L 8 AY 4/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 54 AY 18/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 4/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AY 3/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einbeziehung der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in den Kreis der Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), sofern diese die elterliche Sorge über ein Kind deutscher Staatsangehörigkeit ausüben, da bei diesen Personen von einem verfestigten Aufenthalt auszugehen ist. Die Hilfebedürftigkeit ist durchgängig bis zur letzten Tatsacheninstanz nachzuweisen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 25. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten sogenannte "Analogleistungen" nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit von Januar 2007 bis März 2007 sowie für Oktober 2007 und November 2007.

Die 1980 geborene Klägerin ist serbische Staatsangehörige. Sie reiste am 8. Oktober 2004 mit ihrer im Mai 2003 geborenen Tochter in das Bundesgebiet ein und beantragte am 11. Oktober 2004 Asyl. Die Klägerin erhielt eine Aufenthaltsgestattung bis zum 17. April 2007 und bezog von der Beklagten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ab November 2004. Über Einkommen und Vermögen verfügte sie zunächst nicht. Am 19. Juli 2007 nahm die Klägerin eine Beschäftigung als Reinigungskraft auf. Das daraus erzielte Einkommen rechnete die Beklagte auf die Leistungen für Oktober 2007 und November 2007 an. Leistungen nach § 2 AsylbLG bewilligte die Beklagte der Klägerin ab November 2008 (Bescheid vom 12. November 2008). Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ab mit Bescheid vom 14. Januar 2005. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wurden nicht festgestellt. Die dagegen am 31. Januar 2005 vor dem Verwaltungsgericht B ... erhobene Klage nahm die Klägerin am 9. März 2007 zurück (Az.: 3 K 30017/05). Die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides trat am 16. März 2007 ein.

Am 23. September 2006 brachte die Klägerin ihren Sohn zur Welt. Dieses Kind hat die deutsche Staatsbürgerschaft inne nach seinem Vater, der getrennt von der Klägerin wohnte. Dieser bezog seinerzeit Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Sohn erhielt von der Beklagten Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), da er bei seiner Mutter lebte. Am 21. Juni 2007 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.

Mit der am 24. August 2007 vor dem Sozialgericht Dresden erhobenen Klage wandte sich die Klägerin nach Verbindung der sie betreffenden Streitverfahren durch Beschluss vom 11. Juli 2011 (vormalige Verfahren S 19 AY 25/07, S 19 AY 1/08 und S 19 AY 5/08; das führende Verfahren wurde nach Ruhensanordnung von der 54. Kammer übernommen und mit dem Az.: S 54 AY 18/12 versehen) gegen die Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG für Januar 2007 bis März 2007, Oktober 2007 und November 2007 (Bescheid vom 21. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2007, Bescheid vom 19. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2008 sowie der Bescheid vom 12. Oktober 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2008). Die Klägerin meinte, § 2 AsylbLG sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Vorbezugszeit von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG von 36 Monaten bzw. 48 Monaten nicht heranzuziehen sei, sofern der Leistungsbezieher allein sorgeberechtigt für ein deutsches minderjähriges Kind sei. Ansonsten bestehe ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Außerdem werde die Klägerin in verfassungswidriger Weise ungleich behandelt.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Februar 2014). Die Voraussetzungen des § 2 AsylbLG lägen nicht vor, da die Vorbezugszeit von 36 Monaten bzw. 48 Monaten nicht erfüllt sei. Dieses Erfordernis gelte auch für die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG (Bezug auf LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 2012 – L 20 AY 48/08). Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin bestehe nicht; vielmehr würde eine solche nach der Ansicht des Sozialgerichts eintreten, würde man den Überlegungen der Klägerin folgen und hinsichtlich des § 2 AsylbLG anstelle der Vorbezugszeit auf die Staatsangehörigkeit von Kindern abstellen. Soweit aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (Az.: 1 BvL 10/10 u.a.) rückwirkend höhere Leistungen ab dem 1. Januar 2011 zu gewähren seien, wirke sich dies nicht auf die Klägerin aus, da diese höhere Leistungen für 2006/2007 geltend gemacht habe.

