L 4 R 904/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 39 R 387/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 R 904/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 80/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage des gleichzeitigen Bezugs von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Entgeltersatzleistungen wegen Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.11.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer Aufhebung eines Rentenbescheides wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum 1.10.2010 bis 30.9.2012 sowie die Rückforderung des Überzahlbetrages in Höhe von 8.770,39 Euro streitig.

Der 1952 geborene Kläger erlernte von September 1966 bis Mai 1969 den Beruf des Drahtziehers, absolvierte von September 1969 bis August 1972 die Ingenieurschule für Walzwerk- und Hüttentechnik Riesa mit dem Abschluss eines Ingenieurs für Technologie des Schmiedens, Pressens und Ziehens und war in der Folge als Schichtleiter, Schicht-meister, Gruppenleiter Produktion und Leitingenieur in einem Kaltwalzenwerk versiche-rungspflichtig beschäftigt. Auf seinen Antrag vom 20.9.2005 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 5.1.2006 beginnend ab dem 1.9.2005 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Mit Schreiben vom 9.7.2009 informierte die Bundesagentur für Arbeit die Beklagte, dass der Kläger am 4.7.2009 Arbeitslosengeld beantragt habe und sich ein Anspruch mit einer täglichen Leistungshöhe von 42,40 Euro für den Zeitraum 4.7.2009 bis 2.1.2011 für ins-gesamt 540 Kalendertage ergebe. Mit Schreiben vom 30.7.2009 teilte die Krankenkasse der Beklagten mit, dass der Kläger bis zum 3.7.2009 Krankengeld erhalten habe.

Am 1.10.2009 nahm der Kläger eine bis zum 30.9.2010 andauernde Tätigkeit als Büro-kaufmann auf, meldete sich am 21.9.2010 bei der Bundesagentur für Arbeit erneut ar-beitslos und beantragte mit Wirkung zum 1.10.2010 Arbeitslosengeld. Im Antragsformular der Bundesagentur gab er an, dass er von der Beklagten eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung voraussichtlich bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres erhalte.

Mit Bescheid vom 9.12.2009 berechnete die Beklagte die bisherige Rente des Klägers wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.4.2009 neu. Für die Zeit ab dem 1.1.2010 würden monatlich 370,84 Euro gezahlt. Für die Zeit vom 1.4.2007 bis zum 31.12.2009 betrage die Nachzahlung 1.112,52 Euro. Gründe für die Neuberechnung seien zum einen die Änderung des Hinzuverdienstes und die Durchführung einer Rentenanpassung und zum anderen, dass sich die mit der Rente zusammentreffenden anderen Ansprüche ge-ändert haben und ein anderer Beitragssatz zur Krankenversicherung maßgeblich gewor-den sei. Mit Bescheid vom 14.10.2010 stellte die Beklagte die Rente des Klägers wegen teilweiser Erwerbsminderung neu fest. Die Rente beginne am 1.1.2006 und werde längstens bis zum 30.11.2017, dem Erreichen der Regelaltersgrenze, gezahlt. Für die Zeit ab dem 1.11.2010 würden monatlich 379,39 Euro gezahlt. Die Nachzahlung für die Zeit vom 1.1.2006 bis zum 31.10.2010 betrage 127,51 Euro. Die Rente werde neu festgestellt, weil sich die Beitragszeiten vom 1.7.1990 bis zum 31.12.1990 und vom 17.11.2003 bis zum 18.11.2003 geändert hätten. Die Bescheide vom 9.12.2009 und 14.10.2010 enthielten jeweils ab Seite 4 Hinweise zu Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass auch Sozialleistungen als Einkommen der Beklagten gegenüber unverzüglich mitzuteilen wären, wobei exemplarisch die Entgeltersatzleistungen Krankengeld, Übergangsgeld und Arbeitslosengeld aufgezählt wurden. Im Fragebogen der Beklagten zur Nachprüfung der weiteren Rentenberechtigung machte der Kläger am 4.10.2010 zum Bezug bzw. zum An-tragsdatum von Erwerbsersatzeinkommen, wie z. B. Krankengeld, Übergangsgeld und Arbeitslosengeld, keine Angaben (vgl. Bl. 243 der Verwaltungsakte).

