S 6 KN 71/02 U

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 KN 71/02 U
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente aus Anlass eines am 00.00.1992 erlittenen Arbeitsunfalls hat.

Der am 00.00.1965 geborene Kläger war am 00.00.1992 unter Tage mit Ausrichtungsarbeiten beschäftigt. Beim Vorbauen mit Einschienenhängebahn- Schienen stieß der Kläger gegen eine bereits eingebaute Schiene und erlitt eine Prellung an der Brustwirbelsäule. Infolge dieses Unfallereignisses war der Kläger bis zum 00.00.1992 arbeitsunfähig krank. Stationäre Behandlung wurde nicht veranlasst.

Am 08.06.1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Verletztenrente u.a. aufgrund des Unfallereignisses vom 00.00.1992. Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein und veranlasste ein unfallchirurgisches Gutachten des Arztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Herrn Dr. H. Dieser gelangte in einem aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten vom 10.11.1999 zu der Auffassung, dass sich aufgrund des stattgehabten Unfallereignisses messbare Folgen nicht mehr finden ließen. Es seien nämlich weder an der Halswirbel- noch an der Brustwirbelsäule posttraumatische Veränderungen erkennbar. Die vom Kläger vorgetragenen Klagen beschränkten sich auf die Halswirbelsäule, das Unfallgeschehen habe jedoch zu Verletzungen an der Brustwirbelsäule geführt. Somit seien die vom Kläger beklagten Beschwerden auf ein typisches Halswirbelsäulen-Schulter-Arm-Syndrom zurückzuführen, das jedoch als anlagebedingt zu qualifizieren sei.

Gestützt auf die vorbeschriebenen medizinischen Feststellungen lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 23.12.1999 ab. Der hiergegen am 03.01.2000 erhobene Widerspruch wurde mit einem Attest des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Umweltmedizin Dr. S aus H1 begründet, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.

Mit Bescheid vom 12.02.2002 wurde der Widerspruch des Klägers vom Widerspruchsausschuss der Beklagten unter Bezugnahme auf die medizinischen Ermittlungen im Feststellungsverfahren zurückgewiesen. Soweit im Übrigen Dr. S in seinem Attest vom 21.03.2000 Beschwerden im Bereich des linken Handgelenks beschrieben habe, könnten diese nicht das Unfallereignis aus dem Jahre 1992 betreffen.

Mit seiner am 14.03.2002 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er nimmt Bezug auf eine weitere fachärztliche Bescheinigung des Dr. S vom 12.03.2002, auf dessen Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2002 zu verurteilen, ihm aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 00.00.1992 Verletztenrente nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

Das Gericht hat von dem Arzt für Orthopädie Dr. H2 einen Befundbericht eingeholt. In seinem Bericht vom 26.06.2002 hat Dr. H2 mitgeteilt, den Kläger zuletzt am 01.10.1993 behandelt zu haben und die Diagnosen "Bandscheibenprotrusion in Höhe C 3 / C 4 mehr betont als C 4 / C 5" sowie "Cervicobrachialgie" erhoben.