Gegen das ihr am 14. März 2014 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 11. April 2014 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung. Sie bezieht sich auf ihre bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Argumente.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 25. Februar 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung

1. des Bescheides vom 21. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2007, 2. des Bescheides vom 19. September 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 2008 und

3. des Bescheides vom 12. Oktober 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides 18. Februar 2008

zu verurteilen, ihr Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren für die Zeit von Januar 2007 bis März 2007, Oktober 2007 und November 2007.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich letztlich als unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Denn der Klägerin steht der erhobene Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG für die Januar 2007 bis März 2007, Oktober 2007 und November 2007 nicht zu, da sie seither nicht durchgehend hilfebedürftig gewesen ist. Allerdings bestehen nach der Ansicht des Senats verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Einbeziehung von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in den Kreis der Leistungsberechtigten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG, sofern diese die elterliche Sorge über ein Kind deutscher Staatsangehörigkeit ausüben, da bei diesen Personen von einem verfestigten Aufenthaltsstatus auszugehen ist.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 21. Dezember 2006, 19. September 2007 und 12. Oktober 2007 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 23. Juli 2007, 7. Januar 2008 und 18. Februar 2008 (§ 95 SGG), nachdem die Beklagte höhere Leistungen abgelehnt hat. Richtige Klageart ist damit die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4 und § 56 SGG (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 6/11 R – juris Rn. 11 = BSGE 114, 11; Urteil vom 17. Februar 2005 – B 13 RJ 31/04 RSozR 4-2600 § 43 Nr. 3). Diese ist auf ein Grundurteil gerichtet, was nach § 130 Abs. 1 Satz SGG zulässig ist sowie der Beschleunigung des Verfahrens und der Entlastung des Gerichts von den notwendigen Feststellungen über die Höhe des Anspruchs dient, die die Beklagte besser treffen kann (BSG, Urteil vom 26. Juni 2012 – B 7 AY 6/11 R – juris Rn. 11; Urteil vom 1. Dezember 1960 – 5 RKn 69/59 – juris Rn. 14 = BSGE 13, 178 ff). Die Klägerin konnte ihre prozessualen Ansprüche auch im Wege der objektiven Klagehäufung verfolgen (§ 56 SGG), nachdem das Sozialgericht die zunächst anhängig gewesenen drei Klageverfahren verbunden hat (§ 113 SGG).

Die Klage umfasst dabei die Höhe der Leistungen unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt ohne Bindung an die Anträge (§ 123 SGG). Deshalb ist nach dem sogenannten "Meistbegünstigungsprinzip" nicht allein darüber zu entscheiden, ob dem Betroffenen gegebenenfalls höhere Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zustehen, sondern auch – wie von der Klägerin begehrt - ob höhere Leistungen in Form sogenannter "Analogleistungen" nach § 2 AsylbLG in Betracht kommen. Dabei genügt es, wenn die Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen geltend gemacht wird (BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 6/11 R – juris Rn. 11).

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG in der vom 8. November 2006 bis 28. Februar 2015 gültigen Fassung wird der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts durch Sachleistungen gedeckt. Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG).

Abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben (§ 2 Abs. 1 AsylbLG in der vom 1. Januar 2005 bis zum 27. August 2007 gültigen Fassung). Nach der vom 28. August 2007 bis zum 28. Februar 2015 gültigen Fassung dieser Vorschrift wurde die Vorbezugszeit auf 48 Monate erhöht. Die Anhebung der Vorbezugszeit auf vier Jahre war verfassungsgemäß (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – BSGE 101, 49). Dabei kann der Zeitraum des Leistungsvorbezugs nicht als reine Warte- oder Anwartschaftszeit ohne oder mit dem Bezug anderer Leistungen erfüllt werden (BSG, Urteil vom 26. Juni 2013 – B 7 AY 6/11 R – juris Rn. 13; Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – BSGE 101, 49).

