Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 24 KR 173/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2001 verurteilt, das dem Kläger für die Zeit vom 13.01.1997 bis zum 29.01.1007 und für die Zeit vom 18.12.1998 bis zum 17.10.1999 gezahlte Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen nach Maßgabe der §§ 47, 47 a in der Fassung des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 28.12.2000 (BGBl. I, 1971) neu zu berechnen und dem Kläger die sich hieraus ergebende Differenz nachzuzahlen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, bereits an den Kläger ausgezahltes Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen neu zu berechnen und die sich aus dieser Berechnung ergebende Differenz nachzuzahlen.
Der Kläger bezog von der Beklagten in der Zeit vom 13.01.1997 bis zum 29.01.1997 sowie in der Zeit vom 18.12.1998 bis zum 17.10.1999 Krankengeld. Bei der Berechnung des Krankengeldes blieben die dem Kläger gewährten Einmalzahlungen unberücksichtigt. Mit Schreiben vom 10.02.2001 beantragte er unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 (Az.: 1 BvL 1/98) eine endgültige Krankengeldberechnung und entsprechende Nachzahlung des Differenzbetrages. Er führte aus, dass er gegen den der Bewilligung von Krankengeld zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten kein Rechtsmittel eingelegt habe, weil die Spitzenverbände der Krankenkassen in einer gemeinsamen Verlautbarung mitgeteilt hätten, dass die Krankenkassen im Falle einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend handeln würden.
Mit Bescheid vom 30.03.2001 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab und führte aus, dass sich die gesetzliche Neuregelung durch das am 01.01.2001 in Kraft getretene Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz nur dann rückwirkend zu Gunsten des Klägers auswirke, wenn über den Krankengeldanspruch am 21.06.2000 noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Dem Kläger sei jedoch die Höhe des Krankengeldanspruchs im Januar 1997 bzw. im Dezember 1998 bekannt gegeben worden. Die Widerspruchsfrist sei folglich im Januar 1998 bzw. Dezember 1999 abgelaufen. Am 21.06.2000 sei damit über den Anspruch rechtskräftig entschieden worden, so dass eine Neuberechnung nicht in Betracht komme.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.04.2001 Widerspruch und vertrat die Auffassung, dass die jetzige Handlungsweise der Beklagten mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) nicht zu vereinbaren sei, weil sich die Mitglieder der Beklagten darauf hätten verlassen dürfen, dass die Beklagte die Krankengeldberechnung unabhängig von dem vom Gesetzgeber eingeschlagenen Weg durchführen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2001 wurde der Widerspruch des Klägers vom Widerspruchsausschuss der Beklagten zurückgewiesen. Der Widerspruchsausschuss berief sich nochmals darauf, dass nach § 47 a Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Entscheidungen über Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 unanfechtbar geworden seien, nicht nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) zurückzunehmen seien. Im übrigen hätten sich die Erklärungen der Krankenkassen allein auf die Erstattung ggf. rechtswidrig erhobener Beiträge bezogen. Ein höheres Krankengeld lasse sich daraus jedoch nicht herleiten.
Mit seiner am 14.08.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er vertritt die Auffassung, dass sich die Berufung der Beklagten auf die Bestandskraft der der Krankengeldbewilligung zugrunde liegenden Bescheide als rechtsmissbräuchlich und widersprüchlich darstelle. Jedenfalls sei ihm nach § 27 SGB X Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren bzw. die geltend gemachte Nachberechnung des Krankengeldes über die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu rechtfertigen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2001 zu verurteilen, das ihm für die Zeit vom 13.01.1997 bis zum 29.01.1997 und für die Zeit vom 18.12.1998 bis zum 17.10.1999 gezahlte Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen nach Maßgabe der §§ 47, 47 a SGB V in der Fassung des Einmalzahlungs- Neuregelungsgesetzes vom 28.12.2000 (BGBl. I, 1971) neu zu berechnen und dem Kläger die sich hieraus ergebende Differenz nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass die Vornahme einer Neuberechnung des Krankengeldes unter Berücksichtigung von Einmalzahlungen trotz Vorliegens eines bestandkräftigen Verwaltungsaktes der Intention des Gesetzgebers widerspreche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen haben und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte im Hinblick auf die hier streiterheblichen Zeiträume einen Anspruch auf Neuberechnung und Auszahlung von Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen. Insofern ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2001 rechtswidrig, und der Kläger wird durch ihn beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte kann dem Anspruch des Klägers nicht die Regelung des § 47 a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. entgegen halten. Denn die Weigerung der Beklagten, das Krankengeld wie beantragt neu zu berechnen und entsprechend an den Kläger auszuzahlen, stellt sich als widersprüchliches Verhalten im Sinne des § 242 BGB dar (venire contra factum proprium).