Ab dem 1.10.2010 bezog der Kläger von der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld I und von seiner Krankenkasse ab dem 25.11.2010 Krankengeld und ab dem 1.2.2012 Übergangsgeld. Eine Mitteilung hierüber an die Beklagte erfolgte nicht. Durch einen Datenabgleich vom 5.6.2012 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger ab dem 1.10.2010 eine Entgeltersatzleistung wegen Arbeitslosigkeit und ab dem 25.11.2010 eine Entgeltersatzleistung wegen Arbeitsunfähigkeit (Arbeitslosengeld I und Krankengeld) er-halten hat. Mit Schreiben vom 9.7.2012 teilte die Krankenkasse der Beklagten mit, dass der Kläger seit dem 25.11.2010 bis zum 11.4.2012 Krankengeld bezogen hat. Mit Schrei-ben vom 27.7.2012 informierte die Agentur für Arbeit die Beklagte entsprechend über den Bezug von Arbeitslosengeld I ab dem 1.10.2010 bis zum 24.11.2010 mit einem täglichen Bemessungsregelentgelt von 101,42 Euro.

Daraufhin hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 15.8.2012 hinsichtlich der beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 14.10.2010 mit Wirkung ab dem 1.10.2010 sowie der beabsichtigten Rückforderung der Überzahlung für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 31.8.2012 in Höhe von 8.770,39 EUR an. Auf die Anhörung teilte der Kläger der Beklagten mit, ihm sei nach Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses zum 30.9.2010 seitens der Agentur für Arbeit versichert worden, dass sämtliche Änderungsmit-teilungen automatisch an die Rentenversicherung weitergeleitet würden. Nach längerer Krankheit habe er auf Anfrage die gleiche Information auch von seiner Krankenkasse er-halten, weshalb er der Annahme gewesen sei, dass für ihn selbst kein Handlungsbedarf bestehe.

Daraufhin berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2012 die Rente wegen teilwei-ser Erwerbsminderung ab dem 1.10.2010 neu und forderte für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 30.9.2012 eine Überzahlung von 8.770,39 EUR vom Kläger zurück. Als Gründe für die Neuberechnung der Rente ab dem 1.10.2010 gab die Beklagte an, dass sich der Hinzu-verdienst geändert habe, der Betrag der Monatsrente neu zu ermitteln gewesen sei, sich die mit der Rente zusammentreffenden anderen Ansprüche geändert haben und ein an-derer Beitragssatz zur Krankenversicherung maßgebend wäre. Die Rente werde ab dem 1.10.2010 (Rentenbeginn) nicht gezahlt. In Anlage 10 des Bescheides führte die Beklagte an, dass der Rentenbescheid vom 14.10.2010 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1.10.2010 nach § 45 SGB X zurückzunehmen und die entstandene Überzahlung nach § 50 SGB X zu erstatten sei. Die Rücknahme des Rentenbescheides sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil sich der Kläger auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides nicht berufen könne (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X) und zum anderen die Fristen des § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keinem anderen Ergebnis. Die im Rahmen der Anhörung vom Kläger aufgeführten Gründe seien bei der Vertrauensschutz-prüfung sowie bei der Ausübung des Ermessens beachtet worden, jedoch nicht dazu ge-eignet, von einer Rücknahme des Bescheides abzusehen. Aufgrund der vom Kläger ge-gebenen Informationen habe er die Fehlerhaftigkeit des Bescheides gekannt bzw. erken-nen müssen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Den gegen den Bescheid vom 17.9.2012 vom Kläger am 16.10.2012 ohne nähere Be-gründung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.2.2013 zurück.

