S 21 AR 7/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Gelsenkirchen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
21
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 21 AR 7/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die der Antragstellerin für ihr Gutachten vom 07.01.2005 zustehende Vergütung wird auf 876,46 Euro festgesetzt. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Antragstellerin erstattete im zugrundeliegenden Rechtsstreit am 07.01.2005 für das Sozialgericht ein Gutachten über die Pflegebedürftigkeit der Klägerin. Der Auftrag wurde im Dezember 2004 erteilt. Die der Antragstellerin vorgelegte Gerichtsakte umfasste 36 Seiten und die Verwaltungsakte 87 Seiten. Für ihr 19 Seiten umfassendes Gutachten stellte die Antragstellerin dem Sozialgericht am 07.01.2005 einen Betrag in Höhe von 1.086,46 Euro in Rechnung. Hierbei machte sie 0,5 Stunden für Aktenstudium, 1,75 Stunden für den Hausbesuch, 0,75 Stunde Fahrzeit und 12 Stunden für Ausarbeitung und Korrektur des Gutachtens ausgehend von einem Stundensatz von 60 Euro geltend. Außerdem wurden Porto, Schreibauslagen, Fahrkosten und Umsatzsteuer geltend gemacht. Die Anweisungsstelle des Sozialgerichts legte den Antrag der Kostenkammer zur Entscheidung vor.

II. Die der Antragstellerin zustehende Vergütung war auf 876,46 Euro festzusetzen.

Für die Vergütung eines von einem Gericht ab dem 01.07.2004 zu Beweiszwecken herangezogenen Sachverständigen gelten ausschließlich die Vorschriften des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz -JVEG-). Das Honorar der Sachverständigen für ihre Leistungen richtet sich nach den in § 9 JVEG festgesetzten Sätzen, nach den in der Anlage 1 genannten Honorargruppen und der für die geforderte Leistung erforderlichen Zeit. Die Festsetzung der Vergütung erfolgt durch gerichtlichen Beschluss auch ohne entsprechenden Antrag des Berechtigten, wenn das Gericht die Festsetzung für angemessen hält. Im Hinblick auf die erstmalige Abrechnung der Antragstellerin erscheint hier eine unmittelbare gerichtliche Festsetzung geboten.

Zunächst ist allgemein darauf hinzuweisen, dass das Gericht bei der Festsetzung der Sachverständigenvergütung an die von einem Sachverständigen gestellten Anträge nur insoweit gebunden ist, als es im Endergebnis nicht mehr festsetzen kann, als der Sachverständige gefordert hat. Das folgt aus § 2 JVEG. Im Rahmen des Vergütungsbegehrens kann das Gericht jedoch Beträge festsetzen, die den Vorstellungen des Sachverständigen nicht entsprechen. Die geforderten Beträge können in den Einzelansätzen sowohl verschlechtert als auch erhöht werden. Dementsprechend war die Kammer berechtigt und verpflichtet, die Kostenrechnung der Antragstellerin in vollem Umfang zu prüfen und die danach zu gewährende Vergütung festzusetzen.

Im vorliegenden Fall gibt der von der Antragstellerin geforderte Stundensatz von 60 Euro keinen Anlass zu Beanstandungen, denn es handelt sich um eine beschreibende Begutachtung mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad in einem Verfahren wegen Pflegebedürftigkeit, das in die Honorargruppe M 2 der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG einzuordnen ist (st. Rspr. der Kostenkammer, Beschluss vom 26.08.2004 in S 21 AR 17/04).

Für die Erstattung des Gutachtens ist ein Zeitaufwand von insgesamt 7 Stunden (aufgerundet gemäß § 8 Abs. 2 JVEG) zu vergüten.

Im Interesse einer gleichmäßigen Entschädigung aller Sachverständigen für gleichartige Leistungen hat als Bemessungsgrundlage nicht die jeweilige Arbeitsmethode des einzelnen Sachverständigen und damit die subjektiv benötigte Zeit zu dienen, sondern allein der für die erbrachte Leistung objektiv erforderliche Zeitaufwand. Als erforderlich (§ 8 Abs. 2 JVEG) ist dabei nach einhelliger Ansicht im Schrifttum und Rechtsprechung nur derjenige Zeitaufwand anzusehen, den ein durchschnittlicher und mit der Materie vertrauter Sachverständiger bei sachgemäßer Auftragserledigung und durchschnittlicher Arbeitsintensität zur Erbringung der geforderten Leistung benötigen durfte. Dabei kann es im Einzelfall dazu kommen, dass dem Sachverständigen der von ihm benötigte Zeitaufwand nicht in vollem Umfang entschädigt wird, wenn nämlich die Leistung nach objektiven Maßstäben in kürzerer Zeit hätte erbracht werden können.