Im Falle der Klägerin steht fest, dass sie die Vorbezugszeit von schließlich 48 Monaten während der streitgegenständlichen Zeiträume (Januar 2007 bis März 2007, Oktober 2007 und November 2007) noch nicht erfüllt hatte, da ihr Grundleistungen ab November 2004 gewährt worden waren. Nimmt man allein die Vorbezugszeit in den Blick, hat die Beklagte zutreffend Leistungen nach § 2 AsylbLG erst ab November 2008 bewilligt. Festzustellen ist jedenfalls, dass die Klägerin die Dauer ihres Aufenthalts im Bundesgebiet nicht selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Tatsachen oder Umstände, die für eine solche Annahme sprechen könnten, sind den Akten nicht zu entnehmen und von den Beteiligten auch nicht vorgetragen worden. Als Inhaberin einer Aufenthaltsgestattung war die Klägerin während des streitgegenständlichen Zeitraums zunächst leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des AufenthG und weiterer Gesetze vom 14. März 2005 (BGBl. I, S. 721). Anschließend war sie leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG in der Fassung des erwähnten Gesetzes vom 14. März 2005 sowie in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970), weil sie vom 21. Juni 2007 an Inhaberin einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gewesen ist.

Mit den in § 1 Abs. 1 AsylbLG einleitenden Worten "Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz" wird der Rechtsgrund für die Hilfeleistungen an die von § 1 Abs. 1 AsylbLG erfassten Personengruppen bestimmt. Dieser liegt – wie sich aus § 9 Abs. 1 AsylbLG und § 23 Abs. 2 SGB XII ergibt – allein im AsylbLG. Solange Ausländer aufgrund ihres formalen Aufenthaltsstatus einem der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 AsylbLG genannten Personengruppen zuzuordnen sind, also keinen anderen Aufenthaltsstatus als einen der darin aufgeführten besitzen, nicht dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 AsylbLG oder § 1 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG unterfallen und ihre Leistungsberechtigung nicht nach § 1 Abs. 3 AsylbLG beendet ist, sind sie allein nach dem AsylbLG leistungsberechtigt und haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – B 7 AY 1/11 R – juris Rn. 14). Denn Sinn und Zweck des Gesetzes ist es allein, Ausländern mit dem erwähnten formalen Aufenthaltsstatus geringere Leistungen zur Existenzsicherung zu gewähren, als dies nach dem SGB II oder SGB XII geschehen würde.

Der Kreis der Leistungsberechtigten soll grundsätzlich all diejenigen Ausländer zusammenfassen, die sich typischerweise nur vorübergehend – also ohne oder noch nicht verfestigten ausländerrechtlichen Status – im Bundesgebiet aufhalten (Hohm in: GK-AsylbLG, Stand: Januar 2020, § 1 Rn. 22). Daher wird das AsylbLG als ein die existenzsichernden Leistungen für Drittstaatsangehörige einschränkendes Sondergesetz bezeichnet (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Mai 2019 – L 20 AY 15/19 B ER – juris Rn. 29). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat allerdings bereits in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004 (Az.: 1 BvR 2515/95 – juris Rn. 32) ausgeführt, dass die Anknüpfung an den (befristeten) Aufenthaltstitel nicht als Differenzierungskriterium tauge um festzustellen, dass der betreffende Ausländer (nicht) dauerhaft in Deutschland verbleiben werde. Die Art des Aufenthaltstitels könne daher nicht als Grundlage einer Prognose über die Dauer des Aufenthalts dienen.

Deshalb erscheint es problematisch, wenn das LSG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 27. Februar 2012 (Az.: L 20 AY 48/08 – juris Rn. 61) unter Hinweis auf die BT-Drucks. 12/4451 (Seite 7) gleichwohl davon ausgeht, dass § 25 Abs. 5 AufenthG gerade kein verfestigtes Aufenthaltsrecht begründe. Letztlich geht es darum, worauf abzustellen ist: Auf den womöglich niedergelegten Willen des Gesetzgebers, sofern er sich denn unmissverständlich aus der erwähnten BT-Drucksache ergibt, oder auf die Betrachtung der – zeitlich messbaren – tatsächlichen Aufenthaltsdauer des Betroffenen und deren anschließende Bewertung als noch vorübergehend oder bereits darüber hinausgehend. Ob der Gesetzgeber zahlreiche Gelegenheiten ausgelassen haben könnte, den § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG zu ändern (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Februar 2012 – L 20 AY 48/08 – juris Rn. 61), dürfte dabei nicht ausschlaggebend sein.