Hiergegen hat sich die am 14.3.2013 zum Sozialgericht Chemnitz erhobene Klage gerich-tet. Der Kläger hat angeführt, dass er nicht nachvollziehen könne, warum er den Betrag der gezahlten Rente zurückzahlen müsse. Alle Angaben seien der Beklagten bekannt gewesen. In formeller Hinsicht sei zu rügen, dass die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten nicht dem Begründungserfordernis des § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X entsprächen. Anhand der streitgegenständlichen Bescheide müsse aus der Begründung ersichtlich werden, welche tatsächlichen und rechtlichen Gründe für die Entscheidung wesentlich gewesen sind. Die Begründung dürfe sich nicht in formelhaften Floskeln oder in Wieder-holungen des gesetzlichen Tatbestandes erschöpfen. Die Begründung des Verwaltungs-aktes müsse zumindest aus Sicht eines nichtbeteiligten Dritten ermöglichen, dass die Entscheidung nachprüfbar sei, was nicht der Fall wäre. Nach den Ausführungen des Wi-derspruchsbescheides werde lediglich angeführt, dass der Bescheid nicht zu beanstanden sei. Eine derartige Begründung reiche nicht aus, um nachvollziehen zu können, was die Beklagte dazu bewogen habe, eine Rückforderung in Höhe von insgesamt 8.770,39 EUR zu seinen Lasten geltend zu machen. Selbst bei Hinzuziehung des Ausgangsbescheides vom 17.9.2012 und dessen Anlagen werde nicht klar, warum die Hinzuverdienstgrenzen überschritten worden sein sollen. Auch in materieller Hinsicht seien die streitgegenständli-chen Bescheide rechtswidrig. Der Kläger meine sich erinnern zu können, dass er beim Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld und der Arbeitslosmeldung auf den Renten-bezug hingewiesen habe. Er sei davon ausgegangen, dass die Agentur für Arbeit die Be-klagte hierüber informiere. Ähnlich müsse es sich bei der Beantragung von Krankengeld abgespielt haben. Nach alldem sei ihm entgegen der Auffassung der Beklagten kein grob fahrlässiges Fehlverhalten zur Last zu legen. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bislang kein Ermessen ausgeübt. Die bisherigen Ausführungen stellten keine Abwägung zwischen seinem Individualinteresse am Behaltendürfen der bezogenen Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und dem öffentlichen Interesse an einer sparsamen Verwendung der Versicherungsleistungen dar.

Das Sozialgericht hat nach Beiziehung von Zweitschriften der entscheidungserheblichen Bescheide und Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.11.2014 abgewiesen. Der Bescheid vom 17.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2013 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er entspreche dem formellen Begründungserfordernis des § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X. In Anlage 10 des Bescheides vom 17.9.2012 liege eine Begründung der Bescheidaufhebung vor, in dem die Beklagte dem Kläger die gesetzliche Grundlage und die zur Aufhebung führenden wesentlichen Gründe mitgeteilt habe. Insbesondere ergebe sich, welche Voraussetzungen des § 45 SGB X durch die Beklagte als erfüllt angesehen worden. In Anbetracht des nicht näher begründeten Widerspruchs sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, im Widerspruchsbescheid die im Rücknahmebescheid angegebenen Gründe nochmals zu wiederholen. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Rentenbescheid über die Neufeststellung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vom 14.10.2010 für die Vergangenheit ab dem 1.10.2010 aufzuheben bzw. zurückzunehmen. Hinsichtlich des Bezuges von Krankengeld ab dem 25.11.2010 sowie des Übergangsgeldes ab dem 1.2.2012 sei die Aufhebung bereits auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 SGB X zu stützen. Der Kläger habe weder den Bezug von Krankengeld ab dem 25.11.2010 noch den Bezug von Übergangsgeld ab dem 1.2.2012 gegenüber der Beklagten trotz der bekanntgegebe-nen Mitteilungspflichten angegeben. Sowohl im Bewilligungsbescheid vom 9.12.2009 als auch im Bescheid vom 14.10.2010 sei ausdrücklich erwähnt worden, dass zum unverzüg-lich der Beklagten mitzuteilenden Einkommen auch Sozialleistungen wie Krankengeld, Übergangsgeld und Arbeitslosengeld zählten. Der Kläger selbst habe ausweislich der im Bescheid angeführten Mitteilungspflichten dieses Einkommen gegenüber der Beklagten mitzuteilen und handele grob fahrlässig, wenn er ohne Mitteilung gegenüber der Beklagten davon ausgehe, den Bezug von Sozialleistungen würden andere Sozialleistungsträger der Beklagten zur Kenntnis geben. Im Übrigen handele es sich beim Bezug von Krankengeld ab dem 25.11.2010 sowie von Übergangsgeld ab dem 1.2.2012 um Einkommen, welches nach Antragstellung oder Erlass des aufgehobenen Rentenbescheides vom 14.10.2010 erzielt worden sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Auf Bösgläubigkeit oder Verschulden des Leistungsbeziehers käme es im Rahmen dieser Tatbestandsalternative nicht an. Hinsichtlich des Bezugs von Arbeitslosengeld ab dem 1.10.2010 sei Anspruchsgrundlage für die Rücknahme des Bescheids § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, 3 SGB X. Hinsichtlich des ab 1.10.2010 bezogenen Arbeitslosengeldes, welches der Rentenbescheid vom 14.10.2010 nicht berücksichtigt habe, sei der den Kläger begünstigende Bescheid von Anfang an rechtswidrig gewesen. Vor Erlass des Bescheides vom 14.10.2010 habe der Kläger im Rahmen der formalen Nachprüfung der weiteren Rentenberechtigung mit Schreiben vom 4.10.2010 keine Angaben hinsichtlich des Bezugs bzw. der Antragstellung von Erwerbsersatzeinkommen wie Arbeitslosengeld getätigt. Diese jedenfalls grob fahrlässig unvollständig getätigten Angaben hätten zu dem Rentenbescheid vom 14.10.2010 geführt, der den tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld nicht berücksichtigt habe. Dem Kläger sei insoweit jedenfalls grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Rentenbescheides vom 14.10.2010 vorzuwerfen. Darüber hinaus habe die Beklagte in der Begründung der Anlage 10 zur Bescheidaufhebung vom 17.9.2012 Ermessenserwägungen angestellt. Die im Rahmen der Anhörung des Klägers vorgetragenen Gründe seien bei der Vertrauensschutzprüfung und der Ermessensaus-übung beachtet worden. Die vom Kläger angeführten wesentlichen Umstände seien aus-weislich der Begründung in Anlage 10 berücksichtigt worden.

