist weder offensichtlich unrichtg noch widerspricht sie offenkundig dem aktuellen wissenschaftlichen Wissensstand. Die gesicherte Diagnose einer Neuroborreliose erfordert daher den Nachweis der typischen Klinik als auch den Nachweis spezifischer Antikörper gegen Borrelien sowohl im Blut als auch im Nervenwasser.
Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie "Neuroborreliose" (AWMF- Registriernummer 030/071, gültig bis 29.09.2017) ist weder offensichtlich unrichtg noch widerspricht sie offenkundig dem aktuellen wissenschaftlichen Wissensstand. Die gesicherte Diagnose einer Neuroborreliose erfordert daher den Nachweis der typischen Klinik als auch den Nachweis spezifischer Antikörper gegen Borrelien sowohl im Blut als auch im Nervenwasser.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 6. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die als Berufskrankheit (BK) nach der Nummer 3102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im Folgenden: BK 3102) anerkannte Borrelieninfektion des Klägers mit einer Verletztenrente zu entschädigen ist.
Der im Jahre 1956 geborene Kläger ist ausgebildeter Forstwirt und beim Staatsbetrieb Sachsenforst beschäftigt. Nachdem er in den Jahren 2004, 2007 und 2008 mehrfach von Zecken gestochen worden war, erstattete der Arbeitgeber eine Unfallanzeige, woraufhin die Beklagte ein BK-Feststellungsverfahren einleitete. Beigezogen wurde u.a. der Entlassungsbericht der Medizinischen Klinik – Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin – des Klinikums I in D , wonach sich bei einer stationären Behandlung vom 02.06.2008 bis 04.06.2008 kein Anhalt auf ein aktives, entzündliches Geschehen ergeben hatte und die behandelnden Ärzte von einer so genannten "Seronarbe" ausgingen.
Mit Bescheid vom 16.10.2008 erkannte die Beklagte eine Infektion des Klägers mit Borreliose infolge der beruflichen Tätigkeit als BK 3102 an, lehnte die Gewährung einer Verletztenrente indessen ab, weil keine BK-bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorläge.
Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch einlegte, zog die Beklagte weiterer medizinische Unterlagen bei und beauftragte PD Dr. B mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage vom 09.11.2009, in dem der Gutachter einschätzte, dass "aufgrund der Krankheitsumstände, des Krankheitsverlaufes, der typischen Krankheitsmanifestationen und der medizinisch-technischen Befunde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine chronische Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose zu diagnostizieren" sei. Ein Hirn-SPECT habe einen mit Lyme-Borreliose vereinbaren Befund (diffus verminderte Anreicherung des Tracers tempo-occipital links) ergeben. Das Schädel-MRT zeige zahlreiche Läsionen, einen typischen Befund für eine chronische Lyme-Borreliose. Das MRT der Kniegelenke zeige beidseits Kniegelenksergüsse, die für das Spätstadium einer Lyme-Borreliose typisch seien. Hierdurch sei die Erwerbsfähigkeit seit Juni 2007 um 100 v.H. gemindert. Er empfahl antibiotische Behandlung.
Demgegenüber führte der Neurologe Prof. Dr. R in seinem neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom 14.10.2010 aus, dass die vom Kläger genannten unspezifischen Gesundheitsstörungen wie allgemeines Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Brust- und Herzschmerzen, Erschöpfung, Müdigkeit, Gleichgewichtsstörung und Schwindel, Schwitzen und Frieren, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörung, Hautjucken, Kribben in Armen und Beinen, Übelkeit, Taubheitsgefühl, Sprachstörung, Wortfindungsstörung, Lustlosigkeit, geringe Belastbarkeit, Schlafstörung und Halsschmerzen. nichts mit einer Lyme-Borreliose zu tun hätten. Die Neuroborreliosediagnose sei eine klinische Diagnose, gestützt durch Entzündungszeichen im Liquor. Beides sei beim Kläger nicht gegeben. Die neurologische und psychiatrische Untersuchung habe außer deutlichen Zeichen einer Aggravation und Hinweisen auf eine Somatisierung keine relevanten objektiven pathologischen Befunde erbracht. Die jetzt vom Kläger angegebenen Beschwerden seien Folge einer Somatisierungsstörung, die nichts mit einer Borrelioseerkrankung zu tun habe. Die Ausführungen im Gutachten von PD Dr. B würden einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren. So gäbe es zum Beispiel keine für eine chronische Borreliose typischen MRT-Veränderungen und Hirnperfusionsstörungen kämen bei Dutzenden von Hirnerkrankungen und –störungen vor, ohne einen Hinweis auf eine Borreliose zu geben. Psychiatrische Erkrankungen schienen PD Dr. B fremd zu sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Es hätten sich keine Gesundheitsstörungen feststellen lassen, die durch die Borrelieninfektion verursacht seien.
Am 02.10.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben. Das SG hat ein Ärztliches Sachverständigen-Gutachten bei Prof. Dr. S vom 03.11.2011 eingeholt. Der Gutachter führte aus, dass bei dem Kläger allgemeine Symptome vorlägen; jedoch keine Neuroborreliose diagnostiziert sei. Die subjektive Symptomatik lasse sich nicht mir hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Borrelieninfektion 2004 zurückzuführen. Dagegen spräche der Verlauf über Jahre. Zeckenstiche und nicht sehr ausgeprägte Veränderungen in den Borrelienantikörpern könnten keine Kausalität von unspezifischen Beschwerden begründen. Die Erwerbsfähigkeit sei wegen der anerkannten BK nicht eingeschränkt.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.01.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Folgen der anerkannten BK 3102 würden keine MdE von wenigstens 20 v.H. bedingen. Die multiplen vom Kläger geklagten Gesundheitsstörungen seien nicht ursächlich auf die anerkannte BK zurückzuführen. Bereits in dem Gutachten im Widerspruchsverfahren vom 14.10.2010 habe der Neurologe Prof. Dr. R keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Neuroborreliose, die die Gesundheitsstörungen des Klägers erklären könnte, nicht gesichert sei. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt Entzündungszeichen im Liquor festgestellt worden. An der Richtigkeit dieser Aussage, die durch das Sachverständigengutachten im Gerichtsverfahren erhärtet worden sei, würden auch die Ausführungen von PD Dr. B in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 09.11.2009 nicht zweifeln lassen. Für dessen Schlussfolgerungen, wie "die punktförmigen Hyperintesitäten im MRT-Schädel vom 20.10.2008 seien keine "geringen chronischen Durchblutungsstörungen", sondern "Läsionen, wie sie für eine chronische Lyme-Neuroborreliose typisch sind", gäbe es keine wissenschaftliche Grundlage. Vielmehr träfe die Aussage von Prof. Dr. R zu, dass es keine für eine chronische Borreliose typischen MRT-Veränderungen gibt. Folgerichtig sei auch Prof. Dr. S zu der Einschätzung gelangt, dass die vom Kläger geschilderte Symptomatik nicht typisch für eine Neuroborreliose sei.