Auf Antrag des Klägers hat sodann der Arzt für Neurologie Dr. C unter Hinzuziehung von Herrn Dipl.-Psych. N L ein Gutachten im Hinblick auf das stattgehabte Unfallereignis erstellt (§ 109 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).In seinem Gutachten vom 12.03.2003 hat der Sachverständige Dr. C zunächst Bewertungen im Hinblick auf den Nutzen der Positronen-Emmissions-Tomographie (PET) abgegeben und sich sodann zu den Belastungen von Bergleuten unter Tage durch PCB und andere Giftstoffe geäußert. Er hat ferner unter Verwertung einer von Herrn Dipl.-Psych. L durchgeführten psychometrischen Untersuchung die Auffassung geäußert, dass sich beim Kläger erhebliche Leistungsschäden und eine deutliche Wesensänderung - verursacht durch hohe toxische Belastungen, vor allem durch PCB - hätten objektivieren lassen. Nach den vorliegenden Unterlagen sei nicht zu erkennen, dass die Berufsgenossenschaft die ihr längst bekannte PCB-Belastung des Klägers auch nur erwähnt, geschweige denn angemessen erklärt und mit medizinischen Befunden die Folgen dokumentiert habe, wie es zu den selbstverständlichen Pflichten einer BG gehöre. Im Hinblick auf das Unfallereignis vom 00.00.1992 hat der Sachverständige sodann die Ansicht geäußert, dass vor dem Unfall offensichtlich schon Nerven- und Muskelschäden durch toxische Stoffe - insbesondere PCBs - vorgelegen hätten. Der Unfall habe diese Symptome verstärkt. Gleichwohl sei es nicht möglich abzutrennen, welche Schäden durch den Unfall allein entstanden seien. Nach dem Mechanismus und den Erstbescheinigungen der Verletzungsfolgen sei der Anteil des Unfalls am Gesamtgeschehen zu vernachlässigen, insgesamt seien jedoch die Schäden sehr schwer. Es lägen nicht nur schwere Muskel- und Nervenschäden vor, sondern auch ein schwerer Hirnschaden, der sowohl durch die Anamnese, die Psychometrie als durch das PET eindeutig erwiesen sei. Dieser Hirnschaden passe auch zur langjährigen Arbeit, vor allem mit PCB-Exposition, aber auch zu anderen typischen Expositionen in einem Bergwerk. Insgesamt sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach Aufgabe der Arbeit mit 100 anzusetzen.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die vorgelegen haben und ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen - insbesondere Verletztenrente - aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 00.00.1992. Vor diesem Hintergrund ist der Bescheid der Beklagten vom 23.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2002 nicht rechtswidrig, und der Kläger wird durch ihn nicht beschwert, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Unabhängig davon, ob sich der erhobene Anspruch nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) oder nach §§ 580, 581 Reichsversicherungsordnung (RVO) bestimmt, ist zur Gewährung von Verletztenrente das Vorliegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H. erforderlich, es sei denn, die Erwerbsfähigkeit ist infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und die daraus resultierenden Vom-Hundert-Sätze erreichen wenigstens die Zahl 20, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. mindern (sogenannte "Stützrentensituation"). Notwendig ist hierbei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallgeschehen einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen dem Unfallgeschehen und dem Personenschaden andererseits (haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen der Personenschaden, die versicherte Tätigkeit und das Unfallgeschehen einschließlich dessen Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht.

Zur Überzeugung der Kammer ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers aufgrund des am 00.00.1992 erlittenen Arbeitsunfalls nicht gemindert. Das ergibt sich aus den überzeugenden Feststellungen des von der Beklagten gehörten Gutachters Dr. H, denen sich die Kammer nach eigener Überprüfung voll umfänglich anschließt. Der Beweiswert dieses im Wege des Urkundsbeweises (§ 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 415 ff. ZPO) verwerteten Gutachtens wird nicht dadurch gemindert, dass es im Auftrag der Beklagten erstattet worden ist. Denn Dr. H ist gegenüber der Beklagten nicht weisungsgebunden, sondern vielmehr ausschließlich seinem ärztlichen Wissen verpflichtet. Als qualifizierter und auch für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit tätiger Facharzt verfügt er über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, um die funktionellen Auswirkungen der beim Kläger vorliegenden Erkrankungen bzw. Unfallfolgen korrekt beurteilen zu können.

Gestützt wird die Einschätzung des Dr. H durch den Befundbericht des den Kläger jedenfalls bis 1993 behandelnden Arzt Dr. H2, der bei dem Kläger sowohl eine Cervicobrachialgie als auch Bandscheibenprotrusionen an den Etagen C 3 / C 4 sowie C 4 / C 5 diagnostiziert hat. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger ausweislich der Durchgangsarztberichte vom 06.03.1992 und vom 13.03.1992 sowie der Nachschauberichte vom 23.03.1992 und vom 06.04.1992 Prellungen an der Brustwirbelsäule erlitten hat, ergeben sich auch unter Zugrundelegung der Feststellungen des Dr. H2 keine Hinweise für unfallbedingte Schädigungen der Brustwirbelsäule.