Ein Bescheid der Beklagten über die Berechnung des Krankengeldes in den Jahren 1997 und 1998 liegt in den Akten der Beklagten nicht vor. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ihm in seinen beiden Krankengeldfällen von der Beklagten eine Mitteilung über die Höhe des Krankengeldes und die weiteren Modalitäten im Zusammenhang mit der Krankengeldgewährung zugesandt worden sei. Ob eine derartige Mitteilung bereits als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X zu qualifizieren ist, muss an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden. Denn selbst wenn derartige Leistungsmitteilungen als Verwaltungs akte zu qualifizieren wären, stünde deren Bestandskraft dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.
Für die Auffassung der Beklagten mag vordergründig zwar der Wortlaut des § 47 a SGB V in der mit Wirkung vom 22.06.2000 an geltenden Neufassung durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21.12.2000 sprechen. Danach ist § 47 SGB V in der Zeit ab dem 22.06.2000 geltenden Fassung für Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 entstanden sind, nur anzuwenden, soweit hier über am 21.06.2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war. Die Beklagte führt ferner zutreffend aus, dass nach § 47 a Abs. 2 Satz 2 SGB V n. F. Entscheidungen über Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 unanfechtbar geworden sind, nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurück zu nehmen sind. Letztlich kann sich die Beklagte darauf jedoch nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber dem Kläger nicht berufen, weil sich diese Berufung als widersprüchliches Verhalten darstellt, das zur Anwendung der Grundsätze über die unzulässige Rechtsausübung führt.
Widersprüchliches Verhalten führt allerdings nicht per se zu einem Verstoß gegen § 242 BGB, weil die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zulässt (Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Auflage, § 242 Rn. 55). Dementsprechend unterliegt es keinen Bedenken, wenn ein Verwaltungsträger (z. B. während eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens) in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen seine Rechtsansichten und - daraus resultierend - sein Verhalten ändert. Die Grenze zur unzulässigen Rechtsausübung wird jedoch regelmäßig dann überschritten, wenn durch ein vorangegangenes Verhalten der Verwaltung ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist und der Versicherte im Hinblick auf diesen von der Verwaltung veranlassten Vertrauenstatbestand bestimmte Dispositionen getroffen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Erklärende die zum Vertrauen des anderen Teils führende Sach- oder Rechtslage bewusst oder unbewusst geschaffen hat (hierzu Erman-Werner, BGB, 10. Aufl., § 242, Rn. 79). So liegen die Dinge hier. Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich bereits mit Beschluss vom 11.01.1995 (Az.: 1 BvR 892/88) die Vorschrift des § 227 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für unvereinbar erklärt, als danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Krankenversicherungsbeiträgen herangezogen wurde, ohne dass dieses bei der Berechnung kurzfristiger Entgeltersatzleistungen, wie z. B. dem Krankengeld berücksichtigt wurde. Zur Neuregelung hatte das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31.12.1996 gesetzt. Mit dem Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12.12.1996 (BGBl. I, 1859) war § 227 SGB V aufgehoben und - im Wesentlichen wortgleich - durch § 23 a SGB IV ersetzt worden. Als leistungsrechtlicher Ausgleich war aber nicht etwa die Möglichkeit der Mitberücksichtigung des einmalig gezahlten Arbeitsentgeltes bei der Berechnung des Krankengeldes durch entsprechende Änderung des § 47 Abs. 2 SGB V vorgesehen worden. Vielmehr sollte mit der Einführung des § 47 a SGB V seit dem 01.01.1997 ein zusätzliches Krankengeld gewährt werden. Bereits in der gemeinsamen Verlautbarung vom 16.12.1996 (DOK 1997, 140) kamen die Spitzenverbände