Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AL 384/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 72/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für Feststellungen der Einzugsstelle ist nach § 336 SGB III eine Bindungswirkung nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht angeordnet.
2. Selbst wenn im Wege der erweiternden Auslegung der Vorschrift von § 336 SGB III der Entscheidung der Krankenkasse eine Bindungswirkung beizumessen wäre, würde diese Wirkung nach dem auch insoweit eindeutigen Wortlaut von § 336 SGB III nur positive Feststellungen betreffen. Ein ablehnender Bescheid würde keine Bindungswirkung entfalten.
2. Selbst wenn im Wege der erweiternden Auslegung der Vorschrift von § 336 SGB III der Entscheidung der Krankenkasse eine Bindungswirkung beizumessen wäre, würde diese Wirkung nach dem auch insoweit eindeutigen Wortlaut von § 336 SGB III nur positive Feststellungen betreffen. Ein ablehnender Bescheid würde keine Bindungswirkung entfalten.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Aussetzungsbeschluss des Sozialgerichts Dresden vom 16. Juli 2020 aufgehoben.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aussetzung des Klageverfahrens. In der Hauptsache erstrebt er die Verpflichtung der Beklagten, ihm ab dem 22. Mai 2017 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 14. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 22. Mai 2017 ab. Der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil er innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren, die den Zeitraum vom 22. Mai 2015 bis zum 21. Mai 2017 umfasse, lediglich an 279 Tagen anstelle erforderlicher 360 Kalendertagen in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (vgl. §§ 137, 142, 143 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – [SGB III]).
Dagegen hat der Kläger am 9. Oktober 2017 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 19 AL 384/17 geführt wird.
Mit Urteil vom 23. August 2019 hat das Sozialgericht Dresden die seit dem 19. September 2016 anhängige Klage des Klägers gegen seine Krankenkasse (IKK Classic), mit der er die Verpflichtung der Krankenkasse zur Feststellung einer Versicherungspflicht im Zeitraum vom 15. Mai 2015 bis zum 31. März 2016 – auch – nach dem Recht der Arbeitsförderung begehrt hatte, abgewiesen. Der Kläger hat dagegen am 19. September 2019 Berufung eingelegt, die beim Sächsischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 1 KR 266/19 anhängig ist.
Das Sozialgericht hat im Verfahren Aktenzeichen S 19 AL 384/17 mit Beschluss vom 16. Juli 2010 das Verfahren "bis zum bestands- oder rechtskräftigen Abschluss des auch die Statusfeststellung des Klägers im Hinblick auf eine Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung betreffenden" Berufungsverfahrens Aktenzeichen L 1 KR 266/19 ausgesetzt. Streitig sei im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Bewilligung von Arbeitslosengeld insbesondere, ob er im Zeitraum vom 22. Mai 2015 bis zum 31. März 2016 versicherungspflichtig nach dem Recht der Arbeitsförderung beschäftigt gewesen sei. Diese Frage sei aber Gegenstand des aktuell im Berufungsverfahren Aktenzeichen L 1 KR 266/19 vor dem Landessozialgericht anhängigen Verfahrens. Sollte sich dort herausstellen, dass der Kläger im genannten Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, folge daraus, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 22. Mai 2017 bestehe. Stelle sich das Gegenteil heraus, folge daraus, dass der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Aufgrund der Vorgreiflichkeit der parallel betriebenen Streit-sache sei deren Abschluss abzuwarten. Da sich widersprechende Gerichtsentscheidungen zu vermeiden seien, liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor.
Am 17. August 2020 hat der Kläger gegen den Aussetzungsbeschluss Beschwerde eingelegt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Berufungsakte L 1 KR 266/19 Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere nach § 172 Abs. 1, § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 2 SGG ausgeschlossen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 114 Rdnr. 9 m. w. N.).
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung ist der Ausgang des Klageverfahrens Aktenzeichen S 19 AL 384/17 nicht dergestalt mit dem Ausgang des Berufungsverfahren Aktenzeichen L 1 KR 266/19 verbunden, dass von einer Vorgreiflichkeit letztgenannter Entscheidung gesprochen werden kann.