Gegen den ihm am 13.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01.03.2012 Berufung eingelegt. Aufgrund der bei ihm bestehenden chronischen Lyme-Borreliose liege seit Juni 2007 eine MdE von 100 v. H. vor. Die Diagnose habe PD Dr. B gestellt. Sie werde von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau J und der Dipl.-Psychologin Frau H bestätigt. PD. Dr. B sei ein ausgewiesener Spezialist auf dem Gebiet der hier streitgegenständlichen Problematik. Den weiteren Gutachtern fehle das spezielle Fachwissen.
Der Kläger beantragt, 1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 06.01.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 16.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2010 aufzuheben und 2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen der Berufskrankheit Nummer 3102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen ...
Sie hält daran fest, dass beim Kläger keine BK-bedingten Gesundheitsstörungen bestünden.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 30.07.2012 eingeholt, in der der Sachverständige an seinem Votum festhält. Klinische Hinweise auf eine Borreliose fänden sich im Laufe der stattgefundene Behandlungen und Begutachtungen nicht. Die Angaben und Diagnosen im Gutachten von PD Dr. B würden nahezu ausschließlich auf subjektiven Angaben beruhen.
Mit Beweisanordnung vom 04.03.2014 hat der Senat Prof. Dr. R zum Sachverständigen auf dem Fachgebiet der Inneren Medizin ernannt und ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers eingeholt. In dem Gutachten vom 14.08.2014 führt der Sachverständige aus, dass die Borreliose mehrfach antibiotisch behandelt worden sei und als ausgeheilt betrachte werden könne. Dies würde die wiederholt durchgeführte Borrelien-Serologie belegen, die den typischen Befund einer durchgemachten Borrelien-Infektion dokumentiere. Auch die zuletzt am 01.08.2014 durchgeführte Serologie zeige keine Zeichen einer Aktivität. Die nach der Borreliose aufgetretenen und bis heute anhaltenden vielfältigen Beschwerden könnten nicht mit einer Borreliose in Zusammenhang gebracht werden. PD Dr. B komme zwar zu der Feststellung, dass eine Neuroborreliose mit einer MdE von 100 v. H. vorliege. Für diese Einschätzung fehle jedoch der objektive Beweis; sie stütze sich allein auf die – im Sinne einer "Serumnarbe" – serologisch bewiesene stattgefundene Borreliose-Infektion in Verbindung mit den vom Patienten geklagten Beschwerden. Die jetzt geklagte Symptomatik sei jedoch nicht auf die Borreliose zurückzuführen, sondern im Sinne einer Somatisierungsstörung zu bewerten. Mit ergänzender Stellungnahme vom 22.10.2014 hält der Sachverständige an seinem Votum fest. Eine aktive Borreliose mit zentralnervöser Manifestation könne aufgrund des serologischen Befundes definitiv ausgeschlossen werden. Zur Dokumentation einer Neuroborreliose bedürfe es des Nachweises spezifischer lgG-Antikörper im Serum und Liquor mit dem Nachweis einer autochtonen Antikörperbildung im Liquor. Da aber schon serologisch keine aktive Borreliose vorliege, stelle sich diese Frage nicht.
Der Kläger wies demgegenüber auf das Epidemiologische Bulletin Nr. 38/2007 des Robert-Koch-Instituts hin, in dem moniert werde, dass die Kriterien der Falldefinition in Bezug auf die Labordiagnostik der früheren Neuroborreliose nicht greifen. Von 799 Erkrankungen sei es bei der Liquor-Untersuchung nur bei 5% zu einem Nachweis gekommen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass 95 % der Neuroborreliosen gar nicht erkannt würden.
Prof. Dr. R hat auf Veranlassung des Senats am 12.02.2015 nochmals ergänzend – insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger eingeführten Aussagen im Epidemiologischen Bulletin Nr. 38/2007 – Stellung genommen. Der Sachverständige führt aus, dass der vom Kläger aus der Publikation gezogene Umkehrschluss, wonach bis zu 95 % der Neuroborreliosen durch die standardmäßige Diagnostik nicht erkannt würden, so nicht richtig sei. Laut der Publikation habe bei immerhin 29 % der Patienten mit Verdacht auf Neuroborreliose eine lokale Antikörperbildung im Zentralnervensystem vorgelegen, was die Diagnose der Neuroborreliose beweise. Hieraus könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass bei der Mehrzahl der Patienten mit Neuroborreliose die Nervenwasser-Untersuchung keinen diagnostischen Hinweis gebe. Dies setze voraus, dass allein die klinische Diagnose einer Neuroborreliose zutreffend sei, was aufgrund der vielfältigen Symptomatik und zahlreicher anderer Differentialdiagnosen bezweifelt werden müsse. Entsprechend der aktuellen Leitlinien der AWMF und der DGHM-Leitlinien erfordere die Diagnose der Neuroborreliose den Nachweis der typischen Klinik als auch den Nachweis spezifischer Antikörper gegen Borrelien sowohl im Blut als auch im Nervenwasser. Grundvoraussetzung für die Erwägung einer Neuroborreliose sei daher der Nachweis einer aktiven Borrelien-Infektion durch Nachweis spezifischer Antikörper im Blut. Ohne diesen sei eine Neuroborreliose auszuschließen. Genauso liege es bei dem Kläger. Es bestehe keine Indikation für eine Nervenwasseruntersuchung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakt und die Verwaltungsakte der Beklagten (3 Band), die vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Die Berufung ist unbegründet, denn das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten BK 3102.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen). BKen sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Als eine solche BK ist in der Anlage zur BKV unter Nummer 3102 "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" bezeichnet.
Wie die Beklagte in ihrem die Beteiligten bindenden (§ 77 SGG) Bescheid vom 02.03.2009 festgestellt hat, liegt bei dem Kläger eine BK 3102 vor. Die Folgen dieser BK bedingen indes keine MdE von wenigstens 20 v.H. Die multiplen vom Kläger geklagten Gesundheitsstörungen sind nicht ursächlich auf die anerkannte BK zurückzuführen.
