S 6 KN 138/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KN 138/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der am 00.00.0000 geborene Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenübernahme für das Arzneimittel Phlogenzym H hat.

Der bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Kläger leidet unter Kniegelenksverschleiß. Nach den Angaben des Klägers wurde ihm das Arzneimittel Phlogenzym H von seinem Hausarzt privatärztlich verordnet. Bei dem Arzneimittel Phlogenzym H, das sich aus den Wirkstoffen Bromelaine, Trypsin und Rutosid zusammensetzt, handelt es sich um ein Enzympräparat, das zur Behandlung traumatisch bedingter Ödeme und Entzündungen, rheumatischer Erkrankungen, aktiver Phasen von Osteoarthrosen, extraartikulärer rheumatischer Erkrankungen, Thrombophebitis und Entzündungen des Urogenitaltrakts - auch in Kombination mit Antibiotika - eingesetzt wird. Phlogenzym H wurde unter der Geltung des Arzneimittelgesetzes 1961 (AMG 1961) registriert. Es befindet sich zur Zeit in der Phase der Nachzulassung gemäß den Vorgaben des AMG 1976 und gilt als fiktiv zugelassen im Sinne des § 105 Abs. 1 AMG 1976.

Ohne Vorlage der o. g. privatärztlichen Verordnung beantragte der Kläger am 19.01.2001 bei der Beklagten die Kostenübernahme für das Medikament Phlogenzym H. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme ihrer pharmazeutischen Beratungsstelle. Dort vertrat der Sachbearbeiter T unter dem 23.01.2001 die Auffassung, dass die Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) nicht zu befürworten sei, weil es sich bei Phlogenzym H um ein Arzneimittel handele, dessen therapeutischer Nutzen umstritten sei.

Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte den Kostenübernahmeantrag des Klägers mit Bescheid vom 30.01.2001 ab. Mit seinem am 23.02.2002 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass der therapeutische Nutzen des Arzneimittels Phlogenzym in der Naturheilkunde keineswegs umstritten, sondern dort vielmehr allgemein anerkannt sei. Mit Bescheid vom 08.05.2001 wurde der Widerspruch des Klägers vom Widerspruchsausschuss der Beklagten zurückgewiesen. In Ergänzung zu den Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vertrat der Widerspruchsausschuss die Auffassung, dass es unerheblich sei, ob der therapeutische Nutzen des Arzneimittels bereits in der Naturheilkunde habe bestätigt werden können.

Mit seiner am 31.05.2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er stützt sich zur Begründung des erhobenen Anspruchs auf zu den Gerichtsakten gereichte medizinische Publikationen, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Darüber hinaus vertritt der Kläger die Auffassung, dass eine Fiktivzulassung nach § 105 Abs. 1 AMG 1976 zur Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung führe.

Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2001 zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit dem Arzneimittel Phlogenzym zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme ihrer pharmazeutischen Beratungsstelle vom 25.10.2001 zu den Akten gereicht. Dort ist die Ansicht vertreten worden, dass sich aus der mit einer Fiktivzulassung verbundenen zeitlich begrenzten Verkehrsfähigkeit nicht automatisch die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ergebe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich die Wirksamkeit des Arzneimittels bislang nicht durch kontrollierte klinische Studien habe belegen lassen.

Das Gericht hat ferner Auskünfte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingeholt. Auf den Inhalt der Auskünfte vom 23.04.2002 und vom 22.10.2002 wird Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten im Hinblick auf den Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten wie auch auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist in der Sache nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 30.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2001 ist nicht rechtswidrig, und der Kläger wird durch ihn nicht beschwert, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für das Arzneimittel Phlogenzym H, weil es nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf.

Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Gemäß § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte u. a. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 ausgeschlossen sind. Dabei besteht die Leistungspflicht der Krankenkasse jedoch nicht im Hinblick auf jede Art von Versorgung. Einschränkungen ergeben sich insbesondere aus §§ 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 SGB V. Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Der Kläger hat bereits deshalb keinen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte, weil das hier streitige Arzneimittel Phlogenzym H Tabletten nicht im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V verordnungsfähig ist. Denn es fehlt vor dem Hintergrund einer lediglich bestehenden Fiktivzulassung nach § 105 Abs. 1 AMG 1976 an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Mittels. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG wirkt sich eine Versagung der erforderlichen Zulassung zum Verkehr dahin aus, dass das Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf (BSG Urt. v. 08.03.1995 - Az.: 1 RK 8/94 SozR 3 - 2500 § 31 Nr. 3; Urt. v. 23.07.1998 - Az.: B 1 KR 19/96 R, BSGE 82, 233-238; vgl. auch Urt. v. 23.05.2000 - Az.: B 1 KR 2/99 R). Das Krankenversicherungsrecht enthält zwar keine Regelung, die die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln von der - positiven oder negativen - Zulassungsentscheidung abhängig macht. Gleichwohl können die Vorschriften des Arzneimittelrechts nicht isoliert vom SGB V betrachtet werden. Vielmehr stehen die beiden Gesetze in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander mit der Folge, dass sich eine Ablehnung der Zulassung auf die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln auswirkt. Die Voraussetzungen für die Zulassung eines Arzneimittels nach dem AMG entsprechen nämlich den Mindestvoraussetzungen, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung an eine wirtschaftliche und vor allen Dingen zweckmäßige Verordnungsweise im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V und im Sinne von Ziff. 3 AMR gestellt werden müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ergibt sich daraus, dass nicht nur die Unbedenklichkeit des zu verordnenden Arzneimittels, sondern insbesondere auch seine therapeutische Wirkung ausreichend belegt sein muss (vgl. BSG, a.a.O.). Dies setzt wiederum voraus, dass das nach dem AMG vorgesehene Zulassungsverfahren erfolgreich abgeschlossen ist. Das Zulassungsverfahren des AMG soll einerseits eine optimale Arzneimittelsicherheit verwirklichen, andererseits jedoch auch Sorge für die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels tragen (§ 1 AMG 1976). Erst durch die Zulassung wird die Unbedenklichkeit und zumindest die prinzipielle Wirksamkeit eines pharmazeutischen Produkts festgestellt. Die vom Schutzzweck des AMG 1976 angestrebte Arzneimittelsicherheit wäre nicht gewährleistet, wenn ein Arzneimittel verordnet werden dürfte, dessen Zulassung durch die zuständige Fachbehörde versagt worden ist.

Gleiches gilt für die Fälle, in denen eine Zulassung noch nicht beantragt oder über die Zulassung noch nicht abschließend entschieden worden ist. Vor dem Hintergrund, dass Phlogenzym H Tabletten nach wie vor lediglich fiktiv zugelassen sind und über die erforderliche Nachzulassung (§ 105 Abs. 3 AMG 1976) nach den vom Gericht eingeholten Auskünften des BfArM vom 23.04.2002 und vom 22.10.2002 noch nicht entschieden ist, stellt sich die Verordnung des Präparats nicht als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V dar. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen, die unter der Geltung des AMG 1976 - das sich nicht lediglich mit einem formellen Registrierungsverfahren begnügt, sondern ein materielles Prüfungsverfahren eingeführt hat - nicht erfüllt werden.

Dem steht nicht entgegen, dass für Phlogenzym H Tabletten nach wie vor eine fiktive Zulassung besteht, die nach § 105 Abs. 1 AMG zur Verkehrsfähigkeit des Präparats führt. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass sich der hier zu beurteilende Sachverhalt insoweit von den bisher vom BSG und auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschiedenen Fällen unterscheidet, als dass dort die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln, die entweder gar keine arzneimittelrechtliche Zulassung aufweisen konnten oder denen die Erstzulassung versagt worden war, beurteilt werden musste. Gleichwohl kann zur Überzeugung der Kammer eine lediglich bestehende Fiktivzulassung nach § 105 Abs. 1 AMG nicht ausreichen, um die Verordnungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen. Zum einen ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber im Rahmen des Rechtsinstituts der fiktiven Zulassung mit einer im Verhältnis zu den Vorschriften des AMG 1976 geringeren Arzneimittelsicherheit (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.04.1989 - Az.: 3 C 11/86, Pharma Recht 1989, 229-233) und auch geringeren Qualitätsstandards begnügt. Denn die Fiktivzulassung soll lediglich den Hersteller von Arzneimitteln, die keine dem AMG 1976 entsprechende Zulassung aufweisen, bis zum Jahre 2005 einen "Abverkauf" der entsprechenden Präparate ermöglichen. Wenn unter Zugrundelegung dieses Gesetzeszwecks der Vertrieb solcher Präparate möglich ist, folgt daraus jedoch nicht zwingend die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung.

Zum anderen ist ein ordnungsgemäßer Nachweis von Qualität und Sicherheit in dem dafür vorgesehenen Verfahren jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erbracht worden. Für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gilt aber, dass nicht nur die Unbedenklichkeit, sondern auch die Wirksamkeit eines Arzneimittels hinreichend sicher belegt sein muss. Dies setzt nach Auffassung der Kammer wiederum voraus, dass das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren erfolgreich abgeschlossen ist. Da - wie bereits oben ausgeführt - das Zulassungsverfahren bislang noch nicht erfolgreich durchlaufen wurde, scheidet auch eine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und damit zu Lasten der Beklagten wegen fehlender Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit aus. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen kann sich die Kammer auch nicht den Ausführungen von v.Czettritz in dem übersandten Aufsatz (Pharma Recht 1999, 1-4) anschließen, der, ausgehend von einer bestehenden Fiktivzulassung, die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bejaht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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