L 7 AS 902/20 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 34 AS 2252/20 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 902/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Wert des Beschwerdegegenstands beim Rechtsschutz gegen eine Zuweisung zu einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung bemisst sich nach der Höhe einer Leistungsminderung bei Nichtantritt, Abbruch oder Veranlassung des Abbruchs dieser Maßnahme.
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 21. Oktober 2020 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1971 geborene Antragsteller ist nicht erwerbstätig und lebt zusammen mit einer 1976 geborenen Frau in einer Wohnung. Als Bedarfsgemeinschaft beziehen sie vom Antragsgegner Arbeitslosengeld II (für Juli und August 2020 vgl. zuletzt Bescheid v. 14.07.2020; für September 2020 bis August 2021 vgl. Erstbescheid v. 15.07.2020).

Am 02.07.2020 erließ der Antragsgegner einen mit einer Rechtsbehelfs- und Rechtsfolgenbelehrung versehenen Bescheid über die Zuweisung des Antragstellers "als Teilnehmer in die Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung ‚AEP 120 Tage - Z ..." bei der Y ... GmbH Z ... (nachfolgend: Y ... GmbH), die "vom 13.07.2020 bis zum 30.04.2021" stattfinde (Entscheidungssätze 1. und 2.), wobei die "Maßnahme bis maximal zum 30.04.2021 (innerhalb dieses Zeitraums 120 Teilnahmetage) dauern und in Vollzeit durchgeführt" werde (Gründe unter II.).

Der Antragsteller trat die Maßnahme am 13.07.2020 korrekt auftretend an und verweigerte jegliche Unterschriften bei der Y ... GmbH (vgl. Aktenvermerk des Antragsgegners v. selben Tag über ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Y ... GmbH). Vom 14. bis 17.07.2020 ist eine Arbeitsunfähigkeit des Antragstellers bescheinigt (Erstbescheinigung v. 14.07.2020). Am 20. und 21.07.2020 sprach der Antragsteller ebenso bei der Y ... GmbH vor.

Den Widerspruch des Antragstellers vom 10.07.2020 (Schreiben v. 09.07.2020) gegen den Zuweisungsbescheid vom 02.07.2020 wies der Antragsgegner zurück (Widerspruchsbescheid v. 26.08.2020, W./20). Nach Rücknahme vom 01.09.2020 (Schreiben v. 29.08.2020) eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz vom 13.07.2020 (Schreiben v. 09.07.2020) beim Sozialgericht Dresden (SG; Az.: S 23 AS./20 ER), erhob der Antragsteller beim SG am 01.09.2020 (weiteres Schreiben v. 29.08.2020) Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.08.2020 und beantragte deren aufschiebende Wirkung.

Das SG legte zwei neue Verfahren an (Az.: S 34 AS./20 und S 34 AS./20 ER) und lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab, da er zwar zulässig, jedoch unbegründet sei, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zuweisungsbescheids bestünden (Beschluss v. 21.10.2020). Die Beschwerde gegen diesen Beschluss sei statthaft.

Gegen den - ihm am 26.10.2020 zugestellten - Beschluss vom 21.10.2020 hat der Antragsteller am 30.10.2020 (Schreiben v. 27.10.2020) beim erkennenden Gericht Beschwerde eingelegt. Die Zuweisung sei nicht hinreichend bestimmt. Die erforderliche Begründung und Konkretisierung könne auch nicht im Widerspruchsbescheid nachgeholt werden. Die Zuweisung sei willkürlich und ohne vorherige Anhörung erfolgt, obwohl keine Eile bestanden habe, da eine individuelle Teilnahme an der Maßnahme vorgesehen sei, die einen späteren Eintrittstermin ermögliche. Die Maßnahme diene nicht der Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Eine Verpflichtung zur Unterzeichnung eines Teilnahmevertrags bestehe nicht. Ohne Unterzeichnung sei die Teilnahme unmöglich.

Nach seinem Vorbringen beantragt der Antragsteller,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 21.10.2020 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 01.09.2020 - S 34 AS./20 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er schließe sich der ausführlich begründeten Entscheidung des SG an.

Nach Anhörung des Antragstellers (Schreiben v. 27.10.2020) stellte der Antragsgegner eine Minderung des Alg II um 30 Prozent des Regelbedarfs für Januar bis März 2021 fest (Bescheid v. 01.12.2020) und änderte entsprechend die Leistungsbewilligung (Bescheid v. 08.12.2020), da er die Maßnahme "AEP 120 Tage" nicht angetreten habe. Der Antragsteller erhob gegen den Bescheid vom 01.12.2020 am 04.12.2020 (Schreiben v. 03.12.2020) Widerspruch und beantragte am 07.12.2020 (Schreiben v. 04.12.2020) beim SG einstweiligen Rechtsschutz (Az.: S 34 AS./20 ER).

II. 1. Die Entscheidung ergeht in der eingangs benannten Senatsbesetzung (§ 33 Abs. 1, § 12 Abs. 1 Satz 2, § 176 SGG), da der mit seiner Abordnung zum 01.12.2020 für das Verfahren zuständig gewordene Berichterstatter des Senats als vorinstanzlich entscheidender Richter kraft Gesetzes von einer (Beschwerde-) Entscheidung ausgeschlossen ist (§ 60 Abs. 1 SGG, § 41 Nr. 6 ZPO), ohne dass es einer gerichtlichen Entscheidung hierüber bedarf (vgl. nur Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl., § 60 Rn. 6).

