L 7 AS 832/17

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 51 AS 4422/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 832/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird eine Eignungsabklärung als Maßnahme erbracht, ist ein Mehrbedarf bei Behinderung anzuerkennen.
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 15. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Mehrbedarf bei Behinderung für Zeiten der Durchführung einer Abklärung der beruflichen Eignung (Eignungsabklärung) in einer Rehabilitationseinrichtung vom 05.03. bis 27.05.2014.

Die 1967 geborene, geschiedene Klägerin bezog ab dem 25.12.2013 monatlich 631,50 EUR (21,05 EUR täglich) Arbeitslosengeld - Alg - (Bescheid v. 17.01.2014). Für ihre 1991, 1994 und 2003 geborenen Kinder erhielt sie Kindergeld (Bescheinigung v. 14.01.2014), welches sie ihren beiden ältesten, nicht mehr in ihrem Haushalt lebenden, Kindern (Töchter) weiterleitete. Für eine Kraftfahrzeug (Kfz) - Haftpflichtversicherung zahlte die Klägerin für 2014 als Jahresbeitrag 252,42 EUR, der 6,- EUR für einen Schutzbrief enthielt (Beitragsrechnung v. Oktober 2013).

Mit ihrem jüngsten Kind (Sohn) lebte die Klägerin in einer Mietwohnung in A ..., für die insgesamt 457,50 EUR monatlich (347,50 EUR Kaltmiete + 110,- EUR Betriebskostenvorauszahlung) zu zahlen war (Mietvertrag v. 06.08.2013).

Bei der Klägerin wurde eine Behinderung festgestellt, der Grad der Behinderung (GdB) betrug 20 (Bescheid v. 26.09.2013).

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund bewilligte der Klägerin aufgrund eines Rentenverfahrens wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. Angebot v. 04.11.2013, von der Agentur für Arbeit A ... erstelltes Ärztliches Gutachten v. 07.01.2014) dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Bescheid v. 03.12.2013) sowie eine Eignungsabklärung (Bescheid v. 18.02.2014), welche die Klägerin vom 05.03. bis 27.05.2014 als Pendlerin im Beruflichen Trainingszentrum (BTZ) Y ... bei einer täglichen Arbeitszeit von mindestens vier bis höchstens acht Stunden ohne Anrechnung von Pausen durchführte (Rehabilitationsvertrag v. 03.03.2014, Teilnahmebescheinigung v. 04.06.2020).

Vom 01.10.2014 bis 31.03.2015 nahm die Klägerin im BTZ Y ... an einer "Berufliche(n) Trainingsmaßnahme" teil (Bescheid v. 08.07.2014, Rehabilitationsvertrag v. 16.09.2014, Teilnahmebescheinigung v. 04.06.2020), für die ihr Übergangsgeld bewilligt wurde (Bescheid v. 25.08.2014).

Nach mehrjähriger Unterbrechung bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Sohn auf Antrag vom 23.01.2014 für Januar bis Juni 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, für März bis Juni 2014 als "Gesamtbetrag" 385,46 EUR monatlich, der Klägerin 265,90 EUR und ihrem Sohn 119,56 EUR (Bescheid v. 04.02.2014). Dabei berücksichtigte der Beklagte als Gesamtbedarf 1.156,42 EUR (666,67 EUR für die Klägerin und 489,75 EUR für ihren Sohn: Regelbedarfe = 391,- EUR und 261,- EUR; Mehrbedarf als Alleinerziehende = 46,92 EUR; Bedarfe für Unterkunft und Heizung = 457,50 EUR) und als Gesamteinkommen 770,96 EUR (580,96 EUR bei der Klägerin: 631,50 EUR Alg abzüglich 30,- EUR Versicherungspauschale und 20,54 EUR [252,42 EUR - 6,- EUR Schutzbrief / 12 Monate] Kfz-Haftpflichtversicherungsbeitrag; 190,- EUR Kindergeld beim Sohn). Dagegen erhob die Klägerin keinen Widerspruch.

Den Antrag der Klägerin auf Bewilligung eines Mehrbedarfs bei Behinderung für die Zeit vom 05.03. bis 27.05.2014 (Schreiben v. 17.03.2014) lehnte der Beklagte ab (Bescheid v. 01.04.2014; Widerspruchsbescheid v. 09.07.2014, W 1054/14). Die Eignungsabklärung sei weder eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben noch eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Vielmehr diene sie nur der Prüfung für die Entscheidung über die Gewährung geeigneter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Für eine sonstige Hilfe fehle ein direkter Bezug zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes, da im Anschluss weitere Schritte zur Auswahl und Durchführung geeigneter Maßnahmen folgen.