der Krankenkassen zu der Auffassung, dass "nach Prüfung aller bisher möglichen Fallkonstellationen in der Praxis keine Fälle eines zusätzlichen Krankengeldes bzw. Übergangsgeldes denkbar" seien. Erwartungsgemäß wurde dem Bundesverfassungsgericht durch mehrere Vorlagebeschlüsse erneut Gelegenheit gegeben, zu überprüfen, ob die Regelung ab dem 01.01.1997 nunmehr verfassungskonform sei. Im Zusammenhang mit der erneuten Befassung des Gerichts mit der Problematik "Einmalzahlungen" haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger und der Sozialpartner selber einen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den die Versicherten und nicht zuletzt der Kläger ihre Dispositionen ausgerichtet haben. Denn die oben genannten Spitzenorganisationen haben mit Blick auf die Vermeidung einer Flut von Widersprüchen und Klagen am 28.07.1998 eine gemeinsame Erklärung zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Einmalzahlungen herausgegeben (vgl. hierzu z.B. BKK 1998, 524), die zum Teil auch in der überörtlichen Presse veröffentlicht und diskutiert worden ist. In dieser Erklärung haben die Spitzenverbände u.a. erklärt, dass schriftliche Widersprüche nicht erforderlich seien, um Ansprüche auf Beitragserstattungen aus dem zu erwartenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geltend zu machen. Vereinzelt haben Krankenkassen in Erklärungen ihren Versicherten nicht nur Beitragserstattungen, sondern ausdrücklich die Gewährung eines höheren Krankengeldes unter Berücksichtigung der in dem erwarteten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck gebrachten Rechtsgrundsätze zugesagt. Durch dieses Verhalten der Spitzenorganisationen, das sich die Beklagte als Mitglied des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) zurechnen lassen muss, wurden Versicherte - was unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten als durchaus sinnvoll erscheinen mag - davon abgehalten, Widerspruch und ggf. Klage gegen ergangene Krankengeldbescheide einzulegen. Daraus resultiert wiederum, dass für diese Versicherten § 47 Abs. 1 SGB V n.F. dem Wortlaut nach nicht zur Anwendung gelangen kann.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24.05.2000 sowohl die Vorschrift des § 23 a SGB IV als auch die Nichtanrechnung einmaligen Arbeitsentgelts bei der Krankengeldberechnung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V für verfassungswidrig erklärt hat, haben sich die Spitzenverbände der Krankenkassen mehrfach mit den Auswirkungen des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes in einem ausführlichen gemeinsamen Rundschreiben vom 16.02.2001 auseinandergesetzt. Zu dem sich aus ihrer Erklärung vom 28.07.1998 und der gesetzlichen Regelung in § 47 a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. ergebenden Konflikt führen die Spitzenverbände unter Punkt 2.6.6 unter anderem aus:
"Die Erklärung bezog sich für die gesetzliche Krankenversicherung zwar auf beitragsrechtliche Aspekte. Es wurde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Rechtsstreitigkeiten mit den Arbeits ämtern zur Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung von Arbeitslosengeld oder anderen Entgeltersatzleistungen unberührt bleiben. Somit ist nicht auszuschließen, dass die Erklärung bei den Versicherten den Eindruck erwecken konnte, die Krankenkassen würden die leistungsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen nachträglich auf der Basis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vornehmen. Außerdem haben einige Krankenkassen - zum Teil schon vor dem 28.07.1998 unter ausdrücklicher Erwähnung möglicher Krankengeldzahlungen - entsprechende Erklärungen herausgegeben. Bei Versicherten, die im Vertrauen auf die Erklärungen der Sozialversicherungsträger auf die Einlegung von Widersprüchen gegen die Krankengeldberechnung verzichtet haben, können die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegeben sein. Es sollte daher auf Antrag der Versicherten im Einzelfall geprüft werden, ob ihnen dieser Anspruch einzuräumen ist."