1. Um eine – im Vollbeweis gesicherte – Gesundheitsstörung als Folge einer BK anerkennen und ggf. entschädigen zu können, muss zwischen der festgestellten Gesundheitsstörung und dem schädigenden Ereignis ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Ein Gesundheitsschaden ist im unfallversicherungsrechtlichen Sinne Folge einer BK, wenn die BK im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung für die Körperschädigung kausal geworden ist, d.h. wenn sie hierfür nicht nur eine Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne bildet, sondern auch bei wertender Betrachtung der Eintritt des Gesundheitsschadens (oder des Todes) der BK zuzurechnen ist, weil diese für den Eintritt der Gesundheitsstörung eine rechtlich wesentliche Ursache bildet. Maßgeblich für die danach zu treffende Entscheidung sind die Auffassung des praktischen Lebens sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls, der Schutzzweck der Norm und das Ziel der Tätigkeit des Versicherten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 10.06.1955 – 10 RV 390/54 – juris = BSGE 1, 72, 76; Urteil vom 09.12.2003 – B 2 U 8/03 – juris; Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 – juris = BSGE 96, 196; Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R – juris = BSGE 108, 274; Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – juris). Generelle oder allgemeine Erkenntnisse über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen sind zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 – juris = BSGE 96, 196). Für den Nachweis der zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 04.07. 2013 – B 2 U 11/12 R – juris RdNr. 12). Ein Kausalzusammenhang ist hiernach nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist, sondern erst, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 – juris RdNr. 17 = BSGE 43, 110, 112; Urteil vom 27.10.2009 – B 2 U 23/08 R – juris RdNr. 19).
2. Nach diesen Grundsätzen lassen sich – wie das SG zu Recht ausgeführt hat – keine Gesundheitsstörungen feststellen, die mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch die anerkannte BK 3201 bedingt sind. Ob die BK allein wegen der nachgewiesenen früheren Infektion zu Recht anerkannt worden ist (a. A. Bayerisches LSG, Urteil vom 15.04.2015 – L 2 U 40/14 -, juris, das zusätzlich einen zum Krankheitsbild passenden klinischen Befund fordert (Revision anhängig unter B 2 U 17/15 R)), kann wegen der Bestandskraft der Feststellung dahin stehen.
Immunserologisch wurde bei dem Kläger zwar eine Infektion mit Borrelien nachgewiesen. Aus den Befunden der Borrelienserologie, die eine sog. "Serumnarbe" belegen, ist jedoch keine aktive Infektion und der Nachweis einer Neuroborreliose, auf die die Berufung die vielfältigen Beschwerden des Klägers zurückführt, abzuleiten.
Bereits in dem Gutachten im Widerspruchsverfahren vom 14.10.2010 hatte der Neurologe Prof. Dr. R keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Neuroborreliose, die die Gesundheitsstörungen des Klägers erklären könnte, nie gesichert worden ist. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt Entzündungszeichen im Liquor festgestellt worden.
Dieses gutachterliche Ergebnis hat der vom SG gehörte Sachverständige Prof. Dr. S im Gutachten vom 03.11.2011 bestätigt. Die klinische Untersuchung des Klägers war bei diesem Sachverständigen – ebenso wie im Übrigen bei Prof. Dr. R – weitgehend unauffällig, auch wenn der Kläger generell unruhig war. Hinweise auf Polyneuropathien fanden sich ebenso wenig wie Lähmungen, Haut- oder Gelenkerscheinungen oder Atrophien der Muskulatur. Klinisch-chemisch wurden Borrelien-IgK-Antikörper nachgewiesen. Die IgM-Antikörper waren unauffällig, der Borrelien-Blot positiv. Hiervon ausgehend konnte Prof. Dr. S die vom Kläger geäußerten unspezifischen Beschwerden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Borrelieninfektion 2004 zurückführen. Allein der Nachweis von Zeckenstichen und nicht sehr ausgeprägten Veränderungen in den Borrelienantikörpern, können nach seiner Einschätzung aus medizinischer Sicht keine Kausalität mit den vielfältigen, jedoch unspezifischen Beschwerden begründen. In der im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 30.07.2012 hat Prof. Dr. S sein Votum ausdrücklich bestätigt und nochmals darauf hingewiesen, dass alle im Laufe der Jahre stattgefundenen diagnostischen Maßnahmen keinerlei belastbare Hinweise für eine Neuroborreliose ergaben. Vielmehr wurde mehrmals von verschiedenen Seiten die Diagnosen somatoforme Störungen als auch rezidivierende depressive Störungen gestellt.
Zu dem gleichen Ergebnis kommt letztlich der im Berufungsverfahren zusätzlich gehörte Sachverständige Prof. Dr. R , Chefarzt der Klinik für Infektiologie, Tropenmedizin und Nephrologie des Klinikums St. G gGmbH in L. In seinem Gutachten vom 14.08.2014 führt der Sachverständige aus, dass die Borreliose, die mehrfach antibiotisch behandelt worden ist, als ausgeheilt betrachtet werden kann. Die wiederholt durchgeführte Borrelien-Serologie belegt jeweils den typischen Befund einer durchgemachten Borrelien-Infektion. Auch die vom Sachverständigen nochmals durchgeführte Serologie zeigte keinerlei Zeichen einer aktiven Infektion. Es fanden sich grenzwertig positive spezifische IgK-Antikörper (sog. Spät-Antikörper) und keine spezifischen IgM-Antikörper. Auch der IgG-Immunblot sprach eindeutig für eine abgelaufene Borreliose. Bei dieser Sachlage kann aus Sicht des Sachverständigen kein Zusammenhang mit der jetzt geklagten Symptomatik hergestellt werden, die als Somatisierungsstörung zu interpretieren ist.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.10.2014 hat er nochmals ausgeführt, dass es zur Dokumentation einer Neuroborreliose des Nachweises spezifischer IgG-Antikörper im Serum und Liquor mit dem Nachweis einer autochthone, also ortsständigen, Antikörperbildung im Liquor. Da es im Fall des Klägers bereits am serologischen Nachweis einer aktiven Borreliose fehlt, stellt sich letztere Frage aber nicht. Ergänzend weist der Sachverständige darauf hin, dass auch die Kardinalbefunde einer Neuroborreliose, wie z. B. eine Meningitis, eine Meningoradikulitis, periphere Fazialisparesen oder Entzündungen des peripheren Nervensystems nicht vorliegen. Insgesamt ist eine Neuroborreliose bei dem Kläger daher anhand objektiver Befunde ausgeschlossen.
Diese sachverständigen Aussagen sind für den Senat überzeugend. Es fehlt am Nachweis einer aktiven Borreliien-Infektion als Grundvoraussetzung der Diagnose Neuro-Borreliose. Die dargestellten sachverständigen Aussagen sind plausibel und stehen insbesondere mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft in Einklang. In der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie "Neuroborreliose" (AWMF-Registriernummer 030/071, gültig bis 29.09.2017), auf die auch Prof. Dr. R Bezug nahm, ist bereits für eine nur "mögliche" Neuroborreliose der Nachweis borrelienspezifischer IgG-und/oder IgM-Antikörper im Serum (neben einem typischen klinischen Bild in Form von Hirnnervenausfällen, Meningitis/Meningoradikulitis oder fokalen neurologischen Ausfällen) maßgebliches Diagnosekriterium. Denn bei einer akuten Neuroborreliose finden sich Borrelien-spezifische IgM- und/oder IgG-Antikörper im Falle des chronischen Verlaufs mit nahezu 100 % (AWMF-Leitlinie S. 6).