Dagegen hat die Klägerin am 18.07.2014 beim Sozialgericht (SG) Dresden Klage erhoben. Das SG hat den Beklagten ohne mündliche Verhandlung verurteilt, der Klägerin unter Änderung des Bescheids vom 04.02.2014 vom 05.03. bis 27.05.2014 höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs von 35 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu bewilligen, und die Berufung zugelassen (Urteil v. 15.06.2017). Der Beklagte habe den Überprüfungsantrag der Klägerin zu Unrecht abgelehnt, da die Klägerin vom 05.03. bis 27.05.2014 alle Voraussetzungen für einen Mehrbedarf bei Behinderung erfülle. Eignungsabklärung und Arbeitserprobung seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Voraussetzung der Teilnahme an einer regelförmigen Maßnahme sei ebenso erfüllt. Die Eignungsabklärung habe sich auch nicht auf Beratungs- und Betreuungsleistungen beschränkt.

Gegen das - ihm am 10.07.2017 zugestellte - Urteil hat der Beklagte am 31.07.2017 beim erkennenden Gericht Berufung eingelegt. Eignungsabklärung und Arbeitserprobung seien keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da sie im laufenden Antragsverfahren erfolgen würden. Erst nach Abschluss des Antragsverfahrens und positiver Entscheidung der DRV würden Teilhabeleistungen erbracht. Ein potentieller Anspruch auf solche Maßnahmen genüge nicht. Zweifelhaft sei, ob eine Eignungsabklärung eine "auf dem Arbeitsmarkt einsetzbare Qualifikation" darstelle. Final auf die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zur Ausübung einer Erwerbsfähigkeit befähigen, sei sie nicht ausgerichtet.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 15.06.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die von ihr absolvierte Vollzeitmaßnahme sei eine regelförmige Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben gewesen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schreiben der Bevollmächtigten der Klägerin v. 22.11.2019, Schreiben des Beklagten v. 09.06.2020).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Recht dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 05.03. bis 27.05.2014 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs bei Behinderung höhere Leistungen als bisher bewilligt zu erbringen.

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung der Bescheid vom 01.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.07.2014 (W 1054/14), mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, den Bewilligungsbescheid vom 04.02.2014 für die Zeit vom 05.03. bis 27.05.2014 zu Gunsten der Klägerin zu ändern. In der Sache ist Streitgegenstand ein Anspruch der Klägerin auf höheres Alg II unter Anerkennung eines Mehrbedarfs bei Behinderung nach § 21 Abs. 4 SGB II (SGB II i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I S. 850, soweit nachfolgend nicht anders angegeben; zur Anwendung des im zeitlich abgeschlossenen Bewilligungszeitraum geltenden Rechts vgl. nur BSG v. 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - Rn. 14 f.; zur Unzulässigkeit der Abtrennbarkeit dieses Mehrbedarfs von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vgl. nur BSG v. 12.11.2015 - B 14 AS 34/14 R - Rn. 11). Beschränkt ist indes der Streitgegenstand auf die Zeit vom 05.03. bis 27.05.2014, da sich nur der Beklagte gegen das Urteil des SG wendet.

Beteiligt als Klägerin (§ 69 Nr. 1 SGG) und Berufungsbeklagte ist nur die Klägerin und nicht auch ihr Sohn, da sich die Verurteilung des Beklagten - entsprechend der Klageerhebung (vgl. Niederschrift v. 18.07.2014) - auf Leistungen für die Klägerin beschränkt, wogegen sich nur der Beklagte wendet. Der Beiladung des 2003 geborenen Sohnes der Klägerin nach § 75 Abs. 5 Alt. 1 SGG bedurfte es nicht, auch wenn er ihrer Bedarfsgemeinschaft angehörte (für von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft st.Rspr. seit BSG v. 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 13, vgl. z.B. BSG v. 14.06.2018 - B 14 AS 13/17 R - Rn. 13 sowie Gall in: jurisPK-SGG, § 75 Rn. 54; Karl in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 9 Rn. 232 und Mecke in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 9 Rn. 45; zur Bedarfsgemeinschaft der Vorgenannten vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Von seiner Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl. hierzu z.B. BSG v. 15.04.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - Rn. 25) wurde abgesehen, da zwar auch die Höhe seines Leistungsanspruchs vom Ausgang des Verfahrens abhängt (dazu später), seine Interessen indes durch die Klägerin hinreichend vertreten werden.