Gegen den am 24.11.2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 1.12.2014 zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers. Seiner Ansicht nach dürfe es wohl so sein, dass die Rückforderung darauf gestützt werde, dass nach Ablauf des befristeten Beschäftigungsverhältnisses am 4.10.2010 die Beklagte keine Kenntnis vom Bezug von Arbeitslosengeld und vom Bezug von Krankengeld gehabt habe. Der Kläger meine sich jedoch erinnern zu können, dass er beim Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld und der Arbeitslosmeldung auf den Rentenbezug hingewiesen habe. Er sei davon ausgegangen, dass die Agentur für Arbeit die Beklagte hierüber informiere. Ähnlich müsse es sich beim Antrag auf Krankengeld abgespielt haben. Ihm sei mithin kein grob fahrlässiges Fehlverhalten zur Last zu legen. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bislang kein Ermessen ausgeübt. Ihre Ausführungen stellten keine Abwägung zwischen seinem Individualinteresse am Behaltendürfen der bezogenen Rente und dem öffentlichen Interesse an einer sparsamen Verwendung der Versicherungsleistungen dar. Das Sozialgericht habe sich auch nicht mit den Ausführungen im Klagebegründungsschriftsatz vom 18.10.2013 und den dort aufgeführten Beweisangeboten auseinandergesetzt. Zudem verweist der Kläger darauf, dass die Bundesagentur für Arbeit der Beklagten mitgeteilt habe, dass er im Zeitraum 4.7.2009 bis 2.11.2011 im Bezug von Arbeitslosengeld gestan-den hat. Die Beklagte habe daraufhin mit Schreiben vom 10.8.2009 erklärt, dass "ein Er-stattungsanspruch nicht geltend gemacht wird". Anhand dieses Schriftstückes sei nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs für den Fall, dass erneut Arbeitslosengeld bezogen wird, vorbehalten hat. Der Kläger meint, dass die Beklagte mit ihrem Rückforderungsbegehren präkludiert sei. Er verweist insoweit auf § 107 Abs. 2 SGB X.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 20.11.2014 und den Be-scheid der Beklagten vom 17.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2013 bezüglich der Aufhebung seiner Rente wegen teilweiser Erwerbsminde-rung für den Zeitraum 1.10.2010 bis 30.9.2012 aufzuheben.