Hinsichtlich dieser Diagnosekriterien ist derzeit auch nicht von einem überholten Stand der Wissenschaft auszugehen, wie die Berufung unter Verweis auf das Epidemiologische Bulletin des Robert-Koch-Instituts Nr. 38/07 und die dortige Veröffentlichung "Lyme-Borreliose: Zur Situation in den östlichen Bundesländern" sowie die Stellungnahme von PD Dr. B im Verwaltungsverfahren und wohl auch die am Tag der mündlichen Verhandlung zur Akte gereichten Stellungnahme der behandelnden Neurologin des Klägers, Frau J , zu belegen versucht.
Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im Bereich der BK en von den Tatsachengerichten jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ist. Hieraus folgt zwanglos, dass vom Tatsachengericht auch jeweils der im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aktuellste Stand der Merkblätter – sowie ggf. anerkannter Falldefinitionen und Leitlinien (wie hier der Deutschen Gesellschaft für Neurologie) – bei der Prüfung der objektiven Verursachung zu berücksichtigen ist (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 24.07.2012 – B 2 U 100/12 B – juris RdNr. 18 m. w. N.). Grundsätzlich entspricht danach ein medizinischer Erfahrungssatz in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl. hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch u.a. (Hrsg.), Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff.). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 10/14 R –, juris RdNr. 28).
Dies vorangestellt, entsprechen die Gutachten der Professoren Drs. R , S und R dem Stand der medizinischen Wissenschaft, wie er sich insbesondere in der genannten S1-Richtlinie widerspiegelt.
In der vorgenannten Veröffentlichung des Robert-Koch-Institutes wird zwar anhand einer Auswertung der Meldedaten aus dem 5-Jahreszeitraum von 2002 – 2006 angedeutet (S. 353 f.), dass "die Kriterien der Falldefinition in Bezug auf die Labordiagnostik der frühen Labordiagnostik nicht zu greifen scheinen," weil der labordiagnostische Nachweis nur bei 5 % der übermittelten Erkrankungen der Falldefinition entsprach. Der vom Senat im Hinblick auf die Veröffentlichung nochmals ergänzend gehörte Sachverständige Prof. Dr. R hat darauf hingewiesen, dass auch nach der statistischen Auswertung im Epidemiologischen Bulletin immerhin 29 % der Patienten mit Verdacht auf Neuroborreliose eine lokale Antikörperbildung im zentralen Nervensystem aufwiesen. Grundsätzlich sah er keinen Anlass, von der vorerwähnten Leitlinie abzuweichen. Denn allein aus der klinischen Diagnose kann nicht auf eine Neuroborreliose geschlossen werden, da die Symptomatik vielfältig ist und zahlreiche andere Differentialdiagnosen bestehen. Dies ist auch für den Senat überzeugend. Aus der Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts, die die für den gemeldete Fallzahlen aus den Jahren 2002 – 2006 statistisch auswertete, kann nicht überzeugend abgeleitet werden, dass die vorerwähnte Leitlinie, die im Übrigen weit nach 2007 erstellt worden ist, nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht. Mit der eigentlichen Diagnostik beschäftigt sich das Bulletin nicht medizinwissenschaftlich. Zudem wurden ausdrücklich Rückschlüsse aus dem gemeldeten Zahlenmaterial nur für Fälle der frühen Neuroborreliose gezogen. Im Fall des Klägers handelt es sich freilich um ein langjähriges (chronisches) Leiden nach einem angeschuldigten Zeckenbiss 2004, nicht jedoch das Stadium einer frühen Neuroborreliose.
Auch dem Sachverständigengutachten des PD Dr. B , der im Verwaltungsverfahren ein Gutachten nach Aktenlage vom 09.11.2009 erstellt und eine durch die berufliche Tätigkeit des Klägers bedingte Lyme-Borreliose bejaht hat, kann sich der Senat – ebenso wie bereits das SG – weder anschließen noch entspricht dieses Gutachten, auch wenn es von Frau J bestätigt wurden ist, der herrschenden Lehre. Die Schlussfolgerungen des Gutachters aus dem MRT, wonach "die punktförmigen Hyperintesitäten im MRT-Schädel vom 20.10.2008" keine "geringen chronischen Durchblutungsstörungen" sind, sondern "Läsionen, wie sie für eine chronische Lyme-Neuroborreliose typisch sind", sind wissenschaftlich jedenfalls nicht hinreichend fundiert, wie bereits Prof. Dr. R im Verwaltungsverfahren dargelegt hat. Entsprechend werden MRT-Untersuchungen von der AWMF-Leitlinie auch nur im Einzelfall bei Enzephalitis bzw. Myelitis empfohlen. Auch Lymphozytentransformationstests (LTT) eignen sich nach der Leitlinie nicht für die Diagnose einer Borreliose. Soweit PD Dr. B letztlich aus den nach Aktenlage übernommenen Beschwerdeschilderungen auf eine kausale Verknüpfung mit einer Borrelieninfektion schlussfolgert, vermag dies nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass bereits keine aktive Borreliose-Infektion nachgewiesen ist, weist auch die vorerwähnte AWMF-Leitlinie im Zusammenhang mit der kontrovers geführten Diskussion über die Bedeutung chronischer unspezifischer Beschwerden ("chronic fatigue" bzw. fibromyalgieartige Beschwerden) in Assoziation mit einer positiven Borrelienserologie daraufhin, dass in der Regel von einer Koinzidenz und keiner Kausalität zwischen dem Nachweis borrelien-spezifischer Antikörper und unspezifischen klinischen Beschwerden auszugehen ist. Auch wenn die Berichterstattung – insbesondere in der Laienpresse und im Internet – zu einer weit verbreiteten Angst davor geführt hat, dass die Borreliose zu chronischen Schmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten auch ohne Vorliegen aktueller typischer Lyme-Borreliose-Symptomen führen könnte, stellen nach der S1-Leitlinie derart unspezifische Symptome bereits keine Indikation für eine Borrelienserologie dar, da der prädikative Wert eines positiven serologischen Befunds hier sehr gering ist (S. 5 der Leitlinie).
Ein hinreichender Zusammenhang der geklagten Symptomatik mit der anerkannten BK 3102 liegt nach alledem nicht vor. Ob es sich um eine Somatisierungsstörung handelt, kann letztlich dahin stehen. Auch insofern spricht, wie Prof. Dr. R ebenfalls bestätigt hat, nichts für einen Zusammenhang mit der ausgeheilten Infektion. Weitere (differentialdiagnostische) Ermittlungen zu Genese der aktuellen Gesundheitsstörungen waren aus dem Blickwinkel der beim Kläger anerkannten und hier allein streitigen BK 3102 nicht veranlasst. II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zum BSG zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Schmidt Kups Salomo
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die als Berufskrankheit (BK) nach der Nummer 3102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im Folgenden: BK 3102) anerkannte Borrelieninfektion des Klägers mit einer Verletztenrente zu entschädigen ist.