Die zulassungsbedürftige Berufung (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) des Beklagten ist statthaft (§ 143 SGG), da sie vom SG zugelassen wurde, woran der Senat gebunden ist (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet, da die Klägerin für die Zeit vom 05.03. bis 27.05.2014 Anspruch auf Änderung des Bescheids vom 04.02.2014 und höheres Alg II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II hat.

Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 56 SGG; zur Notwendigkeit der Verpflichtungsklage für die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vgl. zu § 44 SGB X nur Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rn. 20c m.w.N. zum Meinungsstand). Nach dem Gesamtzusammenhang des Urteilsinhalts (§ 136 SGG) wollte das SG den Beklagten auch verurteilen, der Klägerin dem Grunde nach höhere Leistungen zu erbringen (Leistungsklage) und nicht nur zu bewilligen (Verpflichtungsklage), weshalb von einer Klarstellung der Urteilsformel abgesehen wurde. Ein derartiges Grundurteil (§ 130 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 SGG) ist auch im sog. Höhenstreit zulässig, da mit Wahrscheinlichkeit von höheren Leistungen ausgegangen werden kann, wenn dem Klagebegehren gefolgt wird (zu den Voraussetzungen eines solchen Grundurteils vgl. z.B. BSG v. 29.08.2019 - B 14 AS 42/18 R - Rn. 12 m.w.N.).

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 04.02.2014 für die Zeit 05.03. bis 27.05.2014 ist § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III, § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X, da nach Erlass des vorgenannten Bescheids mit Durchführung der Eignungsabklärung eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu Gunsten der Klägerin eingetreten ist (zur Geltung des § 48 SGB X vgl. z.B. BSG v. 06.04.2011 - B 4 AS 3/10 R - Rn. 15; zur Abgrenzung zu dem vom SG angenommenen § 44 SGB X vgl. z.B. BSG v. 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R - Rn. 13).

Der Bescheid vom 04.02.2014 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. hierzu z.B. Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 3 i.V.m. § 45 Rn. 63 ff), auch wenn sich seine Regelungswirkung auf sechs Monate beschränkt (zu Bewilligungsentscheidungen nach dem SGB II vgl. nur Burkiczak in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41 Rn. 63).

Mit Durchführung der Eignungsabklärung vom 05.03. bis 27.05.2014 ist nach Erlass des Bescheids vom 04.02.2014 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen bei der Klägerin eingetreten, da ihr unter Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II (zur Veränderung tatbestandsrelevanter äußerer Tatsachen vgl. ebenso z.B. Schütze, a.a.O., § 48 Rn. 8) höheres Alg II als bisher bewilligt zu erbringen ist.

Die Klägerin ist erwerbsfähige Leistungsberechtigte, da sie die Anspruchsvoraussetzungen zum Erhalt von Alg II dem Grunde nach erfüllt (§ 19 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) und sie nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen ist. Ihrer Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB II) stand insbesondere nicht das Verfahren um eine der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 3, § 43 SGB VI) entgegen, da sie nicht erwerbsgemindert (vgl. Angebot der DRV Bund v. 04.11.2013, Ärztliches Gutachten v. 07.01.2014) und dementsprechend imstande war, als Pendlerin mindestens vier Stunden werktäglich an der Eignungsabklärung teilzunehmen.

Als erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhält die Klägerin Alg II und ihr Sohn, der seinen Bedarf nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken kann, Sozialgeld (§ 19 Abs. 1 Satz 1 f., § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II), welches jeweils die in § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II genannten Bedarfe umfasst.

Durchgreifende Bedenken gegen die vom Beklagten im Bescheid vom 04.02.2014 ab März 2014 monatlich berücksichtigten Bedarfe (Regelbedarfe von 391,- EUR und 261,- EUR; Mehrbedarf als Alleinerziehende von 46,92 EUR; Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von insgesamt 457,50 EUR) sowie das von ihm berücksichtigte Einkommen der Klägerin (Alg von 631,50 EUR abzüglich 30,- EUR sog. Versicherungspauschale und 20,54 EUR Kfz-Haftpflichtversicherungsbeitrag) wurden - abgesehen vom Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II - nicht geltend gemacht und bestehen auch nicht.

