S 10 U 206/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 206/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld wegen eines bei ihm aufgetretenen Risses im Innenmeniskus.

Der Kläger ist selbständiger Taxifahrer und zog sich am 00.00.1999 beim Aussteigen aus seinem Taxi eine Zerrung im linken Kniegelenk zu. Er wurde von der behandelnden Orthopädin Dr. I fortlaufend bis zum 23.08.1999 arbeitsunfähig krank geschrieben. Bei einer Kernspintomographie am 08.06.1999 wurde ein kräftiger Riss des Innenmeniskushinterhorns mit Verdacht auf angrenzende Kapselruptur bei ausgeprägten Knorpelschäden festgestellt. In einem Gutachten für die Beklagte vom 28.09.1999 mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 03.11.1999 vertrat der Chirurg Dr. C die Ansicht, dass der Meniskusschaden verschleißbedingt entstanden sei. Die am 00.00.1999 erlittene Zerrung habe allenfalls eine Arbeitsunfähigkeit von drei Wochen bewirkt. Die Beklagte zog noch die Unterlagen bezüglich eines früheren Arbeitsunfalls des Klägers vom 00.00.1982 bei. Damals war beim Kläger der linke Innenmeniskus gerissen. Im Rahmen der damals durchgeführten Begutachtungen wurden beim Kläger eine beidseitig bestehende Kniescheibendeformität und beginnende degenerative Veränderungen in beiden Kniegelenken festgestellt. Der Kläger gab damals auch Schmerzen im rechten Kniegelenk an. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 26.01.2000 das Ereignis am 00.00.1999 als Arbeitsunfall an und bewilligte dem Kläger Verletztengeld bis zum 23.05.1999. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch ließ die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000 zurück.

Mit der am 25.08.2000 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Verletztengeldanspruch weiter. Er beruft sich auf das Ergebnis der auf seinen Antrag gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durchgeführten Beweisaufnahme und beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Verletztengeld bis zum 23.08.1999 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält einen unfallbedingten Meniskusschaden nicht für nachgewiesen und beruft sich dabei auf eine von ihr vorgelegte Stellungnahme von Dr. P vom 15.01.2002.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholen eines Gutachtens von dem Chirurgen Dr. L in H. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 15.02.2001 zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger am 00.00.1999 keinen Unfall erlitten habe. Es sei lediglich bei dieser Gelegenheit infolge eines vorbestehenden Verschleißprozesses im rechten Kniegelenk zu einem Schmerzzustand gekommen. Auf Antrag des Klägers ist ein weiteres Gutachten eingeholt worden von Dr. T, der den Kläger am 01.06.2000 ein arthroskopisch operiert hatte. Dabei hatte sich ein ausgedehnter Innenmeniskusschaden gezeigt "bei proximaler Anheftungsinsuffizienz des vorderen Kreuzbandes und ausgedehnten Knorpelschäden." Der Sachverständige nahm in seinem Gutachten vom 13.10.2001 einen unfallbedingten Meniskusriss an, weil es damals auch zu einem Kapselriss und zu einem damals nicht bemerkten proximalen Kreuzbandriss gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten. Alle diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. In der Sache selbst ist sie jedoch nicht begründet. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und der Kläger dadurch nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztengeld über den 23.05.1999 hinaus, da die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf einem Innenmeniskusriss beruht, der nicht Folge eines am 00.00.1999 erlittenen Arbeitsunfalls ist.

Nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausallehre muss der Gesundheitsschaden durch die äußere Einwirkung zumindest wesentlich mitverursacht sein. Ob das Unfallereignis die Entstehung des Gesundheitsschadens im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre mitverursacht hat, richtet sich in derartigen Fällen danach, ob das Unfallereignis eine wesentliche Bedingung für das Entstehen des Gesundheitsschadens oder ob eine vorhandene Schadensanlage von überragender Bedeutung und damit die alleinige Ursache war. Das Vorhandensein einer Anlage schließt alleine nicht aus, den Körperschaden als durch das Unfallereignis mitverursacht anzusehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss in dem Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit diejenigen einer bereits vorhandenen Schadensanlage zu vergleichen und abzuwägen ist, darauf abgestellt werden, ob die Schadensanlage so stark und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende ähnliche gelagerte Ereignis zu etwa derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (BSGE 62,220; Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, § 8 SGB VII Rd. 9.3.1).