Der im Jahre 1956 geborene Kläger ist ausgebildeter Forstwirt und beim Staatsbetrieb Sachsenforst beschäftigt. Nachdem er in den Jahren 2004, 2007 und 2008 mehrfach von Zecken gestochen worden war, erstattete der Arbeitgeber eine Unfallanzeige, woraufhin die Beklagte ein BK-Feststellungsverfahren einleitete. Beigezogen wurde u.a. der Entlassungsbericht der Medizinischen Klinik – Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin – des Klinikums I in D , wonach sich bei einer stationären Behandlung vom 02.06.2008 bis 04.06.2008 kein Anhalt auf ein aktives, entzündliches Geschehen ergeben hatte und die behandelnden Ärzte von einer so genannten "Seronarbe" ausgingen.
Mit Bescheid vom 16.10.2008 erkannte die Beklagte eine Infektion des Klägers mit Borreliose infolge der beruflichen Tätigkeit als BK 3102 an, lehnte die Gewährung einer Verletztenrente indessen ab, weil keine BK-bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorläge.
Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch einlegte, zog die Beklagte weiterer medizinische Unterlagen bei und beauftragte PD Dr. B mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage vom 09.11.2009, in dem der Gutachter einschätzte, dass "aufgrund der Krankheitsumstände, des Krankheitsverlaufes, der typischen Krankheitsmanifestationen und der medizinisch-technischen Befunde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine chronische Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose zu diagnostizieren" sei. Ein Hirn-SPECT habe einen mit Lyme-Borreliose vereinbaren Befund (diffus verminderte Anreicherung des Tracers tempo-occipital links) ergeben. Das Schädel-MRT zeige zahlreiche Läsionen, einen typischen Befund für eine chronische Lyme-Borreliose. Das MRT der Kniegelenke zeige beidseits Kniegelenksergüsse, die für das Spätstadium einer Lyme-Borreliose typisch seien. Hierdurch sei die Erwerbsfähigkeit seit Juni 2007 um 100 v.H. gemindert. Er empfahl antibiotische Behandlung.
Demgegenüber führte der Neurologe Prof. Dr. R in seinem neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom 14.10.2010 aus, dass die vom Kläger genannten unspezifischen Gesundheitsstörungen wie allgemeines Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Brust- und Herzschmerzen, Erschöpfung, Müdigkeit, Gleichgewichtsstörung und Schwindel, Schwitzen und Frieren, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörung, Hautjucken, Kribben in Armen und Beinen, Übelkeit, Taubheitsgefühl, Sprachstörung, Wortfindungsstörung, Lustlosigkeit, geringe Belastbarkeit, Schlafstörung und Halsschmerzen. nichts mit einer Lyme-Borreliose zu tun hätten. Die Neuroborreliosediagnose sei eine klinische Diagnose, gestützt durch Entzündungszeichen im Liquor. Beides sei beim Kläger nicht gegeben. Die neurologische und psychiatrische Untersuchung habe außer deutlichen Zeichen einer Aggravation und Hinweisen auf eine Somatisierung keine relevanten objektiven pathologischen Befunde erbracht. Die jetzt vom Kläger angegebenen Beschwerden seien Folge einer Somatisierungsstörung, die nichts mit einer Borrelioseerkrankung zu tun habe. Die Ausführungen im Gutachten von PD Dr. B würden einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren. So gäbe es zum Beispiel keine für eine chronische Borreliose typischen MRT-Veränderungen und Hirnperfusionsstörungen kämen bei Dutzenden von Hirnerkrankungen und –störungen vor, ohne einen Hinweis auf eine Borreliose zu geben. Psychiatrische Erkrankungen schienen PD Dr. B fremd zu sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Es hätten sich keine Gesundheitsstörungen feststellen lassen, die durch die Borrelieninfektion verursacht seien.
Am 02.10.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben. Das SG hat ein Ärztliches Sachverständigen-Gutachten bei Prof. Dr. S vom 03.11.2011 eingeholt. Der Gutachter führte aus, dass bei dem Kläger allgemeine Symptome vorlägen; jedoch keine Neuroborreliose diagnostiziert sei. Die subjektive Symptomatik lasse sich nicht mir hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Borrelieninfektion 2004 zurückzuführen. Dagegen spräche der Verlauf über Jahre. Zeckenstiche und nicht sehr ausgeprägte Veränderungen in den Borrelienantikörpern könnten keine Kausalität von unspezifischen Beschwerden begründen. Die Erwerbsfähigkeit sei wegen der anerkannten BK nicht eingeschränkt.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.01.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Folgen der anerkannten BK 3102 würden keine MdE von wenigstens 20 v.H. bedingen. Die multiplen vom Kläger geklagten Gesundheitsstörungen seien nicht ursächlich auf die anerkannte BK zurückzuführen. Bereits in dem Gutachten im Widerspruchsverfahren vom 14.10.2010 habe der Neurologe Prof. Dr. R keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Neuroborreliose, die die Gesundheitsstörungen des Klägers erklären könnte, nicht gesichert sei. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt Entzündungszeichen im Liquor festgestellt worden. An der Richtigkeit dieser Aussage, die durch das Sachverständigengutachten im Gerichtsverfahren erhärtet worden sei, würden auch die Ausführungen von PD Dr. B in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 09.11.2009 nicht zweifeln lassen. Für dessen Schlussfolgerungen, wie "die punktförmigen Hyperintesitäten im MRT-Schädel vom 20.10.2008 seien keine "geringen chronischen Durchblutungsstörungen", sondern "Läsionen, wie sie für eine chronische Lyme-Neuroborreliose typisch sind", gäbe es keine wissenschaftliche Grundlage. Vielmehr träfe die Aussage von Prof. Dr. R zu, dass es keine für eine chronische Borreliose typischen MRT-Veränderungen gibt. Folgerichtig sei auch Prof. Dr. S zu der Einschätzung gelangt, dass die vom Kläger geschilderte Symptomatik nicht typisch für eine Neuroborreliose sei.
Gegen den ihm am 13.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01.03.2012 Berufung eingelegt. Aufgrund der bei ihm bestehenden chronischen Lyme-Borreliose liege seit Juni 2007 eine MdE von 100 v. H. vor. Die Diagnose habe PD Dr. B gestellt. Sie werde von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau J und der Dipl.-Psychologin Frau H bestätigt. PD. Dr. B sei ein ausgewiesener Spezialist auf dem Gebiet der hier streitgegenständlichen Problematik. Den weiteren Gutachtern fehle das spezielle Fachwissen.
Der Kläger beantragt, 1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 06.01.2012 und den Bescheid der Beklagten vom 16.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2010 aufzuheben und 2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen der Berufskrankheit Nummer 3102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung Verletztenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen ...