Ob dies ebenso für das dem Sohn der Klägerin zugerechneten und allein bei seinem Bedarf berücksichtigten Kindergeld gilt (§ 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II; zur Berechnung nach § 9 Abs. 2 Satz 2 f. SGB II vgl. nur Karl in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 9 Rn. 102 f. und Mecke in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 9 Rn. 51 ff., auch zur Kritik an der Rechtsprechung des BSG), obwohl hiervon trotz aktenkundiger Hinweise auf eine auch für ihn abgeschlossene private Unfallversicherung nicht die sog. Versicherungspauschale abgesetzt wurde (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-V i.d.F. des Gesetzes v. 24.03.2011, BGBl. I S. 453, geändert durch Verordnung v. 21.06.2011, BGBl. I S. 1175; vgl. hierzu z.B. Lange in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 13 Rn. 69), kann dahinstehen, da seine Leistungsansprüche nicht Gegenstand des Verfahrens sind.

In Abänderung der Bewilligung im Bescheid vom 04.02.2014 ist bei der Klägerin für die vom 05.03. bis 27.05.2014 durchgeführte Eignungsabklärung ein Mehrbedarf bei Behinderung nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II anzuerkennen, der auch zusammen mit dem bereits anerkannten Mehrbedarf nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II der Höhe nach nicht den für die Klägerin maßgebenden Regelbedarf übersteigt (§ 21 Abs. 8 SGB II).

Die personenbezogenen Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II (in seiner zum 01.01.2011 an die Neufassung des § 20 SGB II angepassten Fassung des Gesetzes vom 24.03.2011, BGBl. I S. 453; vgl. BT-Drucks. 13/3404, S. 97) liegen vor, da die Klägerin zu den erwerbsfähigen behinderten Leistungsberechtigten gehört (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, vgl. oben; § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX i.d.F. des Gesetzes v. 19.06.2001, BGBl. I S. 1046 = SGB IX a.F.; nunmehr § 2 Abs. 1 Satz 1 f. SGB IX i.d.F. des BTHG v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3234 = SGB IX n.F.; vgl. Bescheid v. 26.09.2013), ohne dass es einer Schwerbehinderung (§ 2 Abs. 2 f. SGB IX a.F. / n.F.) oder der Anerkennung eines Merkzeichens (§ 69 Abs. 4 SGB IX i.d.F. des Gesetzes v. 23.04.2004, BGBl. I S. 606 / § 152 Abs. 4 SGB IX n.F.) bedarf. Dahinstehen kann, ob sich die Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit auswirken muss (so wohl Straßfeld, SGb 2017, 440, 441 f. in Anlehnung an § 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II, § 19 Abs. 1 SGB III, § 33 Abs. 1 SGB IX a.F. / § 49 Abs. 1 SGB IX n.F.), da auch dies bei der Klägerin vorliegt (vgl. Angebot der DRV Bund v. 04.11.2013 und Ärztliches Gutachten v. 07.01.2014, wonach die Klägerin auch aufgrund der als Behinderung festgestellten psychischen Störung nicht mehr als Erzieherin erwerbstätig sein kann, ohne erwerbsgemindert zu sein, aber die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 SGB VI vorliegen).

Die sachbezogenen Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II liegen ebenso vor, da der Klägerin mit der Eignungsabklärung vom 05.03. bis 27.05.2014 im BTZ Y ... eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben als Maßnahme erbracht wurde. § 21 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB II (in der hier maßgeblichen, bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung; zu nachfolgenden Änderungen später) setzt die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX a.F. (nunmehr § 49 SGB IX n.F.) als Maßnahme voraus (vgl. auch § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II: "der dort genannten Maßnahmen"). Jedenfalls wenn, wie hier eine Eignungsabklärung nach § 33 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IX a.F. (§ 49 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB XI n.F.) als Maßnahme i.S.d. § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II erbracht wird, ist ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB II anzuerkennen (ebenso, indes nicht entscheidungstragend, für eine Berufsfindungs- und Arbeitserprobungsmaßnahme z.B. LSG Berlin-Brandenburg v. 01.12.2009 - L 19 AS 1351/07 - juris Rn. 6, 36). Nicht entscheidungserheblich hingegen ist, ob dies für jede Eignungsabklärung (und Arbeitserprobung, vgl. § 33 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IX a.F. / § 49 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB XI n.F.) gilt.