Auch wenn der erkennende Senat die Einschätzung teilt, wonach die Rechtsprechung nicht dazu berufen ist, die rechtspolitische Sinnhaftigkeit der ausländerrechtlichen Konzeption zu beurteilen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. Februar 2012 – L 20 AY 48/08 – juris Rn. 63) kann es im Hinblick auf die verfassungsrechtlich notwendige Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nur auf die tatsächliche Verweildauer des Ausländers im Bundesgebiet und ihre rechtliche Bewertung ankommen (ausgenommen die Fälle, in denen der Ausländer seine Aufenthaltsdauer rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat und andere Faktoren – wie die Personensorge für ein deutsches Kind – keine andere Beurteilung gebieten).

Diese Erwägungen sind auf den Fall der Klägerin heranzuziehen. Aus der Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ergeben sich verfassungsrechtliche Probleme mit Blick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG a.F. sind Ausländer leistungsberechtigt, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die wegen des Krieges in ihrem Heimatland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder § 24 AufenthG oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1, Abs. 4a oder Abs. 5 AufenthG besitzen, ohne dass ihnen für die betreffende Zeit ein anderer Aufenthaltstitel als einer der in § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG a.F. bezeichneten Aufenthaltserlaubnisse mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten erteilt worden ist (§ 1 Abs. 2 AsylbLG a.F.).

Nach der Ansicht des BSG haben die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ebenso wie die weiteren humanitären Aufenthaltstitel im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG a.F. statusbegründende Wirkung für die Zuordnung zum Existenzsicherungssystem des AsylbLG und damit für den Leistungsausschluss nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in dem Sinne, dass den Sozialleistungsträgern eine eigenständige Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage verwehrt ist (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R – juris Rn. 10).

Denn soweit es dazu auf den "Besitz" einer solchen Aufenthaltserlaubnis (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG a.F.) bzw. darauf ankommt, dass ein entsprechender Aufenthaltstitel erteilt worden ist (§ 1 Abs. 2 AsylbLG) ist für zusätzliche Entscheidungen der Leistungsträger zum AufenthG schon sprachlich kein Raum. Vielmehr bedient sich der Gesetzgeber mit dieser Wortwahl der im Sozialrecht verbreiteten Regelungsmethode, dem Besitz der jeweiligen Erlaubnis oder Entscheidung Tatbestandswirkung für den betreffenden Sozialleistungsanspruch derart beizumessen, dass er für Behörden und auch Gerichte ohne Rücksicht auf die materielle Richtigkeit bindende Wirkung entfaltet (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R – juris Rn. 12; vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 27. Februar 2019 – B 7 AY 1/17 R – SGb 2020, 53, 57 [Rn. 26]).

Soweit für die Zuordnung zu einem der Existenzsicherungssysteme nach der Konzeption des AsylbLG maßgeblich ist, ob sie über einen Aufenthaltsstatus mit oder ohne – nach Auffassung des Gesetzgebers – schutzwürdiger längerfristiger Bleibeperspektive verfügen, ist es daher folgerichtig, dafür – wie im Katalog des § 1 Abs. 1 AsylbLG a.F. geschehen – ausschließlich auf die den Ausländern erteilten formalen Aufenthaltstitel abzustellen. Nur systemgerecht sei es deshalb, wenn insoweit die Ausländerbehörden im Ergebnis die Verantwortung auch dafür trügen, in welchem rechtlichen Rahmen existenzsichernde Leistungen zu erbringen seien. Schon dies verbiete ungeachtet weiterer Fragen allgemeiner Art die Annahme, dass die Leistungsträger zur Überprüfung und gegebenenfalls Nichtbeachtung dieser aufenthaltsrechtlichen Statusentscheidungen befugt sein könnten (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R – juris Rn. 13).

Der erkennende Senat meint, dass die Frage, ob dem Betroffenen das menschenwürdige Existenzminimum gewährt wird, nicht den Ausländerbehörden überantwortet werden darf. Vielmehr hat der Leistungsträger mit Blick auf dieses Grundrecht eigenständig und nicht lediglich unter Bezugnahme auf den zuletzt erteilten Aufenthaltstitel zu prüfen, ob sich der Aufenthalt des Ausländers unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände noch als vorübergehend oder prognostisch als längerfristig erweist. Geht der Leistungsträger von einer vorübergehenden Aufenthaltsdauer aus, muss er im Zusammenwirken mit der Ausländerbehörde aufgrund der ermittelten Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen dürfen, dass der Aufenthalt des noch nicht über eine längere Zeit im Bundesgebiet verweilenden Ausländers absehbar beendet wird.