Zwar ist nach § 336 SGB III die Bundesagentur für Arbeit, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund im Verfahren nach § 7a Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) die Versicherungspflicht durch Verwaltungsakt nach dem SGB III feststellt, hinsichtlich der Zeiten, für die der die Versicherungspflicht feststellende Verwaltungsakt wirksam ist, an diese Feststellung leistungsrechtlich gebunden. Im Berufungsverfahren Aktenzeichen L 1 KR 266/19 wird aber nicht über die Rechtmäßigkeit einer Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Bund, sondern um die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Einschätzung einer Krankenkasse als Einzugsstelle gestritten. Für Feststellungen der Einzugsstelle ist aber nach § 336 SGB III eine Bindungswirkung nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht angeordnet. Selbst wenn man im Wege der erweiternden Auslegung der Vorschrift der Entscheidung der Krankenkasse ebenfalls eine Bindungswirkung beimessen wollte (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Juni 2014 – L 8 AL 242/10 – juris, Rdnr. 21), wäre dennoch zu beachten, dass diese Wirkung nach dem auch insoweit eindeutigen Wortlaut von § 336 SGB III nur positive Feststellungen betreffen würde. Der Bundesagentur für Arbeit wird durch die Vorschrift – lediglich – aufgegeben, die Zeiten, für die Versicherungspflicht festgestellt wurde, bei der Prüfung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zu berücksichtigen. Ein ablehnender Bescheid hat hingegen diese Wirkung im Umkehrschluss aus § 336 SGB III nicht. Die Bundesagentur für Arbeit ist folglich nicht daran gehindert, im Einzelfall aufgrund eigener – besserer – Erkenntnis Zeiten als versicherungspflichtig einzustufen, für die die Rentenversicherung (oder gegebenenfalls die Einzugsstelle) die Feststellung einer Versicherungspflicht abgelehnt hat.
Ist nach alldem die Beklagte über § 366 SGB nicht in der vom Sozialgericht gesehenen Weise an die Feststellung einer anderen Behörde gebunden, kann die Aussetzung des Verfahrens nicht zur Vermeidung sich widersprechender Gerichtsentscheidungen geboten sein. Soweit das Sozialgericht wegen der Möglichkeit des Entstehens sich widersprechender Gerichtsentscheidungen eine Ermessenreduzierung auf Null gesehen hat, erweist sich dieser Ansatz damit als nicht tragfähig.
3. Über etwaige Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht zu befinden. Die Entscheidung über die Aussetzung ist kein eigenständiger Verfahrensabschnitt, sondern Bestandteil des Hauptsacheverfahrens (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. August 2006 – L 8 AL 2352/06 B – juris Rdnr. 5; Keller, a. a. O.).
4. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aussetzung des Klageverfahrens. In der Hauptsache erstrebt er die Verpflichtung der Beklagten, ihm ab dem 22. Mai 2017 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 14. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 22. Mai 2017 ab. Der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil er innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren, die den Zeitraum vom 22. Mai 2015 bis zum 21. Mai 2017 umfasse, lediglich an 279 Tagen anstelle erforderlicher 360 Kalendertagen in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe (vgl. §§ 137, 142, 143 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – [SGB III]).
Dagegen hat der Kläger am 9. Oktober 2017 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 19 AL 384/17 geführt wird.
Mit Urteil vom 23. August 2019 hat das Sozialgericht Dresden die seit dem 19. September 2016 anhängige Klage des Klägers gegen seine Krankenkasse (IKK Classic), mit der er die Verpflichtung der Krankenkasse zur Feststellung einer Versicherungspflicht im Zeitraum vom 15. Mai 2015 bis zum 31. März 2016 – auch – nach dem Recht der Arbeitsförderung begehrt hatte, abgewiesen. Der Kläger hat dagegen am 19. September 2019 Berufung eingelegt, die beim Sächsischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 1 KR 266/19 anhängig ist.