Demgegenüber ist das von dem Sachverständigen Dr. C erstattete Gutachten vom 12.03.2003 nicht geeignet, zu einer dem Kläger günstigeren Rechtsfolge zu gelangen, sondern zur Überzeugung der Kammer gänzlich unverwertbar. Abgesehen davon, dass sich der Sachverständige Dr. C schwerpunktmäßig auf angeblich im Bergbau vorhandene Expositionen durch Giftstoffe und dadurch hervorgerufene Nerven-, Muskel- und Hirnschäden kapriziert, werden die gestellten Beweisfragen oberflächlich und in sich widersprüchlich beantwortet. Einerseits hat er nämlich herausgestellt, dass die beim Kläger seiner Auffassung nach vorhandenen Nerven- und Muskelschäden durch den Unfall verstärkt worden seien, wobei er freilich eine dezidierte Abgrenzung unterlassen hat. Andererseits hat der Sachverständige die Ansicht geäußert, dass unter Zugrundelegung des Unfallmechanismus und der Erstbescheinigungen der Verletzungsfolgen der Anteil des Unfalls am Gesamtschaden zu vernachlässigen sei. Diese Ausführungen hat die Kammer so verstanden, dass der Unfall letztlich Symptome verstärkt haben soll, die dann jedoch zu vernachlässigen seien.

Unabhängig von der fehlenden inhaltlichen Nachvollziehbarkeit und Stringenz hat die Kammer jedoch auch deshalb Bedenken an der Verwertbarkeit des Gutachtens, weil im Hinblick auf den Sachverständigen Dr. C die Besorgnis der Befangenheit bestehen dürfte § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 406 Abs. 1 Satz 1,41, 42 ZPO). Ein Gutachten kann als Beweismittel nämlich auch ohne ausdrückliche Ablehnung des Sachverständigen durch einen oder mehrere Beteiligte wegen einer Besorgnis der Befangenheit unverwertbar sein. Das gilt insbesondere dann, wenn in der Person eines Sachverständigen ein Ablehnungsgrund vorliegt, den ein Beteiligter bei Kenntnis geltend gemacht hätte (BSG, Urteil vom 11.12.1993 - Az.: 9 a RV 6/92; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 118, Rd-Nr. 12r; Wenner/ Terdenge/Martin, Grundzüge der Sozialgerichtsbarkeit, Rd-Nr. 425). Im Rahmen der materiellen Prüfung kommt es nicht darauf an, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige tatsächlich befangen ist oder sich selber für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob objektive Gründe vorliegen, die einem ruhig und vernünftig abwägenden Beteiligten Anlass geben könnten, an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen zu zweifeln.

Diese Voraussetzungen sind aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. C in seinem Gutachten erfüllt. Auf Seite 2 seines Gutachtens hat der Sachverständige ausgeführt: "Das PET steht derzeit nicht auf der Leistungsliste der Krankenkassen und der Berufsgenossenschaften sowieso nicht, offensichtlich aufgrund seiner hohen Genauigkeit." Auf Seite 10 findet sich die Äußerung: "Somit sind zwar die Schäden oft schon während der Arbeit bei angemessener Untersuchung festzustellen, aber sie werden oft aufgrund der ungenügenden Aufklärung der Arbeiter und ihrer Ärzte nicht aufgedeckt. Hier wäre für die BGs ein weiteres Arbeitsfeld, nachdem sie von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, die Aufklärung sehr stark behindert haben. (Ich verzichte darauf, meine Erfahrung aus den letzten 20 Jahren mit Fotokopien von BG und Gerichtsäußerungen zu dokumentieren.)." Bereits diese beiden Äußerungen dokumentieren, dass der Sachverständige unter objektiven Gesichtspunkten nicht in der Lage war, sein Gutachten unparteilich und unvoreingenommen zu erstatten. Insbesondere der Umstand, dass er den Berufsgenossenschaften und damit der Beklagten eine ausgeprägte Behinderungstaktik im Hinblick auf die sachgerechte Aufklärung von toxischen Einwirkungen an Arbeitsstätten vorwirft - der im Übrigen inhaltlich durch nichts belegt wird - zeugt von einer generellen Einstellung des Sachverständigen gegenüber Berufsgenossenschaften.

Auch die Aussage des Sachverständigen, dass die Beklagte die ihr angeblich längst bekannte PCB-Belastung des Klägers auch nur erwähnt, geschweige denn angemessen erklärt und mit medizinischen Befunden die Folgen dokumentiert habe (Seite 6 des Gutachtens) zeigt, dass er der Beklagten bzw. den dort tätigen Mitarbeitern nicht nur ein fahrlässiges Versäumnis, sondern vorsätzliches Unterlassen unterstellt hat. Diese Äußerung stellt sich zur Überzeugung der Kammer ebenfalls als Ausfluss einer generellen (negativen) Einstellung des Sachverständigen Dr. C den Berufsgenossenschaften gegenüber dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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