Der für das Aktenstudium von 113 Seiten erforderliche Zeitaufwand ist mit 1,2 Stunden zu veranschlagen. Für die sorgfältige Durcharbeitung der Akten einschließlich der Fertigung von Notizen ist nach der neueren Rechtssprechung der Kostenkammer abweichend von der bisher üblichen Praxis ein Zeitaufwand von einer Stunde pro 100 Seiten mit medizinischem Inhalt erforderlich (Beschluss vom 20.01.05 in S 21 AR 4/05). Die bisher angenommenen 50 Seiten entsprechen nicht mehr den heutigen Gegebenheiten und werden bereits in einigen anderen Bundesländern nicht mehr akzeptiert, weil für medizinische Sachverständige nur bestimmte Aktenteile von Interesse sind.

Nicht zu beanstanden ist der Zeitansatz von 1,75 Stunden für Anamnese und Untersuchung, sowie die 0,75 Stunden für An- und Abfahrt. Dagegen kann der Zeitansatz von 12 Stunden für Diktat und Korrektur nicht nachvollzogen werden.

Nach der bisherigen Rechtsprechung zum ZSEG benötigt ein Sachverständiger von durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen für Diktat und Korrektur von normalen Schreibmaschinenseiten erfahrungsgemäß etwa eine Stunde für 6 Seiten. (vgl. Beschlüsse des LSG NW vom 19.02.1979 - L 16 S 98/78 - und vom 06.06.1980 - L 5 S 37/79). Demnach wäre hier bei 19 Seiten von einem Zeitaufwand von 3,0 Stunden auszugehen. An dieser Rechtsprechung hält die Kostenkammer jedoch nicht mehr fest. Das seit dem 01.7.2004 geltende JVEG stellt nämlich nicht mehr auf die Seitenzahl des Gutachtens sondern auf die Anzahl der Anschläge ab. Gemäß § 12 Abs.1 Nr. 3 JVEG werden bei Erstellung eines schriftlichen Gutachtens je angefangene 1000 Anschläge 0,75 Euro gesondert ersetzt; ist die Zahl der Anschläge nicht bekannt, ist sie zu schätzen. Diese leichte zu handhabende Abrechnungsmethode für die Schreibgebühren vermeidet die früheren Streitigkeiten über das angemessene Schriftbild, zu großen Zeilenabstand oder zu breiten Rand. Es bleibt jetzt dem ästhetischen Gefühl jedes Sachverständigen überlassen, in welcher Form er sein Gutachten zu Papier bringt. Es wäre widersinnig, diese Vereinfachung nicht auch für die Ermittlung des Zeitaufwands für Diktat und Korrektur zu nutzen. Die Kostenkammer geht nach ihren Erfahrungen davon aus, dass ein Sachverständiger in einer Stunde einen Text mit 10.000 Anschlägen diktieren und korrigieren kann. Das entspricht 6 normalen Schreibmaschinenseiten mit jeweils etwa 1650 Anschlägen. Die von der Anweisungsstelle teilweise geforderten 2700 Anschläge sind unrealistisch. Derartig eng beschriebene Seiten sind bei Gutachten nie üblich gewesen. Wegen ihrer Unübersichtlichkeit sind derart eng beschriebene Seiten auch nicht wünschenswert. Schließlich entspricht es auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, dass Sachverständige durch das neue JVEG eine Vergütung erhalten, die niedriger ist als die frühere Entschädigung nach dem ZSEG. Darauf läuft aber die Forderung nach 2700 Anschlägen pro Textseite hinaus. Die Rechtsprechung der Kostenkammer bedeutet, dass sich bei 32.000 Anschlägen für Diktat und Korrektur ein erforderlicher Zeitaufwand von 3,2 Stunden ergibt.