Wie die Spitzenverbände nach diesem Zitat zutreffend erkannt haben, ist es nicht akzeptabel, die Versicherten mit einer entsprechenden Verlautbarung zur Vermeidung einer Flut von Widerspruchsverfahren davon abzuhalten, ihre Rechte durch Einleitung eines Widerspruchsverfahrens zu wahren, um sich im Nachhinein auf die Bestandskraft etwaig ergangener Bescheide zu berufen. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Erklärung ausdrücklich auf beitragsrechtliche Aspekte bezogen hat. Unter entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 133, 157 BGB durften sich die in sozialversicherungsrechtlichen Aspekten in der Regel wenig geschulten Versicherten im Hinblick auf die Erklärung vom 28.07.1998 darauf verlassen, dass die Krankenkassen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht nur auf der beitragsrechtlichen, sondern auch auf der leistungsrechtlichen Ebene umsetzen, zumal der Gesetzgeber in der Neufassung des § 47 a SGB V keinen Raum für die in der Erklärung von 28.07.1998 angedachte beitragsrechtliche Lösung gelassen hat. Es darf ferner nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die Spitzenverbände bereits in gemeinsamen Presseerklärungen vom 21.06.2000 und vom 25.08.2000 mit der hier einschlägigen Problematik der Einmalzahlungen im Hinblick auf den Beschluss vom 24.05.2000 auseinander gesetzt haben. In der zuerst genannten Presseerklärung vom 21.06.2000 haben die Spitzenverbände mitgeteilt, dass die Krankenkassen nach den nunmehr erforderlichen gesetzlichen Änderungen unverzüglich aktiv würden, so dass die Versicherten keine Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu ergreifen hätten. In der weiteren Presseerklärung vom 25.08.2000 haben sich die Spitzenverbände dafür ausgesprochen, die notwendig gewordenen Neuregelungen zur Berücksichtigung der Einmalzahlungen für alle Versicherten gleich und gerecht zu gestalten. Dabei sei eine einheitliche Lösung sowohl für diejenigen Versicherten, die gegen die bislang bestehenden Regelungen Widerspruch erhoben hätten wie auch für diejenigen Versicherten, die im Vertrauen auf Erklärungen der Krankenkassen auf die Einlegung von Widersprüchen verzichtet hätten, erforderlich. Der Vertrauensschutz gebiete es, keine Nachteile für die Versicherten entstehen zu lassen, die in der Vergangenheit keinen Widerspruch eingelegt hätten. Nach alledem wird aus der erstgenannten Presseerklärung ersichtlich, dass die Kassen nach wie vor eine Flut von Widersprüchen vermeiden wollten und die Versicherten weiterhin davon abgehalten haben, Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der Krankenkassen einzulegen. Wenn die Spitzenverbände konkret darlegen, dass die Versicherten keine weiteren Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu ergreifen hätten, so kann sich die Beklagte schlechterdings nicht mehr darauf berufen, dass sich die Erklärung vom 28.07.1998 ausdrücklich nur auf beitragsrechtliche Aspekte bezogen habe. Dies wird auch durch die Presseerklärung vom 25.08.2000 erhärtet, in der - wie oben aufgezeigt - kein Unterschied mehr zwischen leistungsrechtlicher und beitragsrechtlicher Ebene gemacht wird. Es erscheint letztlich auch widersprüchlich, dass sich die Spitzenverbände in der Presseerklärung vom 25.08.2000 für eine sogenannte "einheitliche Lösung" aussprechen und einen entsprechenden Appell an den Gesetzgeber richten, wenn sich die Beklagte als Mitglied eines Spitzenverbandes bei der Bearbeitung konkreter Leistungsfälle gegensätzlich verhält.
Andererseits sieht die Kammer im Hinblick auf die Neuregelung des § 47 a SGB V keine allgemeine Verpflichtung der Krankenkassen, von Amts wegen bereits abgeschlossene Leistungsfälle aufzugreifen und ggf. hieraus resultierende Krankengeldbeträge nachzuzahlen. Soweit aber, wie vorliegend, im Einzelfall Versicherte ihre Ansprüche nachträglich geltend machen, sind die Kassen zur Nachberechnung verpflichtet und daran auch nicht durch den Wortlaut des § 47 a Abs. 2 SGB V n.F. gehindert.
Vor dem Hintergrund, dass sich die Berufung der Beklagten auf § 47 Abs. 2 SGB V n.F. als ein zur unzulässigen Rechtsausübung führendes widersprüchliches Verhalten darstellt, bedarf die Frage, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet ist oder ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (wobei allerdings die Frist des § 27 Abs. 3 SGB X nicht eingehalten worden sein dürfte), im Rahmen des hier anhängigen Rechtsstreits keiner abschließenden Entscheidung mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Kammer sah sich gehalten, die Sprungrevision gemäß § 161 Abs. 2 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, bereits an den Kläger ausgezahltes Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen neu zu berechnen und die sich aus dieser Berechnung ergebende Differenz nachzuzahlen.