Der Mehrbedarf nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II setzt die Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme voraus, die grundsätzlich geeignet ist, einen Mehrbedarf auszulösen (st.Rspr. seit BSG v. 25.06.2008 - B 11b AS 19/07 R - Rn. 22, vgl. zuletzt BSG v. 05.07.2017 - B 14 AS 27/16 R - Rn. 17 ff. m.w.N.). Dies erfordert eine strukturierte Maßnahme innerhalb eines organisatorischen Mindestrahmens (vgl. insb. BSG v. 06.04.2011 - B 4 AS 3/10 R - Rn. 18 ff.). Hierfür kann auf die Grundsätze zum Begriff der förderungsfähigen Maßnahme im Recht der Weiterbildungsförderung zurückgegriffen werden (vgl. insb. BSG v. 05.08.2015 - B 4 AS 9/15 R - Rn. 21 m.w.N.). Danach ist wesentlich für eine Maßnahme, dass ein mit der Förderung angestrebtes Maßnahmeziel formuliert wird, diese regelmäßig auf eine auf dem Arbeitsmarkt einsetzbare Qualifikation gerichtet ist (vgl. BSG v. 23.06.1981 - 7 RAr 18/80 - juris Rn. 33) und ihr ein festgelegter Zeitplan zugrunde liegt, in dem bei einer Gesamtbetrachtung einzelne unselbständige Bestandteile in einem engen zeitlichen, inhaltlichen und organisatorischen Zusammenhang stehen (vgl. BSG v. 14.02.1985 - 7 RAr 96/83 - juris Rn. 23, 25; BSG v. 20.03.1986 - 11b RAr 11/85 - juris Rn. 11).

Unter Beachtung dieser Kriterien handelt es sich bei der vom 05.03. bis 27.05.2014 durchgeführten Eignungsabklärung um eine Maßnahme i.S.d. § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Deren Ziel war die Auswahl erforderlicher und geeigneter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB XI a.F. / § 49 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB XI n.F.), um durch derartige Leistungen die auch behinderungsbedingt erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin abwenden zu können (§ 9 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a SGB VI; vgl. Bescheid der DRV Bund v. 18.02.2014, § 2 Rehabilitationsvertrag). Hierfür war die Eignungsabklärung "erforderlich" (§ 33 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB XI a.F. / § 49 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB XI n.F.; Bescheid der DRV Bund v. 18.02.2014). Weiterhin erfolgte die Ausführung der Eignungsabklärung nach einem Rehabilitationskonzept der in Anspruch genommenen Rehabilitationseinrichtung (§ 19 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. / § 36 Abs. 2 Satz 1 SGB IX n.F.) in einem vorab festgelegten Zeitplan und organisatorisch zusammenhängenden Rahmen (vgl. §§ 2 ff. Rehabilitationsvertrag). Einer Mehrheit von Teilnehmern bedarf es für die Annahme einer Maßnahme nicht (vgl. BSG v. 20.06.1978 - 7 RAr 11/77 - juris Rn. 27), auch wenn sie nach dem Vorbringen der Klägerin vorlag (vgl. z.B. Schreiben v. 17.04.2014 und Niederschrift v. 18.07.2014, wonach anderen Teilnehmern der Mehrbedarf gewährt worden sei). Ob die Eignungsabklärung speziell auf die Bedürfnisse von behinderten Menschen zugeschnitten ist, kann ebenso dahinstehen (vgl. BSG v. 05.08.2015 - B 4 AS 9/15 R - Rn. 18). Bei der Eignungsabklärung handelte es sich auch nicht nur um kurze Gespräche, wie sie auch im Rahmen der Vermittlung durch den Grundsicherungsträger erfolgen (hierzu BSG v. 22.03.2010 - B 4 AS 59/09 R - Rn. 20 f.), um eine alleinige Kontaktaufnahme mit Beratung (z.B. nach §§ 13, 14, SGB I, § 14 Abs. 2 SGB II; hierzu BSG v. 06.04.2011 - B 4 AS 3/10 R - Rn. 21) oder um ein offen ausgestaltetes Projekt bei weitgehend freier Gestaltbarkeit der Teilnahme an einzelnen Veranstaltungen ohne fachlichen oder inhaltlichen Zusammenhang (hierzu BSG v. 05.08.2015 - B 4 AS 9/15 R - insb. Rn. 3, 22). Schließlich steht einer Maßnahme i.S.d. § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht die Beauftragung und Kostenträgerschaft der DRV Bund entgegen (vgl. BSG v. 22.03.2010 - B 4 AS 59/09 R - Rn. 14; BSG v. 06.04.2011 - B 4 AS 3/10 R - Rn. 24) und hat die Klägerin ihre tatsächliche Teilnahme an der Eignungsabklärung, die Erbringung der Maßnahme, nachgewiesen (Teilnahmebestätigung v. 04.06.2020).