Das Sozialgericht hat im Verfahren Aktenzeichen S 19 AL 384/17 mit Beschluss vom 16. Juli 2010 das Verfahren "bis zum bestands- oder rechtskräftigen Abschluss des auch die Statusfeststellung des Klägers im Hinblick auf eine Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung betreffenden" Berufungsverfahrens Aktenzeichen L 1 KR 266/19 ausgesetzt. Streitig sei im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Bewilligung von Arbeitslosengeld insbesondere, ob er im Zeitraum vom 22. Mai 2015 bis zum 31. März 2016 versicherungspflichtig nach dem Recht der Arbeitsförderung beschäftigt gewesen sei. Diese Frage sei aber Gegenstand des aktuell im Berufungsverfahren Aktenzeichen L 1 KR 266/19 vor dem Landessozialgericht anhängigen Verfahrens. Sollte sich dort herausstellen, dass der Kläger im genannten Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, folge daraus, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 22. Mai 2017 bestehe. Stelle sich das Gegenteil heraus, folge daraus, dass der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Aufgrund der Vorgreiflichkeit der parallel betriebenen Streit-sache sei deren Abschluss abzuwarten. Da sich widersprechende Gerichtsentscheidungen zu vermeiden seien, liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor.
Am 17. August 2020 hat der Kläger gegen den Aussetzungsbeschluss Beschwerde eingelegt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Berufungsakte L 1 KR 266/19 Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere nach § 172 Abs. 1, § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 2 SGG ausgeschlossen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 114 Rdnr. 9 m. w. N.).
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung ist der Ausgang des Klageverfahrens Aktenzeichen S 19 AL 384/17 nicht dergestalt mit dem Ausgang des Berufungsverfahren Aktenzeichen L 1 KR 266/19 verbunden, dass von einer Vorgreiflichkeit letztgenannter Entscheidung gesprochen werden kann.
Zwar ist nach § 336 SGB III die Bundesagentur für Arbeit, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund im Verfahren nach § 7a Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) die Versicherungspflicht durch Verwaltungsakt nach dem SGB III feststellt, hinsichtlich der Zeiten, für die der die Versicherungspflicht feststellende Verwaltungsakt wirksam ist, an diese Feststellung leistungsrechtlich gebunden. Im Berufungsverfahren Aktenzeichen L 1 KR 266/19 wird aber nicht über die Rechtmäßigkeit einer Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Bund, sondern um die Rechtmäßigkeit der entsprechenden Einschätzung einer Krankenkasse als Einzugsstelle gestritten. Für Feststellungen der Einzugsstelle ist aber nach § 336 SGB III eine Bindungswirkung nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht angeordnet. Selbst wenn man im Wege der erweiternden Auslegung der Vorschrift der Entscheidung der Krankenkasse ebenfalls eine Bindungswirkung beimessen wollte (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Juni 2014 – L 8 AL 242/10 – juris, Rdnr. 21), wäre dennoch zu beachten, dass diese Wirkung nach dem auch insoweit eindeutigen Wortlaut von § 336 SGB III nur positive Feststellungen betreffen würde. Der Bundesagentur für Arbeit wird durch die Vorschrift – lediglich – aufgegeben, die Zeiten, für die Versicherungspflicht festgestellt wurde, bei der Prüfung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zu berücksichtigen. Ein ablehnender Bescheid hat hingegen diese Wirkung im Umkehrschluss aus § 336 SGB III nicht. Die Bundesagentur für Arbeit ist folglich nicht daran gehindert, im Einzelfall aufgrund eigener – besserer – Erkenntnis Zeiten als versicherungspflichtig einzustufen, für die die Rentenversicherung (oder gegebenenfalls die Einzugsstelle) die Feststellung einer Versicherungspflicht abgelehnt hat.
Ist nach alldem die Beklagte über § 366 SGB nicht in der vom Sozialgericht gesehenen Weise an die Feststellung einer anderen Behörde gebunden, kann die Aussetzung des Verfahrens nicht zur Vermeidung sich widersprechender Gerichtsentscheidungen geboten sein. Soweit das Sozialgericht wegen der Möglichkeit des Entstehens sich widersprechender Gerichtsentscheidungen eine Ermessenreduzierung auf Null gesehen hat, erweist sich dieser Ansatz damit als nicht tragfähig.
3. Über etwaige Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht zu befinden. Die Entscheidung über die Aussetzung ist kein eigenständiger Verfahrensabschnitt, sondern Bestandteil des Hauptsacheverfahrens (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. August 2006 – L 8 AL 2352/06 B – juris Rdnr. 5; Keller, a. a. O.).
4. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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