Der Kläger bezog von der Beklagten in der Zeit vom 13.01.1997 bis zum 29.01.1997 sowie in der Zeit vom 18.12.1998 bis zum 17.10.1999 Krankengeld. Bei der Berechnung des Krankengeldes blieben die dem Kläger gewährten Einmalzahlungen unberücksichtigt. Mit Schreiben vom 10.02.2001 beantragte er unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.2000 (Az.: 1 BvL 1/98) eine endgültige Krankengeldberechnung und entsprechende Nachzahlung des Differenzbetrages. Er führte aus, dass er gegen den der Bewilligung von Krankengeld zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten kein Rechtsmittel eingelegt habe, weil die Spitzenverbände der Krankenkassen in einer gemeinsamen Verlautbarung mitgeteilt hätten, dass die Krankenkassen im Falle einer positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend handeln würden.
Mit Bescheid vom 30.03.2001 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab und führte aus, dass sich die gesetzliche Neuregelung durch das am 01.01.2001 in Kraft getretene Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz nur dann rückwirkend zu Gunsten des Klägers auswirke, wenn über den Krankengeldanspruch am 21.06.2000 noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Dem Kläger sei jedoch die Höhe des Krankengeldanspruchs im Januar 1997 bzw. im Dezember 1998 bekannt gegeben worden. Die Widerspruchsfrist sei folglich im Januar 1998 bzw. Dezember 1999 abgelaufen. Am 21.06.2000 sei damit über den Anspruch rechtskräftig entschieden worden, so dass eine Neuberechnung nicht in Betracht komme.
Hiergegen erhob der Kläger am 30.04.2001 Widerspruch und vertrat die Auffassung, dass die jetzige Handlungsweise der Beklagten mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) nicht zu vereinbaren sei, weil sich die Mitglieder der Beklagten darauf hätten verlassen dürfen, dass die Beklagte die Krankengeldberechnung unabhängig von dem vom Gesetzgeber eingeschlagenen Weg durchführen werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2001 wurde der Widerspruch des Klägers vom Widerspruchsausschuss der Beklagten zurückgewiesen. Der Widerspruchsausschuss berief sich nochmals darauf, dass nach § 47 a Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) Entscheidungen über Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 unanfechtbar geworden seien, nicht nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) zurückzunehmen seien. Im übrigen hätten sich die Erklärungen der Krankenkassen allein auf die Erstattung ggf. rechtswidrig erhobener Beiträge bezogen. Ein höheres Krankengeld lasse sich daraus jedoch nicht herleiten.
Mit seiner am 14.08.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er vertritt die Auffassung, dass sich die Berufung der Beklagten auf die Bestandskraft der der Krankengeldbewilligung zugrunde liegenden Bescheide als rechtsmissbräuchlich und widersprüchlich darstelle. Jedenfalls sei ihm nach § 27 SGB X Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren bzw. die geltend gemachte Nachberechnung des Krankengeldes über die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu rechtfertigen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2001 zu verurteilen, das ihm für die Zeit vom 13.01.1997 bis zum 29.01.1997 und für die Zeit vom 18.12.1998 bis zum 17.10.1999 gezahlte Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen nach Maßgabe der §§ 47, 47 a SGB V in der Fassung des Einmalzahlungs- Neuregelungsgesetzes vom 28.12.2000 (BGBl. I, 1971) neu zu berechnen und dem Kläger die sich hieraus ergebende Differenz nachzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass die Vornahme einer Neuberechnung des Krankengeldes unter Berücksichtigung von Einmalzahlungen trotz Vorliegens eines bestandkräftigen Verwaltungsaktes der Intention des Gesetzgebers widerspreche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen haben und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte im Hinblick auf die hier streiterheblichen Zeiträume einen Anspruch auf Neuberechnung und Auszahlung von Krankengeld unter Berücksichtigung erhaltener Einmalzahlungen. Insofern ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2001 rechtswidrig, und der Kläger wird durch ihn beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte kann dem Anspruch des Klägers nicht die Regelung des § 47 a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. entgegen halten. Denn die Weigerung der Beklagten, das Krankengeld wie beantragt neu zu berechnen und entsprechend an den Kläger auszuzahlen, stellt sich als widersprüchliches Verhalten im Sinne des § 242 BGB dar (venire contra factum proprium).