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss vom 21.10.2020 ist ausgeschlossen und damit nicht statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG), da in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). Denn weder übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) noch sind wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abweichend von § 143 SGG bedarf die Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte der Zulassung u.a., wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,- EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstands im Hauptsacheverfahren richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt, wobei bei einer Geldleistung der Wert des Beschwerdegegenstands nach dem Geldbetrag zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 4 Abs. 1 ZPO) zu berechnen ist, um den unmittelbar gestritten wird (stRspr., vgl. nur BSG v. 23.07.2015 - B 8 SO 58/14 B - Rn. 6 m.w.N.).

Der Wert des Beschwerdegegenstands beim Rechtsschutz gegen eine Zuweisung zu einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB III (jeweils i.d.F. des Gesetzes v. 20.12.2011, BGBl. I S. 2854) bemisst sich ungeachtet der Klageart nach der Höhe einer Leistungsminderung bei einer Pflichtverletzung i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II (i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I 850), da sich die Zuweisung prozessual als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG darstellt. Insoweit gilt nach Auffassung des Senats nichts anderes als beim Rechtsschutz gegen eine Meldeaufforderung i.S.d. § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III, die als Verwaltungsakt eine bestehende Meldeobliegenheit der Leistungsberechtigten konkretisiert, bei Nichtbefolgung grundsätzlich zur Leistungsminderung führt und im Hinblick auf den Berufungswert nicht unabhängig von dieser rechtlichen Wirkung betrachtet werden kann (vgl. nur BSG v. 18.02.2019 - B 14 AS 11/18 B, B 14 AS 44/18 B, B 14 AS 77/18 B, B 14 AS 99/18 B, B 14 AS 116/18 B, B 14 AS 117/18 B, B 14 AS 147/18 B, B 14 AS 296/18 B, B 14 AS 253/18 B, B 14 AS 255/18 B und B 14 AS 318/18 B - jeweils Rn. 4 sowie BSG v. 08.05.2019 - B 14 AS 86/18 B - Rn. 3 f., jeweils m.w.N.).

Die Zuweisung des Antragstellers zur Maßnahme ‚AEP 120 Tage - Z ..." bei der Y ... GmbH vom 13.07.2020 bis zum 30.04.2021 erfolgte durch einen Verwaltungsakt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 31 Satz 1 SGB X), da sich der Antragsgegner jedenfalls dieser Rechtsform bediente (zum sog. formellen Verwaltungsakt vgl. nur Engelmann in: Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 31 Rn. 37), ohne dass es insoweit auf dessen Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts über die Zuweisung zu einer Maßnahme ankommt (hierzu tendierend z.B. Herbst in: jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 45 Rn. 280 und Rademacker in: Hauck/Noftz, SGB, § 45 SGB III, Rn. 102, Stand: 05/12, jeweils u.a. unter Bezug auf BSG v. 13.04.2011 - B 14 AS 101/10 R - Rn. 15 ff. und BSG v. 27.08.2011 - B 4 AS 1/10 R - Rn. 31 f. zur Zuweisung in eine bestimmte Arbeitsgelegenheit; a.A. z.B. LSG Hamburg v. 24.01.2020 - L 2 AL 44/19 - juris Rn. 4 f., 20 ff.).

Wenn ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, der sein 25. Lebensjahr vollendet hat, eine ihm zugewiesene Maßnahme zur Eingliederung nicht angetreten, abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat, kommt als Rechtsfolge allein die Minderung des Auszahlungsanspruchs auf Alg II für maximal drei Monate um 30 Prozent des für ihn maßgebenden Regelbedarfs in Betracht, ohne dass es im Ergebnis darauf ankommt, ob es sich dabei um eine erste oder wiederholte sog. Pflichtverletzung handelt (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 31a Abs. 1 Satz 1 ff., § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II, jeweils in Anwendung der Maßgaben des BVerfG v. 05.11.2019 - 1 BvL 7/16 - insb. Rn. 115, 136 ff., 211 ff., BGBl. I S. 2046 f.).

Dem entsprechend wurde der Antragsteller vom Antragsgegner belehrt (vgl. Bescheid v. 02.07.2020, S. 3) und dessen Anspruch auf Alg II für Januar bis März 2021 - ausgehend von dem bis zum 31.12.2020 maßgebenden Regelbedarf von 389,- EUR - in Höhe von 116,70 EUR monatlich gemindert (Bescheide v. 01.12.2020 und 08.12.2020). Selbst eine dreimonatige Minderung um 30 Prozent des seit dem 01.01.2021 maßgebenden Regelbedarfs von 401,- EUR (vgl. § 20 Abs. 1a, Abs. 4 SGB II i.V.m. § 8 Nr. 2 RBEG v. 09.12.2020, BGBl. I S. 2855, 2857) würde nicht 750,- EUR übersteigen.

Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung des SG bindet den Senat nicht (zur Berufung vgl. nur BSG v. 22.07.2010 - B 4 AS 77/10 B - Rn. 8 m.w.N.).

Die nicht statthafte Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 572 Abs. 2 Satz 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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