Der Kläger hat des Weiteren beantragt, die Bundesagentur für Arbeit und die Kranken-kasse zum Verfahren beizuladen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der Kläger habe vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht. Er habe Kenntnis darüber gehabt, dass er die Beklagte über die Änderung seiner Einkommensverhältnisse und somit auch über den Bezug von Arbeitslosengeld und Krankengeld informieren müsse. Es komme nicht darauf an, ob er der Annahme war, dass jemand anderes diese Mitteilung für ihn vornehmen werde. Ihn selbst treffe die Beweislast, da er seiner Informations- und Mitteilungspflicht nicht nachgekommen wäre. Ihm sei insoweit zumindest grobe Fahrläs-sigkeit vorzuwerfen.

Dem Senat haben die Akten der Bundesagentur für Arbeit, sowie die Akten der Kranken-kasse vorgelegen.

Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht be-gründet. Mit Recht und - weitgehend - zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 17.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.2.2013 bezüglich der Aufhebung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum 1.10.2010 bis 30.9.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminde-rung für den Zeitraum 1.10.2010 bis zum 30.9.2012, so dass die Beklagte berechtigt ge-wesen ist, mit den angefochtenen Bescheiden die Rentengewährung aufzuheben und eine Überzahlung in Höhe von 8.770,30 Euro zur Erstattung zu fordern. Eine Beiladung der Bundesagentur für Arbeit und der Krankenkasse nach § 75 SGG war weder notwendig noch einfach erforderlich. Weder erging die vorliegende Entscheidung einheitlich gegen die Beteiligten und die vom Kläger zur Hinzuziehung gewünschten Sozi-alversicherungsträger – die Entscheidung betrifft allein das Verhältnis zwischen den Betei-ligten –, noch werden die berechtigten Interessen der Bundesagentur oder der Kranken-kasse in irgendeiner Weise berührt. Alles für die vorliegende Entscheidung an Sachver-haltsaufklärung Notwendige – und dies betraf letztlich nur die Verifizierung der Angaben des Klägers – ergab sich aus den beigezogenen Akten der Bundesagentur und der Kran-kenkasse des Klägers. Anders als die Beklagte und – zum Teil – das Sozialgericht meint, ist Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2010 in Form der Einstellung der Zahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.10.2010 bis zum 30.9.2012 § 48 SGB X. Bei der Abgrenzung der Rechtsgrundlagen für eine Aufhebung oder Rücknahme im Rahmen einer Rente wegen (teilweiser) Erwerbsminderung – § 45 SGB X oder § 48 SGB X – ist es unumgänglich zu beachten, was der Hintergrund für die Entscheidung ist. Solange es nicht zu einer Änderung oder einem Fehler bei der Feststellung der Leis-tungsvoraussetzungen, des Leistungsfalls oder der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Rahmen des § 43 SGB VI – also zu einer anfänglichen Rechtswid-rigkeit – gekommen ist, ändert sich auch nicht der Rechtsgrund für die gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Vorliegend kam es während des laufenden Renten-bezugs resultierend aus ein und desselben Leistungsfalls, mithin aus dem realisierten Stammrecht heraus, zu einer Störung des Sozialversicherungsverhältnisses – hier in Form des (nicht mitgeteilten) Bezugs weiterer Lohnersatzleistungen. Hierfür ist § 48 SGB X die richtige Rechtsgrundlage. Die Bescheide vom 9.12.2009 und vom 14.10.2010 führten lediglich aufgrund unterschiedlicher, das Stammrecht nicht berührender Gründe zu einer Neuberechnung und -festsetzung der dem Kläger mit Bescheid vom 5.1.2006 ab dem 1.9.2005 bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Soweit die Beklagte ihre Entscheidung dennoch auf § 45 SGB X gestützt hat, ist dies un-schädlich. Da beide Vorschriften die Aufhebung eines Verwaltungsakts zum Ziel haben, ist das sog. "Nachschieben von Gründen", also das Auswechseln der Rechtsgrundlagen, nach der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig (vgl. nur BSG v. 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr. 9; BSG v. 18.9.1997 - 11 RAr 9/97; BSG v. 25.4.2002 - B 11 AL 69/01 R; BSG v. 21.6.2011 - B 4 AS 22/10 R; BSG v. 15.6.2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 15; LSG Hessen v. 17.1.2012 - L 2 R 524/10 - juris Rn. 54). Dies allerdings nur, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSGE 29, 129, 132; 87, 8, 12; BSG v. 18.9.1997 - 11 RAr 9/97, v. 25.4.2002 - B 11 AL 69/01 R und v. 21.6.2011- B 14 AS 22/10 R). Im Gegensatz zu § 45 SGB X erfordert § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf der Tatbestandsseite kein mitwirkendes Verschulden des Begünstigten, insbesondere keine Bösgläubigkeit im Sinne einer Kenntnis des Begünstigten von der Überzahlung für eine rückwirkende Aufhebung. Als alleinig an die Einkommenserzielung anknüpfende Regelung unterliegt sie damit weniger strengeren Anforderungen (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.1.2012 – L 2 R 524/10 –, Rn. 54, juris). Nur eine generelle Umdeu-tungsoption, auch in den Fällen, in denen ein Verwaltungsakt wegen überwiegendem Ver-trauensschutzes nicht zurücknehmbar ist, würde zum einen die Unterscheidung zwischen §§ 45, 48 SGB X obsolet machen und hätte zudem für den Betroffenen weitaus ungünsti-gere Rechtsfolgen. Eine Umdeutung im Sinne eines nachträglichen Ausweichens auf § 48 SGB X verbietet sich daher nur in den Fällen, in denen eine Bescheidrücknahme nach § 45 SGB X wegen überwiegendem Vertrauensschutz ausscheidet (Schütze in: von Wulf-fen SGB X, 7. Aufl. 2010, § 43 Rn. 11; a. A. Heilemann, SGb 1996, 160, 162, der in diesen Fällen für die Anwendbarkeit des § 48 SGB X den Verwaltungsakt als von Anfang an rechtmäßig "fingieren" will). Auf einen überwiegenden Vertrauensschutz kann sich der Kläger vorliegend aber gerade nicht berufen (siehe dazu sogleich).