Ein Bescheid der Beklagten über die Berechnung des Krankengeldes in den Jahren 1997 und 1998 liegt in den Akten der Beklagten nicht vor. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ihm in seinen beiden Krankengeldfällen von der Beklagten eine Mitteilung über die Höhe des Krankengeldes und die weiteren Modalitäten im Zusammenhang mit der Krankengeldgewährung zugesandt worden sei. Ob eine derartige Mitteilung bereits als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X zu qualifizieren ist, muss an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden. Denn selbst wenn derartige Leistungsmitteilungen als Verwaltungs akte zu qualifizieren wären, stünde deren Bestandskraft dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.
Für die Auffassung der Beklagten mag vordergründig zwar der Wortlaut des § 47 a SGB V in der mit Wirkung vom 22.06.2000 an geltenden Neufassung durch das Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21.12.2000 sprechen. Danach ist § 47 SGB V in der Zeit ab dem 22.06.2000 geltenden Fassung für Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 entstanden sind, nur anzuwenden, soweit hier über am 21.06.2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war. Die Beklagte führt ferner zutreffend aus, dass nach § 47 a Abs. 2 Satz 2 SGB V n. F. Entscheidungen über Ansprüche auf Krankengeld, die vor dem 22.06.2000 unanfechtbar geworden sind, nicht nach § 44 Abs. 1 SGB X zurück zu nehmen sind. Letztlich kann sich die Beklagte darauf jedoch nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber dem Kläger nicht berufen, weil sich diese Berufung als widersprüchliches Verhalten darstellt, das zur Anwendung der Grundsätze über die unzulässige Rechtsausübung führt.
Widersprüchliches Verhalten führt allerdings nicht per se zu einem Verstoß gegen § 242 BGB, weil die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zulässt (Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Auflage, § 242 Rn. 55). Dementsprechend unterliegt es keinen Bedenken, wenn ein Verwaltungsträger (z. B. während eines Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens) in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen seine Rechtsansichten und - daraus resultierend - sein Verhalten ändert. Die Grenze zur unzulässigen Rechtsausübung wird jedoch regelmäßig dann überschritten, wenn durch ein vorangegangenes Verhalten der Verwaltung ein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist und der Versicherte im Hinblick auf diesen von der Verwaltung veranlassten Vertrauenstatbestand bestimmte Dispositionen getroffen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Erklärende die zum Vertrauen des anderen Teils führende Sach- oder Rechtslage bewusst oder unbewusst geschaffen hat (hierzu Erman-Werner, BGB, 10. Aufl., § 242, Rn. 79). So liegen die Dinge hier. Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich bereits mit Beschluss vom 11.01.1995 (Az.: 1 BvR 892/88) die Vorschrift des § 227 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) für unvereinbar erklärt, als danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Krankenversicherungsbeiträgen herangezogen wurde, ohne dass dieses bei der Berechnung kurzfristiger Entgeltersatzleistungen, wie z. B. dem Krankengeld berücksichtigt wurde. Zur Neuregelung hatte das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31.12.1996 gesetzt. Mit dem Gesetz zur sozialrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 12.12.1996 (BGBl. I, 1859) war § 227 SGB V aufgehoben und - im Wesentlichen wortgleich - durch § 23 a SGB IV ersetzt worden. Als leistungsrechtlicher Ausgleich war aber nicht etwa die Möglichkeit der Mitberücksichtigung des einmalig gezahlten Arbeitsentgeltes bei der Berechnung des Krankengeldes durch entsprechende Änderung des § 47 Abs. 2 SGB V vorgesehen worden. Vielmehr sollte mit der Einführung des § 47 a SGB V seit dem 01.01.1997 ein zusätzliches Krankengeld gewährt werden. Bereits in der gemeinsamen Verlautbarung vom 16.12.1996 (DOK 1997, 140) kamen die