Sie hält daran fest, dass beim Kläger keine BK-bedingten Gesundheitsstörungen bestünden.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 30.07.2012 eingeholt, in der der Sachverständige an seinem Votum festhält. Klinische Hinweise auf eine Borreliose fänden sich im Laufe der stattgefundene Behandlungen und Begutachtungen nicht. Die Angaben und Diagnosen im Gutachten von PD Dr. B würden nahezu ausschließlich auf subjektiven Angaben beruhen.
Mit Beweisanordnung vom 04.03.2014 hat der Senat Prof. Dr. R zum Sachverständigen auf dem Fachgebiet der Inneren Medizin ernannt und ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers eingeholt. In dem Gutachten vom 14.08.2014 führt der Sachverständige aus, dass die Borreliose mehrfach antibiotisch behandelt worden sei und als ausgeheilt betrachte werden könne. Dies würde die wiederholt durchgeführte Borrelien-Serologie belegen, die den typischen Befund einer durchgemachten Borrelien-Infektion dokumentiere. Auch die zuletzt am 01.08.2014 durchgeführte Serologie zeige keine Zeichen einer Aktivität. Die nach der Borreliose aufgetretenen und bis heute anhaltenden vielfältigen Beschwerden könnten nicht mit einer Borreliose in Zusammenhang gebracht werden. PD Dr. B komme zwar zu der Feststellung, dass eine Neuroborreliose mit einer MdE von 100 v. H. vorliege. Für diese Einschätzung fehle jedoch der objektive Beweis; sie stütze sich allein auf die – im Sinne einer "Serumnarbe" – serologisch bewiesene stattgefundene Borreliose-Infektion in Verbindung mit den vom Patienten geklagten Beschwerden. Die jetzt geklagte Symptomatik sei jedoch nicht auf die Borreliose zurückzuführen, sondern im Sinne einer Somatisierungsstörung zu bewerten. Mit ergänzender Stellungnahme vom 22.10.2014 hält der Sachverständige an seinem Votum fest. Eine aktive Borreliose mit zentralnervöser Manifestation könne aufgrund des serologischen Befundes definitiv ausgeschlossen werden. Zur Dokumentation einer Neuroborreliose bedürfe es des Nachweises spezifischer lgG-Antikörper im Serum und Liquor mit dem Nachweis einer autochtonen Antikörperbildung im Liquor. Da aber schon serologisch keine aktive Borreliose vorliege, stelle sich diese Frage nicht.
Der Kläger wies demgegenüber auf das Epidemiologische Bulletin Nr. 38/2007 des Robert-Koch-Instituts hin, in dem moniert werde, dass die Kriterien der Falldefinition in Bezug auf die Labordiagnostik der früheren Neuroborreliose nicht greifen. Von 799 Erkrankungen sei es bei der Liquor-Untersuchung nur bei 5% zu einem Nachweis gekommen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass 95 % der Neuroborreliosen gar nicht erkannt würden.
Prof. Dr. R hat auf Veranlassung des Senats am 12.02.2015 nochmals ergänzend – insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger eingeführten Aussagen im Epidemiologischen Bulletin Nr. 38/2007 – Stellung genommen. Der Sachverständige führt aus, dass der vom Kläger aus der Publikation gezogene Umkehrschluss, wonach bis zu 95 % der Neuroborreliosen durch die standardmäßige Diagnostik nicht erkannt würden, so nicht richtig sei. Laut der Publikation habe bei immerhin 29 % der Patienten mit Verdacht auf Neuroborreliose eine lokale Antikörperbildung im Zentralnervensystem vorgelegen, was die Diagnose der Neuroborreliose beweise. Hieraus könne jedoch nicht abgeleitet werden, dass bei der Mehrzahl der Patienten mit Neuroborreliose die Nervenwasser-Untersuchung keinen diagnostischen Hinweis gebe. Dies setze voraus, dass allein die klinische Diagnose einer Neuroborreliose zutreffend sei, was aufgrund der vielfältigen Symptomatik und zahlreicher anderer Differentialdiagnosen bezweifelt werden müsse. Entsprechend der aktuellen Leitlinien der AWMF und der DGHM-Leitlinien erfordere die Diagnose der Neuroborreliose den Nachweis der typischen Klinik als auch den Nachweis spezifischer Antikörper gegen Borrelien sowohl im Blut als auch im Nervenwasser. Grundvoraussetzung für die Erwägung einer Neuroborreliose sei daher der Nachweis einer aktiven Borrelien-Infektion durch Nachweis spezifischer Antikörper im Blut. Ohne diesen sei eine Neuroborreliose auszuschließen. Genauso liege es bei dem Kläger. Es bestehe keine Indikation für eine Nervenwasseruntersuchung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakt und die Verwaltungsakte der Beklagten (3 Band), die vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Die Berufung ist unbegründet, denn das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten BK 3102.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen). BKen sind nach § 9 Abs. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Als eine solche BK ist in der Anlage zur BKV unter Nummer 3102 "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" bezeichnet.
Wie die Beklagte in ihrem die Beteiligten bindenden (§ 77 SGG) Bescheid vom 02.03.2009 festgestellt hat, liegt bei dem Kläger eine BK 3102 vor. Die Folgen dieser BK bedingen indes keine MdE von wenigstens 20 v.H. Die multiplen vom Kläger geklagten Gesundheitsstörungen sind nicht ursächlich auf die anerkannte BK zurückzuführen.
1. Um eine – im Vollbeweis gesicherte – Gesundheitsstörung als Folge einer BK anerkennen und ggf. entschädigen zu können, muss zwischen der festgestellten Gesundheitsstörung und dem schädigenden Ereignis ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Ein Gesundheitsschaden ist im unfallversicherungsrechtlichen Sinne Folge einer BK, wenn die BK im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung für die Körperschädigung kausal geworden ist, d.h. wenn sie hierfür nicht nur eine Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne bildet, sondern auch bei wertender Betrachtung der Eintritt des Gesundheitsschadens (oder des Todes) der BK zuzurechnen ist, weil diese für den Eintritt der Gesundheitsstörung eine rechtlich wesentliche Ursache bildet. Maßgeblich für die danach zu treffende Entscheidung sind die Auffassung des praktischen Lebens sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls, der Schutzzweck der Norm und das Ziel der Tätigkeit des Versicherten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 10.06.1955 – 10 RV 390/54 – juris = BSGE 1, 72, 76; Urteil vom 09.12.2003 – B 2 U 8/03 – juris; Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 – juris = BSGE 96, 196; Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R – juris = BSGE 108, 274; Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – juris). Generelle oder allgemeine Erkenntnisse über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen sind zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 – juris = BSGE 96, 196). Für den Nachweis der zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 04.07. 2013 – B 2 U 11/12 R – juris RdNr. 12). Ein Kausalzusammenhang ist hiernach nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist, sondern erst, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.1977 – 8 RU 52/76 – juris RdNr. 17 = BSGE 43, 110, 112; Urteil vom 27.10.2009 – B 2 U 23/08 R – juris RdNr. 19).