Im Übrigen bleibt in der Sache der entscheidungserhebliche Sachverhalt unberührt, so dass es rechtlich gesehen um ein Austauschen der Rechtsgrundlagen und nicht um ein Austauschen der tatsächlichen bzw. rechtlichen Erwägungen geht. Der von der Beklagten zugrunde gelegte Sachverhalt und die getroffene Entscheidung sind auch von § 48 SGB X abgedeckt.

Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf den Grund oder die Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (BSG SozR 3 – 1300 § 48 Nr. 48). Nach Bewilligung der teilweisen Erwerbsminderungsrente hat der Kläger während des laufenden Bezugs dieser Rente ab dem 1.10.2010 von der Bundesagentur für Arbeit Ar-beitslosengeld I und von seiner Krankenkasse ab dem 25.11.2010 Krankengeld und ab dem 1.2.2012 Übergangsgeld erhalten. Durch einen Datenabgleich vom 5.6.2012 und nachfolgende Schreiben der Krankenkasse vom 9.7.2012 und der Agentur für Arbeit vom 27.7.2012 hat die Beklagte die entsprechenden Informationen über den Bezug dieser Lohnersatzleistungen des Klägers erfahren. Mit dem Hinzutreten dieses Einkommens ist die Bewilligung der teilweisen Erwerbsminderungsrente in der geleisteten Höhe für die Zukunft rechtswidrig geworden. Die Beklagte war nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auch berechtigt, den Rentenbe-scheid vom 14.10.2010 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise aufzuheben. Denn der Kläger hat nach Bewilligung der teilweisen Erwerbsminderungsrente Einkommen erzielt, das zum Wegfall des Zahlungsanspruchs auf diese Rente in der Zeit vom 1.10.2010 bis 30.9.2012 geführt hat. Die zuerkannten Ansprüche auf Arbeitslosengeld I, Krankengeld und Übergangsgeld stellen Einkommen im Sinne dieser Vorschrift dar. Die Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist bei jeglichen Auswirkungen auf den bisherigen Anspruch anzuwenden (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 33; BSGE 59, 111, 113 f.; Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand August 2012, § 48 SGB X Rn. 47). Die maßgeblichen Fristen des § 48 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 SGB X wurden eingehalten. Ein atypischer Fall liegt nicht vor. Der Kläger kann sich bei der "Bescheidrücknahme" auch nicht auf einen – bei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X grundsätzlich ohnehin nicht relevanten, hier aber wegen des Aus-wechselns der Rechtsgrundlagen zu prüfenden – überwiegenden Vertrauensschutz beru-fen. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen dann nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Be-stechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vor-sätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig ge-macht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge gro-ber Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Der Kläger hat mit den Rentenbescheiden mitgeteilt bekommen, dass er für Änderungen hinsichtlich des Bezugs von Einkommen und Lohnersatzleistungen gegenüber der Beklagten mitteilungspflichtig ist. Er ist aufgrund seiner Ausbildung und seiner beruflichen Entwicklung auch in der Lage gewesen, entsprechende Ausführungen in den Bescheiden zu erfassen und richtig zu deuten. Soweit der Kläger angibt, gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, und seiner Krankenkasse entsprechende Angaben über den Bezug einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemacht zu haben, ist