Spitzenverbände der Krankenkassen zu der Auffassung, dass "nach Prüfung aller bisher möglichen Fallkonstellationen in der Praxis keine Fälle eines zusätzlichen Krankengeldes bzw. Übergangsgeldes denkbar" seien. Erwartungsgemäß wurde dem Bundesverfassungsgericht durch mehrere Vorlagebeschlüsse erneut Gelegenheit gegeben, zu überprüfen, ob die Regelung ab dem 01.01.1997 nunmehr verfassungskonform sei. Im Zusammenhang mit der erneuten Befassung des Gerichts mit der Problematik "Einmalzahlungen" haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger und der Sozialpartner selber einen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den die Versicherten und nicht zuletzt der Kläger ihre Dispositionen ausgerichtet haben. Denn die oben genannten Spitzenorganisationen haben mit Blick auf die Vermeidung einer Flut von Widersprüchen und Klagen am 28.07.1998 eine gemeinsame Erklärung zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Einmalzahlungen herausgegeben (vgl. hierzu z.B. BKK 1998, 524), die zum Teil auch in der überörtlichen Presse veröffentlicht und diskutiert worden ist. In dieser Erklärung haben die Spitzenverbände u.a. erklärt, dass schriftliche Widersprüche nicht erforderlich seien, um Ansprüche auf Beitragserstattungen aus dem zu erwartenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geltend zu machen. Vereinzelt haben Krankenkassen in Erklärungen ihren Versicherten nicht nur Beitragserstattungen, sondern ausdrücklich die Gewährung eines höheren Krankengeldes unter Berücksichtigung der in dem erwarteten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck gebrachten Rechtsgrundsätze zugesagt. Durch dieses Verhalten der Spitzenorganisationen, das sich die Beklagte als Mitglied des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) zurechnen lassen muss, wurden Versicherte - was unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten als durchaus sinnvoll erscheinen mag - davon abgehalten, Widerspruch und ggf. Klage gegen ergangene Krankengeldbescheide einzulegen. Daraus resultiert wiederum, dass für diese Versicherten § 47 Abs. 1 SGB V n.F. dem Wortlaut nach nicht zur Anwendung gelangen kann.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24.05.2000 sowohl die Vorschrift des § 23 a SGB IV als auch die Nichtanrechnung einmaligen Arbeitsentgelts bei der Krankengeldberechnung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 SGB V für verfassungswidrig erklärt hat, haben sich die Spitzenverbände der Krankenkassen mehrfach mit den Auswirkungen des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes in einem ausführlichen gemeinsamen Rundschreiben vom 16.02.2001 auseinandergesetzt. Zu dem sich aus ihrer Erklärung vom 28.07.1998 und der gesetzlichen Regelung in § 47 a Abs. 2 Satz 2 SGB V n.F. ergebenden Konflikt führen die Spitzenverbände unter Punkt 2.6.6 unter anderem aus:
"Die Erklärung bezog sich für die gesetzliche Krankenversicherung zwar auf beitragsrechtliche Aspekte. Es wurde aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Rechtsstreitigkeiten mit den Arbeits ämtern zur Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Berechnung von Arbeitslosengeld oder anderen Entgeltersatzleistungen unberührt bleiben. Somit ist nicht auszuschließen, dass die Erklärung bei den Versicherten den Eindruck erwecken konnte, die Krankenkassen würden die leistungsrechtliche Behandlung von Einmalzahlungen nachträglich auf der Basis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vornehmen. Außerdem haben einige Krankenkassen - zum Teil schon vor dem 28.07.1998 unter ausdrücklicher Erwähnung möglicher Krankengeldzahlungen - entsprechende Erklärungen herausgegeben. Bei Versicherten, die im Vertrauen auf die Erklärungen der Sozialversicherungsträger auf die Einlegung von Widersprüchen gegen die Krankengeldberechnung verzichtet haben, können die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegeben sein. Es sollte daher auf Antrag der Versicherten im Einzelfall geprüft werden, ob ihnen dieser Anspruch einzuräumen ist."