Diese Voraussetzungen lagen im Falle der Klägerin nicht vor. Aufgrund der Geburt ihres Sohnes wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt. § 25 Abs. 5 AufenthG betrifft Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, die aber dennoch unverschuldet aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können. Unter "Ausreise" im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen. Eine freiwillige Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, die die Ausreise ausschließen (darunter das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention [EMRK]) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14/05 – juris Rn. 15, 17).

Als Mutter eines Kindes ist die Klägerin bis zum Eintritt der Volljährigkeit berechtigt und verpflichtet, die elterliche Sorge auszuüben. Dies ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art. 8 der EMRK. Diese Normen schützen das Familien- wie auch das Privatleben. Beim Familienleben wird im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG insbesondere die Beziehung von Eltern und minderjährigen Kindern und damit auch die Mutter-Kind-Beziehung geschützt (Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2017, § 5 Rn. 79). Bereits die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen kann einen Umstand darstellen, der unter dem Aspekt des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet mit der Folge, dass Abschiebungen unmöglich werden (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 2. Oktober 2009 – 3 B 482/09 – juris Rn. 5). Vor diesem Hintergrund war mit der Geburt des Sohnes abzusehen, dass der Klägerin ein verfestigtes Bleiberecht in Deutschland zustehen würde. Diese Wertung gilt allerdings für alle Ausländer, die ein gemeinsames Kind mit deutschen Staatsangehörigen aufziehen. Sie sind als "faktische Inländer" anzusehen. Diese Personengruppe kann unproblematisch identifiziert werden. Ihre Zuordnung zu den Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG erscheint auch in der aktuellen Gesetzesfassung (hier: Buchst. c) fragwürdig.

Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen, die für seine physische Existenz und von einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Das Sozialstaatsgebot erteilt demnach dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern und hält den Gesetzgeber dazu an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Höhe des Existenzminimums verbunden sind. Da die Zuerkennung eines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zugleich verbunden ist mit einer reduzierten gerichtlichen Kontrolldichte (vgl. Rothkegel, ZfSH/SGB 2010, 137), äußert sich diese im ersten Schritt in einer Evidenzkontrolle und in einem zweiten Prüfungsschritt in einer Verfahrens- und nicht in einer Inhaltskontrolle. Die gesetzlich vorgesehenen Leistungen müssen nachvollziehbar sein auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und eines schlüssigen Berechnungsverfahrens. Der Gesetzgeber unterliegt einem Transparenzgebot; demnach hat dieser die eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen (Voßkuhle, SGb 2011, 185). Im existentiellen Kernbereich des menschlichen Existenzminimums besteht der prozedurale Kerngehalt des Grundrechts in der Überprüfung, ob verfahrensmäßige Vorgaben durch den Gesetzgeber eingehalten worden sind. Dem gemäß hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf zu bemessen. Das gefundene Ergebnis bedarf einer fortwährenden Überprüfung und Weiterentwicklung, insbesondere, wenn Festbeträge vorgesehen sind (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – juris Rn. 139, 140).

Mit Urteil vom 18. Juli 2012 (Az.: 1 BvL 10/10 u.a.) hat das BVerfG zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausgeführt, dass dieses deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zusteht. Will der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen, so darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur insofern möglich, als deren Bedarf von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und die folgerichtig und transparent anhand des tatsächlichen Bedarfs belegt werden kann (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 73). Ob und in welchem Umfang der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland gesetzlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger bestimmt werden kann, hängt allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfallen. Auch hier kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse dieser Personengruppe wie auch die wertende Einschätzung ihres notwendigen Bedarfs umfasst, aber nicht davon entbindet, das Existenzminimum hinsichtlich der konkreten Bedarfe zeit- und realitätsgerecht zu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 74).

Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe gesondert bestimmen, muss er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten. Dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen. Diese bemisst sich zwar nicht allein, aber auch am jeweiligen Aufenthaltsstatus.