§ 21 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB II erfasst eine als Maßnahme erbrachte Eignungsabklärung, auch wenn sie "rechtstechnisch" nicht zu den von § 33 Abs. 3 SGB IX a.F. (§ 49 Abs. 3 SGB IX n.F.) umfassten Leistungen gehört und im Teilhabeverfahren dem "Verwaltungsverfahren" zugerechnet wird, worauf der Beklagte (unter Bezug auf Haines in: LPK- SGB IX, 2. Aufl. 2009, § 33 Rn. 38) hinweist (vgl. zu § 49 SGB IX n.F. ebenso z.B. Bieritz-Harder in: Deiner/Welti, Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, Stichwort: Arbeitserprobung, Rn. 1; Deusch in: Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 49 Rn. 41; Kemper in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2. Aufl. 2018, SGB IX, § 49 Rn. 12 und Luik in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 49 Rn. 132 f.).

Mit dem Wortlaut des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II ist ein derartiges Verständnis ohne weiteres vereinbar, da er keine Einschränkung auf Leistungen nach § 33 Abs. 3 SGB IX a.F. (§ 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II i.d.F. des BTHG v. 23.12.2016, BGBl. I S. 3234: § 49 Abs. 3 SGB IX n.F.) enthält. Nichts anderes gilt aus systematischen Gründen, auch unter Würdigung der nach der streitgegenständlichen Zeit zum 01.08.2016 erfolgten Einfügung von "mit Ausnahme der Leistungen nach § 33 Absatz 3 Nummer 2 und 4 des Neunten Buches" in § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II (Gesetz v. 26.07.2016, BGBl. I S. 1824), da sie im Zusammenhang mit der Änderung des § 7 Abs. 5 SGB II erfolgte (vgl. BT-Drucks. 18/8041, S. 39) und nichts an der grundsätzlichen Bezugnahme auf "Leistungen nach § 33 des Neunten Buches" änderte.

Entscheidend für die eine als Maßnahme erbrachte Eignungsabklärung umfassende Auslegung des § 21 Abs. 4 SGB II sind dessen Sinn und Zweck, in typisierender Weise pauschalierte, nicht vom Regelbedarf erfasste Bedarfe auszulösen, und Gründe der Gleichbehandlung mit von § 33 Abs. 3 SGB IX a.F. (§ 49 Abs. 3 SGB IX n.F.) umfassten Leistungen, soweit sie ebenso als Maßnahmen erbracht werden (zu diesen Auslegungskriterien vgl. zuletzt BSG v. 05.07.2017 - B 14 AS 27/16 R - Rn. 21).

§ 21 Abs. 4 SGB II bezweckt den pauschalen Ausgleich eines typisiert angenommenen Mehrbedarfs bei Erbringung der von ihm erfassten, grundsätzlich zur Auslösung eines Mehrbedarfs geeigneten, Maßnahmen (ebenso st.Rspr. seit BSG v. 25.06.2008 - B 11b AS 19/07 R - Rn. 22), um behinderungsbedingte Nachteile auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen (vgl. z.B. BSG v. 15.12.2010 - B 14 AS 44/09 R - Rn. 16; BSG v. 05.08.2015 - B 4 AS 9/15 R - Rn. 18; BSG v. 12.11.2015 - B 14 AS 34/14 R - Rn. 21), ohne dass konkrete Mehraufwendungen entstehen müssen (vgl. z.B. BSG v. 22.03.2010 - B 4 AS 59/09 R - Rn. 21; kritisch zur maßgeblichen Bedarfslage z.B. Straßfeld, SGb 2017, 440, 441).

Diesem Zweck wird nur eine Auslegung des § 21 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGB II gerecht, nach der für eine wie hier als Maßnahme erbrachte Eignungsabklärung ebenso ein Mehrbedarf bei Behinderung anzuerkennen ist wie für die erst danach auswählbaren erforderlichen und geeigneten Leistungen nach § 33 Abs. 3 SGB IX a.F. (§ 49 Abs. 3 SGB IX n.F.), soweit sie als Maßnahme erbracht werden, zumal Gründe für eine unterschiedliche Behandlung nicht bestehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 f. SGG) liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG), da unter Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls nur für eine als Maßnahme erbrachte und nicht allgemein für jede Eignungsabklärung zu entscheiden war, ob ein Mehrbedarf bei Behinderung anzuerkennen ist.
Rechtskraft
Aus
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