Wie die Spitzenverbände nach diesem Zitat zutreffend erkannt haben, ist es nicht akzeptabel, die Versicherten mit einer entsprechenden Verlautbarung zur Vermeidung einer Flut von Widerspruchsverfahren davon abzuhalten, ihre Rechte durch Einleitung eines Widerspruchsverfahrens zu wahren, um sich im Nachhinein auf die Bestandskraft etwaig ergangener Bescheide zu berufen. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Erklärung ausdrücklich auf beitragsrechtliche Aspekte bezogen hat. Unter entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 133, 157 BGB durften sich die in sozialversicherungsrechtlichen Aspekten in der Regel wenig geschulten Versicherten im Hinblick auf die Erklärung vom 28.07.1998 darauf verlassen, dass die Krankenkassen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht nur auf der beitragsrechtlichen, sondern auch auf der leistungsrechtlichen Ebene umsetzen, zumal der Gesetzgeber in der Neufassung des § 47 a SGB V keinen Raum für die in der Erklärung von 28.07.1998 angedachte beitragsrechtliche Lösung gelassen hat. Es darf ferner nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich die Spitzenverbände bereits in gemeinsamen Presseerklärungen vom 21.06.2000 und vom 25.08.2000 mit der hier einschlägigen Problematik der Einmalzahlungen im Hinblick auf den Beschluss vom 24.05.2000 auseinander gesetzt haben. In der zuerst genannten Presseerklärung vom 21.06.2000 haben die Spitzenverbände mitgeteilt, dass die Krankenkassen nach den nunmehr erforderlichen gesetzlichen Änderungen unverzüglich aktiv würden, so dass die Versicherten keine Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu ergreifen hätten. In der weiteren Presseerklärung vom 25.08.2000 haben sich die Spitzenverbände dafür ausgesprochen, die notwendig gewordenen Neuregelungen zur Berücksichtigung der Einmalzahlungen für alle Versicherten gleich und gerecht zu gestalten. Dabei sei eine einheitliche Lösung sowohl für diejenigen Versicherten, die gegen die bislang bestehenden Regelungen Widerspruch erhoben hätten wie auch für diejenigen Versicherten, die im Vertrauen auf Erklärungen der Krankenkassen auf die Einlegung von Widersprüchen verzichtet hätten, erforderlich. Der Vertrauensschutz gebiete es, keine Nachteile für die Versicherten entstehen zu lassen, die in der Vergangenheit keinen Widerspruch eingelegt hätten. Nach alledem wird aus der erstgenannten Presseerklärung ersichtlich, dass die Kassen nach wie vor eine Flut von Widersprüchen vermeiden wollten und die Versicherten weiterhin davon abgehalten haben, Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der Krankenkassen einzulegen. Wenn die Spitzenverbände konkret darlegen, dass die Versicherten keine weiteren Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu ergreifen hätten, so kann sich die Beklagte schlechterdings nicht mehr darauf berufen, dass sich die Erklärung vom 28.07.1998 ausdrücklich nur auf beitragsrechtliche Aspekte bezogen habe. Dies wird auch durch die Presseerklärung vom 25.08.2000 erhärtet, in der - wie oben aufgezeigt - kein Unterschied mehr zwischen leistungsrechtlicher und beitragsrechtlicher Ebene gemacht wird. Es erscheint letztlich auch widersprüchlich, dass sich die Spitzenverbände in der Presseerklärung vom 25.08.2000 für eine sogenannte "einheitliche Lösung" aussprechen und einen entsprechenden Appell an den Gesetzgeber richten, wenn sich die Beklagte als Mitglied eines Spitzenverbandes bei der Bearbeitung konkreter Leistungsfälle gegensätzlich verhält.
Andererseits sieht die Kammer im Hinblick auf die Neuregelung des § 47 a SGB V keine allgemeine Verpflichtung der Krankenkassen, von Amts wegen bereits abgeschlossene Leistungsfälle aufzugreifen und ggf. hieraus resultierende Krankengeldbeträge nachzuzahlen. Soweit aber, wie vorliegend, im Einzelfall Versicherte ihre Ansprüche nachträglich geltend machen, sind die Kassen zur Nachberechnung verpflichtet und daran auch nicht durch den Wortlaut des § 47 a Abs. 2 SGB V n.F. gehindert.
Vor dem Hintergrund, dass sich die Berufung der Beklagten auf § 47 Abs. 2 SGB V n.F. als ein zur unzulässigen Rechtsausübung führendes widersprüchliches Verhalten darstellt, bedarf die Frage, ob der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet ist oder ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (wobei allerdings die Frist des § 27 Abs. 3 SGB X nicht eingehalten worden sein dürfte), im Rahmen des hier anhängigen Rechtsstreits keiner abschließenden Entscheidung mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Kammer sah sich gehalten, die Sprungrevision gemäß § 161 Abs. 2 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
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