Im vorliegenden Fall hat sich der Innenmeniskusschaden des Klägers bei einem alltäglich häufig vorkommenden Bewegungsablauf schmerzhaft bemerkbar gemacht. Das Aussteigen aus einem Auto mit der dabei erforderlichen Drehbewegung ist eine alltägliche Belastung, die schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht geeignet erscheint, einen Meniskus zum Zerreißen zu bringen. Die Kammer hatte daher keine Bedenken, sich der Zusammenhangsbeurteilung von Dr. C in dessen urkundsbeweislich gewürdigten Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren sowie der Beurteilung des Gerichtssachverständigen Dr. L in dessen Gutachten vom 15.02.2001 anzuschließen. Diese Beurteilung entspricht auch der herrschenden medizinischen Auffassung (vgl. Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6. Auflage S. 641 ff.). Danach kommen als geeignete Hergänge für die Verursachung eines Innenmeniskusrisses nur in Betracht entweder

1. Ein Drehen des Oberschenkels gegen den Unterschenkel bei fixiertem Fuß bzw. der umgekehrte Hergang,

2. ein Ausrutschen oder Stolpern mit gewaltsamen Knicken des betroffenen Kniegelenkes zur Innenseite,

3. eine Stauchung des Kniegelenkes durch nicht geplanten Sprung aus der Höhe mit muskulär nicht kontrollierbarer Belastung der Beinmuskulatur bzw.

4. eine übermäßige Auswärtsdrehung des Unterschenkels bei stark gebeugtem Knie mit anschließender überstürzter Streckung.

Das für den Kläger günstige Gutachten seines behandelnden Arztes Dr. T setzt sich mit diesem Erfordernissen nicht auseinander und kann deswegen nicht überzeugen. Auch die weitere Argumentation dieses Arztes ist nicht überzeugend. Er behauptet, dass 1999 im Rahmen der Kernspinuntersuchung ein Kapselriss der medialen Gelenkkapsel festgestellt worden sei. Tatsächlich heißt es in dem Bericht über die Kernspintomographie jedoch nur, dass ein solcher Verdacht bestanden habe. Ebenso unterstellt er, dass damals ein vorderer Kreuzbandriss übersehen worden sei. Die naheliegende Erklärung, dass ein Riss des Kreuzbandes damals tatsächlich noch nicht vorlag, sondern sich erst in den zwei Jahren bis zu der von ihm durchgeführten Arthroskopie entwickelt hat, wird von dem Arzt überhaupt nicht in Betracht gezogen. Ebenfalls berücksichtigt der auf Antrag des Klägers gehörte Sachverständige nicht die schon viele Jahre vorher gutachtlich nachgewiesene Degeneration des rechten Kniegelenkes und die ebenfalls schon früher nachgewiesene Kniescheibendeformität als Ursachen für den Meniskusschaden. Auch das Fehlen einer für einen Meniskusriss und einen Kreuzbandriss sprechenden klinischen Symptomatik wird in dem Gutachten von Dr. T nicht gewürdigt. Eine Erklärung für das Phänomen, dass es ohne besondere Gewalteinwirkung auf das Knie zu mehrfachen Rissen im Kniegelenk kommen kann, bleibt der Sachverständige ebenfalls schuldig. Folgt man dem Gutachten von Dr. T, dann ist nicht nur die Teilnahme am Straßenverkehr gefährlich, sondern gerade das Verlassen des PKW nach einer Fahrt ist ein extrem gesundheitsgefährdender Vorgang. Bisher ist aber von keiner Seite die Forderung erhoben worden, dass sich die Autohersteller neben Airbag und Knautschzonen bevorzugt um die Gestaltung der Autotüren kümmern müssten, damit die vielen Meniskus-, Kapsel- und Kreuzbandrisse beim Aussteigen verhindert werden. Eine auffällige Häufung derartiger Risse beim Aussteigen aus PKWs ist nämlich tatsächlich nicht zu verzeichnen. Die Sicht des Sachverständigen Dr. T ist weder mit der Lebenserfahrung noch mit der oben zitierten medizinischen Lehrmeinung vereinbar.

Die Kostenentscheidung der nach alledem unbegründeten Klage beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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