Dabei ist stets dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf ein durch etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte geprägtes Existenzminimum ist unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und ohne Rücksicht auf die Berechtigung einer ursprünglich gegenteiligen Prognose jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten hat. Für diese Fälle ist ein zeitnaher, an den Gründen des unterschiedlichen Bedarfs orientierter Übergang von den existenzsichernden Leistungen für Kurzaufenthalte zu den Normalfällen im Gesetz vorzusehen (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 75, 76).

Dieser Verpflichtung ist der Gesetzgeber jedenfalls bezogen auf die Gruppe der Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten haben, weil sie mit einem deutschen Staatsangehörigen ein gemeinsames Kind aufziehen, offensichtlich nicht gerecht geworden. Bei diesen Ausländern gestaltet sich der Aufenthalt regelmäßig nicht kurz, sondern bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Kindes über 18 Jahre. Bei diesem Personenkreis lässt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres davon sprechen, dass der Sache nach kein verfestigtes Aufenthaltsrecht bestünde – auch wenn die gesetzgeberische Konzeption darauf abzielte (vgl. dazu BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 24/07 R – juris Rn. 28).

Anzumerken ist diesbezüglich, dass das BSG bei der Erfüllung der Vorbezugszeit im Falle der Gewährung von Analogleistungen davon ausgeht, dass eine "gewisse Verfestigung" des Aufenthalts eingetreten sei (Urteil vom 9. Juni 2011 – B 8 AY 1/10 R – juris Rn. 16) und annimmt, dass das AsylbLG die Konzeption der nur begrenzten Integration verfolge. Demgemäß sollten für Ausländer weder Anreize für die Einreise noch solche für ein Verbleiben in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden (BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 24/07 R – juris Rn. 31). Das BVerfG geht demgegenüber davon aus, dass migrationspolitische Erwägungen von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen, da die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren sei (Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 95).

Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber insoweit den gebotenen unverzüglichen Übergang zu den existenzsichernden Systemen für Normalfälle nach dem SGB II oder SGB XII vorgesehen hätte. Nach der aktuellen Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c AsylbLG müssen die Betroffenen 18 Monate von der Aussetzung der Abschiebung an warten. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diese Wartefrist ist nicht ersichtlich (ebenso: Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 1 AsylbLG Rn. 43). Die Gegenansicht meint, dass erst nach Ablauf von 18 Monaten nach Aussetzung der Abschiebung typischerweise davon auszugehen sei, der Aufenthalt des Ausländers sei nicht mehr nur vorübergehend (vgl. z.B. Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1 AsylbLG Rn. 20).

Allerdings stellt sich die Vorstellung des Gesetzgebers, dass der Status der Duldung ein vorübergehender sei, in vielen Fällen als falsch heraus. Ende Oktober 2009 lebten 58.500 geduldete Ausländer (63,5 Prozent der insgesamt Geduldeten) seit über sechs Jahren in Deutschland (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., Stand: 18.11.2019, § 1 AsylbLG Rn. 19).

Die mit Blick auf das Menschenrecht aus Art. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG lang andauernde Unterdeckung des menschenwürdigen Existenzminimums wurde nach der während des streitgegenständlichen Zeitraums erforderlichen Vorbezugszeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG über 36 Monate bzw. 48 Monate auch nicht in jedem Fall dadurch gemildert, die sogenannten "Analogleistungen" nach § 2 Abs. 1 AsylbLG beziehen zu können (vgl. dazu BSG, Urteil vom 13. November 2008 – B 14 AS 24/07 R – juris Rn. 29). Zunächst ist anzumerken, dass die Betroffenen auch beim Bezug solcher Leistungen im System des AsylbLG verbleiben. In der aktuellen Fassung des § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c AsylbLG kommt ein Bezug von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG wegen des Gleichlaufs der 18 Monate in beiden Vorschriften nicht in Betracht. Ein solcher Leistungsbezug ergibt sich aber auch nicht in Fällen, in denen der Betroffene aufgrund rechtsmissbräuchlichen Verhaltens die Dauer seines Aufenthalts selbst beeinflusst haben sollte. Dann besteht auf Dauer keine Möglichkeit, Analogleistungen zu erhalten (ebenso: Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., Stand: 18.11.2019, § 1 AsylbLG Rn. 109). Es handelt sich um ein anspruchsausschließendes (rechtshinderndes) Tatbestandsmerkmal (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R; Cantzler, AsylbLG, 2019, § 2 Rn. 28).