Als Zeitaufwand für die Ausarbeitung des Konzepts für das von der Antragstellerin erstattete Gutachten sind nicht mehr als 5 Stunden anzusetzen. Bei der Bemessung der für die Abfassung des Gutachtens erforderlichen Zeit kann nur die für die eigentliche Beurteilung erforderliche Zeit zugrunde gelegt werden. Die Darstellung des Sachverhalts gehört nicht zur Beurteilung und ist mit dem Honorar für Aktenstudium und Untersuchung vergütet. Für die Abfassung der Beurteilung auf den Seiten 11 bis 19 erscheinen nach objektiven Gesichtspunkten nur 5 Stunden erforderlich

Die Kostenkammer beim Sozialgericht Gelsenkirchen orientiert sich dabei an der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, das es ausdrücklich abgelehnt hat, einem Sachverständigen schematisch einen Zeitaufwand von einer Stunde für jede Seite der Beurteilung zuzubilligen (Beschluss vom 06.10.1999 -L 4 B 9/99). Erforderlich ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen benötigt, um die Beweisfragen vollständig und sachgerecht zu beantworten. Dementsprechend ist der Zeitaufwand für die "zusammenfassende Beurteilung" in einem medizinischen Gutachten allein nach dem Umfang und der Schwierigkeit der gedanklichen Arbeit zu ermitteln ( Meyer/Höver, Gesetz über die Entschädigung von Zeugen unter Sachverständigen, 21. Auflage, § 3 Rz. 21, 22; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.1998, L 10 RJ 2589/97 KO-A. Es erscheint im vorliegenden Fall unrealistisch, dass für die Abfassung der Beurteilung, die sich mit unterschiedlichen Meinungen nicht auseinander setzen musste, ein Zeitaufwand von mehr als 5 Stunden erforderlich gewesen sein soll, auch wenn sich die Antragstellerin erkennbar gründlich und sorgfältig mit den gestellten Fragen auseinander gesetzt hat. Ein Vergleich mit den Zeitangaben anderer Pflegegutachter in ihren Rechnungen zeigt, dass für Pflegegutachten in der Regel zwischen 4 und 6 Stunden geltend gemacht werden. Das lässt es gerechtfertigt erscheinen, von einem erforderlichen Zeitaufwand von 5 Stunden auszugehen.

Entsprechend der Anzahl von 38.000 Anschlägen errechnen sich die Schreibgebühren gemäß § 12 Abs.1 Nr. 3 JVEG: 38 mal 0,75 = 24 Euro.

Die der Sachverständigen zustehende Vergütung errechnet sich demnach wie folgt:

Aktenstudium 1,20 Stunden zu 60 Euro
Untersuchung 1,75 Stunden
Fahrzeiten 0,75 Stunden
Abfassung 5,00 Stunden
Diktat und Korrektur 3,20 Stunden
Zusammen 12 Stunden = 720,00 Euro
Schreibgebühren 24,00 Euro
Fahrkosten 5,10 Euro
Summe 749,10 Euro
MwSt 16 % 119,86 Euro
Porto 7,50 Euro

Gesamt 876,46 Euro

Die Kostenkammer hat die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen zugelassen.

Seit Inkrafttreten des JVEG zum 1.7.2004 gibt es noch keine obergerichtliche Rechtsprechung zu den einzelnen Rechnungsposten. Die Kostenkammer weicht teilweise von der früheren Rechtsprechung ab und auch von den Empfehlungen des Bezirksrevisors. Eine Klärung durch die nächste Instanz wäre wünschenswert. Außerdem erscheint es klärungsbedürftig, ob der Zeitansatz für Diktat und Korrektur noch der heutigen Arbeitsweise der Sachverständigen entspricht, Diktiergeräte oder elektronische Notebooks kommen jetzt bereits beim Aktenstudium, bei der Untersuchung und bei der Abfassung der Beurteilung zum Einsatz. Die Kostenkammer hat bereits in mehreren Beschlüssen Bedenken angemeldet, ob hier möglicherweise die gleiche Leistung mehrfach vergütet wird. Mangels ausreichender eigener Erkenntnisse hat die Kammer bisher noch von einer Kürzung abgesehen.
Rechtskraft
Aus
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