2. Nach diesen Grundsätzen lassen sich – wie das SG zu Recht ausgeführt hat – keine Gesundheitsstörungen feststellen, die mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit durch die anerkannte BK 3201 bedingt sind. Ob die BK allein wegen der nachgewiesenen früheren Infektion zu Recht anerkannt worden ist (a. A. Bayerisches LSG, Urteil vom 15.04.2015 – L 2 U 40/14 -, juris, das zusätzlich einen zum Krankheitsbild passenden klinischen Befund fordert (Revision anhängig unter B 2 U 17/15 R)), kann wegen der Bestandskraft der Feststellung dahin stehen.
Immunserologisch wurde bei dem Kläger zwar eine Infektion mit Borrelien nachgewiesen. Aus den Befunden der Borrelienserologie, die eine sog. "Serumnarbe" belegen, ist jedoch keine aktive Infektion und der Nachweis einer Neuroborreliose, auf die die Berufung die vielfältigen Beschwerden des Klägers zurückführt, abzuleiten.
Bereits in dem Gutachten im Widerspruchsverfahren vom 14.10.2010 hatte der Neurologe Prof. Dr. R keinen Zweifel daran gelassen, dass eine Neuroborreliose, die die Gesundheitsstörungen des Klägers erklären könnte, nie gesichert worden ist. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt Entzündungszeichen im Liquor festgestellt worden.
Dieses gutachterliche Ergebnis hat der vom SG gehörte Sachverständige Prof. Dr. S im Gutachten vom 03.11.2011 bestätigt. Die klinische Untersuchung des Klägers war bei diesem Sachverständigen – ebenso wie im Übrigen bei Prof. Dr. R – weitgehend unauffällig, auch wenn der Kläger generell unruhig war. Hinweise auf Polyneuropathien fanden sich ebenso wenig wie Lähmungen, Haut- oder Gelenkerscheinungen oder Atrophien der Muskulatur. Klinisch-chemisch wurden Borrelien-IgK-Antikörper nachgewiesen. Die IgM-Antikörper waren unauffällig, der Borrelien-Blot positiv. Hiervon ausgehend konnte Prof. Dr. S die vom Kläger geäußerten unspezifischen Beschwerden nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Borrelieninfektion 2004 zurückführen. Allein der Nachweis von Zeckenstichen und nicht sehr ausgeprägten Veränderungen in den Borrelienantikörpern, können nach seiner Einschätzung aus medizinischer Sicht keine Kausalität mit den vielfältigen, jedoch unspezifischen Beschwerden begründen. In der im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 30.07.2012 hat Prof. Dr. S sein Votum ausdrücklich bestätigt und nochmals darauf hingewiesen, dass alle im Laufe der Jahre stattgefundenen diagnostischen Maßnahmen keinerlei belastbare Hinweise für eine Neuroborreliose ergaben. Vielmehr wurde mehrmals von verschiedenen Seiten die Diagnosen somatoforme Störungen als auch rezidivierende depressive Störungen gestellt.
Zu dem gleichen Ergebnis kommt letztlich der im Berufungsverfahren zusätzlich gehörte Sachverständige Prof. Dr. R , Chefarzt der Klinik für Infektiologie, Tropenmedizin und Nephrologie des Klinikums St. G gGmbH in L. In seinem Gutachten vom 14.08.2014 führt der Sachverständige aus, dass die Borreliose, die mehrfach antibiotisch behandelt worden ist, als ausgeheilt betrachtet werden kann. Die wiederholt durchgeführte Borrelien-Serologie belegt jeweils den typischen Befund einer durchgemachten Borrelien-Infektion. Auch die vom Sachverständigen nochmals durchgeführte Serologie zeigte keinerlei Zeichen einer aktiven Infektion. Es fanden sich grenzwertig positive spezifische IgK-Antikörper (sog. Spät-Antikörper) und keine spezifischen IgM-Antikörper. Auch der IgG-Immunblot sprach eindeutig für eine abgelaufene Borreliose. Bei dieser Sachlage kann aus Sicht des Sachverständigen kein Zusammenhang mit der jetzt geklagten Symptomatik hergestellt werden, die als Somatisierungsstörung zu interpretieren ist.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.10.2014 hat er nochmals ausgeführt, dass es zur Dokumentation einer Neuroborreliose des Nachweises spezifischer IgG-Antikörper im Serum und Liquor mit dem Nachweis einer autochthone, also ortsständigen, Antikörperbildung im Liquor. Da es im Fall des Klägers bereits am serologischen Nachweis einer aktiven Borreliose fehlt, stellt sich letztere Frage aber nicht. Ergänzend weist der Sachverständige darauf hin, dass auch die Kardinalbefunde einer Neuroborreliose, wie z. B. eine Meningitis, eine Meningoradikulitis, periphere Fazialisparesen oder Entzündungen des peripheren Nervensystems nicht vorliegen. Insgesamt ist eine Neuroborreliose bei dem Kläger daher anhand objektiver Befunde ausgeschlossen.
Diese sachverständigen Aussagen sind für den Senat überzeugend. Es fehlt am Nachweis einer aktiven Borreliien-Infektion als Grundvoraussetzung der Diagnose Neuro-Borreliose. Die dargestellten sachverständigen Aussagen sind plausibel und stehen insbesondere mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft in Einklang. In der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie "Neuroborreliose" (AWMF-Registriernummer 030/071, gültig bis 29.09.2017), auf die auch Prof. Dr. R Bezug nahm, ist bereits für eine nur "mögliche" Neuroborreliose der Nachweis borrelienspezifischer IgG-und/oder IgM-Antikörper im Serum (neben einem typischen klinischen Bild in Form von Hirnnervenausfällen, Meningitis/Meningoradikulitis oder fokalen neurologischen Ausfällen) maßgebliches Diagnosekriterium. Denn bei einer akuten Neuroborreliose finden sich Borrelien-spezifische IgM- und/oder IgG-Antikörper im Falle des chronischen Verlaufs mit nahezu 100 % (AWMF-Leitlinie S. 6).
Hinsichtlich dieser Diagnosekriterien ist derzeit auch nicht von einem überholten Stand der Wissenschaft auszugehen, wie die Berufung unter Verweis auf das Epidemiologische Bulletin des Robert-Koch-Instituts Nr. 38/07 und die dortige Veröffentlichung "Lyme-Borreliose: Zur Situation in den östlichen Bundesländern" sowie die Stellungnahme von PD Dr. B im Verwaltungsverfahren und wohl auch die am Tag der mündlichen Verhandlung zur Akte gereichten Stellungnahme der behandelnden Neurologin des Klägers, Frau J , zu belegen versucht.
Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im Bereich der BK en von den Tatsachengerichten jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ist. Hieraus folgt zwanglos, dass vom Tatsachengericht auch jeweils der im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aktuellste Stand der Merkblätter – sowie ggf. anerkannter Falldefinitionen und Leitlinien (wie hier der Deutschen Gesellschaft für Neurologie) – bei der Prüfung der objektiven Verursachung zu berücksichtigen ist (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 24.07.2012 – B 2 U 100/12 B – juris RdNr. 18 m. w. N.). Grundsätzlich entspricht danach ein medizinischer Erfahrungssatz in der Regel dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wenn er von allen oder den meisten in dem entsprechenden Fachgebiet Kundigen vertreten wird. Er kann aber auch dann den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, wenn er nicht von allen im jeweiligen Erkenntnissystem Handelnden geteilt wird und auch abweichende Auffassungen vertreten werden. Ein Erkenntnisstand kann sich fortlaufend verändern (vgl. hierzu Hase, Sozialrecht und die Integration gesellschaftlichen Wissens, in Masuch u.a. (Hrsg.), Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats, 2014, S 423, 429 ff.). Deshalb kann allein aus dem Vorliegen unterschiedlicher Auffassungen bei den im entsprechenden Fachgebiet Kundigen nicht geschlossen werden, dass ein Erfahrungssatz falsch ist oder nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2015 – B 2 U 10/14 R –, juris RdNr. 28).
Dies vorangestellt, entsprechen die Gutachten der Professoren Drs. R , S und R dem Stand der medizinischen Wissenschaft, wie er sich insbesondere in der genannten S1-Richtlinie widerspiegelt.
In der vorgenannten Veröffentlichung des Robert-Koch-Institutes wird zwar anhand einer Auswertung der Meldedaten aus dem 5-Jahreszeitraum von 2002 – 2006 angedeutet (S. 353 f.), dass "die Kriterien der Falldefinition in Bezug auf die Labordiagnostik der frühen Labordiagnostik nicht zu greifen scheinen," weil der labordiagnostische Nachweis nur bei 5 % der übermittelten Erkrankungen der Falldefinition entsprach. Der vom Senat im Hinblick auf die Veröffentlichung nochmals ergänzend gehörte Sachverständige Prof. Dr. R hat darauf hingewiesen, dass auch nach der statistischen Auswertung im Epidemiologischen Bulletin immerhin 29 % der Patienten mit Verdacht auf Neuroborreliose eine lokale Antikörperbildung im zentralen Nervensystem aufwiesen. Grundsätzlich sah er keinen Anlass, von der vorerwähnten Leitlinie abzuweichen. Denn allein aus der klinischen Diagnose kann nicht auf eine Neuroborreliose geschlossen werden, da die Symptomatik vielfältig ist und zahlreiche andere Differentialdiagnosen bestehen. Dies ist auch für den Senat überzeugend. Aus der Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts, die die für den gemeldete Fallzahlen aus den Jahren 2002 – 2006 statistisch auswertete, kann nicht überzeugend abgeleitet werden, dass die vorerwähnte Leitlinie, die im Übrigen weit nach 2007 erstellt worden ist, nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht. Mit der eigentlichen Diagnostik beschäftigt sich das Bulletin nicht medizinwissenschaftlich. Zudem wurden ausdrücklich Rückschlüsse aus dem gemeldeten Zahlenmaterial nur für Fälle der frühen Neuroborreliose gezogen. Im Fall des Klägers handelt es sich freilich um ein langjähriges (chronisches) Leiden nach einem angeschuldigten Zeckenbiss 2004, nicht jedoch das Stadium einer frühen Neuroborreliose.
Auch dem Sachverständigengutachten des PD Dr. B , der im Verwaltungsverfahren ein Gutachten nach Aktenlage vom 09.11.2009 erstellt und eine durch die berufliche Tätigkeit des Klägers bedingte Lyme-Borreliose bejaht hat, kann sich der Senat – ebenso wie bereits das SG – weder anschließen noch entspricht dieses Gutachten, auch wenn es von Frau J bestätigt wurden ist, der herrschenden Lehre. Die Schlussfolgerungen des Gutachters aus dem MRT, wonach "die punktförmigen Hyperintesitäten im MRT-Schädel vom 20.10.2008" keine "geringen chronischen Durchblutungsstörungen" sind, sondern "Läsionen, wie sie für eine chronische Lyme-Neuroborreliose typisch sind", sind wissenschaftlich jedenfalls nicht hinreichend fundiert, wie bereits Prof. Dr. R im Verwaltungsverfahren dargelegt hat. Entsprechend werden MRT-Untersuchungen von der AWMF-Leitlinie auch nur im Einzelfall bei Enzephalitis bzw. Myelitis empfohlen. Auch Lymphozytentransformationstests (LTT) eignen sich nach der Leitlinie nicht für die Diagnose einer Borreliose. Soweit PD Dr. B letztlich aus den nach Aktenlage übernommenen Beschwerdeschilderungen auf eine kausale Verknüpfung mit einer Borrelieninfektion schlussfolgert, vermag dies nicht zu überzeugen. Abgesehen davon, dass bereits keine aktive Borreliose-Infektion nachgewiesen ist, weist auch die vorerwähnte AWMF-Leitlinie im Zusammenhang mit der kontrovers geführten Diskussion über die Bedeutung chronischer unspezifischer Beschwerden ("chronic fatigue" bzw. fibromyalgieartige Beschwerden) in Assoziation mit einer positiven Borrelienserologie daraufhin, dass in der Regel von einer Koinzidenz und keiner Kausalität zwischen dem Nachweis borrelien-spezifischer Antikörper und unspezifischen klinischen Beschwerden auszugehen ist. Auch wenn die Berichterstattung – insbesondere in der Laienpresse und im Internet – zu einer weit verbreiteten Angst davor geführt hat, dass die Borreliose zu chronischen Schmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten auch ohne Vorliegen aktueller typischer Lyme-Borreliose-Symptomen führen könnte, stellen nach der S1-Leitlinie derart unspezifische Symptome bereits keine Indikation für eine Borrelienserologie dar, da der prädikative Wert eines positiven serologischen Befunds hier sehr gering ist (S. 5 der Leitlinie).
Ein hinreichender Zusammenhang der geklagten Symptomatik mit der anerkannten BK 3102 liegt nach alledem nicht vor. Ob es sich um eine Somatisierungsstörung handelt, kann letztlich dahin stehen. Auch insofern spricht, wie Prof. Dr. R ebenfalls bestätigt hat, nichts für einen Zusammenhang mit der ausgeheilten Infektion. Weitere (differentialdiagnostische) Ermittlungen zu Genese der aktuellen Gesundheitsstörungen waren aus dem Blickwinkel der beim Kläger anerkannten und hier allein streitigen BK 3102 nicht veranlasst. II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zum BSG zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Schmidt Kups Salomo
Rechtskraft
Aus
Login
FSS
Saved