Auch wenn es im Falle der Klägerin letztlich nicht darauf ankommt, erscheint auch dieser pauschale Leistungsausschluss verfassungsrechtlich bedenklich. Im Urteil vom 5. November 2019 hat das BVerfG betont, dass der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allen zusteht. Er ist dem Grunde nach unverfügbar und geht selbst durch vermeintlich "unwürdiges" Verhalten nicht verloren. Die Menschenwürde kann selbst denjenigen nicht abgesprochen werden, denen schwerste Verfehlungen vorzuwerfen sind. Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind. Diese Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums ist auch durch die Erreichung anderweitiger Ziele nicht zu relativieren (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120). Das menschenwürdige Existenzminimum erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.

Die Verankerung des Gewährleistungsrechts im Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG bedeutet, dass Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (Art. 1 Abs. 3 GG) den Menschen nicht auf das schiere physische Überleben reduzieren dürfen, sondern mit der Würde mehr als die bloße Existenz und damit auch die soziale Teilhabe als Mitglied der Gesellschaft gewährleistet wird. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert hat; insbesondere lässt sich die Gewährleistung aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht in einen "Kernbereich" der physischen und einen "Randbereich" der sozialen Existenz aufspalten. Der Gesetzgeber kann auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 119).

Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus eigener Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrags zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrags verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für dieses menschenwürdige Dasein zur Verfügung stehen (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120). Zwar hat das BVerfG entschieden, dass Hilfebedürftige für Leistungszeiträume vor 2011 nicht deshalb höhere Leistungen erhalten, weil die gesetzlichen Vorschriften über die Höhe der Grundleistungen mit dem Grundgesetz unvereinbar gewesen sind (vgl. Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. – juris Rn. 113). Die Klägerin begehrt jedoch Leistungen nach § 2 AsylbLG, so dass die vom BVerfG angesprochene Fallgestaltung von dem Ausschluss nicht erfasst wird.

Zu berücksichtigen ist allerdings im Falle der Klägerin, dass sie ihre Bedürftigkeit ununterbrochen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz nachweisen müsste. Ist die Bedürftigkeit nur temporär oder auf Dauer entfallen, scheidet eine Nachzahlung in der Regel aus (BSG, Urteil vom 9. Juni 2011 – B 8 AY 1/10 R – juris Rn. 20). Soweit ersichtlich, haben die für das Sozialhilfe- und Asylbewerberleistungsrecht zuständigen Senate des BSG an dieser Auffassung festgehalten, ohne den Überlegungen des 4. Senats im Urteil vom 4. April 2017 (Az.: B 4 AS 6/16 R) näher zu treten. Demnach kommt es für die Nachzahlung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zugunstenverfahren auf die bis zur letzten Tatsacheninstanz fortbestehende Hilfebedürftigkeit nicht an, da diese zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dem geltenden Recht nicht zu entnehmen sei. Der erkennende Senat verbleibt bei der Ansicht, dass die nachträglich zu erbringende Asylbewerberleistung den Zweck der Existenzsicherung noch erfüllen muss.

Die nicht ununterbrochen fortbestehende Hilfebedürftigkeit steht demgemäß einem Anspruch auf Leistungen entgegen, der sich auf rückwärtige Zeiträume bezieht. Denn die Bedürftigkeit ist auch bei Asylbewerberleistungen materielle Anspruchsvoraussetzung (vgl. § 7 AsylbLG).

Im Falle der Klägerin ist davon auszugehen, dass keine Notlage mehr besteht. Der Vorsitzende hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers auf die erwähnte Rechtsprechung des BSG hingewiesen. Dieser geht unter Bezugnahme auf das zitierte Urteil des 4. Senats des BSG (Urteil vom 4. April 2017 – B 4 AS 6/16 R) davon aus, dass der nähere Vortrag zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin seit seiner Ausreise entbehrlich sei. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast (vgl. dazu Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 103 Rn. 19a) nimmt der Senat vor diesem Hintergrund an, dass die Klägerin nicht mehr bedürftig ist. Der Klägerin stehen daher trotz der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken keine Leistungen nach dem AsylbLG mehr zu. Die Berufung war deshalb nicht erfolgreich. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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