dies zutreffend. Dies ergibt sich aus den beige-zogenen Akten. Allerdings kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass er gegenüber der Beklagten hinsichtlich dieser Informationspflichten freigestellt ist, nur weil er Informati-onen einem anderen Sozialversicherungsträger mitgeteilt hat. Die Erklärung gegenüber einem Sozialversicherungsträger entbindet den Kläger nicht hinsichtlich seiner Mittei-lungspflicht gegenüber einem anderen Sozialversicherungsträger, von dem er eine ent-sprechende Leistung bezieht. Dem Kläger ist insoweit jedenfalls grobe Fahrlässigkeit vor-zuwerfen. Ermessensfehler der Beklagten bei der Aufhebungsentscheidung sind nicht gegeben. Der Senat nimmt zur weiteren Begründung Bezug auf die insoweit sachlich und rechtlich rich-tigen Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 20.11.2014, § 153 Abs. 2 SGG. Die teilweise Aufhebung des Rentenbescheides vom 14.10.2010 hat zur Folge, dass der Kläger die ihm in der Zeit ab dem 1.10.2010 geleistete Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung in Höhe von 8.770,39 Euro nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erstatten hat. Fehler der Beklagten bei der Berechnung des Erstattungsbetrages sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Soweit der Kläger anführt, die Beklagte habe – in Reaktion auf die Mitteilung der Bunde-sagentur für Arbeit, dass der Kläger im Zeitraum 4.7.2009 bis 2.11.2011 im Bezug von Arbeitslosengeld gestanden hat – der Bundesagentur mit Schreiben vom 10.8.2009 erklärt, dass "ein Erstattungsanspruch nicht geltend gemacht wird" und sie deswegen nunmehr gegenüber dem Kläger präkludiert und dieser von seiner Verpflichtung zur Erstattung gemäß § 107 Abs. 2 SGB X frei sei, kann sich der Senat dieser Ansicht nicht anschließen. Zum einen ist es rechtsirrig anzunehmen, dass sich die Beklagte nach solchem Schreiben die Geltendmachung weiterer Erstattungsansprüche gegenüber anderen Sozi-alleistungsträgern vorbehalten muss. Zum anderen verkennt der Kläger die Reichweite und den Inhalt des § 107 Abs. 2 SGB X. Lediglich soweit die Erfüllungsfiktion reicht, schließt sie eine Aufhebung bzw. Rücknahme der Leistungsbewilligung durch den Leistungsträger, der den Erstattungsanspruch hat, nach den §§ 44 ff. SGB X und einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X aus (BSG v. 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - juris Rn. 19 m.w.N.; BSG v. 22.5.2002 - B 8 KN 11/00 R - juris Rn. 17 - SozR 3-2600 § 93 Nr. 12; LSG Rheinland-Pfalz v. 22.3.2012 - L 1 AL 90/11 - juris Rn. 22; Roller in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 107 SGB X Rn. 8). Denn nach der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gilt in einem solchen Fall der Anspruch des Versicherten auf Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung durch das gezahlte Kranken- und Arbeitslosengeld als (ggf. teilweise) erfüllt. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass der Versicherte im Ergebnis jedenfalls den Betrag erhält, der ihm aufgrund seines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch zugestanden hat. Vorliegend hat die Beklagte aber nur den Überzahlbetrag zur Er-stattung gefordert. Die Arbeitslosengeld I-, die Krankengeld- und die Übergangsgeldzah-lung ist dem Kläger verblieben.

Nach alldem war der Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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